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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
BEI DER SONDERAUDIENZ FÜR DIE MITGLIEDER
DER STIFTUNG  »CENTESIMUS ANNUS – PRO PONTIFICE«

Samstag,  10. September 1999

Verehrte Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
sehr geehrte Damen und Herren!

1. Es ist mir eine Freude, Sie wieder zu treffen, liebe Mitglieder der Stiftung »Centesimus Annus – Pro Pontifice«, die Sie hier mit Ihren Angehörigen zusammengekommen sind. Ich grüße Erzbischof Agostino Cacciavillan, Präsident der Verwaltung der Güter des Apostolischen Stuhls, dem ich für seine freundlichen an mich gerichteten Worte danke. Mit ihm grüße ich auch Erzbischof Claudio Maria Celli, Sekretär dieser Verwaltung, Msgr. Daniele Rota und Don Massimo Magagnin, die Nationalassistenten, und die anderen anwesenden Priester. Schließlich richte ich ein herzliches Willkommen an Sie alle, die Sie an diesem Treffen teilnehmen.

Das letzte Mal, als Sie sich getroffen haben, war erst im letzten Februar. Sie haben aber das Bedürfnis verspürt, sich im Hinblick auf das bevorstehende Jahr 2000 erneut zu begegnen. Das Jubiläum stellt tatsächlich ein großes kirchliches Ereignis dar, zu dem Ihre Stiftung zur Mitarbeit aufgerufen ist, um innerhalb der Jubiläumsveranstaltungen der Arbeitswelt den Bereich der im Finanzwesen Tätigen vorzubereiten. Ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft und freue mich mit Ihnen, daß Sie – im Hinblick auf dieses Ereignis – in angemessener Weise beschlossen haben, das Thema »Ethik und Finanzwesen« zu vertiefen. Ich weiß von Ihrer Absicht, einen internationalen Kongreß über das Thema am Vortag des Jubiläumstages zu veranstalten. Mit Freude sehe ich ein derart wichtiges Ereignis und wünsche, daß es reichlich Früchte bringt.

Heute haben Sie sich viel Zeit genommen, um Erzbischof Miroslav Marusyn, Sekretär der Kongregation für die Orientalischen Kirchen, anzuhören. Er hat zu Ihnen über meine letzte apostolische Reise nach Rumänien und über die vielen geistigen und materiellen Notwendigkeiten gesprochen, die das Leben der orientalischen Kirchengemeinschaften prägen.

2. Sehr geehrte Damen und Herren! In Ihren täglichen Erfahrungen können Sie feststellen, wie im Inneren des durchdringenden Phänomens der Globalisierung, die den augenblicklichen geschichtlichen Zeitpunkt bestimmt, ein wesentlicher und folgenreicher Aspekt jener der sogenannten »Finanzierung« der Wirtschaft ist. In den wirtschaftlichen Beziehungen haben die finanziellen schon bei weitem die realen Transaktionen übertroffen, so sehr, daß der Bereich des Finanzwesens schon autonom ist.

Dieses Phänomen stellt auch unter dem ethischen Aspekt neue und nicht leichte Fragen. Eine von diesen betrifft das Problem der Beziehung zwischen dem hervorgebrachten Reichtum und der Arbeit, bedingt durch die Tatsache, daß es heutzutage möglich ist, schnell große Reichtümer ohne jeden Zusammenhang mit einer bestimmten Quantität an verrichteter Arbeit zu schaffen.

In der Enzyklika Centesimus annus (Nr. 58), die sich mit der Frage der »Internationalisierung der Wirtschaft« beschäftigt, habe ich auf die Notwendigkeit hingewiesen, »internationale Kontroll- und Leistungsorgane, die die Wirtschaft auf das Gemeinwohl hinlenken«, zu fördern und dabei zu beachten, daß auch die ökonomische Freiheit nur ein Teil der menschlichen Freiheit ist. Die finanzielle Tätigkeit kann nach eigenem Charakter nur darauf ausgerichtet sein, dem Gemeinwohl der menschlichen Gesellschaft zu dienen.

Man fragt sich jedoch, welche Wertkriterien die Entscheidungen der Berufstätigen auch jenseits der Bedürfnisse eines funktionierenden Marktes lenken sollen – in einem Augenblick wie diesem, in dem ein normativer und dem internationalem Recht angepaßter Rahmen fehlt. Und außerdem: Welche Behörden sind geeignet, solche Richtlinien auszuarbeiten und vorzugeben sowie deren Einhaltung zu überwachen?

Ein erster Schritt steht den Berufstätigen selbst zu, die sich darum bemühen könnten, einen ethischen oder einen an dieses Verhalten gebundenen Kodex für diesen Bereich auszuarbeiten. Die Verantwortlichen der internationalen Gemeinschaft sind aufgerufen, geeignete rechtliche Maßnahmen in die Wege zu leiten, um den gefährlichen Situationen entgegenzutreten, die – wenn sie nicht »gelenkt« werden – nicht nur im ökonomischen, sondern auch im sozialen und politischen Bereich verheerende Folgen haben könnten. Die Schwächsten wären sicherlich die ersten, die am meisten einbüßen müßten.

