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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 6. Oktober 2004

 

Lesung: Psalm 45,11–12.14–15.18

11 Höre, Tochter, sieh her und neige dein Ohr, vergiß dein Volk und dein Vaterhaus!
12 Der König verlangt nach deiner Schönheit; er ist ja dein Herr, verneig dich vor ihm!
14 Die Königstochter ist herrlich geschmückt, ihr Gewand ist durchwirkt mit Gold und Perlen.
15 Man geleitet sie in buntgestickten Kleidern zum König, Jungfrauen sind ihr Gefolge, ihre Freundinnen führt man zu dir.
18 Ich will deinen Namen rühmen von Geschlecht zu Geschlecht; darum werden die Völker dich preisen immer und ewig.

1. Das ansprechende Frauenbildnis, das uns vorgestellt wurde, ist das zweite Bild des Diptychons, aus dem Psalm 45 besteht, das heitere und frohe Hochzeitslied, das uns die Liturgie der Vesper zu lesen aufgibt. Nachdem wir also den König betrachtet haben, der Hochzeit feiert (vgl. V. 2–10), richtet sich unser Blick auf die Gestalt der Königin und Braut (vgl. V. 11–18). Der hochzeitliche Ausblick erlaubt uns, diesen Psalm allen Ehepaaren zu widmen, die mit Intensität und innerer Frische ihren Ehebund leben, das Zeichen eines »tiefen Geheimnisses«, wie der Apostel Paulus es nennt, das Zeichen der Liebe des himmlischen Vaters zur Menschheit und der Liebe Christi zu seiner Kirche (vgl. Eph 5,32). Aber der Psalm eröffnet noch einen anderen Horizont.

Denn im Rampenlicht steht der jüdische König, und deshalb hat die spätere jüdische Tradition gerade in diesem Ausblick ein Profil des davidischen Messias gesehen, während das Christentum den Hymnus in ein Lied zu Ehren Christi verwandelt hat.

2. Jetzt aber konzentriert sich unsere Aufmerksamkeit auf das Profil der Königin, die der Hofdichter, der Autor des Psalms (vgl. Ps 45,2), mit viel Feingefühl zeichnet. Der Hinweis auf die phönizische Stadt Tyrus (vgl. V. 13) legt die Vermutung nahe, daß es sich um eine fremdländische Prinzessin handelt. Besondere Bedeutsamkeit erhält also die Aufforderung, das Volk und Vaterhaus zu vergessen (vgl. V. 11), das die Prinzessin hat verlassen müssen.

Die eheliche Berufung bedeutet eine Wende im Leben und ändert das Dasein, wie es schon im Buch Genesis heißt: »Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch« (Gen 2,24). Die Königin und Braut schreitet also mit ihrem Hochzeitszug voran, der Gaben bringt, und geht auf den König zu, der von ihrer Schönheit fasziniert ist (vgl. Ps 45,12–13).

3. Bedeutsam ist der Nachdruck, mit dem der Psalmist die Frau vorstellt: Sie ist »herrlich geschmückt« (V. 14), und diese Pracht kommt im Hochzeitskleid zum Ausdruck, das ganz mit Gold und Perlen durchwirkt und mit bunten Stickereien verziert ist (vgl. V. 14–15).

Die Bibel liebt die Schönheit als Widerschein von Gottes Herrlichkeit; auch die Gewänder können zum Zeichen eines strahlenden inneren Lichtes, einer Reinheit des Herzens werden.

Man denkt einerseits an die wunderbaren Seiten des Hohenlieds der Liebe (vgl. Kapitel 4 und 7), und gleichzeitig an deren Wiederaufnahme in der Offenbarung des Johannes, welche die »Hochzeit des Lammes«, das heißt Christi, mit der Gemeinschaft der Erlösten beschreibt, indem sie den symbolischen Wert der Hochzeitsgewänder auf den Punkt bringt: »Gekommen ist die Hochzeit des Lammes, und seine Frau hat sich bereit gemacht. Sie durfte sich kleiden in strahlend reines Leinen. Das Leinen bedeutet die gerechten Taten der Heiligen« (Offb 19,7–8).

