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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AM ENDE DER VERSAMMLUNG DER
DIÖZESANBISCHÖFE
DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

Dienstag, 14. November 1989

 

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

1. Zwei Tage intensiven Gesprächs gehen heute zu Ende, in denen wir nicht im Gegenüber zweier Parteien, sondern in der Gemeinsamkeit der uns anvertrauten Hirtensorge über die Entwicklung und die Probleme der Kirche in Eurem Vaterland gesprochen haben. Ihr selbst hattet um dieses Treffen gebeten, und ich habe Euren Wunsch freudig aufgenommen. Denn in einer Welt, in der die Massenmedien Papst und Bischöfe selbst nur allzu gern zueinander in Gegensatz zu stellen suchen, hat die persönliche Begegnung, die unmittelbar erfahrene brüderliche Gemeinschaft und Aussprache eine verstärkte Bedeutung gewonnen.

Wir haben uns mit den von Euch vorgeschlagenen großen Themen – Theologiestudium und Priesterausbildung, Katechese, Mitarbeit der Laien in der Kirche – und mit einigen anderen Einzelfragen befaßt. Hinter allen Beiträgen und Erörterungen stand als entscheidende Frage: Wie steht es mit der Kirche in der Bundesrepublik Deutschland und wie soll es mit ihr weitergehen? Was kann ihr wahrer Beitrag für die Gesamtkirche von morgen sein? Wo liegen ihre Chancen, wo ihre Gefahren? Was können die Hirten heute tun, um ihrem Auftrag noch besser zu entsprechen?

2. Bei solchen Fragen gehen unsere Gedanken zunächst zurück zu dem Beitrag, den die Kirche im deutschen Sprachraum in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts bis zum II. Vatikanischen Konzil und auf diesem selbst geleistet hat. Damals war in Eurem Land die Liturgische Bewegung aufgebrochen, die sich mit einer neuen Zuwendung zur Bibel verband. Zugleich war eine tiefe Sehnsucht nach der Einheit der Kirche lebendig geworden, die zu einer immer intensiveren Begegnung mit den evangelischen Christen Eurer Heimat führte und entscheidend zur Aufnahme des ökumenischen Gedankens auf dem Konzil beigetragen hat.

Andererseits kann man in diesem Zusammenhang nicht vergessen, daß diese große Zeit neuen Erwachens der Kirche in den Seelen auch die Zeit gewesen ist, in der die verhängnisvolle Ideologie des Nationalsozialismus Macht über Euer Land gewinnen konnte und trotz aller bewegenden Zeugnisse des Widerstandes die Kraft des Glaubens nicht ausreichte, um deren Träger den Weg zur Herrschaft zu versperren. So wird man zu jeder Zeit mit wachem und mutigem Herzen nach den neuen Gaben Gottes fragen müssen, die er einer jeden Generation anbietet, aber auch ohne Ausflüchte und Beschwichtigungen den drohenden Gefahren ins Auge sehen und sie beim Namen nennen.

Dies für die Kirche in unserer heutigen Zeit zu tun, war gerade das zentrale Anliegen dieser unserer Begegnung. Die Gespräche dieser Tage waren getragen vom Bewußtsein unserer großen Verantwortung, die wir als Hirten im Volke Gottes tragen, zugleich aber auch von dem Geist wahrer Kollegialität, die uns in dem einen gemeinsamen Verkündigungsauftrag Christi untereinander verbindet. Ich danke Euch für alle wertvollen Beiträge und sachkundigen Erläuterungen, die es mir ermöglicht haben, die Wirklichkeit der Kirche und der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland noch besser und tiefer zu verstehen.