3. Die Kirche, die die Lehrerin der Einheit ist und mit den Menschen durch ihre Berufung unterwegs ist, fühlt sich verpflichtet, vor allem gegenüber den Ärmsten die Rechte mit beständiger Sorge zu schützen. Mit ihrer Soziallehre bietet sie ihre Hilfe für die Lösung dieser Probleme an, die in verschiedenen Bereichen das Leben der Menschen berühren. Sie weiß, daß »zwar Wirtschaft und Moral, jede in ihrem Bereich, ihren eigenen Gesetzen unterstehen. Dennoch ist es ein Irrtum zu behaupten, die wirtschaftliche und die sittliche Ordnung seien so sehr voneinander verschieden und einander fremd, daß die erstere in keiner Weise von der letzteren abhänge« (Pius XI., Quadragesimo anno, 42; in: Summa Pontificia, Bd. 2, hg. von Amand Reuter, Abensberg 1978, S. 652f.). Die Herausforderung erweist sich als hart wegen der Komplexität der betreffenden Phänomene und wegen der Schnelligkeit, mit der sie entstehen und sich entwickeln, schwierig.

Die Christen, die im Innern des ökonomischen und besonders des finanziellen Bereichs arbeiten, sind aufgerufen, gangbare Wege festzulegen, um dieser Pflicht zur Gerechtigkeit nachzukommen. Diese ist für sie wegen ihrer kulturellen Ausrichtung eindeutig, aber auch für jeden anderen nachvollziehbar, der den Menschen und das Gemeinwohl in den Mittelpunkt eines jeden sozialen Projekts stellen will. Ja, jede Ihrer Tätigkeiten im finanziellen und administrativen Bereich muß immer zum Ziel haben, niemals die Würde des Menschen zu verletzen. Deshalb müssen Strukturen und Systeme geschaffen werden, die das Gemeinwohl, die Gerechtigkeit und die Solidarität unterstützen.

4. Schließlich muß erreicht werden, daß die Prozesse der Globalisierung von Markt und Kommunikation nicht durch sich selbst eine negative ethische Nebenbedeutung besitzen. Daher ist eine Haltung der gesamten und aprioristischen Ablehnung ihnen gegenüber nicht gerechtfertigt. Dennoch können die grundsätzlich als fortschrittlich erscheinenden Faktoren besonders zum Nachteil der Ärmsten sein. Tatsächlich bringen sie schon ambivalente oder eindeutig negative Folgen mit sich.

Deshalb geht es darum, den Wendepunkt in einer Weise wahrzunehmen, daß er dem Gemeinwohl zum Vorteil gereicht. Die Globalisierung wird viele positive Folgen haben, wenn sie von einem starken Sinn für Absolutheit, für die Würde aller Menschen sowie von dem Grundsatz, daß die Güter der Erde für alle bestimmt sind, unterstützt werden kann. In dieser Richtung bleibt Raum, auch im Innern eines der Spekulation ausgesetzten Bereichs aufrichtig und konstruktiv zu arbeiten. Dazu reicht es nicht aus, örtliche Gesetze oder nationale Bestimmungen zu beachten. Notwendig ist ein Sinn für globale Gerechtigkeit sowie Verantwortung, die auf dem Spiel stehen. Man muß die strukturelle, gegenseitige Abhängigkeit der Beziehungen zwischen den Menschen auf der anderen Seite der nationalen Grenzen zu Kenntnis nehmen.

In der Zwischenzeit ist es angebracht, die Projekte der »Finanzethik«, des Kleinkredits und des »ausgeglichenen und solidarischen Handels« zu unterstützen und zu fördern. Sie sind für alle erreichbar und besitzen einen positiven und auch erzieherischen Wert im Hinblick auf die globale Verantwortung.

5. Wir leben am Ausgang eines Jahrhunderts, das auch auf diesem Gebiet schnelle und grundlegende Veränderungen kennengelernt hat. Die bevorstehenden Feierlichkeiten des Großen Jubiläums im Jahre 2000 stellen eine besondere Gelegenheit dar, um ausführlich über diese Problematik nachzudenken. Deshalb bin ich Ihrer Stiftung »Centesimus AnnusPro Pontifice« dankbar, die ihre Arbeit im Blick auf das große Jubiläumsereignis ausgerichtet und die von mir im Apostolischen Schreiben Tertio millennio adveniente aufgezeigte Perspektive berücksichtigt hat. Ich habe tatsächlich geschrieben, daß »in einer Welt wie der unseren, die von so vielen Konflikten und unerträglichen sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten gezeichnet ist, der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden ein tauglicher Gesichtspunkt der Vorbereitung und Feier des Jubeljahres ist« (Nr. 51).

Sie haben verstanden, meine Lieben, daß das Jubiläumsjahr Sie einlädt, Ihren besonderen und qualifizierten Beitrag zu leisten, bis das Wort Christi, der gekommen ist, den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden (vgl. Lk 4,18), Bestätigung finden kann. Bei dieser Aufgabe ermutige ich Sie herzlich mit dem Wunsch, daß durch das Jubiläum »eine neue Kultur internationaler Solidarität und Zusammenarbeit [entstehe], in der alle – besonders die reichen Länder und der private Bereich – ihre Verantwortung für ein Wirtschaftsmodell übernehmen, das jedem Menschen dient« (Incarnationis mysterium, 12).

Mit diesem Empfindungen wünsche ich von ganzem Herzen, daß die Stiftung wachse, um so eine immer wirksamere Zusammenarbeit mit dem Hl. Stuhl und der Kirche im Wirken für die Neuevangelisierung und bei der Errichtung der Kultur der Liebe anzubieten. Jedes Ihrer Projekte und jede Ihrer Initiativen vertraue ich Maria, der Mutter der Hoffnung, an.

Möge mein Segen Sie begleiten und unterstützen, den ich Ihnen und allen Ihnen nahestehenden Menschen gerne erteile.

 



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