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B I S C H O F S S Y N O D E

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XIV. ORDENTLICHE GENERALVERSAMMLUNG

 

Berufung und Sendung der Familie
in Kirche und Welt von heute

 

INSTRUMENTUM LABORIS

Vatikanstadt

2015


INHALT

ABKÜRZUNGEN
PRÄSENTATION
EINLEITUNG

I. TEIL
DAS HÖREN AUF DIE HERAUSFORDERUNGEN
IM HINBLICK AUF DIE FAMILIE

I. Kapitel
Die Familie und der anthropologisch-kulturelle Kontext

Der soziokulturelle Kontext
Der anthropologische Wandel
Die kulturellen Widersprüche
Die sozialen Widersprüche
Schwäche und Stärke der Familie

II. Kapitel
Die Familie und der sozio-ökonomische Kontext

Die Familie, unersetzliche Ressource der Gesellschaft'
Politiken zum Wohl der Familie
Die Herausforderung der Einsamkeit und der Vorläufigkeit
Die ökonomische Herausforderung
Die Herausforderung der Armut und der sozialen Ausgrenzung
Die ökologische Herausforderung

 

III. Kapitel
Familie und Einbeziehung

Das dritte Lebensalter
Die Herausforderung der Verwitwung
Der letzte Lebensabschnitt und die Trauer in der Familie
Die Herausforderung der Behinderung
Die Herausforderung der Migration
Einige besondere Herausforderungen
Die Familie und die Kinder
Die Rolle der Frauen

IV. Kapitel
Familie, Affektivität und Leben

Die Bedeutung des Gefühlslebens
Die Bildung der Affektivität
Affektive Zerbrechlichkeit und Unreife
Die bioethische Herausforderung
Die Herausforderung für die Seelsorge

II. TEIL
DIE UNTERSCHEIDUNG DER GEISTER IM HINBLICK
AUF DIE BERUFUNG DER FAMILIE

I. Kapitel
Familie und göttliche Pädagogik

Der Blick auf Jesus und die göttliche Pädagogik in der Heilsgeschichte
Das Wort Gottes in der Familie
Die göttliche Pädagogik
Naturehe und sakramentale Fülle
Jesus und die Familie
Die Unauflöslichkeit als Gabe und Aufgabe
Der Stil des Familienlebens
Die Familie im Heilsplan Gottes
Einheit und Fruchtbarkeit der Eheleute
Die Familie, Bild der Dreifaltigkeit

II. Kapitel
Familie und Leben der Kirche

Die Familie in den Dokumenten der Kirche
Die missionarische Dimension der Familie

Die Familie, Weg der Kirche
Das göttliche Maß der Liebe
Die Familie im Gebet
Familie und Glaube
Katechese und Familie
Die Unauflöslichkeit der Ehe und die Freude des Zusammenlebens

III. Kapitel
Die Familie und der Weg zur Fülle

Das Schöpfungsgeheimnis der Ehe
Wahrheit und Schönheit der Familie und Barmherzigkeit gegenüber den verletzten und schwachen Familien
Das enge Band zwischen Kirche und Familie
Die Familie als Gabe und Aufgabe
Helfen, die Fülle zu erreichen
Die Jugendlichen und die Angst zu heiraten
Die Barmherzigkeit ist geoffenbarte Wahrheit

 

III. TEIL
DIE SENDUNG DER FAMILIE HEUTE

I. Kapitel
Familie und Evangelisierung

Das Evangelium der Familie heute in den unterschiedlichen Kontexten verkünden
Zärtlichkeit in der Familie – die Zärtlichkeit Gottes
Die Familie, Subjekt der Pastoral
Die Eheliturgie
Die Familie, Werk Gottes
Missionarische Bekehrung und erneuerte Sprache
Die kulturelle Vermittlung
Das Wort Gottes, Quelle des geistlichen Lebens für die Familie
Die Symphonie der Verschiedenheit

II. Kapitel
Familie und Bildung

Die Ehevorbereitung
Die Ausbildung der zukünftigen Priester
Die Ausbildung des Klerus und der pastoralen Mitarbeiter
Familie und öffentliche Einrichtungen
Der sozialpolitische Einsatz zu Gunsten der Familie
Bedürftigkeit und das Risiko des Wuchers
Die Brautleute auf dem Weg der Vorbereitung zur Ehe führen
Die ersten Jahre des Ehelebens begleiten

III. Kapitel
Familie und kirchliche Begleitung

Seelsorge für jene, die in einer Zivilehe oder ohne Trauschein zusammenleben
Auf dem Weg zum Ehesakrament
Die verwundeten Familien heilen (Getrenntlebende, nicht wiederverheiratete Geschiedene, wiederverheiratete Geschiedene, Alleinerziehende)
Die Vergebung in der Familie
»Der große Fluss der Barmherzigkeit«
Die Kunst der Begleitung
Die Getrennten und die Geschiedenen, die dem Bund treue bleiben
Gott verlässt uns nie
Die Beschleunigung der Prozesse und die Bedeutung des Glaubens in den Nichtigkeitsverfahren      
Die Vorbereitung der Mitarbeiter und die Stärkung der Gerichte
Gemeinsame pastorale Linien
Die Integration der zivil wiederverheiratet Geschiedenen in die christliche Gemeinschaft

 

Der Bußweg

Die geistliche Teilnahme an der kirchlichen Gemeinschaft
Mischehen und interreligiöse Ehen
Die Besonderheit der orthodoxen Tradition
Die pastorale Aufmerksamkeit gegenüber Personen mit homosexueller Orientierung
 

IV. Kapitel
Familie, Zeugung, Erziehung

Die Weitergabe des Lebens und die Herausforderung des Geburtenrückgangs
Die Verantwortung im Bereich der Zeugung
Adoption und Pflegschaft
Das menschliche Leben als unberührbares Geheimnis
Die Herausforderung der Erziehung und die Rolle der Familie bei der Evangelisierung
         

SCHLUSS


 

ABKÜRZUNGEN

AA     II. Vatikanisches Konzil, Dekret Apostolicam Actuositatem (18.November 1965)
AG   II. Vatikanisches Konzil, Dekret Ad Gentes (7.Dezember 1965)
CV           Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in Veritate (29. Juni 2009)
DC   Päpstlicher Rat für die Gesetzestexte, Instruktion Dignitas Connubii (25.Januar 2005)
DCE   Benedikt XVI., Enzyklika Deus Caritas Est (25. Dezember 2005)
DeV   Hl. Johannes Paul II., Enzyklika Dominum et Vivificantem (18. Mai 1986)
GS   II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et Spes (7. Dezember 1965)
EdE   Hl. Johannes Paul II., Enzyklika Ecclesia de Eucharistia (17. April 2003)
EG   Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii Gaudium (24. November 2013)
EN   Sel. Paul VI., Apostolisches Schreiben Evangelii Nuntiandi (8. Dezember 1975)
FC   Hl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris Consortio (22. November1981)
IL   III. Außerordentliche Generalversammlung der Bischofssynode, Die pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die Familie im Kontext der Evangelisierung. Instrumentum Laboris, Vatikanstadt 2014
KKK        Katechismus der Katholischen Kirche, Vatikanstadt 1997
LF   Franziskus, Enzyklika Lumen Fidei (29. Juni 2013)
LG   II. Vatikanisches Konzil, Dekret Lumen Gentium (21. November 1964)
MV   Franziskus, Bulle Misericordiae Vultus (11. April 2015)
NA   II. Vatikanisches Konzil, Dekret Nostra Aetate (28. Oktober 1965)
NMI   Hl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Novo Millennio Ineunte (6. Januar 2001)
RM   Hl. Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris Missio (7. Dezember 1990)


PRÄSENTATION

Die Zeit zwischen den Synoden geht ihrem Ende entgegen. Eine Zeit, für welche der Heilige Vater Franziskus der ganzen Kirche die Aufgabe übertragen hat, «die hier vorgebrachten Ideen in einer wirklichen geistlichen Unterscheidung reifen zu lassen und konkrete Lösungen für die vielen Schwierigkeiten und die unzähligen Herausforderungen zu finden, welchen die Familien begegnen müssen» (Ansprache zum Abschluss der III. Außerordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode, 18. Oktober 2014).

