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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE ECUADORS ZU DEREN
"AD-LIMINA"-BESUCH

Montag, 20. Mai 2002

 

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! 

1. Es erfüllt mich mit Freude, euch, die Hirten und Leiter der Ortskirchen von Ecuador, heute anläßlich eures »Ad-limina«-Besuches zu empfangen, den ihr unternehmt, um die Bande der Einheit mit dem Nachfolger des hl. Petrus zu erneuern, »dem immerwährenden und sichtbaren Prinzip und Fundament der Glaubenseinheit und der Gemeinschaft« (Lumen gentium, 18). An den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus hattet ihr die Gelegenheit, den innersten Aspekt eurer apostolischen Mission zu vertiefen: Zeugen für Christus zu sein und unermüdliche Verkünder seiner Botschaft an das Volk Gottes und alle Menschen. Außerdem hat der Kontakt mit den verschiedenen Dikasterien der Römischen Kurie euch nicht nur die Möglichkeit gegeben, die Fragen zu behandeln, die direkt die christlichen Gemeinden betreffen, denen ihr vorsteht. Ihr habt auch deutlicher die universale Dimension der Kirche erkennen können, die alle Nachfolger der Apostel betrifft, und einen neuen Impuls erhalten hinsichtlich der Sorge um die Förderung »aller Bestrebungen, die der ganzen Kirche gemeinsam sind, vor allem dazu, daß der Glaube wachse und das Licht der vollen Wahrheit allen Menschen aufgehe« (Lumen gentium, 23).

Herzlich danke ich Kardinal Antonio J. González Zumárraga, Erzbischof von Quito und Primas von Ecuador, für die Worte, die er in euer aller Namen an mich gerichtet und durch die er euren Gefühlen der Nähe und Verbundenheit Ausdruck verliehen hat. Zugleich ließ er mich an den vielen pastoralen Bestrebungen teilnehmen, die euch beseelen. 

Angesichts der Herausforderungen, denen eure Sorge gilt, möchte ich euch mit denselben Worten ermutigen, die ich bei meinem unvergeßlichen Besuch in eurem Land gesagt habe: Erleuchtet von so vielen Beispielen einer ruhmreichen Geschichte und gestärkt vom Heiligen Geist, »setzt eure pastorale Arbeit fort und sucht nach einer Antwort auf die Bedürfnisse und Probleme, die die Kirche heute in Ecuador erfährt« (Predigt in der Kathedrale von Quito, 29. Januar 1985, 2; in: O.R. dt., Nr. 6, 8.2.1985). 

2. Mit Freude stelle ich fest, daß ihr, die Hirten in Ecuador, die Einladung angenommen habt, die ich vor kurzem an die ganze Kirche gerichtet habe. Ich hab vorgeschlagen, konkrete programmatische Richtlinien zu geben, die der Notwendigkeit entsprechen, »der Verkündigung Jesu Christi zu erlauben, die Personen zu erreichen, die Gemeinschaften zu formen und durch das Zeugnis in die Gesellschaft und die Kultur tief einzuwirken«. Hierzu hatte ich zum Abschluß des großartigen geistlichen und kirchlichen Ereignisses des Großen Jubiläums aufgerufen (Novo Millennio ineunte, 29). In Einklang mit diesem Kriterium wurde der »Umfassende Pastoralplan der Kirche in Ecuador 2001–2010« ausgearbeitet, der wirksame, kontinuierliche und aufeinander abgestimmte Aktivitäten in Gang bringen soll, die die ordentliche Pastoral in diesem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends mit Kraft erfüllen sollen. 

In diesem Sinne erinnere ich euch daran, daß jeder Pastoralplan die Heiligkeit jedes inzelnen Christen zum letzten und unverzichtbaren Ziel haben muß und sich nicht »mit einem mittelmäßigen Leben zufriedengeben kann, das im Zeichen einer minimalistischen Ethik und einer oberflächlichen Religiosität geführt wird« (ebd., 31). Deshalb dürfen keine Anstrengungen unterlassen werden bei der Förderung der fundamentalen Quellen der Evangelisierung, ohne die man den Erfolg eines jeglichen Programmentwurfs ernsthaft gefährden würde. Dazu gehört ohne Zweifel eine engmaschige und gut organisierte Berufungspastoral, die die Lebensumstände der Eingeborenen mit ihren Besonderheiten berücksichtigt, ohne jedoch Trennung oder gar Diskriminierung hervorzurufen. Denn wer dazu berufen ist, Apostel Christi zu sein, muß das Evangelium allen ohne Unterschied verkünden und bezeugen. 

Es gilt auch, große Anstrengungen für die ständige Weiterbildung aller Priester zu unternehmen, die neben der gebotenen theologischen Fortbildung auch einen Impuls für ihr geistliches Leben vorsehen muß. Dieser soll dazu beitragen, sie in der Treue zu den durch die Weihe übernommenen Verpflichtungen zu stärken und ihrer gesamten pastoralen Tätigkeit jene Dynamik zu verleihen, die von ihrer Erfahrung ines Lebens in Christus ausgeht. 

