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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 28. April 2004

 

Lesung: Psalm 27, 7–9.13–14

7 Vernimm, o Herr, mein lautes Rufen; sei mir gnädig, und erhöre mich!
8 Mein Herz denkt an dein Wort: »Sucht mein Angesicht!« Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.
9 Verbirg nicht dein Gesicht vor mir; / weise deinen Knecht im Zorn nicht ab! Du wurdest meine Hilfe. Verstoß mich nicht, verlaß mich nicht, du Gott meines Heiles!
13 Ich aber bin gewiß, zu schauen die Güte des Herrn im Land der Lebenden.
14 Hoffe auf den Herrn, und sei stark! Hab festen Mut, und hoffe auf den Herrn!

1. Die Liturgie der Vesper hat Psalm 27 in zwei Abschnitte untergliedert, wobei sie der Struktur des Textes folgt, der einem Diptychon ähnelt. Wir haben soeben den zweiten Teil dieses vertrauensvollen Liedes verkündet, das zum Herrn am dunklen Tag des Angriffs des Bösen aufsteigt. Es handelt sich um die Verse 7–14 des Psalms. Sie beginnen mit einem Bittruf an den Herrn: »Sei mir gnädig, und erhöre mich!« (V. 7), dann drücken sie die intensive Suche nach dem Herrn aus und die große Angst, von ihm verlassen zu werden (vgl. V. 8–9). Am Ende zeigen sie uns einen dramatischen Ausblick, in dem sogar die familiären Bindungen aufhören (vgl. V. 10), während sich die »Feinde« (V. 11), die »Gegner« und die »falschen Zeugen« nähern (V. 12).

Wie im ersten Teil des Psalms ist auch jetzt das entscheidende Element das Vertrauen des Betenden auf den Herrn, der ihn rettet in der Prüfung und stützt im Sturm. Sehr schön ist diesbezüglich die Ermutigung, die der Psalmist am Ende an sich selbst richtet: »Hoffe auf den Herrn, und sei stark! Hab festen Mut, und hoffe auf den Herrn!« (V. 14; vgl. Ps 42,6.12 und 43.5).

Auch in anderen Psalmen war die Gewißheit lebendig, daß man vom Herrn Kraft und Hoffnung empfängt: »Seine Getreuen behütet der Herr, doch den Hochmütigen vergilt er ihr Tun mit vollem Maß. Euer Herz sei stark und unverzagt, ihr alle, die ihr wartet auf den Herrn« (Ps 31,24–25). Auch der Prophet Hosea ruft Israel auf: »Bewahre die Liebe und das Recht, und hoffe immer auf deinen Gott!« (Hos 12,7).

2. Jetzt begnügen wir uns damit, drei symbolische Elemente von tiefer Spiritualität zu beleuchten. Das erste, negative, ist die Bedrohung durch die Feinde (vgl. Ps 27,12). Sie werden als wildes Tier, das »gierig« seiner Beute auflauert, und dann etwas deutlicher als »falsche Zeugen« beschrieben, die aus ihren Nasenflügeln Gewalt zu pusten scheinen, genau wie die wilden Tiere angesichts ihrer Opfer.

Es gibt also in der Welt ein aggressives Böses, das den Teufel zum Führer und Anstifter hat, wie der hl. Petrus schreibt: »Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann« (1 Petr 5,8).

3. Das zweite Bild zeigt klar die Gelassenheit und das Vertrauen des Gläubigen, obwohl er sogar von den Eltern verlassen wurde: »Wenn mich auch Vater und Mutter verlassen, der Herr nimmt mich auf« (Ps 27,10).

Auch in der Verlassenheit und im Verlust der nächsten Angehörigen ist der Betende nie ganz allein, weil sich der barmherzige Gott zu ihm niederbeugt. Ein bekanntes Wort des Propheten Jesaja kommt uns in den Sinn, das Gott Gefühle des Mitleids und der Zärtlichkeit zuschreibt, die tiefer sind als bei einer Mutter: »Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, eine Mutter ihren leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergessen würde, ich vergesse dich nicht« (Jes 49,15).