Nachdem die III. Außerordentliche Generalversammlung der Bischofssynode im Oktober 2014 über Die pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die Familie im Kontext der Evangelisierung nachgedacht hat, wird die XIV. Ordentliche Generalversammlung, die vom 4. bis 25. Oktober 2015 stattfindet, das Thema Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute behandeln. Der lange synodale Weg erscheint so von drei Momenten gekennzeichnet welche untereinander eng verbunden sind: das Hören auf die Herausforderungen im Hinblick auf die Familie, die Unterscheidung der Geister im Hinblick auf ihre Berufung, das Nachdenken über ihre Sendung.

Die Relatio Synodi, in der vorherigen Versammlung gereifte Frucht, wurde durch eine Reihe von Fragen ergänzt, um die Rezeption des Dokumentes kennen zu lernen und seine Vertiefung anzuregen. Hieraus wurden die Lineamenta zusammengestellt, welche an die Synoden der Katholischen Ostkirche sui iuris, die Bischofskonferenzen, die Dikasterien der Römischen Kurie und die Union der Generalobern verschickt wurden.

In diesen Prozess des Nachdenkens und der Vertiefung wurde das ganze Volk Gottes mit einbezogen, auch Dank der wöchentlichen Unterweisung des Heiligen Vaters, der mit seinen Katechesen über die Familie bei den Generalaudienzen und bei vielen anderen Gelegenheiten den gemeinsamen Weg begleitet hat. Das durch die Synode hervorgerufene erneuerte Interesse für die Familie wird durch die breite Aufmerksamkeit bestätigt, die ihr nicht nur im kirchlichen Bereich, sondern auch von Seiten der Zivilgesellschaft entgegen gebracht wird.

Es sind Antworten von Seiten derer eingegangen, deren Beteiligung das Recht vorsieht. Dazu kommen weitere Beiträge von Seiten vieler Gläubigen (Einzelne, Familien und Gruppen), die als Beobachtungen bezeichnet werden. Verschiedene Glieder der Teilkirchen, Organisationen, Laienvereinigungen und andere kirchliche Einrichtungen haben wichtige Vorschläge gemacht. Universitäten, akademische Einrichtungen, Studienzentren und einzelne Gelehrte haben durch ihre Beiträge die Vertiefung der Synodenthemen durch Symposien, Kongresse und Publikationen bereichert und tun dies auch weiterhin. Entsprechend der „einleitenden Frage“ der Lineamenta haben sie auch neue Aspekte ans Licht gebracht.

Das hier vorgelegte Instrumentum Laboris besteht aus dem Text der Relatio Synodi, ergänzt durch die Zusammenfassung der Antworten, der Beobachtungen und der Beiträge. Um die Lektüre zu erleichtern, sei darauf hingewiesen, dass die Nummern sowohl den Text der Relatio als auch die Ergänzungen erhalten. Der ursprüngliche Text der Relatio ist an den Nummern in Klammern und dem kursiv gesetzten Text erkennbar.

Das Dokument ist in drei Teilen gegliedert, welche die Kontinuität zwischen den beiden Versammlungen deutlich machen: Das Hören auf die Herausforderungen im Hinblick auf die Familie (I. Teil) erinnert direkt an die erste Synodenversammlung; Die Unterscheidung der Geister bezüglich der Berufung der Familie (II. Teil) und Die Sendung der Familie heute (III. Teil) leiten das Thema der zweiten Synondenversammlung ein. Dies geschieht mit der Absicht, der heutigen Kirche und Welt pastorale Anregungen für eine erneuerte Evangelisierung zu geben.

Lorenzo Card. Baldisseri
                                     
Generalsekretär der Bischofssynode                                            

Vatikan, 23.Juni 2015

 

 

EINLEITUNG

1. (1) Um den Papst versammelt richtet die Bischofssynode ihre Gedanken auf alle Familien der Welt, mit ihren Freuden, ihren Sorgen, ihren Hoffnungen. Insbesondere fühlt sie die Verpflichtung, dem Herrn für die großherzige Treue zu danken, mit der viele christliche Familien ihrer Berufung und ihrer Sendung entsprechen. Sie tun dies mit Freude und mit Glauben, auch wenn ihr Weg als Familie sie mit Hindernissen, Verständnislosigkeit und Leiden konfrontiert. Diesen Familien gelten die Wertschätzung, der Dank und die Ermutigung der ganzen Kirche und dieser Synode. Während der Gebetsvigil, die zur Vorbereitung auf die Synode über die Familie am Samstag, dem 4. Oktober, auf dem Petersplatz stattfand, hat Papst Franziskus in einfacher und konkreter Form an die Zentralität der Erfahrung von Familie im Leben aller erinnert, als er sagte: «Mittlerweile senkt sich der Abend auf unsere Versammlung herab. Es ist die Zeit, in der man gerne nach Hause zurückkehrt, sich gemeinsam um den Tisch versammelt, in tiefer Zuneigung, in der Stärke des vollbrachten und empfangenen Guten, der Begegnungen, die das Herz erwärmen und es wachsen lassen – guter Wein, der in der Menschen Tage das Fest ohne Untergang vorwegnimmt. Es ist auch die schwerste Stunde für denjenigen, der der eigenen Einsamkeit Auge in Auge gegenübersteht, in der bitteren Dämmerung der zerbrochenen Träume und gescheiterten Pläne: wie viele Menschen durchlaufen ihre Tage in der Sackgasse der Entmutigung, des Aufgebens oder zumindest des Grolls. In wie vielen Häusern mangelt es am Wein der Freude und damit dem Geschmack des Lebens, der Weisheit des Lebens selbst […] Den einen wie den anderen geben wir an diesem Abend eine Stimme mit unserem Gebet, einem Gebet für alle.»

2.  (2) Als Ort der Freuden und der Prüfungen, tiefer Zuneigung und zuweilen verletzter Beziehungen ist die Familie tatsächlich die „Schule der Menschlichkeit“ (vgl. GS, 52), derer wir besonders bedürfen. Trotz der vielen Anzeichen einer Krise der Institution Familie in den verschiedenen Kontexten des „globalen Dorfes“ bleibt, vor allem unter den Jugendlichen, der Wunsch nach Familie lebendig. Dies bestärkt die Kirche, Expertin der Menschlichkeit und ihrer Sendung treu, ohne Unterlass und in tiefster Überzeugung das „Evangelium der Familie“ zu verkünden, das ihr mit der Offenbarung der Liebe Gottes in Jesus Christus anvertraut und von den Kirchenlehrern, den Meistern der Spiritualität und vom Lehramt der Kirche ununterbrochen gelehrt wurde. Die Familie hat für die Kirche eine ganz besondere Bedeutung und zu einer Zeit, in der alle Gläubigen eingeladen sind, aus sich selbst herauszugehen, ist es notwendig, dass die Familie sich als unverzichtbares Subjekt der Evangelisierung wiederentdeckt. Wir denken an das missionarische Zeugnis vieler Familien.

