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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 17. Oktober 200
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1. Der soeben vorgetragene Psalm ist ein Gesang zu Ehren Zions, der »Stadt des großen Königs« (Ps 48, 3), die in jener Zeit Sitz des Tempels des Herrn und Stätte seiner Gegenwart unter den Menschen war. Der christliche Glaube wendet ihn nunmehr auf das »himmlische Jerusalem« an, das »unsere Mutter« ist (Gal 4, 26). 

Der liturgische Stil dieses Hymnus, die Darstellung einer festlichen Prozession (vgl. V. 3 –14), die friedliche Vision Jerusalems, die das göttliche Heil widerspiegelt, machen den Psalm 48 zu einem Gebet, mit dem man den Tag beginnen kann, um ihn zum Lobgesang werden zu lassen, auch wenn sich am Himmel manche Wolke verdichtet. 

Um den Sinn dieses Psalms zu erfassen, können uns drei am Anfang, in der Mitte und am Schluß angeführte Anrufungen helfen, die uns gewissermaßen den geistigen Schlüssel des Textes liefern und uns in seine innerliche Atmosphäre einführen. Es sind die drei Anrufungen: »Groß ist der Herr und hoch zu preisen in der Stadt unseres Gottes« (V. 2); »Über deine Huld, o Gott, denken wir nach in deinem heiligen Tempel« (V. 0); »Das ist Gott, unser Gott für immer und ewig. Er wird uns führen in Ewigkeit« (V. 5). 

2. Diese drei Akklamationen, die den Herrn, aber auch die »Stadt unseres Gottes« (V. 2) preisen, bilden den Rahmen für zwei große Abschnitte des Psalms. Der erste ist ein freudiger Lobpreis auf die Heilige Stadt, das gegenüber den Angriffen der Feinde siegreiche Zion, das unter dem Mantel des göttlichen Schutzes zuversichtlich bleibt (vgl. V. 3 –8). Es wird gleichsam eine Litanei der Bezeichnungen dieser Stadt angeführt: Sie ist eine wunderbare Anhöhe, die wie ein Leuchtturm emporragt, eine Quelle der Freude für alle Völker der Erde, der einzig wahre »Olymp«, wo Himmel und Erde einander begegnen. Sie ist – um einen Ausdruck des Propheten Ezechiel zu verwenden – die »Stadt Emanuel«, denn »hier ist der Herr«, er ist in ihr gegenwärtig (vgl. Ez 48, 35). Um Jerusalem herum sammeln sich aber die Truppen zur Belagerung, gewissermaßen als Symbol des Bösen, das den Glanz der Stadt Gottes in Gefahr bringt. Die Auseinandersetzung hat einen voraussehbaren und beinahe sofortigen Ausgang. 

3. Durch ihren Angriff auf die Heilige Stadt haben die Mächtigen der Erde auch ihren König, den Herrn, herausgefordert. Der Psalmist beschreibt den gebrochenen Stolz eines mächtigen Heeres mit dem eindrucksvollen Bild der Geburtswehen: »Dort packte sie das Zittern, wie die Wehen eine gebärende Frau« (V. 7). Der Hochmut verwandelt sich in Zerbrechlichkeit und Schwäche, die Macht in Untergang und Niederlage. 

Dieselbe Auffassung kommt in einem weiteren Bild zum Ausdruck: Das bezwungene Heer wird mit einer unbesiegbaren Seemacht verglichen, über die ein von einem furchtbaren Ostwind verursachter Sturm hereinbricht (vgl. V. 8). Es bleibt also für all jene, die im Schatten des göttlichen Schutzes stehen, die unerschütterliche Gewißheit: Nicht das Böse, sondern das Gute hat das letzte Wort; Gott siegt über die feindlichen Mächte, auch wenn diese groß und unüberwindbar scheinen. 

4. Der Gläubige feiert daraufhin seine Danksagung an den befreienden Gott im Tempel. Er stimmt einen Hymnus an auf die barmherzige Liebe des Herrn, die mit dem hebräischen und für die Theologie des Bundes charakteristischen Begriff »hesed«bezeichnet wird. Damit widmen wir uns nun dem zweiten Teil des Psalms (vgl. V. 0 –14). Nach dem großartigen Lobgesang auf den treuen, gerechten und rettenden Gott (vgl. V. 0 –12) findet nun eine Art Prozession statt, die um den Tempel und die Heilige Stadt führt (vgl. V. 3 –14). Die Türme, Zeichen des sicheren Schutzes Gottes, werden gezählt, und die Wälle, Symbol der von ihrem Gründer der Stadt Zion verliehenen Beständigkeit, werden betrachtet. Die Mauern Jerusalems sprechen, und seine Steine erinnern an die Ereignisse, die dem »kommenden Geschlecht« (V. 4) durch die Erzählung der Väter an ihre Kinder (vgl. Ps 78, 3 –7) überliefert werden sollen. Zion ist die Stätte einer ununterbrochenen Aufeinanderfolge heilsbringender Taten des Herrn, die in der Katechese verkündet und in der Liturgie gefeiert werden, damit die Hoffnung auf das befreiende Wirken des Herrn in den Gläubigen weiterbestehe. 