3. Im folgenden möchte ich in einer Art Zusammenfassung und Ergänzung zu unseren gemeinsamen Überlegungen noch einmal auf einige Aspekte hinweisen, die als Stärke und als Schwäche des deutschen Katholizismus in der jetzigen Stunde erscheinen. Bei der Suche nach dem Positiven kommen uns sogleich die Namen Adveniat, Misereor, Missio, Caritas in den Sinn: Die Solidarität und Spendefreudigkeit der deutschen Katholiken von heute gegenüber der Dritten Welt, aber auch den Nöten des europäischen Ostens sind sprichwörtlich und ein Zeichen dafür, daß der Konsumismus der Wohlstandsgesellschaft die Dynamik der christlichen Liebe nicht erstickt hat. Es gibt ein lebendiges Bewußtsein der weltweiten Verantwortung aller Christen in Eurem Land, der Verantwortung, die gerade im Wohlstand liegt, und damit verbunden ein leidenschaftliches Mitfühlen mit der Not der Unterdrückten, der an Hunger und Armut Leidenden. Ebenso finden wir bei Euren Gläubigen eine Art neuer Demut den anderen gegenüber, eine Bereitschaft, gerade von den Armen zu lernen und zu empfangen. Ich danke Euch dafür im Namen aller, die Hoffnung daraus schöpfen und auch konkrete Hilfe erfahren.

Diesen Universalismus und diese Demut gilt es zu stärken; die Dynamik einer Liebe ist zu erhalten, die sich nicht mit finanziellen Opfern begnügt, sondern von innen her zu einer Offenheit wird, die dann das Geben in einem viel tieferen Sinn zu einem Empfangen werden läßt. Eine Universalität, die sich im materiellen Geben erschöpfte, wäre trotz aller Spenden zu wenig und würde sich auf die Dauer auch in sich selber auflösen. Sie muß Mitdenken und Mitglauben mit der ganzen Kirche sein und darin auch immer wieder eine neue Überschreitung des Eigenen werden. Sie muß ihren inneren Antrieb aus dem Geist der Katholizität erhalten, der am Ende der einzig wirksame Schutz gegen parteiliche Ideologisierung bei den Hilfeleistungen ist.

Ohne die Größe dieser erwiesenen Hochherzigkeit mindern zu wollen, wird man jedoch auch fragen müssen, warum heute überall, nicht nur in Deutschland, zwar die materiellen Gaben noch wachsen, aber missionarische Berufungen fast vom Erlöschen bedroht scheinen – Berufungen, in denen Menschen sich selbst als Gabe an die Brüder und Schwestern darbieten und damit erst dem materiellen Dienst seine innere Mitte, sein Herz schenken. Die Berufungen zum Priestertum und zum Ordensstand sind der eigentliche Maßstab für die Lebendigkeit einer Kirche. Dieses wichtige Anliegen muß allen in der Seele brennen, weil das Versiegen der Berufungen zugleich Zeugnis gegen uns selbst ablegt.

4. Eine weitere Stärke des deutschen Katholizismus scheint sein hoher Organisationsstand in den Räten und Verbänden zu sein, der ihm auch einen bedeutenden Einfluß im politischen und gesellschaftlichen Bereich erleichtert. Zu seiner Stärke gehört ebenso das bedeutende intellektuelle Gewicht, das er sich vor allem durch die Präsenz Theologischer Fakultäten und Lehrstühle in der gesamten akademischen Landschaft Deutschlands sichern konnte. Bei näherem Hinsehen wird man jedoch, wie Ihr selbst in Euren Berichten und Gesprächen verschiedentlich unterstrichen habt, auch damit gegebene Gefährdungen nicht übersehen können. Was zum Beispiel einmal inspirierende Jugendbewegung gewesen ist, droht zu einer selbstgenügsamen Institution zu werden, die weniger aus der Begeisterung lebendigen Aufbruchs von unten lebt, sondern auf finanziell gut ausgestatteten Strukturen beruht, hinter denen sich wenig wirklich frucht bares Leben verbirgt – ganz im Gegenteil zur Dynamik wirklicher junger Bewegungen in anderen europäischen Ländern.

Institutionen, die nur weiterbestehen, weil sie von außen finanzielle Mittel erhalten, können – genauer besehen – nicht wirklich existenzfähig und existenzwürdig sein. Der Mut zu Klärungen und vielleicht auch zu Verzichten ist in dieser Hinsicht, wie von mehreren Gesprächsteilnehmern betont worden ist, unerläßlich. Es scheint erforderlich, wieder risikofreudiger und kritischer zu werden, kritischer dem scheinbar Gesicherten und Unerläßlichen, risikofreudiger dem Möglichen gegenüber. Spontane Aufbrüche werden immer ihre Schwierigkeiten und ihre Probleme haben; aber die Mißlichkeiten, die dabei entstehen, können es nicht rechtfertigen, den Geist auszulöschen, wo er vielleicht aufbrechen will. ”Löscht den Geist nicht aus“ sagt der Apostel. ”Prüft alles, das Gute behaltet“ : Das gilt auch heute. Wagt diese mutige Offenheit!