3. (3) Der Bischof von Rom hat die Bischofssynode zusammengerufen, um bei ihrer außerordentlichen Generalversammlung im Oktober 2014 über die entscheidende und wertvolle Realität der Familie nachzudenken, um diese Gedanken bei der ordentlichen Generalversammlung, die im Oktober 2015 stattfinden wird, und auch während des Jahres, das zwischen den beiden synodalen Ereignissen liegt zu vertiefen. «Bereits das convenire in unum um den Bischof von Rom ist ein Ereignis der Gnade, in dem die bischöfliche Kollegialität auf einem Weg der geistlichen und pastoralen Unterscheidung zum Ausdruck kommt.» So hat Papst Franziskus die synodale Erfahrung beschrieben und aufgezeigt, dass ihre Aufgabe im zweifachen Hören besteht: dem Hören auf die Zeichen Gottes und dem Hören auf die Geschichte der Menschen sowie in der zweifachen und einzigen Treue, die daraus folgt.

4. (4). Im Lichte dieser Ansprache haben wir die Ergebnisse unserer Überlegungen und Gespräche in den folgenden drei Teilen zusammen getragen: Das Zuhören, um die Realität der heutigen Familie in der Vielschichtigkeit ihrer Licht- und Schattenseiten betrachten zu können; der auf Christus gerichtete Blick, um mit erneuerter Frische und Begeisterung erneut darüber nachzudenken, was uns die im Glauben der Kirche überlieferte Offenbarung über die Schönheit, die Rolle und die Würde der Familie sagt; die vergleichende Sicht im Licht Jesu, um die Wege zu erkennen, auf denen Kirche und Gesellschaft in ihrem Einsatz für die auf der Ehe zwischen Mann und Frau begründete Familie erneuert werden können.

5. Die wertvolle Frucht der vorausgegangenen Versammlung bewahrend, geht der neue Schritt, der vor uns liegt, vom Hören auf die Herausforderungen im Hinblick auf die Familie aus, um dann den Blick auf ihre Berufung und Sendung in Kirche und Welt von heute zu werfen. Die Familie ist nicht nur aufgerufen, auf die heutigen Problemstellungen zu antworten. Sie ist vor allem von Gott gerufen, sich immer neu ihrer missionarischen Identität bewusst zu werden, als Hauskirche, die „aus sich herausgeht“. In einer Welt, die oft von Einsamkeit und Trauer gekennzeichnet ist, ist das „Evangelium der Familie“ wirklich eine gute Nachricht.


I. TEIL

DAS HÖREN AUF DIE HERAUSFORDERUNGEN
IM HINBLICK AUF DIE FAMILIE

1. Kapitel

Die Familie und der anthropologisch-kulturelle Kontext

Der soziokulturelle Kontext

6. (5). In Treue zur Lehre Christi betrachten wir die Wirklichkeit der heutigen Familie in ihrer ganzen Komplexität, mit ihren Licht- und Schattenseiten. Wir denken an die Eltern, an die Großeltern, an die Brüder und Schwestern, an die nahen und entfernten Verwandten und an das Band zwischen zwei Familien, das durch jede Ehe geknüpft wird. Der anthropologisch-kulturelle Wandel beeinflusst heute alle Aspekte des Lebens und erfordert eine analytische und differenzierte Herangehensweise. Es gilt zuallererst, die positiven Aspekte hervorzuheben: die größere Redefreiheit und breitere Anerkennung der Rechte der Frau und der Kinder, jedenfalls in einigen Regionen. Doch andererseits muss ebenso die wachsende Gefahr betrachtet werden, die im ausufernden Individualismus zum Ausdruck kommt, der die familiären Bindungen entstellt und dazu führt, jedes Mitglied der Familie als eine Insel zu betrachten. Hierbei wird in einigen Fällen die Vorstellung eines Subjekts geltend gemacht, das sich nach eigenen Wünschen formt, welche wiederum als etwas Absolutes angesehen werden. Hinzu kommt noch die Krise des Glaubens, die so viele Katholiken betrifft und die oft an der Wurzel der Krisen von Ehe und Familie steht.

Der anthropologische Wandel

7.  In der heutigen Gesellschaft sind verschiedene Ausgangsbedingungen zu beobachten. Nur eine Minderheit lebt, unterstützt und tritt für die Lehre der katholischen Kirche über Ehe und Familie ein, weil sie in ihr das Gute des schöpferischen Planes Gottes erkennt. Die kirchlichen und zivilen Eheschließungen gehen zurück während die Zahl der Trennungen und Scheidungen ansteigt.

Die Anerkennung der Würde jeder Person, Mann, Frau und Kind, breiten sich genauso aus wie das Bewusstwerden der Bedeutung der verschiedenen Ethnien und der Minderheiten; diese letztgenannten Aspekte – bereits in vielen, nicht nur westlichen, Gesellschaften verbreitet – festigen sich auch in verschiedenen anderen Ländern.

In den verschiedensten kulturellen Zusammenhängen lässt sich die Angst der Jugendlichen feststellen, endgültige Verpflichtungen einzugehen, wie die, eine Familie zu gründen. Allgemeiner gesprochen ist die Verbreitung eines extremen Individualismus feststellbar, welcher die Befriedigung von Wünschen ins Zentrum stellt, die aber nie zur vollen Verwirklichung der Person führen.

Die Entwicklung der Konsumgesellschaft hat Sexualität und Fortpflanzung getrennt. Auch darin liegt einer der Gründe für den steigenden Geburtenrückgang. In einigen Fällen hängt er mit der Armut oder der Unmöglichkeit zusammen, sich um den Nachwuchs zu kümmern; in anderen mit der Schwierigkeit, Verantwortung übernehmen zu wollen und der Vorstellung, dass Kinder die freie Selbstentfaltung behindern könnten.

Die kulturellen Widersprüche

8.  Es gibt nicht wenige kulturelle Widersprüche, die sich auf die Familie auswirken. Es herrscht weiterhin die Vorstellung, sie sei der sichere Hafen der tiefsten und befriedigendsten Gefühle, aber die Spannungen, die von einer verbitterten individualistischen Kultur des Besitzes und des Genusses in sie hineingetragen werden, bringen in ihr Dynamiken der Intoleranz und der Aggressivität hervor, die zuweilen nicht beherrschbar sind. Hier kann man auch eine bestimmte Spielart des Feminismus anführen, welche im Muttersein einen Vorwand für die Ausbeutung der Frauen und ein Hindernis für ihre volle Verwirklichung sieht. Darüber hinaus lässt sich die wachsende Tendenz feststellen, die Zeugung eines Kindes als ein Mittel der Selbstbestätigung zu betrachten, das um jeden Preis erreicht werden muss. Schließlich ist an jene Theorien zu erinnern, nach denen die persönliche Identität und die affektive Intimität in einer Dimension gelebt werden sollen, die von der biologischen Verschiedenheit zwischen Mann und Frau radikal abgekoppelt ist.