5. Von besonderer Schönheit ist in der Schlußantiphon eine der erhabensten Definitionen des Herrn als Hirte seines Volkes:»Er wird uns führen« (V. 5). Der Gott Zions ist der Gott des Exodus, der Freiheit, der Nähe des in Ägypten in die Sklaverei geratenen und durch die Wüste pilgernden Volkes. Da Israel sich nun im Gelobten Land niedergelassen hat, weiß es, daß der Herr es nicht verläßt: Jerusalem ist das Zeichen seiner Nähe, und der Tempel ist der Ort seiner Gegenwart. 

Wenn der Christ diese Worte liest, erhebt er sich zur Betrachtung Christi, des neuen und lebendigen Tempels Gottes (vgl. Joh 2, 2 ), und wendet sich dem himmlischen Jerusalem zu, der Stadt, die keinen Tempel und kein äußerliches Licht mehr braucht, denn »der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel, er und das Lamm […] Die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm« (Offb 2 , 22 –23). Zu dieser »spirituellen« Neudeutung fordert uns der hl. Augustinus auf; er ist davon überzeugt, daß in den Büchern der Bibel »alles, was dort über das irdische Jerusalem oder im Hinblick darauf gesagt ist und seine Erfüllung findet, zugleich einen allegorischen Sinn hat, der auf das himmlische Jerusalem zu beziehen ist, [und] so gibt es nichts, was ausschließlich auf das irdische Jerusalem Bezug hätte« (Gottesstaat, XVII, 3, 2; aus: Bibliothek der Kirchenväter, Kempten 96). Dem stimmt der hl. Paulinus von Nola zu, der uns in seinem Kommentar zu den Worten unseres Psalms zum Beten ermahnt, damit wir »als lebendige Steine in den Mauern des himmlischen und freien Jerusalem wiedergefunden werden« (vgl. Brief 28, 2 an Severus). In seiner Betrachtung über die Beständigkeit und Geschlossenheit dieser Stadt fährt derselbe Kirchenvater fort: »Denn derjenige, der in dieser Stadt wohnt, offenbart sich als der Eine in drei Personen […] Christus wurde nicht nur als ihr Fundament, sondern auch als ihr Turm und Tor eingesetzt […] Wenn also das Haus unserer Seele auf Ihm gründet und sich über Ihm ein Bauwerk erhebt, das dieses großen Fundaments würdig ist, dann wird das Eingangstor in seine Stadt für uns eben Derjenige sein, der uns durch die Jahrhunderte leiten und uns an den Ort Seiner Weide führen wird« (vgl. ebd . ). 


    

Liebe Schwestern und Brüder!

Gott hat eine Wohnung. Im heutigen Psalm ist die Rede von der Stadt unseres Gottes, von der Stadt des großen Königs. 

Während das Alte Testament auf den Tempel des Herrn und den Ort seiner Gegenwart inmitten der Menschheit anspielt, lesen wir Christen die Stadt Gottes auf das himmlische Jerusalem hin, das unsere Mutter ist. 

Doch wir müssen noch einen weiteren Schritt machen, um die Tiefe des Psalmes zu erfassen: Es geht nicht nur um die Stadt Gottes oder den Berg Zion. Die Bilder verweisen auf Gott selbst: einen Gott, der uns führt und leitet in Ewigkeit. 

Wie gut ist es, um einen Gott zu wissen, der uns an die Hand nimmt auf unserem Weg durch die Zeit! Wie gut ist es, daß er uns beschützt und beschirmt!

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Mit diesen Gedanken voller innerer Freude und tiefen Vertrauens grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders heiße ich die Franziskanerinnen der Kongregation "Töchter der Heiligsten Herzen Jesu und Maria" willkommen, die an einer geistlichen Erneuerung teilnehmen. Gott entfache eure "erste Liebe" zum Herrn wieder neu! Mit diesem Wunsch erteile ich euch, euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen. 

                    



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