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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 6. März 2002

 

Lesung: Psalm 65, 2 –3. 9. 12 –13 

Liebe Schwestern und Brüder!

1. Bei unserer Betrachtung der Psalmen des Stundengebets kommen wir nun zu einem Hymnus, der uns vor allem wegen des bezaubernden frühlingshaften Bildes im letzten Teil gefällt (vgl. Ps 65, 10 –14), einer Szene voller Frische, bunt ausgeschmückt und durchdrungen von Freudenrufen. 

Der Psalm 65 hat in Wirklichkeit eine weitgefaßte Struktur, die sich aus der Verflechtung von zwei verschiedenen Schattierungen ergibt: Zunächst erscheint das geschichtliche Thema der Sündenvergebung und der Aufnahme bei Gott (vgl. V. 2 – 5); dann wird das kosmische Thema von Gottes Handeln am Meer und Gebirge angedeutet (vgl. V. 6 – 9a); zum Schluß wird der Frühling beschrieben (vgl. V. 9b – 14): Vor dem sonnigen und trockenen Horizont des Nahen Ostens ist der befruchtende Regen Zeichen der Treue des Herrn gegenüber der Schöpfung (vgl. Ps 105, 13 –16). Für die Bibel ist die Schöpfung der Sitz der Menschheit, und die Sünde ist ein Angriff auf die Ordnung und Vollkommenheit der Welt. Die Umkehr und Vergebung stellen deshalb die Ganzheit und Harmonie des Kosmos wieder her. 

2. Im ersten Teil des Psalms befinden wir uns im Tempel auf dem Zion. Dorthin kommt das Volk mit seiner Last an moralischen Verfehlungen, um die Befreiung vom Bösen zu erbitten (vgl. Ps 65, 2 – 4a). Wenn sie den Sündennachlaß erhalten haben, fühlen sich die Gläubigen als Gäste Gottes, die ihm nahe sind, bereit, um zu seinem Gastmahl zugelassen zu werden und am Fest der Freundschaft mit Gott teilzuhaben (vgl. V. 4b –5). 

Der Herr, der im Tempel in Erscheinung tritt, wird dann in ruhmvollen und kosmischen Zügen beschrieben. Denn es heißt, daß er die »Zuversicht aller Enden der Erde und der fernsten Gestade« ist: »Du gründest die Berge in deiner Kraft, du gürtest dich mit Stärke, du stillst das Brausen der Meere, das Brausen ihrer Wogen … Alle, die an den Enden der Erde wohnen, erschauern vor deinen Zeichen; Ost und West erfüllst du mit Jubel« (V. 6 –9). 

3. In diesem Lobpreis Gottes, des Schöpfers, stoßen wir auf ein Ereignis, das wir hervorheben wollen: Der Herr ist imstande, auch das Brausen der Meere zu zähmen und zu stillen, die in der Bibel das Symbol für das Chaos sind, das der Schöpfungsordnung Widerstand leistet (vgl. Ijob 38, 8 –11). Es ist eine Weise, nicht nur den göttlichen Sieg über das Nichts, sondern auch über das Böse zu preisen: Aus diesem Grund kommt zum »Brausen der Meere« und zum »Brausen ihrer Wogen« auch »das Tosen der Völker« (vgl. Ps 65, 8), das heißt der Aufstand der Hochmütigen.

Augustinus kommentiert sehr eindrucksvoll: »Das Meer versinnbildlicht die heutige Welt: Es ist bitter und salzig, unruhig und stürmisch; die Menschen mit ihren verkehrten und ungeordneten Begierden gleichen den Fischen, die sich gegenseitig auffressen. Schaut auf dieses böse Meer, dieses bittere, grausame Meer und seine Wogen!…Wir dürfen nicht so handeln, Brüder, denn der Herr ist die Zuversicht aller Enden der Erde« (Esposizione sui Salmi II , Roma 1990, S. 475). 

Die Folgerung, die uns der Psalm darlegt, ist einfach: Gott, der dem Chaos und dem Bösen in der Welt und Geschichte ein Ende setzt, kann die Bosheit und Sünde, die der Betende in sich hat und mit der Gewißheit der göttlichen Reinigung im Tempel darbringt, besiegen und vergeben. 

4. An dieser Stelle treten die anderen Wasserflüsse auf: die des Lebens und der Fruchtbarkeit, die die Erde im Frühling bewässern und das neue Leben des Gläubigen versinnbildlichen, der Vergebung erlangt hat. Die Schlußverse des Psalms (vgl. Ps 65, 10 –14) sind, wie gesagt, von außerordentlicher Schönheit und Bedeutsamkeit. Gott tränkt das von Hitze und Kälte rissig gewordene Erdreich, indem er es mit Regen bewässert. Der Herr ähnelt einem Landwirt (vgl. Joh 15, 1), der durch seine Arbeit das Korn wachsen und das Gras sprießen läßt. Er bereitet das Erdreich, bewässert die Furchen, glättet die Schollen, begießt jeden Teil seines Feldes. 