Gleichzeitig will man aber im Hinblick auf die Stabilität einer Paarbeziehung, die unabhängig von der Differenz der Geschlechter gebildet wurde, dieser den gleichen Begriff derjenigen ehelichen Beziehung zusprechen, welche mit der Rolle der Mutter und des Vaters innerlich verbunden ist, die ausgehend von der biologischen Weitergabe des Lebens definiert werden. Diese Konfusion hilft nicht dabei, die soziale Eigenart dieser affektiven Beziehungen zu definieren, überlässt aber die besondere Verbindung zwischen Verschiedenheit, Weitergabe des Lebens und menschlicher Identität der individualistischen Beliebigkeit. Ein menschlich und kulturell und nicht nur biologisch vertieftes Verständnis der sexuellen Verschiedenheit ist sicher notwendig. Und dies in dem Bewusstsein, dass «die Beseitigung des Unterschieds […] das Problem, nicht die Lösung» ist (Franziskus, Generalaudienz, 15.April 2015).

Die sozialen Widersprüche

9. Traumatische Ereignisse wie bewaffnete Konflikte, der Rückgang der Ressourcen und die Migrationsbewegungen wirken sich in wachsendem Maße auf die affektive und geistliche Qualität des Familienlebens aus und stellen ein Risiko für die Beziehungen innerhalb der Familie dar. Ihre materiellen und geistlichen Kräfte werden sehr häufig an den Rand der Erschöpfung geführt.

Allgemein muss auch von den gravierenden Widersprüchen gesprochen werden, welche auf Grund der Belastung durch unbedachte wirtschaftspolitische Entscheidungen oder die mangelnde Sensibilität der Sozialpolitiken, auch in den so genannten Wohlstandsgesellschaften verursacht werden. Besonders die gestiegenen Kosten für den Unterhalt der Kinder wie auch das enorme Zunehmen der subsidiären Aufgaben der Sorge um die Kranken und die Alten, die faktisch an die Familien delegiert werden, stellen einen regelrechten Brocken dar, der das Familienleben belastet.

Wenn dann noch die Auswirkungen einer – naturgemäß reichlich wechselhaften – ungünstigen wirtschaftlichen Konjunktur sowie das steigende Phänomen der Anhäufung von Reichtümern in der Hand weniger und die Verschwendung von Ressourcen, die zum Wohl der Familie bestimmt sein müssten, hinzukommen, erscheint der Kontext der Verarmung der Familie in einem außerordentlich problematischen Licht. Die Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Glücksspiel ist zuweilen Ausdruck dieser sozialen Widersprüche und der Belastung, die sie für das Leben der Familien mit sich bringen.

Schwäche und Stärke der Familie

10.  Gerade durch ihre kulturelle und soziale Krise macht die Familie, grundlegende menschliche Gemeinschaft, heute mehr denn je anschaulich, wie viele Leiden durch ihre Schwächung und ihre Zerbrechlichkeit hervorgerufen werden. Und auch, wie viel Kraft sie in sich selbst finden kann, um dem Ungenügen und der Flüchtigkeit der Institutionen im Hinblick auf die Bildung der Person, die Qualität der sozialen Beziehungen, die Sorge um die verletzlichsten Menschen entgegenzutreten. Um sie in ihrer Zerbrechlichkeit unterstützen zu können, ist es daher besonders notwendig, die Kraft der Familie angemessen wertzuschätzen.

 

II. Kapitel

Die Familie und der sozio-ökonomische Kontext
 

Die Familie, unersetzliche Ressource der Gesellschaft

11. Die Familie ist bis heute der grundlegende und unverzichtbare Eckpfeiler des sozialen Lebens und wird es immer bleiben. In ihr leben ja tatsächlich vielfältige Unterschiede zusammen, durch die Beziehungen geknüpft werden, und man in der Auseinandersetzung und in der gegenseitigen Annahme der Generationen wächst. Gerade auf diese Weise stellt die Familie einen grundlegenden Wert und eine unersetzliche Ressource für die harmonische Entwicklung jeder menschlichen Gesellschaft dar. Wie es das Konzil sagt: «Die Familie ist eine Art Schule reich entfalteter Humanität.[…] Sie ist das Fundament der Gesellschaft» (GS, 52). In den familiären Beziehungen, als Eheleute, Kinder und Geschwister, schaffen alle Glieder der Familie in Eintracht und gegenseitigem Respekt starke und unverdiente Bindungen, welche es ermöglichen, die Gefahren der Isolierung und der Einsamkeit zu überwinden.

Politiken zum Wohl der Familie

12. Da die Familie ein Protagonist der Auferbauung der gemeinsamen Stadt ist und nicht eine private Realität, ist die Notwendigkeit angemessener Familienpolitiken hervorzuheben, die sie unterstützen und fördern. Darüber hinaus wird vorgeschlagen, den Zusammenhang zwischen welfare und Maßnahmen des Ausgleichs für Familien zu bedenken. Im Unterschied zu nicht entsprechenden Familienpolitiken und Wohlfahrtssystemen verteilt ein solcher Ausgleich Ressourcen und Aufgaben im Hinblick auf das Gemeinwohl neu, und trägt dazu bei, die negativen Effekte der sozialen Ungleichheit auszugleichen.

Die Herausforderung der Einsamkeit und der Vorläufigkeit

13. (6) Eine der größten Verarmungen in der gegenwärtigen Kultur ist die Einsamkeit, Ergebnis der Abwesenheit Gottes im Leben der Menschen und der Zerbrechlichkeit der Beziehungen. Es gibt außerdem ein allgemeines Gefühl der Ohnmacht angesichts der sozioökonomischen Wirklichkeit, die oft dazu führt, die Familien zu erdrücken. Das gilt etwa für die wachsende materielle Armut und die prekären Arbeitsverhältnisse, welche bisweilen als wahrer Alptraum erlebt werden, oder hinsichtlich einer allzu drückenden Steuerbelastung, die junge Menschen sicherlich nicht zur Ehe ermutigt. Oft fühlen sich die Familien auf Grund des Desinteresses und der geringen Aufmerksamkeit von Seiten der Institutionen verlassen. Im Hinblick auf die soziale Organisation sind die negativen Folgen sehr deutlich: von der demographischen Krise bis zu den Schwierigkeiten in der Erziehung, vom Zaudern bei der Annahme des werdenden Lebens bis dahin, dass die Gegenwart der alten Menschen als Last empfunden wird, bis hin zur Ausbreitung eines affektiven Unwohlseins, das zur Gewalt führt. Es liegt in der Verantwortung des Staates, rechtliche und wirtschaftliche Bedingungen zu schaffen, welche den Jugendlichen eine Zukunft garantieren und ihnen dabei helfen, ihr Vorhaben der Familiengründung umzusetzen.

Die ökonomische Herausforderung

14.  Das konkrete Leben der Familie ist eng mit der wirtschaftlichen Realität verbunden. Viele stellen fest, dass die Familie in unserer Zeitleicht unter einer Vielzahl von Verwundbarkeiten leiden kann. Aus wirtschaftlicher Perspektive sind die wichtigsten Probleme diejenigen, die mit unzureichendem Lohn, Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Unsicherheit, Mangel an Arbeit in Würde und an Sicherheit am Arbeitsplatz, Menschenhandel und Sklaverei zu tun haben.

