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BESUCH DES HEILIGEN VATERS
BEIM WELTKIRCHENRAT IN GENF
ZU DESSEN 70. GRÜNDUNGSTAG

EUCHARISTIEFEIER

HOMILIE DES HEILIGEN VATERS

Messekomplex Palexpo (Genf)
Donnerstag, 21. Juni 2018

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Vater, Brot, Vergebung. Drei Worte, die uns das heutige Evangelium schenkt. Drei Worte, die uns in die Mitte des Glaubens führen.

»Vater«. So beginnt das Gebet. Es kann sich dann in anderen Worten fortsetzen, aber das erste Wort bleibt immer gegenwärtig, weil das Wort »Vater« der Schlüssel zum Herzen Gottes ist; denn nur wenn wir Vater sagen, beten wir in christlicher Sprache. Beten wir „auf christlich“: nicht zu irgendeinem vagen Gott, sondern zu Gott, der vor allem „Papa“ ist. Jesus hat uns aufgetragen, »Vater unser im Himmel« zu sagen und nicht „Gott des Himmels, der du Vater bist“. Gott ist, bevor er unendlich und ewig ist, zunächst einmal Vater.

Von ihm kommt jede Vaterschaft und jede Mutterschaft (vgl. Eph 3,15). In ihm liegt der Ursprung alles Guten und unseres eigenen Lebens. »Vater unser« ist also die Formel des Lebens, die uns offenbart, wer wir sind: Wir sind geliebte Kinder. Es ist die Formel, die das Theorem der Einsamkeit und das Problem des Verwaistseins löst. Es ist die Gleichung, die angibt, was zu tun ist: Gott, unseren Vater, und die anderen, unsere Geschwister, zu lieben. Es ist das Gebet des Uns, der Kirche; ein Gebet ohne ich und ohne mein. Ganz dem Du Gottes zugewandt (»dein Name«, »dein Reich«, »dein Wille«), kennt es sonst nur noch die erste Person Plural. »Vater unser«, zwei Worte, die Wegweisung bieten für unser geistliches Leben.

Jedes Mal, wenn wir das Kreuzzeichen am Anfang des Tages und vor jeder wichtigen Unternehmung machen, jedes Mal, wenn wir »Vater unser« sagen, schlagen wir neu tiefe Wurzeln. Das brauchen wir in unseren oft entwurzelten Gesellschaften. »Unser Vater« stärkt unsere Wurzeln. Wenn der Vater da ist, ist niemand ausgeschlossen; Angst und Unsicherheit gewinnen nicht die Oberhand. Die Erinnerung an das Gute kommt wieder auf, denn im Herzen des Vaters sind wir keine virtuellen Statisten, sondern geliebte Kinder. Er verbindet uns nicht zu Interessengruppen, sondern erneuert uns gemeinsam als Familie.

Lasst uns nicht müde werden, »Vater unser« zu sagen: das wird uns daran erinnern, dass es keinen Sohn ohne Vater gibt und dass deshalb keiner von uns alleine ist in dieser Welt. Aber es wird uns zugleich daran erinnern, dass es keinen Vater ohne Kinder gibt: Keiner von uns ist Einzelkind, jeder muss sich um seine Brüder und Schwestern in der einen Menschheitsfamilie kümmern. Wenn wir »Vater unser« sagen, bekräftigen wir, dass jeder Mensch zu uns gehört, und angesichts des vielen Bösen, welches das Antlitz des Vaters beleidigt, sind wir, seine Kinder, aufgerufen, geschwisterlich und als gute Hüter unserer Familie zu handeln und alles zu tun, damit es keine Gleichgültigkeit gegenüber unseren Brüdern und Schwestern, gegenüber jedem Bruder und jeder Schwester gibt: weder gegenüber dem Kind, das noch nicht geboren ist, noch gegenüber dem alten Menschen, der nicht mehr spricht; weder gegenüber dem Bekannten, dem wir nicht vergeben können, noch gegenüber dem Armen, dessen man sich entledigt hat. Um das bittet uns der Vater, das befiehlt er uns: einander mit dem Herzen von Kindern zu lieben, die einander Geschwister sind.

Brot. Jesus sagt uns, dass wir den Vater jeden Tag um Brot bitten sollen. Wir brauchen nicht um mehr zu bitten: nur um Brot, also um das Lebensnotwendige. Brot meint vor allem ausreichend Nahrung für den heutigen Tag, für die Gesundheit, für die tägliche Arbeit; Nahrung, die vielen unserer Brüder und Schwestern leider fehlt. Deshalb sage ich: Wehe dem, der aus dem täglichen Brot Kapital schlagen will! Grundnahrungsmittel für den Alltag der Menschen müssen für jedermann zugänglich sein.

