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BOTSCHAFT "URBI ET ORBI"
VON PAPST JOHANNES PAUL II.

Ostersonntag, 6. April 1980

 

1. "... und (sie) sah, daß der Stein vom Grab weggenommen war" (Joh 20, 1). Bei der Darstellung der Ereignisse des Tages, der jenem Sabbat folgte, haben diese Worte eine Schlüsselbedeutung.

Zu dem Ort, an dem Jesus am Freitagabend beigesetzt worden war, kommt Maria von Magdala, kommen auch die anderen Frauen. Jesus war in einem neuen Grab bestattet worden, das in den Felsen gegraben war und in dem bisher noch niemand geruht hatte. Das Grab befand sich am Fuß des Golgota-Hügels, auf dem Jesus am Kreuz gestorben war, nachdem der Hauptmann ihm die Seite durchstochen hatte mit der Lanze, um den Eintritt seines Todes mit Sicherheit festzustellen. Der Leichnam Jesu war durch die liebevollen und fürsorglichen Hände der frommen Frauen in Binden eingewickelt worden, der Frauen, die zusammen mit seiner Mutter und mit dem Lieblingsjünger Johannes bei seinem äußersten Opfer des Lebens zugegen waren. Da jedoch die Dämmerung rasch hereinbrach und damit der Ostersabbat begann, waren diese selbstlosen und hochherzigen Jüngerinnen gezwungen, die Salbung des heiligen, zerschlagenen Leichnams Christi auf eine nächste Gelegenheit zu verschieben, sobald die religiösen Gesetze Israels es zulassen würden.

Am Tag nach dem Sabbat begeben sie sich daher in aller Frühe, beim ersten Morgengrauen, zum Grab, voller Sorge, wie sie den großen Stein fortbewegen sollten, der vor den Eingang des Grabes geschoben worden war, das man zudem auch noch versiegelt hatte.

Und siehe da, als sie an die Stelle kamen, sahen sie, daß der Stein schon vom Grab weggenommen war.

2. Jener Stein vor dem Eingang des Grabes war also zunächst stummer Zeuge vom Tod des Menschensohnes geworden. Mit einem ähnlichen Stein beschloß man das Leben so vieler Menschen damals auf dem Friedhof von Jerusalem, ja aller Menschen auf den Friedhöfen der Erde. Unter dem Gewicht des Grabsteins, hinter dieser wuchtigen Barriere vollzieht sich in der Stille des Grabes das Werk des Todes: der Mensch, der aus Staub entstanden ist, kehrt langsam wieder zu Staub zurück (vgl. Gen 3, 19). Der Stein, der am Abend des Karfreitags vor das Grab Jesu gerollt worden war, ist so wie alle Grabsteine zum stummen Zeugen vom Tod des Menschen, des Menschensohnes, geworden.

Was bezeugt dieser Stein am Tag nach dem Sabbat in den ersten Stunden des neuen Tages?

Was sagt er? Welche Botschaft bringt der Stein, der vom Grab entfernt worden ist?

Im Evangelium findet sich keine angemessene menschliche Antwort. Auch nicht aus dem Munde der Maria von Magdala. Als sie voller Schrecken darüber, daß der Leichnam Jesu nicht mehr im Grabe war, läuft, um Simon Petrus und den anderen Jünger, den Jesus liebte (vgl. Joh 20, 2), zu benachrichtigen, findet sie in ihrer Sprache als Mensch nur die folgenden Worte, um den Vorfall auszudrücken: "Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat" (Joh 20, 2).

Auch Simon Petrus und der andere Jünger eilen zum Grab; nachdem Petrus hineingegangen war, sah er die Leinenbinden auf der Erde und an einer anderen Stelle das Schweißtuch liegen, das das Haupt Jesu bedeckt hatte (vgl. Joh 20, 7).

Da ging auch der andere Jünger hinein; er sah und glaubte; beide aber wußten noch nicht aus der Schrift, daß er von den Toten auferstehen mußte" (Joh 20, 9).

Wohl hatten sie gesehen und verstanden, daß es den Menschen nicht gelungen war, Jesus mit einem Grabstein zu überwinden, indem sie ihn mit dem Siegel des Todes bezeichneten.

3. Die Kirche, die heute wie in jedem Jahr mit dem Auferstehungssonntag das Triduum des Osterfestes beschließt, singt voller Freude die Worte des alten Psalms: „Danket dem Herrn, denn er ist gütig; denn seine Huld währt ewig! So soll Israel sagen: Denn seine Huld währt ewig... Die Rechte des Herrn ist erhoben, die Rechte des Herrn wirkt mit Macht. Ich werde nicht sterben, sondern leben, um die Taten des Herrn zu verkünden... Der Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden. Das hat der Herr vollbracht, vor unseren Augen geschah dieses Wunder" (Ps 117/118, 1-2; 16-17; 22-23).