In der Familie spiegelt sich in besonders akuter Weise der Effekt der wirtschaftlichen Ungleichheit wider, der sie am Wachsen hindert: es fehlt eine eigene Wohnung; es werden keine Kinder gezeugt; diejenigen, die da sind, haben Schwierigkeiten in der Ausbildung und darin, unabhängig zu werden; eine gelassene Planung der Zukunft bleibt versperrt. Um diese Situation überwinden zu können ist von Seiten der ganzen Gesellschaft ein struktureller Perspektivwechsel erforderlich, wie ihn der Papst in Erinnerung ruft: «Das Wachstum in Gerechtigkeit erfordert etwas, das mehr ist als Wirtschaftswachstum, auch wenn es dieses voraussetzt; es verlangt Entscheidungen, Programme, Mechanismen und Prozesse, die ganz spezifisch ausgerichtet sind auf eine bessere Verteilung der Einkünfte, auf die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten und auf eine ganzheitliche Förderung der Armen, die mehr ist als das bloße Sozialhilfesystem» (EG, 204). Eine erneuerte generationenübergreifende Solidarität beginnt mit der Aufmerksamkeit gegenüber den Armen der Gegenwart, bevor an die der Zukunft gedacht wird, wobei in besonderer Weise die Erfordernisse der Familien zu berücksichtigen sind.

Die Herausforderung der Armut und der sozialen Ausgrenzung

15.  Eine Herausforderung von besonderer Bedeutung stellen jene teilweise sehr zahlreichen sozialen Gruppen dar, die durch eine Situation der Armut gekennzeichnet sind. Nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der kulturellen Armut, die dergestalt ist, dass sie die Verwirklichung eines der Würde der Person angemessenen Projekts des Familienlebens verhindert. Es muss auch anerkannt werden, dass viele arme Familien ungeachtet der enormen Schwierigkeiten versuchen, ihr tägliches Leben mit Würde zu führen, indem sie auf Gott vertrauen, der nicht enttäuscht und nicht verlässt.

Es wurde auch unterstrichen, dass das derzeitige Wirtschaftssystem verschiedene Formen der sozialen Ausgrenzung hervorbringt. Die Kategorien von Menschen, welche sich ausgeschlossen fühlen, sind unterschiedlich. Eine gemeinsame Charakteristik ist, dass die „Ausgeschlossenen“ für die Augen der Gesellschaft oft „Unsichtbare“ sind. Nicht selten tragen die herrschende Kultur, die Medien oder die großen Institutionen dazu bei, diese systematische „Unsichtbarkeit“ aufrechtzuerhalten – wenn nicht gar zu verstärken. Diesbezüglich fragt und Papst Franziskus: «Warum gewöhnen wir uns […] daran zuzusehen, wie die würdevolle Arbeit zerstört wird, wie viele Familien aus ihren Häusern geworfen, Bauern vertrieben, Krieg geführt und die Natur ausgebeutet wird? »Und er antwortet: «Weil in diesem System der Mensch, die menschliche Person, aus dem Zentrum gerückt und von einer anderen Sache ersetzt worden ist. Weil man mit dem Geld Götzenkult betreibt! Weil man die Gleichgültigkeit globalisiert hat!» (Ansprache an die Teilnehmer des internationalen Treffens der Volksbewegungen, 28.Oktober 2014).

Die soziale Ausgrenzung schwächt die Familie und wird zu einer ernsthaften Bedrohung der Würde ihrer Mitglieder. Besonders Besorgnis erregend ist die Situation der Kinder, die auf Grund dieser Ausgrenzung sozusagen von vorn herein gestraft, und häufig ein Leben lang auf tragische Weise von Entbehrungen und Leiden gezeichnet sind. Es handelt sich um „Sozialweisen“ im eigentlichen Sinn.

Die ökologische Herausforderung

16. Vom Gesichtspunkt der Ökologie aus entspringen die vorgenannten Probleme dem für viele Völker unzureichenden Zugang zu Wasser, der Umweltzerstörung, Hunger und Unterernährung, brachliegendem und zerstörtem Land, der Kultur des „ex und hopp“. Die beschriebenen Situationen wirken sich zum Teil schwerwiegend auf die Dynamiken des Familienlebens und ihre Ausgeglichenheit aus.

Aus diesen Gründen, auch dank der Anregung von Papst Franziskus, ersehnt die Kirche und arbeitet sie an einem vertieften Überdenken des Weltsystems durch eine ökologische Kultur, welche in der Lage ist, ein Gedankengut, eine Politik, ein Erziehungsprogramm, einen Lebensstil und eine Spiritualität zu entwickeln. Da alles untereinander eng zusammenhängt, ist es erforderlich, die Aspekte einer integralen Ökologie zu vertiefen, die nicht nur die Dimension der Umwelt einschließt, sondern auch die Bereiche des Menschlichen, des Sozialen und des Wirtschaftlichen für eine nachhaltige Entwicklung und die Bewahrung der Schöpfung.

 

III. Kapitel

Familie und Einbeziehung

Das dritte Lebensalter

17.  Viele heben die Situation der Menschen fortgeschrittenen Alters in den Familien hervor. Während die Geburtenrate zurückgeht, nimmt in den entwickelten Gesellschaften die Zahl alter Menschen zu. Der Schatz, den sie darstellen, wird nicht immer angemessen gewürdigt. Wie Papst Franziskus ins Gedächtnis ruft: «Die Zahl der alten Menschen hat sich vervielfacht, aber unsere Gesellschaften haben sich nicht ausreichend organisiert, um Raum für sie zu schaffen, zusammen mit der rechten Achtung und konkreten Berücksichtigung ihrer Schwachheit und ihrer Würde. Solange wir jung sind, sind wir verleitet, das Alter zu ignorieren, so als wäre es eine Krankheit, die ferngehalten werden muss. Wenn wir dann alt werden, besonders wenn wir arm sind, wenn wir krank und allein sind, erfahren wir die Mängel einer Gesellschaft, die auf Leistung programmiert ist und infolgedessen die alten Menschen übersieht. Und die alten Menschen sind ein Reichtum, man darf sie nicht übersehen» (Generalaudienz, 4. März 2015).

18. Eine besondere Aufmerksamkeit verdient die Situation von Großeltern in der Familie. Sie sind das Bindeglied zwischen den Generationen. Sie stellen die Weitergabe von Traditionen und Gewohnheiten sicher, in denen die Jüngeren ihre eigenen Wurzeln entdecken können. Darüber hinaus garantieren sie, oft in diskreter Weise und ohne Gegenleistung zu erwarten, den jungen Paaren eine wertvolle wirtschaftliche Unterstützung und kümmern sich um die Enkel, auch dadurch, dass sie ihnen den Glauben weitergeben. Besonders in unseren Tagen können viele Menschen anerkennen, dass sie ihre Einführung in das christliche Leben besonders den Großeltern verdanken. Dies zeigt, wie der Glaube innerhalb der Familie und in der Folge der Generationen kommuniziert und bewahrt wird, und auf diese Weise zu einem unersetzlichen Erbgut für die neuen Familien wird. Den Alten gebührt daher von Seiten der Jungen, der Familien und der Gesellschaft ein Tribut aufrichtiger Dankbarkeit, der Wertschätzung und der Gastfreundschaft.