Wir wollen die alten, kranken und verlassenen Personen, die nie eine Liebkosung erhalten, an diese Worte des Psalmisten und des Propheten erinnern, damit sie die väterliche und mütterliche Hand des Herrn spüren, die still und voll Liebe ihre leidenden und vielleicht tränenbenetzten Gesichter berührt.

4. So kommen wir zum dritten und letzten Sinnbild, das der Psalm mehrmals wiederholt: »Sucht mein Angesicht! Dein Angesicht, Herr, will ich suchen. Verbirg nicht dein Gesicht vor mir« (V. 8–9). Gottes Antlitz ist also das Ziel der geistlichen Suche des Beters. Am Ende tritt eine unbestrittene Gewißheit hervor, nämlich »die Güte des Herrn … schauen« zu können (vgl. V. 13).

In der Sprache der Psalmen bedeutet »das Angesicht des Herrn suchen« oft den Eintritt in den Tempel, um die Gemeinschaft mit dem Gott Zions zu feiern und zu erfahren. Aber dieser Ausdruck schließt auch das mystische Erfordernis der göttlichen Vertrautheit durch das Gebet ein. In der Liturgie und im persönlichen Gebet wird uns also die Gnade geschenkt, das Antlitz zu erahnen, das wir in unserem Leben auf Erden nie unmittelbar sehen werden (vgl. Ex 33,20). Aber Christus hat uns in erreichbarer Form das göttliche Antlitz geoffenbart und uns versprochen, daß wir bei der endgültigen Begegnung in der Ewigkeit – so schreibt der hl. Johannes – »ihn sehen (werden), wie er ist« (1 Joh 3,2). Und der hl. Paulus fügt hinzu: »… dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht« (1 Kor 13,12).

5. Der große christliche Schriftsteller des 3. Jahrhunderts, Origenes, merkt dazu an: »Wenn ein Mensch das Angesicht des Herrn suchen will, wird er die Herrlichkeit des Herrn unverhüllt schauen, und er wird, nachdem er den Engeln gleich geworden ist, immer das Angesicht des himmlischen Vaters schauen« (PG 12,1281). Und der hl. Augustinus setzt in seinem Kommentar zu den Psalmen das Gebet des Psalmisten so fort: »Ich habe keinen Lohn außerhalb von dir gesucht, sondern dein Antlitz. ›Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.‹ Beharrlich will ich diese Suche fortsetzen. Denn ich will nicht etwas Unbedeutendes suchen, sondern dein Angesicht, Herr, um dich ungeschuldet zu lieben, da ich nichts Wertvolleres finde … ›Kehr dich nicht ab im Zorn von deinem Knecht‹, damit ich auf der Suche nach dir nicht auf etwas anderes stoße. Gäbe es denn für den, der liebt und die Wahrheit deines Angesichtes sucht, eine schwerere Strafe als diese?« (Esposizioni sui Salmi, 26,1, 8–9, Roma 1967, Ss. 355.357).


Gott ist der Grund der Hoffnung und die Quelle der Kraft. Aus diesem Wissen betet der Psalmist: „Hoffe auf den Herrn und sei stark!" (Ps 27, 14). Angriffe des Bösen bleiben nicht aus, doch das Vertrauen auf Gott gibt Halt und Mut. Auch in Verlassenheit und Einsamkeit ist der gläubige Mensch nie allein. Die Zusage Gottes gilt. Der Herr nimmt seine Liebe nicht zurück.

„Gottes Angesicht schauen" ist das Ziel unseres geistlichen Weges. Wir sind eingeladen, die Gemeinschaft mit Gott in der Vertrautheit des Gebets zu erfahren und zu leben. Dabei trägt uns die Gewißheit, einst die Güte des Herrn im Land der Lebenden schauen zu dürfen (vgl. Ps 27, 13). Denn Jesus Christus hat uns das Antlitz Gottes des Vaters offenbart und den Weg zu ihm erschlossen.

***

Sehr herzlich grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Christus hat uns verheißen, den Vater zu sehen. Er schenkt uns die Gnade, ihm schon hier auf Erden im Gebet und in der Liturgie zu begegnen. In seinem Reich werden wir Gott schauen von Angesicht zu Angesicht. Gottes Geist stärke und führe euch alle Tage eures Lebens!

 



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