Die Urheber des Todes des Menschensohnes sicherten das Grab mit Wachen und versiegelten den Eingang (vgl. Mt 27, 65).

Schon oft haben die Erbauer dieser Welt ‒ der Welt, für die Christus sterben wollte ‒ versucht, ein für allemal einen Stein vor sein Grab zu wälzen. Der Stein ist aber für immer vom Grab weggenommen; der Stein, der Zeuge des Todes, ist zum Zeugen der Auferstehung geworden: "Die Rechte des Herrn hat Wundertaten gewirkt" (Ps 117/118, 16).

4. Die Kirche verkündet immer wieder von neuem die Auferstehung Christi. Mit Freude wiederholt sie vor den Menschen die Worte der Engel und der Frauen, die an jenem strahlenden Morgen gesprochen wurden, an dem der Tod besiegt worden ist.

Die Kirche verkündet, daß derjenige, der unser Paschalamm geworden ist, lebt; der am Kreuz gestorben ist, offenbart die Fülle des Lebens.

Diese Welt, die heute leider auf verschiedene Weise den "Tod Gottes" zu wollen scheint, höre auf die Botschaft von der Auferstehung.

Ihr alle, die ihr den "Tod Gottes" verkündet und versucht, Gott aus der Welt des Menschen zu verdrängen, haltet ein und bedenkt, daß der "Tod Gottes" in fataler Konsequenz auch den "Tod des Menschen" bedeuten kann!

Christus ist auferstanden, damit der Mensch den eigentlichen Sinn seiner Existenz findet und sein Leben in Fülle lebt: damit der Mensch, der von Gott herkommt, in Gott lebt.

Christus ist auferstanden. Er ist zum Eckstein geworden. Schon damals hat man versucht, ihn zurückzuweisen und unter einem bewachten, versiegelten Grabstein zum Schweigen zu bringen. Dieser Stein aber wurde umgestoßen. Christus ist auferstanden! Weist Christus nicht zurück, die ihr an einer menschlichen Welt baut!

Weist ihn nicht zurück, die ihr, wie und wo auch immer, die Welt von heute und morgen baut: die Welt der Kultur und Zivilisation, die Welt der Wirtschaft und Politik, die Welt der Wissenschaft und Information.

Was baut ihr: eine Welt des Friedens ... oder des Krieges? Eine Welt der Ordnung ... oder des Terrors? Weist Christus nicht zurück: er ist der Eckstein!

Kein Mensch sollte ihn abweisen; denn jeder ist für das eigene Geschíck verantwortlich als Erbauer oder Zerstörer seiner eigenen Existenz.

Christus ist auferstanden, bevor noch der Engel den Grabstein weggerollt hatte. Dann hat er sich als Eckstein offenbart, auf dem die Geschichte der gesamten Menschheit und zugleich jedes einzelnen von uns aufbaut.

5. Liebe Brüder und Schwestern! Mit aufrichtiger Freude begrüßen wir diesen heiß ersehnten Tag! Mit lebhafter Freude nehmen wir alle an der Osterbotschaft teil, die wir Christus als Eckstein annehmen.

Auf diesen Eckstein, der eint, bauen wir unsere gemeinsame Hoffnung mit den Brüdern in Christus in Ost und West, mit denen uns noch nicht die volle Gemeinschaft und die vollkommene Einheit verbindet.

Nehmt von mir, liebe Brüder, den österlichen Friedenskuß, das Zeichen der Liebe, entgegen. Der auferstandene Christus erwecke eine noch stärkere Sehnsucht nach jener Einheit, für die er selbst am Vorabend seines Leidens gebetet hat.

Hören wir nicht auf, zusammen mit ihm darum zu bitten! Setzen wir unsere Hoffnung auf die Kraft des Kreuzes und der Auferstehung, denn diese Kraft ist mächtiger als die Schwäche jeder menschlichen Spaltung!

Geliebte Brüder! Ich verkünde euch eine große Freude: Alleluja!

6. Die Kirche tritt heute vor jeden Menschen hin mit ihrem Ostergruß: mit dem Segenswunsch, daß die Welt auf Christus erbaut werde: ein Wunsch, der die gesamte Menschheitsfamilie umfaßt.

Mögen diejenigen diesen Segenswunsch annehmen, die sich mit uns zur Botschaft der Auferstehung und zur Osterfreude bekennen; aber auch diejenigen, die daran leider nicht teilnehmen. Christus, "unser Osterlamm", bleibt mit uns zusammen Pilger auf den Straßen der Geschichte, und ein jeder kann ihm begegnen; denn er hört nie auf, des Menschen Bruder zu sein in jeder Epoche und in jedem Augenblick.

In seinem Namen wende ich mich heute an euch alle, und an alle richte ich meinen herzlichen Ostergruß und meinen Segen.



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