Die Herausforderung der Verwitwung

19.  Für denjenigen, der die Entscheidung für die Ehe und das Familienleben als Geschenk des Herrn erlebt hat, stellt die Verwitwung eine besonders schwierige Erfahrung dar. Aus dem Blickwinkel des Glaubens aber hält sie auch einige Möglichkeiten bereit, die es wertzuschätzen gilt. Zum Beispiel zeigen einige, in dem Moment, in dem sie diese schmerzliche Erfahrung durchleben, dass es möglich ist, die eigenen Kräfte mit noch mehr Hingabe den Kindern und Enkeln zu schenken und finden in dieser Erfahrung der Liebe eine neue erzieherische Sendung. In gewissem Sinn wird die Leere, die der verstorbene Ehepartner hinterlassen hat, durch die Liebe der Familienmitglieder aufgefüllt, welche die Verwitweten wertschätzen und es ihnen auf diese Weise auch ermöglichen, die wertvolle Erinnerung an ihre eigene Ehe zu bewahren. Demgegenüber müssen aber diejenigen, die nicht auf die Gegenwart von Angehörigen zählen können, denen sie sich widmen und von denen sie Liebe und Nähe erhalten können, von der christlichen Gemeinschaft durch besondere Aufmerksamkeit und Verfügbarkeit unterstützt werden, vor allem, wenn sie bedürftig sind.

Der letzte Lebensabschnitt und die Trauer in der Familie

20. Die Menschen fortgeschrittenen Alters sind sich dessen bewusst, dass sie sich in der letzten Phase ihres Lebens befinden. Ihre Situation wirkt sich auf das ganze Familienleben aus. Die Auseinandersetzung mit der Krankheit, welche häufig die Verlängerung des Alters begleitet und vor allem die Auseinandersetzung mit dem Tod, dessen Nähe wahrgenommen und im Verlust eines geliebten Menschen (des Ehepartners, der Angehörigen, der Freunde) erfahren wird, stellen die kritischen Aspekte dieses Lebensalters dar. Sie fordern den Einzelnen und die ganze Familie zur Neuausrichtung des eigenen Gleichgewichtes auf.

Je mehr, wenigstens in den reichen Ländern, versucht wird, auf alle mögliche Weise den Moment des Todes auszublenden, desto notwendiger wird heute die Wertschätzung der abschließenden Lebensphase. Angesichts einer negativen Sichtweise dieser Zeitspanne – welche nur die Aspekte des Verfalls und des fortschreitenden Verlustes der Fähigkeiten, der Autonomie und der Affekte betrachtet – können die letzten Jahre angegangen werden, indem der Sinn der Vollendung und der Integration der gesamten Existenz hervorgehoben werden. Es wird auch möglich, eine neue Ausprägung von Fruchtbarkeit in der Weitergabe eines vor allem moralischen Erbes an die neuen Generationen zu entdecken. Gemeinsam mit der Nähe der Familienmitglieder stellen die Spiritualität und die Transzendenz wesentliche Ressourcen dar, damit auch das Alter von einem Sinn der Würde und der Hoffnung durchdrungen werden kann.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen sodann jene Familien, die durch die Prüfung der Trauer gehen. Wenn der Verlust die Kleinen oder die Jugendlichen betrifft, ist die Auswirkung auf die Familie besonders hart.

Die Herausforderung der Behinderung

21.  Ein besonderer Blick muss auf die Familien gerichtet werden, in denen Menschen mit besonderen Bedürfnissen leben. Die Behinderung, die unvorbereitet in das Leben eindringt, schafft eine tiefe und unerwartete Herausforderung und bringt die Gleichgewichte, die Wünsche und die Erwartungen durcheinander. Das führt zu gegensätzlichen Gefühlen, die es zu bewältigen und zu bearbeiten gilt. Zugleich ergeben sich neue Aufgaben, Dringlichkeiten und Bedürfnisse sowie unterschiedliche Rollen und Verantwortungen. Das Bild von der Familie und ihr ganzer Lebenszyklus werden zutiefst durcheinander gebracht. Gemeinsam mit der christlichen Gemeinschaft, zu der sie gehört, kann die Familie jedoch auf dem langen und schweren Weg der Annahme und der Pflege des Geheimnisses der Zerbrechlichkeit verschiedene Fähigkeiten, unvorhergesehene Kompetenzen, neue Gesten und Sprachen, Formen des Verständnisses und der Identität entdecken.

22.  Dieser Prozess, der in sich schon außerordentlich komplex ist, wird in den Gesellschaften noch mühsamer, in denen unbarmherzige Formen des Stigmas und der Vorurteile überleben, welche die fruchtbare Begegnung mit der Behinderung und das Hervorbrechen der Solidarität und der gemeinschaftlichen Begleitung verhindern. Für jeden Einzelnen und für die ganze Gemeinschaft kann eine solche Begegnung, ausgehend von einem tiefen Sinn von Gemeinschaft in der Verwundbarkeit, tatsächlich eine wertvolle Gelegenheit des Wachstums in der Gerechtigkeit, in der Liebe und in der Verteidigung des Wertes jedes Lebens darstellen. Es ist zu wünschen, dass sich die Familie und der Mensch mit besonderen Bedürfnissen in einer wirklich aufnahmebereiten Gemeinschaft nicht allein und an den Rand gedrängt fühlen, sondern dass es ihnen geschenkt wird, Erleichterung und Unterstützung zu finden, vor allem dann, wenn die Energien und Ressourcen der Familie weniger werden.

23.  In diesem Zusammenhang ist die Herausforderung des so genannten „nach uns“ zu bedenken. Hier ist an die von Armut und Einsamkeit gekennzeichneten Familien genauso zu denken, wie daran, dass in den wirtschaftlich am weitesten entwickelten Gesellschaften die Verlängerung der Lebenserwartung dazu führen wird, dass Menschen mit Behinderung mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Eltern überleben. Wenn es der Familie gelingt, mit einem Blick des Glaubens die Anwesenheit von Menschen mit Behinderung in ihrer Mitte anzunehmen, kann sie ihnen auch helfen, ihr eigenes Handicap nicht nur als eine Begrenzung zu leben, sondern den eigenen, unterschiedlichen und besonderen Wert zu erkennen. Auf diese Weise könnte die mögliche Qualität jedes individuellen oder familiären Lebens, mit seinen Bedürfnissen, mit seinem Recht auf gleiche Würde und gleiche Chancen, auf Dienste und Pflege, auf Gesellschaft und Affektivität, auf Spiritualität, Schönheit und Fülle des Sinns in allen Lebensphasen, von der Empfängnis bis zum Altern und zum natürlichen Ende garantiert, verteidigt und wertgeschätzt werden.

Die Herausforderung der Migration

24.  Die Auswirkungen, die das Phänomen der Migrationen, das auf unterschiedliche Weise ganze Völker in verschiedenen Teilen der Welt betrifft, auf die Familie hat, ruft in vielen Besorgnis hervor. Die Begleitung der Migranten erfordert eine spezifische Pastoral, die sich an die Migrantenfamilien richtet, aber auch an die Mitglieder der Kernfamilien, die in den Ursprungsländern geblieben sind. Sie hat mit Respekt vor ihren Kulturen sowie vor der religiösen und menschlichen Bildung zu erfolgen, aus der sie stammen. Das Phänomen der Migration schlägt tiefe Wunden bei Einzelnen und Familien, die sich in verschiedenen Völkern und Gegenden „überflüssig“ fühlen und berechtigter Weise eine bessere Zukunft und, für den Fall, dass es dort, wo sie geboren sind, nicht möglich ist, zu leben, eine „neue Geburt“ suchen.