Besondere Aufmerksamkeit muß der Ausbildung der Laien gelten und ihrer Rolle und Sendung in der Kirche. In vielen Fällen ist ihre Mitarbeit bei den direkten kirchlichen Aufgaben wie die Katechese, die karitative Tätigkeiten und die Animation von Gruppen und Gemeinschaften ein wertvoller Beitrag zur Aktivität der Kirche, und gerade deswegen muß jegliche Form von Tätigkeiten vermieden werden, die nicht vollkommen in das Leben der Pfarrgemeinde oder Diözesanprogramme integriert sind. 

Die gläubigen Laien haben darüber hinaus einen eigenen spezifischen Auftrag, nämlich das Zeugnis eines beispielhaften Lebens in der Welt, das Bemühen um Heiligkeit in der Familie, in der Arbeit und im sozialen Leben. Auch kommt ihnen die Aufgabe zu, »Mentalität und Sitte, Gesetz und Strukturen der Gemeinschaft, in der jemand lebt, im Geist Christi zu gestalten« (Apostolicam actuositatem, 13). Deshalb müssen alle Getauften nicht nur dazu aufgerufen werden, ihre christliche Identität zu bekunden, sondern auch in ihrem Kompetenzbereich eifrige Gestalter einer sozialen Ordnung zu sein, die immer mehr von der Gerechtigkeit beseelt ist und immer weniger von Korruption, unredlichem Antagonismus und dem Mangel an Solidarität bestimmt wird. Es wäre widersinnig, sich auf ethische Prinzipien zu berufen, indem man einige moralisch tadelnswerte Situationen brandmarkt, aber von den Personen, die im Bereich der Wirtschaft, der Politik oder der öffentlichen Verwaltung arbeiten, nicht zu verlangen, daß sie die mit so viel Nachdruck von der Kirche und ihren Hirten verkündeten Werte in die Praxis umsetzen. 

3. Die Kirche beginnt das neue Jahrtausend mit der festen Überzeugung, daß »das Angebot Jesu Christi voll Vertrauen an alle ergehen muß« (Novo Millennio ineunte, 40), in der Treue zum Auftrag des Herrn »alle Völker zu lehren« (Mt 28, 19). Dieser Anspruch schließt auch die Kinder und Jugendlichen in den unterschiedlichen Phasen ihrer Erziehung ein, wobei die ganzheitliche Entwicklung der Person der transzendenten und religiösen Dimension bedarf. Deshalb stimmt die Mission der Kirche auf diesem Gebiet mit dem fundamentalen Recht der Familie überein, die Kinder ihrem eigenen Glauben entsprechend zu erziehen. Die Hirten der Kirche können nicht gleichgültig gegenüber der Tatsache sein, daß ein Teil der neuen Generation – besonders jene, die über weniger finanzielle Mittel verfügen – sich der Offenheit für den Sinn des Lebens und einer religiösen Formung beraubt sieht, die entscheidend ist für ihre gesamte Existenz. Es wäre zu wünschen, daß in aufrichtiger Zusammenarbeit mit allen, die auf diesem Gebiet Verantwortung tragen, angemessene Formen gefunden werden, damit das Recht auf die erzieherische Freiheit bald eine vollkommener und effektivere Wirklichkeit für alle wird. 

Außerdem muß die Botschaft Christi mit Vertrauen den verschiedenen kulturellen und ethnischen Gruppen angeboten werden, an denen Ecuador durch Natur und Geschichte besonders reich ist. Bei diesem faszinierenden Auftrag sind die Worte des hl. Paulus erhellend, der einerseits »allen alles wird, um auf jeden Fall einige zu retten« (1 Kor 9, 22), und andererseits auf der Tatsache besteht, daß es mit der endgültigen Offenbarung Gottes in Christus »nicht mehr Juden und Griechen gibt …, denn ihr alle seid einer in Christus Jesus« (Gal 3, 28), auch wenn das für einige ein Ärgernis und für andere eine Torheit sein mag (1 Kor 1, 23). 

Denn die Kirche, die fest im Glauben an Christus, den einzigen Erlöser des gesamten Menschengeschlechtes, verankert ist, betrachtet die Vielzahl der Formen als einen großen Reichtum, der aus der unterschiedlichen Sensibilität und Tradition stammt, in der die eine evangeliumsgemäße und kirchliche Botschaft zum Ausdruck kommen kann. So wird der Respekt vor jeder Kultur hervorgehoben und gleichzeitig ihre Fähigkeit, sich verwandeln und läutern zu lassen, um zu einer vertrauten Form zu werden, in der jeder Mensch oder jede Gruppe dem einen Gott begegnen kann, der sich vollkommen und endgültig in Christus offenbart hat. Gerade diese fundamentale Übereinstimmung in dem einen Glauben wird als Ferment wirken, damit die verschiedenen Sprachen und Empfindungen religiöse und liturgische Ausdrucksformen finden, die die innere Gemeinschaft mit der Universalkirche hervorheben und aufmerksam vermeiden, daß es in der christlichen Gemeinschaft »Fremde ohne Bürgerrecht« gibt, »sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes« (Eph 2, 19). 

