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Kongregation für die Glaubenslehre

Rundschreiben an alle Ortsordinarien und Generaloberen von Klerikerverbänden über die Vorgangsweise bei der Prüfung und
Entscheidung über Bitten um Dispens von der Zölibatsverpflichtung*

 

1. In seinem Gründonnerstagsbrief aus dem Jahr 1979 an alle Priester der Kirche beleuchtete Papst Johannes Paul II. unter – wie er selbst sagt – Bezugnahme auf die Lehre des II. Vatikanischen Konzils, sodann der Enzyklika Sacerdotalis caelibatus von Papst Paul VI. und zuletzt der Bischofssynode von 1971, wie sehr die priesterliche Ehelosigkeit in der Lateinischen Kirche zu schätzen ist.

Es handelt sich dabei um eine Angelegenheit von großer Bedeutung – erinnert der Hl. Vater –, die auf besondere Weise mit der Botschaft des Evangeliums verbunden ist. In der Befolgung des Beispiels Jesu Christi sowie gemäß der apostolischen Lehre und der ihr eigenen Tradition wünschte die Lateinische Kirche und wünscht auch heute, dass alle diejenigen, die das Sakrament der Priesterweihe empfangen, diesen Verzicht nicht nur als eschatologisches Zeichen auf sich nehmen, sondern auch als «Zeichen einer zum Dienen bestimmten Freiheit»[1].

Der Papst merkt nämlich an: «Jeder Christgläubige, der das Weihesakrament empfangen soll, übernimmt die Verpflichtung zur Ehelosigkeit mit vollem Bewusstsein und in voller Freiheit, nach mehrjähriger Vorbereitungszeit sowie nach eingehender Erwägung und vielfachem Gebet. Nur dann geht er auf den Rat ein, ein Leben in Ehelosigkeit zu führen, wenn er fest überzeugt ist, dass Christus ihm diese Gabe zum Aufbau der ganzen Kirche und zum Dienst an den anderen zugestanden hat […]. Daher ist offensichtlich, dass ein so übernommener Rat nicht nur aufgrund einer Bestimmung irgendeines kirchlichen Gesetzes bindend ist, sondern auch aus dem Gewissen selbst heraus aufgrund der Aufgabe, die der Mensch ausdrücklich auf sich genommen hat. Deswegen ist es wichtig, das Gott und der Kirche gegebene Versprechen zu halten».[2] Nicht zuletzt – fügt Seine Heiligkeit hinzu – erwarten die in der Ehe lebenden Christgläubigen zu Recht von den Priestern «ein gutes Beispiel und das Zeugnis der Treue gegenüber der Berufung bis zum Tode».[3]

2. Die Schwierigkeiten, die die Priester insbesondere in den letzten Jahren erfahren mussten, haben jedoch bewirkt, dass eine nicht geringe Anzahl von ihnen die Dispens von den aus der Weihe entstandenen Verpflichtungen, insbesondere die Dispens vom Zölibat, erbeten hat. Dieses Phänomen hat der Kirche eine schwere Wunde zugefügt und sie in ihrem Lebensquell getroffen, und es erfüllt ihre Hirten und die ganze christliche Gemeinschaft mit beständigem Schmerz. Wegen der weiten Verbreitung dieses Phänomens war Papst Johannes Paul II. von Beginn seines Pontifikats an überzeugt von der Notwendigkeit, Nachforschungen über die so entstehenden Sachverhalte, über ihre Ursachen und über geeignete Abhilfen anzustellen.

3. Und tatsächlich ist darauf zu achten, dass eine so schwerwiegende Sache wie die Dispens vom Zölibat nicht gleichsam als Recht angesehen wird, das die Kirche allen ihren Priestern unterschiedslos zuerkennen müsse; es ist im Gegenteil das als Recht zu betrachten, was der Priester durch die Hingabe seiner selbst an Christus und das Volk Gottes übertragen hat. Daher wird vom Priester die Einhaltung der versprochenen Treue selbst unter großen Schwierigkeiten, die ihm in diesem Leben begegnen können, erwartet. Ebenso muss man sich in Acht nehmen, dass die Dispens vom Zölibat nicht im Lauf der Zeit für ein gleichsam automatisches Ergebnis eines summarischen Verwaltungsverfahrens gehalten wird.[4] Allzu große Güter stehen hier zur Diskussion: in erster Linie das Wohl des Priesters selbst, der die Dispens erbittet und der meint, diese sei die einzige Lösung seines Lebensproblems, dessen Last er nicht mehr tragen zu können glaubt; ferner das allgemeine Wohl der Kirche, die es nicht gleichgültig hinnehmen kann, wenn die priesterliche Struktur, die zur Erfüllung ihrer Aufgabe unbedingt vonnöten ist, sich Schritt für Schritt auflöst; schließlich das Wohl der Ortskirchen, d. h. das Wohl der Bischöfe mit ihrem Presbyterium, die, soweit möglich, mit Eifer die notwendigen apostolischen Mittel zur Verfügung zu stellen trachten, und zugleich auch das Wohl der Christgläubigen aller Gemeinschaften, für die der Dienst des priesterlichen Dienstamtes als Recht und Notwendigkeit gilt. Von daher kommen hier verschiedenste Gesichtspunkte der Sache zum Tragen, die – mit Gerechtigkeit und Liebe – in Einklang zu bringen sind: Keiner von ihnen darf missachtet oder gar verworfen werden.