25. Die verschiedenen Situationen von Krieg, Verfolgung, Armut, Ungleichheit, die gewöhnlich Grund der Migration sind, zeichnen, zusammen mit den Wechselfällen einer Reise, die oft das Leben selbst in Gefahr bringt, auf traumatische Weise die Einzelnen und ihr familiäres System. Im Migrationsprozess finden sich die Familien der Migranten nämlich unweigerlich verschiedenen Erfahrungen der Verlassenheit und der Spaltung ausgesetzt. In vielen Fällen wird das Gefüge der Familie auf dramatische Weise zerrissen. Einer macht sich auf den Weg, um nach neuen Möglichkeiten zu suchen, andere bleiben in Erwartung der Rückkehr oder der Zusammenführung zurück. Diejenigen, die gehen, fühlen sich entfremdet von der eigenen Heimat und Kultur, von der eigenen Sprache, von den Bindungen in der erweiterten Familie und mit der Gemeinschaft, von der Vergangenheit und vom gewohnten Verlauf des eigenen Lebensweges.

26. Die Begegnung mit einem neuen Land und einer neuen Kultur wird dann wesentlich schwieriger, wenn die Bedingungen für eine echte Aufnahme und Akzeptanz getragen vom Respekt vor den Rechten aller und dem Bemühen um ein friedliches und solidarisches Zusammenlebens nicht gegeben sind. Das Gefühl der Fremdheit, des Heimwehs nach den verlorenen Wurzeln und die Schwierigkeiten einer echten Integration – die durch den Aufbau neuer Bindungen und der Planung eines Lebens geschieht, das Vergangenheit und Gegenwart, Kulturen und Länder, verschiedene Sprachen und Mentalitäten verbindet – sind heute vielfach noch nicht überwunden. Dies bringt, auch in der zweiten und dritten Generation der Migrantenfamilien neue Leiden hervor, und nährt die Phänomene des Fundamentalismus und der heftigen Ablehnung der aufnehmenden Kultur.

Die Begegnung zwischen Familien stellt eine wertvolle Quelle zur Überwindung dieser Schwierigkeiten dar. Eine Schlüsselrolle in den Integrationsprozessen kommt dabei den Müttern zu, durch das Teilen der Erfahrung des Heranwachsens der eigenen Kinder.

27.  Für die Familien und den Einzelnen werden die Erfahrungen der Migration dann besonders dramatisch und verheerend, wenn sie jenseits der Legalität stattfinden; wenn sie von den internationalen Menschenhändlerringen durchgeführt werden, wenn sie unbegleitete Minderjährige betreffen, wenn sie dazu zwingen, an Orten zwischen einem Land und dem anderen, zwischen Vergangenheit und Zukunft längere Pausen zu machen, oder aber sich in Flüchtlingslagern und Aufnahmezentren aufzuhalten, in denen es weder möglich ist, einen Weg der Verwurzelung zu beginnen, noch die eigene neue Zukunft zu entwerfen.

Einige besondere Herausforderungen

28. (7) Es gibt kulturelle und religiöse Kontexte, welche besondere Herausforderungen bereithalten. In einigen Gesellschaften besteht weiterhin die Praxis der Polygamie und in einigen traditionellen Zusammenhängen die Sitte der „Stufenehe“. In anderen Kontexten hält sich die Praxis der arrangierten Ehen. In den Ländern, in denen die Präsenz der katholischen Kirche eine Minderheit darstellt, gibt es viele gemischtreligiöse und kultusverschiedene Ehen, mit all den Schwierigkeiten, welche diese hinsichtlich ihrer juristischen Form, der Taufe und Erziehung der Kinder sowie bezüglich des gegenseitigen Respekts im Hinblick auf die Verschiedenheit des Glaubens mit sich bringen. In diesen Ehen kann die Gefahr des Relativismus oder der Gleichgültigkeit gegeben sein, aber sie können auch eine Gelegenheit darstellen, den ökumenischen Geist und den interreligiösen Dialog in einem harmonischen Miteinander von Gemeinschaften, die am gleichen Ort leben, zu fördern. In vielen Bereichen, nicht nur im Westen, verbreitet sich weitgehend die Praxis des Zusammenlebens der Paare vor der Ehe oder auch das Zusammenleben ganz ohne die Absicht, eine institutionalisierte Bindung einzugehen. Dazu kommt oft eine zivile Gesetzgebung, welche Ehe und Familie gefährdet.  Auf Grund der Säkularisierung in vielen Teilen der Welt ist die Bezugnahme auf Gott stark zurückgegangen und der Glaube ist kein gesellschaftliches Gemeingut mehr.

Die Familien und die Kinder

29.  (8) Besonders in einigen Ländern werden viele Kinder außerhalb der Ehe geboren, und viele von ihnen wachsen dann mit nur einem Elternteil oder in einem erweiterten oder neugebildeten familiären Umfeld auf. Die Zahl der Scheidungen wächst, und nicht selten werden Entscheidungen allein von wirtschaftlichen Faktoren bestimmt. Die Kinder sind häufig Streitobjekte ihrer Eltern und die wahren Opfer familiärer Zerwürfnisse. Gerade dort, wo es nötig wäre, dass sie klarer die Verantwortung für die Kinder und die Familie übernehmen, sind die Väter, nicht nur aus ökonomischen Gründen, häufig abwesend. Die Würde der Frau muss noch weiter verteidigt und gefördert werden. Vielfach ist in der Tat das Frau-Sein Grund für Diskriminierung und auch das Geschenk der Mutterschaft führt oft eher zu Nachteilen, als dass es wertgeschätzt wird. Auch die zunehmenden Formen der Gewalt gegen Frauen, manchmal auch innerhalb der Familien, dürfen genauso wenig vergessen werden, wie die schlimme und in einigen Kulturen weit verbreitete Genitalverstümmelung der Frau. Schließlich ist die sexuelle Ausbeutung von Kindern eine der skandalösesten und perversesten Wirklichkeiten der heutigen Gesellschaft. Auch die von kriegerischer Gewalt, Terrorismus oder organisierter Kriminalität heimgesuchten Gesellschaften erleben, dass sich die Lage der Familien verschlechtert. Vor allem in den großen Metropolen und ihren Randgebieten wächst das so genannte Phänomen der Straßenkinder. Auch die Migrationen stellen ein weiteres Zeichen der Zeit dar, das mit all seinen negativen Auswirkungen auf das Familienleben verstanden und angegangen werden muss.

Die Rolle der Frauen

30.  Von vielen Seiten wird gesehen, dass die Prozesse der Emanzipation der Frau ihre entscheidende Rolle beim Wachstum der Familie und der Gesellschaft zu Recht hervorgehoben haben. Es bleibt aber auch wahr, dass die Lebensbedingungen der Frau in der Welt sehr großen Unterschieden unterworfen sind, welche ihren Grund vorwiegend in kulturellen Faktoren haben. Wie die schwierigen Bedingungen der Frau in verschiedenen Ländern zeigen, die kürzlich einen Entwicklungsschub gemacht haben, ist nicht daran zu denken, dass die schwierigen Situationen einfach dadurch zu lösen sind, dass die wirtschaftlichen Engpässe beseitigt und eine moderne Kultur eingeführt wird.