4. Neben der Schönheit wird die Freude hervorgehoben, die in dem Festzug der »Jungfrauen« herrscht, der Brautjungfern, die die Braut »mit Freude und Jubel« geleiten (vgl. Ps 45,15–16). Die reine Freude, viel tiefer als die einfache Fröhlichkeit, ist Ausdruck der Liebe, die am Wohl der geliebten Person mit reinem Herzen teilhat.

Jetzt wird gemäß den abschließenden Wünschen eine weitere der Ehe innewohnende Wirklichkeit offenbar: die Fruchtbarkeit. Denn es ist die Rede von »Söhnen« und von kommenden »Geschlechtern« (vgl. V. 17–18). Die Zukunft nicht nur der Dynastie, sondern der Menschheit wird gerade dadurch verwirklicht, daß das Ehepaar der Welt neue Menschenkinder schenkt.

Das ist in unseren Tagen ein brennendes Problem in der westlichen Welt, die oft unfähig ist, der Zukunft das eigene Dasein anzuvertrauen durch die Zeugung und den Schutz von jungen Menschen, die die Zivilisation der Völker fortsetzen und die Heilsgeschichte verwirklichen.

5. Bekanntlich haben viele Kirchenväter das Bild der Königin auf Maria angewandt, ausgehend von der anfänglichen Aufforderung: »Höre, Tochter, sieh her und neige dein Ohr« (V. 11). So geschah es z. B. in der Homilie über die Mutter Gottes des Chrysippos von Jerusalem, der aus Kappadokien stammte, in Palästina zu den ersten Mönchen im Kloster des hl. Euthymios gehörte und später als Priester der Wächter des heiligen Kreuzes in der »Anastasis«-Basilika in Jerusalem war.

Er wendet sich an Maria und sagt: »An dich richtet sich meine Rede, an dich, der du die Braut eines großen Herrschers bist; an dich richtet sich meine Rede, an dich, die du das Wort Gottes in der ihm bekannten Weise empfangen wirst… ›Höre, Tochter, sieh her und neige dein Ohr‹; denn die frohe Ankündigung der Erlösung der Welt ist eingetreten. Neige dein Ohr, und das, was du hören wirst, wird dein Herz erleichtern… ›Vergiß dein Volk und dein Vaterhaus‹: Achte nicht auf die irdische Verwandtschaft, denn du wirst in eine Königin des Himmels verwandelt. Und höre – so sagt er –, wie sehr dich der Schöpfer und Herr des Alls liebt. ›Denn der König – sagt er – sehnt sich nach deiner Schönheit‹: der Vater selbst wird dich zur Frau nehmen; der Heilige Geist wird alle Bedingungen schaffen, die für die Hochzeit notwendig sind … Glaube nicht, daß du ein Kind von Menschen gebären wirst, ›denn er ist dein Herr, und du wirst ihn anbeten‹. Dein Schöpfer ist dein Kind geworden; du wirst ihn empfangen und mit den anderen als deinen Herrn anbeten« (Testi mariani del primo millennio, I, Roma 1988, S. 605–606).


Mit einem Brautlied erklingt die Hoffnung Israels auf einen ewigen Bund mit Gott. Der Messias verlangt nach der Schönheit des bräutlichen Volkes (vgl. Ps 45, 12). Strahlend tritt die Braut im Psalm ihrem Geliebten entgegen. Auf dem Grund ihrer makellosen Seele erglänzt der Widerschein eines göttlichen Lichtes.

Wie das Alte Testament im Volk Israel die Braut des erhofften Messias erblickt, so singen die Kirchenväter mit Psalm 45 ihr Loblied auf Maria, die reine Magd des Herrn. Die Jungfrau aus Nazaret öffnet sich dem Willen des Schöpfers und nimmt das Ewige Wort in sich auf. Ihre reine Liebe bringt reiche Frucht: „Darum werden die Völker dich preisen immer und ewig" (Ps 45, 18).

***

Von Herzen grüße ich die deutschprachigen Pilger und Besucher. Besonders heiße ich die Schwestern vom Göttlichen Erlöser willkommen, die ihr fünfundzwanzigjähriges Profeßjubiläum feiern. Folgt alle wie Maria stets dem Willen des Herrn! Sein lebendiges Wort weise euch den Weg!

 



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