Denn eine Haltung, die darin bestehen würde, sich ausschließlich darum zu kümmern, alle traditionellen Merkmale einer Menschengruppe aufrechtzuerhalten, würde nicht nur die wahre Verkündigung der Frohen Botschaft des Evangeliums beeinträchtigen, die auch Ferment in den verschiedenen Kulturen ist und neue Zivilisationen fördert. Sie würde paradoxerweise auch die Isolierung dieser Gruppe in bezug auf andere Gemeinschaften und vor allem in bezug auf die große Familie des Volkes Gottes fördern, das in der ganzen Welt gegenwärtig ist. 

4. In eurem Land ist vor allem in einigen Gebieten die Evangelisierungstätigkeit sehr wichtig, die von vielen Missionaren, Priestern, Ordensmännern und -frauen getragen wird, die oft weit von ihrem Ursprungsland entfernt sind und denen man von Herzen danken muß für ihr großherzige Selbsthingabe. Mit uneigennütziger Hingabe erinnern sie uns daran, daß die Evangelisierung keine Grenzen kennt und auch die kirchlichen Gemeinschaften in Ecuador ihre pastorale Aufmerksamkeit weit über ihre eigenen Grenzen hinaus richten müssen. Diesbezüglich ist es ermutigend, daß die Zunahme der Berufungen zum kontemplativen Leben in den letzten Jahren ermöglicht hat, den Klöstern in anderen Ländern zu Hilfe zu kommen. Es ist ein Zeichen des missionarischen Impulses, der in keiner christlichen Gemeinschaft fehlen darf und bei dem zu wünschen ist, daß er weiterhin mit Entschiedenheit und Weitblick gefördert wird. 

Viele Ecuadorianer haben vor allem in den letzten Jahren auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen ihr Land verlassen und dabei oft enorme Schwierigkeiten materieller und geistiger Art auf sich genommen. Mit der Haltung des Guten Hirten lade ich euch lebhaft dazu ein, euch in besonderer Weise dieses Teils der Herde anzunehmen durch die Planung einer Emigrationspastoral, die den auseinandergebrochenen Familien hilft, den Kontakt mit denen, die im Ausland sind, nicht zu verlieren, und die notwendigen Kanäle zu den Zieldiözesen einrichtet, um ihnen den notwendigen religiösen Beistand zu gewährleisten, so daß ihre christlichen Wurzeln und Traditionen nicht geschwächt werden. Auch wenn viele von ihnen, kurzfristig gesehen, nicht zurückkehren können, muß alles Mögliche getan werden, damit die Familien wieder zusammengeführt werden und so alle, die schon gelitten haben, weil sie ihre Heimat verlassen mußten, sich nicht auch noch von ihren Hirten und der kirchlichen Gemeinschaft, die sie zum Glauben gebracht haben, im Stich gelassen fühlen. 

5. Ich bin mir der vielen Sorgen bewußt, liebe Mitbrüder, die euren pastoralen Dienst begleiten, wie die Instabilität vieler Familien, die Orientierungslosigkeit eines großen Teils der Jugend, die Auswirkungen einer säkularisierten Mentalität in der Gesellschaft, eine gewisse Oberflächlichkeit in der religiösen Praxis oder die Gefahr der Sekten und pseudoreligiösen Gruppierungen. Außerdem verspürt ihr zusammen mit euren Gläubigen die Sorge in einer sozialen und wirtschaftlichen Situation voller Unsicherheit. 

Gegenüber dieser Realität, die die Zukunft für eure christlichen Gemeinden düster erscheinen lassen könnte, möchte ich euch ermuntern, nicht aufzugeben, und euch einladen »zu derselben Begeisterung, welche die Christen der ersten Stunde auszeichnete« (Novo Millennio ineunte, 58). Die wunderbare Erfahrung der Kirche des Großen Jubiläums des Jahres 2000 bleibt lehrreich, weil sie die unerschöpfliche Fähigkeit der Botschaft Christi hervorgehoben hat, das Herz der Menschen von heute zu erreichen, ebenso wie die unvergleichliche verwandelnde Kraft des Geistes, der die Quelle einer Hoffnung ist, die »nicht zugrunde gehen läßt« (Röm 5, 5). Auch heute müssen wir auf die Worte hören, die Jesus an seine verängstigten Jüngern gerichtet hat: »Dies habe ich zu euch gesagt, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt« (Joh 16, 33). 

6. Ich bitte unsere himmlische Mutter, die ihr als »Nuestra Senora de la Presentación del Quinche« anruft, euch im pastoralen Dienst, der euch anvertraut wurde, zu führen und alle geliebten ecuadorianischen Söhne und Töchter zu beschützen. Ich bitte euch, ihnen den herzlichen Gruß des Papstes zu übermitteln, der ihren Wünschen und Sorgen immer sehr nahe ist. Übermittelt auch den aufrichtigen Dank der Kirche an eure Priester, Ordensleute und engagierten Laien für ihre großherzige Hingabe im Dienst am Evangelium. Ich gedenke ihrer aller in meinen Gebeten und erteile ihnen von Herzen, wie euch jetzt, den Apostolischen Segen.

 

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