4. In Anbetracht der zahlreichen und verwickelten Gesichtspunkte dieser Frage, die traurige persönliche Umstände und zugleich die Notwendigkeit, alles im Geiste Christi zu erwägen, mit sich bringen, hat der Heilige Vater – dem viele Bischöfe zugleich mit ihren Informationen auch Ratschläge übermittelt haben – also beschlossen, sich entsprechend Zeit zu nehmen, um mit Hilfe seiner Mitarbeiter zu einer klugen und wohlbegründeten Entscheidung bezüglich der Annahme, Prüfung und Erledigung der an ihn gerichteten Bittschriften um Dispens vom Zölibat zu gelangen. Frucht dieser reifen Überlegung ist, was hier in aller Knappheit ausgeführt wird. Die eifrige Sorge um Berücksichtigung aller Gesichtspunkte dieser Angelegenheit hat zu den Normen geführt und sie inspiriert, nach denen die Überprüfung der Bittschriften, die dem Hl. Stuhl übersandt werden, nunmehr durchzuführen sein wird. Offensichtlich ist es absolut notwendig, dass diese Normen keinesfalls von dem pastoralen Geist getrennt werden, der sie belebt.

5. Außer den Fällen von Priestern, die das priesterliche Leben schon lange aufgegeben haben und einen nicht mehr revidierbaren Sachverhalt zu ordnen wünschen, wird die Heilige Kongregation für die Glaubenslehre in der Prüfung der Bittschriften, die dem Apostolischen Stuhl übersandt werden, sich vor allem auch jener Fälle annehmen, in denen die Priesterweihe nicht hätte empfangen werden dürfen, weil es entweder an der nötigen Freiheit oder Verantwortung gefehlt hat oder aber die zuständigen Oberen zum richtigen Zeitpunkt außerstande waren, in kluger und ausreichend geeigneter Weise zu beurteilen, ob der Kandidat tatsächlich geeignet war, ein Leben in dauernder gottgeweihter Ehelosigkeit zu führen.

Zu vermeiden ist in dieser Sache außerdem jede leichtfertige Vorgangsweise, die, indem sie die Bedeutung des Priestertums, den heiligen Charakter der Weihe und das Gewicht der zuvor übernommenen Verpflichtungen in Frage stellt, bei vielen Christgläubigen in der Tat sehr großen Schaden verursachen und sicherlich traurige Verwunderung und Ärgernis hervorrufen kann. Daher ist der Grund für die Dispens durch mehrere und gewichtige Argumenten aufzuzeigen. Aus der selben Sorge heraus – dass nämlich die Angelegenheit mit Ernsthaftigkeit vorangebracht wird und das Wohl der Christgläubigen sichergestellt ist – werden solche Bittschriften nicht zugelassen, die mit anderer als demütiger Gesinnung präsentiert werden.

6. Bei der Abwicklung dieser ihr vom Papst übertragenen schwierigen Aufgabe weiß die Kongregation für die Glaubenslehre, dass sie ganz auf die volle und treue Mitwirkung aller betroffenen Ordinarien, vertrauen kann. Sie selbst ist bereit, alle von den Ordinarien gewünschten Hilfen zu leisten. Ebenso vertraut sie ganz darauf, dass die Ordinarien die ihnen vorgegebenen Normen mit Klugheit befolgen, weil die Kongregation wohl um den pastoralen Eifer der Ordinarien weiß, hier die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, um dem Wohl der Kirche und des jeweiligen Priesters zu dienen und das geistliche Leben der Priester wie der christlichen Gemeinschaften zu fördern. Schließlich weiß dieses Dikasterium, dass die Ordinarien niemals ihre Verpflichtung geistlicher Vaterschaft gegenüber allen ihren Priestern vergessen können, besonders gegenüber jenen, die sich in einer schweren seelischen Notlage befinden; ihnen sollen sie selbst ihre stärkste und auch sonst alle notwendige Unterstützung bieten, um die am Weihetag übernommenen Aufgaben gegenüber dem Herrn Jesus Christus und seiner Heiligen Kirche leichter und freudiger erfüllen zu können, und im Herrn alles versuchen, was den wankenden Bruder zum Seelenfrieden, zum Vertrauen, zur Buße und zum Wiedererlangen des vormaligen freudigen Eifers zurückführen kann. Je nach Lage des Falles können dabei auch Mitbrüder, Freunde, Verwandte, Ärzte und Psychologen Hilfe leisten.[5].

7. Diesem Schreiben beigefügt sind die Normen über die Verfahrensweise, die bei der Zusammenstellung der Unterlagen für die Bitte um Dispens vom Zölibat zu beachten sind.

Indem wir Ihnen dies pflichtschuldig zur Kenntnis bringen, verbleiben wir mit dem Ausdruck unserer Verfügbarkeit Ihnen im Herrn ergeben.

Rom, am Sitz der Hl. Kongregation für die Glaubenslehre, am 14. Oktober 1980.

Franjo Kard. Šeper
Präfekt

Fr.  Jérôme Hamer O.P.
Sekretär

 

* AAS 72 (1980) 1132-1135

(Übersetzung nach der dt. Übertragung von B. Primetshofer in ÖAKR 32 [1981] 113-114)



[1] Johannes Paul II., Schreiben an die Priester zum Gründonnerstag 1979, 8. April 1979, AAS 71 (1979) 389-393, Nr. 8.

[2] Ebd., Nr. 9.

[3] Ebd., Nr. 9.

[4] Vgl. ebd., Nr. 9.

[5] Vgl. Paul VI., Enzyklika Sacerdotalis caelibatus, 24. Juni 1967, AAS 59 (1967) 657-697, Nr. 87 und 91.