Wenn wir um das tägliche Brot bitten, sagen wir damit auch: „Vater, hilf mir, mein Leben einfacher zu gestalten“. Das Leben ist sehr kompliziert geworden. Ich möchte sagen, dass viele es in einer Art Trancezustand verbringen: Man rennt von morgens bis abends umher, zwischen tausend Anrufen und Nachrichten, unfähig, dem Blick des Nächsten Beachtung zu schenken, eingetaucht in eine Komplexität, die alles brüchig macht, und in eine Geschwindigkeit, die Spannung erzeugt. Eine Entscheidung für einen nüchternen Lebensstil ohne allen überflüssigem Ballast legt sich nahe. Eine Entscheidung gegen den Strom zu schwimmen, so wie damals der heilige Aloisius von Gonzaga, dessen wir heute gedenken. Es geht um die Entscheidung, auf viele Dinge zu verzichten, die das Leben voll, aber das Herz leer machen. Brüder und Schwestern, entscheiden wir uns für die Einfachheit, für die Einfachheit des Brotes, um den Mut zur Stille und zum Gebet wiederzuentdecken, den Sauerteig eines wahrhaft menschlichen Lebens. Entscheiden wir uns für die Menschen und nicht für die Dinge, damit persönliche Beziehungen gedeihen, nicht virtuelle. Fangen wir wieder an, den unverfälschten Duft dessen zu lieben, was uns umgibt. Wenn damals, als ich klein war, zu Hause etwas Brot vom Tisch fiel, wurde uns beigebracht, es sofort aufzuheben und es zu küssen. Das Einfache, das uns jeden Tag zu Teil wird, wertschätzen und bewahren: nicht benutzen und wegwerfen, sondern wertschätzen, um es zu bewahren.

Das »tägliche Brot« ist schließlich, vergessen wir das nicht, Jesus. Ohne ihn können wir nichts tun (vgl. Joh 15,5). Er ist das Grundnahrungsmittel für ein gutes Leben. Manchmal jedoch wird Jesus von uns zu einer Beilage degradiert. Aber wenn er nicht unser Lebensmittel ist, der Mittelpunkt des Tages, der Atem des Alltags, dann ist alles umsonst, ist alles nur Beilage. Wenn wir um Brot bitten, wollen wir den Vater bitten und uns das auch selbst immer wieder vorsagen: Einfachheit des Lebens, Sorge für das, was uns umgibt, Jesus in allem und vor allem.

Vergebung. Es ist schwer zu verzeihen, wir tragen immer ein wenig Bedauern und Groll in uns, und wenn wir von denen provoziert werden, denen wir bereits vergeben haben, kehrt der Groll verstärkt wieder. Aber der Herr erhebt Anspruch auf das Geschenk unserer Vergebung. Es gibt zu denken, dass der einzige ursprüngliche Kommentar zum Vaterunser, nämlich der von Jesus, sich auf einen einzigen Satz konzentriert: »Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, dann wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben. Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, dann wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben« (Mt 6,14-15). Das ist der einzige Kommentar, den der Herr macht! Vergebung ist die verbindliche Klausel des Vaterunsers. Gott befreit unser Herz von aller Sünde, Gott vergibt alles, alles; aber eines verlangt er: dass wir nicht müde werden, unsererseits zu vergeben. Er verlangt von jedem von uns eine Generalamnestie für die Schuld anderer. Wir sollten unser Herz mit Röntgenaugen betrachten, um zu sehen, ob es in uns Blockaden und Hindernisse für die Vergebung gibt, Steine, die entfernt gehören. Und um dann zum Vater zu sagen: „Du siehst diesen Steinblock, ich vertrau ihn dir an, und ich bitte dich für diese Person, für diese Situation; auch wenn mir das Vergeben schwerfällt, ich bitte dich um die Kraft, es zu tun“.

Vergebung erneuert, Vergebung wirkt Wunder. Petrus erlebte die Vergebung Jesu und wurde der Hirte seiner Herde; Saulus wurde zu Paulus, nachdem Stephanus ihm vergeben hatte; jeder von uns wird als neues Geschöpf wiedergeboren, wenn er, nach der Vergebung durch den Vater, seine Brüder liebt. Erst so bringen wir wahrhaft Neues in die Welt, denn es gibt keine größere Neuheit als die Vergebung, diese Vergebung, die das Böse zum Guten wandelt. Das sehen wir an der Geschichte des Christentums. Dass wir einander vergeben, dass wir uns nach Jahrhunderten der Kontroversen und Spaltungen als Brüder und Schwestern wiederentdeckt haben – wie gut hat uns das getan und wie gut tut uns das weiterhin! Der Vater ist glücklich, wenn wir einander lieben und aus ganzem Herzen vergeben (vgl. Mt 18,35). Und dann schenkt er uns seinen Geist. Bitten wir um diese Gnade: dass wir uns nicht mit verhärteter Gesinnung verschanzen und immer von anderen etwas verlangen, sondern dass wir den ersten Schritt tun, im Gebet, in der brüderlichen Begegnung, in konkreter Nächstenliebe. Auf diese Weise werden wir dem Vater ähnlicher, der ohne Gegenleistung liebt. Und er wird den Geist der Einheit über uns ausgießen.


Grußworte am Ende der Messe

Von Herzen danke ich Bischof Morerod und der ganzen Diözese Lausanne-Genf-Freiburg. Danke für eure Gastfreundschaft, für die Vorbereitung und das Gebet, um das ich euch weiterhin bitte. Auch ich werde für euch beten, dass der Herr euch auf eurem Weg begleite, besonders auf dem ökumenischen. Des Weiteren grüße ich dankbar alle Hirten der Schweizer Diözesen und die anderen anwesenden Bischöfe sowie die Gläubigen aus den verschiedenen Teilen der Schweiz, aus Frankreich und anderen Ländern.

Ich grüße die Bürger dieser schönen Stadt, in der Papst Martin V. vor genau 600 Jahren zu Besuch war und in der wichtige internationale Institutionen ihren Sitz haben, darunter auch die Internationale Arbeitsorganisation, die nächstes Jahr ihr 100-jähriges Gründungsjubiläum begeht.

Mein herzlicher Dank gilt der Regierung der Schweizer Eidgenossenschaft für die freundliche Einladung und die ausgezeichnete Zusammenarbeit. Danke.

Bitte vergesst nicht, für mich zu beten. Auf Wiedersehen.

 


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