5. Ähnliches ist auch zum Bereich der Bildungsinstitutionen zu sagen, die von Euch in diesen Gesprächen in ihren vielfältigen Aspekten eingehend erörtert worden sind. Es gibt in Eurem Land nicht nur die großen akademischen Einrichtungen, sondern auch den Religionsunterricht in allen Schultypen und grundsätzlich auch in allen Klassen – in einem Umfang also wie sonst wohl selten in der Welt. Daneben existiert ein breites Netz von Erwachsenenbildung – und all dieses auch vom Staat unterstützt. Uns allen drängte sich hierbei die besorgte Frage auf: Entsprechen diesem großen Einsatz nun auch wirklich eine angemessene innere Vertrautheit mit dem Glauben und ein möglichst breiter Zugang zu ihm? Ihr selbst habt früher schon und auch bei dieser Begegnung auf die großen Mängel hingewiesen. Was sind die Ursachen dafür? Was geschieht z.B. im schulischen Religionsunterricht, in der Erwachsenenbildung wirklich? Wie weit reicht die pfarrliche Katechese? Warum erwachsen daraus so wenig Kenntnis der inneren Gründe des Glaubens und der Freude an der Kirche? Diese und ähnliche Fragen, wie wir sie gestellt haben, verdienen Eure weitere Aufmerksamkeit und gewissenhafte Prüfung.

Wie immer die Antworten darauf im Detail ausfallen mögen – wir sind uns einig in der alles entscheidenden Überzeugung: Ein neuer Elan der Verkündigung und der Katechese ist nötig. Wenn die Substanz der Frohen Botschaft unter tausend Entschuldigungen vor dem Zeitgeist verkleidet wird, wie soll sie Freude wecken und Überzeugungen schaffen? Der Schwung der Botschaft darf nicht in endlosen Vorüberlegungen und Beschwichtigungen erstickt werden. Das Wort des Apostels ist auch heute wegweisend: ”Als ich zu euch kam, Brüder, kam ich nicht, um glänzende Rede oder gelehrte Weisheit vorzutragen, sondern um euch das Zeugnis Gottes zu verkündigen. Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten... Meine Botschaft und Verkündigung war nicht Überredung durch gewandte und kluge Worte, sondern war mit dem Erweis von Geist und Kraft verbunden“. Das ist selbstverständlich keine Abwertung des Intellekts, der ”immer zur Antwort bereit sein“ muß. Es sagt uns aber, daß das Wort vom Glauben leer wird, wenn es die tragende Wirklichkeit aus dem Auge und aus dem Herzen verliert, der jedes Denken im Glauben dienen muß.

6. Zum besonderen Gepräge des deutschen Katholizismus gehört ferner eine enge Verbindung von staatlichen und kirchlichen Einrichtungen und, wie schon erwähnt, eine starke Präsenz in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Nutzt die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, um alle Lebensbereiche mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen. Ermutigt alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, den Kindern und Jugendlichen Lebensorientierung aus dem Glauben zu schenken, in der Schule das frohmachende Evangelium des Friedens zu verkünden, Kranken und Sterbenden beizustehen, Bedrängten zu helfen und alte Menschen zu pflegen. Seid dankbar für diese Möglichkeiten und nützt sie zum Wohl der Menschen.

Wie viele beneiden Euch darum und müssen sie erst mühsam aufbauen. Wehrt jedoch auch der Gefahr und der Versuchung zu falschen Kompromissen, zu einer falschen Identifikation von Kirche und Gesellschaft. Wer so viele Dienste in der Gesellschaft übernommen hat, muß erst recht um die schöpferische Bewahrung seines ureigenen Auftrags besorgt sein. Weil Hirten, die im Dienst Jesu Christi stehen, immer auch dem großen prophetischen Erbe verpflichtet sind, ist der Mut zum Unangepaßten, ja zum Unbequemen ein grundlegendes Element rechter Pastoral. Christen werden gewiß immer darum bemüht sein, möglichst viele für den Glauben und für die Gemeinschaft mit dem Herrn zu gewinnen und die sittlichen Werte des Evangeliums im öffentlichen Leben zur Wirkung zu bringen. Aber der Mut, in unerschütterlicher Treue zum Evangelium Minderheit zu sein, gehört nicht weniger dazu. Der Glaube steht heute wie immer im Widerspruch zu vielem, was gerade gängig ist, und gerade als Widerspruch dient er dem Menschen; im Mut des Widersprechens erhält er neue Schwungkraft, neue Lebendigkeit. Gerade so werden wir neu Salz der Erde und Licht der Welt, Sakrament des Heils für die ganze Welt.