Der Psalmist verwendet zehn Verben, um dieses liebevolle Handeln des Schöpfers an der Erde zu beschreiben, die als ein lebendiges Geschöpf dargestellt wird. In der Tat, »sie jauchzt und singt« (vgl. Ps 65, 14). Anschaulich sind hier auch die drei Verben, die auf die Symbolik der Bekleidung verweisen: »Die Höhen umgürten sich mit Jubel. Die Weiden schmücken sich mit Herden, die Täler hüllen sich in Korn« (V. 13 –14). 

Das Bild stellt eine Weide dar, weißgepunktet mit Schafen; die Hügel gürten sich mit den Weinbergen, dem Zeichen der Freude an ihrem Erzeugnis, dem Wein, »der das Herz des Menschen erfreut« (Ps 103, 15); die Hügel umhüllen sich mit dem goldenen Mantel der Ernte. Vers 12 erinnert auch an die Krone, die an die Kränze denken läßt, die sich die Gäste beim Festmahl auf das Haupt setzen (vgl. Jes 28, 1.5). 

5. Alle Geschöpfe wenden sich gemeinsam wie in einer Prozession an ihren Schöpfer und Herrn, wobei sie tanzen, singen, lobpreisen und beten. Die Natur wird wiederum zu einem deutlichen Zeichen des göttlichen Handelns; sie ist ein offenes Buch für alle, bereit, die ihr vom Schöpfer eingeprägte Botschaft zu offenbaren, denn »von der Größe und Schönheit der Geschöpfe läßt sich auf ihren Schöpfer schließen« (Weish 13, 5; vgl. Röm 1, 20). In dieser Lyrik verschmelzen theologische Betrachtung und poetischer Überschwang miteinander und werden zu Anbetung und Lobpreis. 

Aber die eindringlichste Begegnung, auf die der Psalmist mit seinem ganzen Lied abzielt, ist die Verbindung der Schöpfung mit der Erlösung. Wie die Erde im Frühling durch das Tun des Schöpfers aufersteht, so steht der Mensch durch das Handeln des Erlösers aus seiner Sünde wieder auf. Schöpfung und Geschichte stehen auf diese Weise unter der heilbringenden Vorsehung des Herrn, der die unruhigen und zerstörerischen Wasser besiegt und das Wasser schenkt, das reinigt, befruchtet und den Durst stillt. In der Tat, der Herr »heilt die gebrochenen Herzen und verbindet ihre schmerzenden Wunden«, aber er bedeckt auch »den Himmel mit Wolken, spendet der Erde Regen und läßt Gras auf den Bergen sprießen« (Ps 147, 3. 8). 

So wird der Psalm ein Lobpreis an die göttliche Gnade. Wieder ist es Augustinus, der unseren Psalm kommentiert und auf dieses transzendente und einzige Geschenk hinweist. »Gott der Herr spricht in deinem Herzen: Ich bin dein Reichtum. Kümmere dich nicht um das, was die Welt verspricht, sondern um das, was der Schöpfer der Welt verheißt! Achte auf das, was Gott dir verheißt, wenn du auf die Gerechtigkeit achtest; und verachte das, was dir der Mensch verspricht, der dich von der Gerechtigkeit abbringen will. Achte also nicht auf das, was die Welt verspricht! Achte vielmehr auf das, was der Schöpfer der Welt verheißt« (L.c. , S. 481). 


Das Psalmengebet bekräftigt die Haltung eines christlichen Realismus: Als Menschen stehen wir, wie in Psalm 65, staunend vor dem Wunder der Schöpfung und danken Gott für das Geschenk der Rettung. Dabei bleibt uns die Wirklichkeit der Sünde bewußt, die unsere Lebensumwelt verformt. 

Gott ist Herr über seine Schöpfung und ihre Geschichte. Er kann und will die Schuld aus den Herzen der Menschen entfernen, wenn sie ihre Taten bereuen und sich ihm vertrauens-voll neu zuwenden. Die von Gott gegebene Ordnung der Natur verlangt nach Wiederherstellung. Die Erfahrung der Erneue-rung umschreibt der Psalmist im Bild: „In der Steppe prangen die Auen, die Höhen umgürten sich mit Jubel“ (65, 13).  

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Der Heilige Vater herzlich begrüßt alle Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders willkommen heiβt er die freiwilligen Helfer des Malteserordens aus Österreich und die von ihnen begleiteten Kranken, eine Studiengruppe von Kirchenrechtlern, Soldaten der deutschen Bundeswehr sowie die Teilnehmer am Romseminar des Bistums Hildesheim.

 

 



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