Dies alles hat jedoch nichts zu tun mit dem oft beschworenen Rückzug ins Ghetto. Im Gegenteil. Gerade die Weltsituation von heute kann zu einer neuen Stunde des Glaubens werden. Denn nicht nur die marxistische Ideologie ist heute offensichtlich verbraucht. Auch die konsumistischen Ideologien des Westens werden mehr und mehr von der Jugend durchschaut, die nach größeren Verheißungen fragt. Wenn der Glaube furchtlos in seiner unverstellten, reinen Größe hervortritt, wird er am allerbesten als Antwort auf den Durst einer Generation erfahren werden, die in gewisser Weise die Situation des verlorenen Sohnes erlebt. Lassen wir furchtlos und mutig die Neuheit und die Größe des Glaubens wieder neu sichtbar werden. Dann wird er auch heute wieder Freude der Erlösung und der Erlösten sein. Ermutigt besonders die Priester und Diakone sowie alle hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu diesem Zeugnis!

7. Wenn ich Euch, liebe Mitbrüder, diese Überlegungen am Ende unseres zweitägigen fruchtbaren Gesprächs noch einmal Eurer besonderen Aufmerksamkeit und pastoralen Sorge anvertraue, so tue ich das im dankbaren Wissen darum, daß Ihr Euch einzeln und als Bischofskonferenz aufrichtig und gewissenhaft diesen wichtigen Herausforderungen stellt und darum bemüht, ihnen durch entsprechende Maßnahmen zu begegnen. Wir waren in diesen Tagen Zeugen dieser gemeinsamen, fruchtbaren, viel Sachkenntnis fordernden und geduldigen Zusammenarbeit, die Euch verbindet. Seid dessen versichert, daß der Papst alle Freuden und Sorgen der Bischöfe teilt im Geist tiefer Solidarität im gemeinsamen bischöflichen Dienst und Auftrag. Ich bestärke Euch mit meinem ganzen Vertrauen in Euren Bemühungen und empfehle diese vor allem der mächtigen Fürsprache und dem Beistand Mariens, der Mutter der Kirche. Gott allein kann unserem geduldigen Säen und Pflanzen in seinem Weinberg durch seine Gnade Wachsen und Gedeihen schenken, wie ich Euch schon in unserer heutigen morgendlichen Eucharistiefeier gesagt habe. Seien wir darum vor allem eifrig und beharrlich im Gebet!

Schließlich möchte ich zum Schluß noch des großen Heiligen gedenken, dessen Fest wir morgen feiern werden: des hl. Albertus Magnus. Der siebenhundertste Jahrestag seines Todes war mir bekanntlich vor neun Jahren der Anlaß meiner ersten Pastoralreise in Euer Land, zu der mich der damalige Vorsitzende Eurer Bischofskonferenz, der unvergeßliche Kardinal Höffner, in Euer aller Namen eingeladen hatte. Albert war groß an Gelehrsamkeit und an Heiligkeit. Darin möge er auch den Theologen unserer Zeit Ansporn und Vorbild sein. Denn gerade die theologische Forschung und Lehre in Eurem Land hat eine große Verantwortung für die Weltkirche. Möge die katholische Kirche in der Bundesrepublik Deutschland darin und in ihrem gesamten pastoralen Wirken auch den anderen Kirchen einen immer wirksameren Dienst leisten in der weltumspannenden Gemeinschaft der Gläubigen und in treuer Einheit mit dem Nachfolger Petri.

Mit besten persönlichen Wünschen für einen jeden von Euch erteile ich Euch, Euren bischöflichen Mitbrüdern in der Heimat, Euren Priestern, allen Euren Mitarbeitern im Auftrag der Glaubensverkündigung sowie allen Eurer bischöflichen Hirtensorge anvertrauten Brüdern und Schwestern von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.

 

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