Die weibliche Emanzipation erfordert in den westlichen Ländern ein erneutes Nachdenken über die Aufgaben der Eheleute in ihrer gegenseitigen Ergänzung und in ihrer gemeinsamen Verantwortung im Hinblick auf das Familienleben. In den Entwicklungsländern kommen zur Ausbeutung und zur gegen den Körper der Frau ausgeübten Gewalt und den Lasten, die ihnen auch während der Schwangerschaft aufgebürdet werden, häufig erzwungene Abtreibungen und Zwangssterilisierungen sowie die äußerst negativen Konsequenzen verschiedener mit der Zeugung verbundener Praktiken (z.B. Leihmutterschaft und der Handel mit embryonalen Keimzellen). In den entwickelten Ländern hat der Wunsch nach einem Kind „um jeden Preis“ nicht zu glücklicheren und stabileren familiären Beziehungen geführt, sondern in vielen Fällen die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern in Wirklichkeit verschärft. Entsprechend der in verschiedenen Kulturen vorhandenen Vorurteile stellt die Unfruchtbarkeit der Frau einen Anknüpfungspunkt sozialer Diskriminierung dar.

Eine größere Wertschätzung ihrer Verantwortung in der Kirche könnte zur Anerkennung der maßgeblichen Rolle der Frau beitragen: ihre Beteiligung an Entscheidungsprozessen, ihre nicht nur formale Teilnahme an der Leitung einiger Institutionen; ihre Einbeziehung in die Ausbildung der Priester.

 

IV. Kapitel

Familie, Affektivität und Leben

 

Die Bedeutung des Gefühlslebens

31.  (9) Angesichts des skizzierten gesellschaftlichen Rahmens ist in vielen Teilen der Welt beim Einzelnen ein stärkeres Bedürfnis feststellbar, sich um die eigene Person zu kümmern, sich innerlich zu erforschen, besser im Einklang mit den eigenen Emotionen und Gefühlen zu leben, qualitätsvolle affektive Beziehungen zu suchen. Dieses gerechtfertigte Streben kann zu dem Wunsch führen, Beziehungen zu schaffen, die, wie jene der Familie, auf Hingabe und Gegenseitigkeit beruhen, kreativ, verantwortungsvoll und solidarisch sind. Die Gefahr des Individualismus und das Risiko, in egoistischer Weise zu leben, sind groß. Die Herausforderung für die Kirche besteht darin, den Paaren durch die Förderung des Dialogs, der Tugend, und des Vertrauens auf die barmherzige Liebe Gottes bei der Reifung der emotionalen Dimension und der affektiven Entwicklung zu helfen. Der volle Einsatz, den eine christliche Ehe erfordert, kann ein starkes Mittel gegen die Versuchung eines egoistischen Individualismus sein.

Die Bildung der Affektivität

32.  Es ist erforderlich, dass sich die Familien direkt verantwortlich fühlen, wenn es um die Bildung der Affektivität der jungen Generationen geht. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Wandlungen der gegenwärtigen Gesellschaft vollziehen, macht die Begleitung in der Bildung des Gefühlslebens zur Reifung der ganzen Person schwieriger. Diese Begleitung erfordert auch entsprechend ausgebildete Seelsorger, die nicht nur eine tiefe Kenntnis der Schrift und der katholischen Lehre mitbringen, sondern auch über angemessene pädagogische, psychologische und medizinische Kenntnisse verfügen. Damit die christliche Sicht wirksam vermittelt werden kann, ist eine Kenntnis der Psychologie der Familie hilfreich: diese erzieherische Anstrengung soll schon bei der Katechese im Zusammenhang mit der christlichen Initiation beginnen.

Affektive Zerbrechlichkeit und Unreife

33.  (10) In der gegenwärtigen Welt fehlt es nicht an kulturellen Tendenzen, die eine Affektivität ohne Grenzen zu propagieren scheinen, von der sie alle Seiten, auch die komplexesten, erkunden wollen. Und so ist die Frage der Zerbrechlichkeit der Affektivität drängender denn je: eine narzisstische, instabile und veränderliche Affektivität, die dem Einzelnen nicht immer hilft, eine größere Reife zu erreichen. Eine gewisse Verbreitung der Pornographie und der Vermarktung des Körpers, die auch durch den Missbrauch des Internets begünstigt wird, gibt Anlass zur Besorgnis. Zu beklagen ist die Situation der Menschen, die zur Prostitution gezwungen werden. In diesem Gesamtkontext sind Paare manchmal unsicher, zögernd, und haben Mühe, Möglichkeiten zu finden, wie sie wachsen können. Viele neigen dazu, in frühen Stadien ihres Gefühls- und Sexuallebens stecken zu bleiben. Die Krise der Paarbeziehung destabilisiert die Familie und kann durch Trennungen und Scheidungen schwere Konsequenzen für Erwachsene, Kinder und die ganze Gesellschaft mit sich bringen, indem sie den Einzelnen und die sozialen Bindungen schwächt. Auch der durch eine geburtenfeindliche Mentalität und eine weltweite, verhütungsfördernde Politik hervorgerufene demographische Rückgang führt nicht nur zu einer Situation, in welcher der Generationswechsel nicht mehr gesichert ist, sondern mit der Zeit  auch zu dem Risiko einer wirtschaftlichen Verarmung und des Verlustes von Vertrauen in die Zukunft. Die Biotechnologien haben sich ebenfalls stark auf die Geburtenrate ausgewirkt.

Die bioethische Herausforderung

34.   Von verschiedenen Seiten wird hervorgehoben, dass die so genannte biotechnologische Revolution im Bereich der menschlichen Zeugung die technische Möglichkeit geschaffen hat, den Akt der Zeugung zu manipulieren und ihn von der sexuellen Beziehung zwischen Mann und Frau unabhängig zu machen. Das menschliche Leben und die Elternschaft sind auf diese Weise zu etwas geworden, das zusammengefügt oder getrennt werden kann. Sie unterliegen vor allen Dingen den Wünschen des Einzelnen oder des nicht notwendiger Weise heterosexuellen und verheirateten Paares. Dieses Phänomen ist in der letzten Zeit als eine absolute Neuheit auf der Bühne der Menschheit aufgetaucht und gewinnt immer weitere Verbreitung. All das hat tiefe Auswirkungen auf die Dynamik der Beziehungen, die Struktur des sozialen Lebens und die Rechtsordnungen, die eingreifen, um zu versuchen, verschiedene Situationen sowie Verfahren zu regulieren, die bereits angewandt werden.

Die Herausforderung für die Seelsorge

35.  (11) In diesem Zusammenhang spürt die Kirche die Notwendigkeit, ein Wort der Wahrheit und der Hoffnung zu sagen. Es gilt, von der Überzeugung auszugehen, dass der Mensch von Gott kommt und dass daher ein Nachdenken, das die großen Fragen über die Bedeutung des Menschseins neu stellt, angesichts der tiefen Erwartungen der Menschheit auf fruchtbaren Boden fallen kann. Die großen Werte der christlichen Ehe und Familie entsprechen jener Suche, welche die menschliche Existenz durchzieht, auch in einer von Individualismus und Hedonismus geprägten Zeit. Man muss die Menschen in ihrer konkreten Existenz annehmen, es verstehen, ihnen bei ihrer Suche beizustehen, sie in ihrer Sehnsucht nach Gott und in ihrem Wunsch, sich ganz als Teil der Kirche zu fühlen, ermutigen, auch jene, die eine Erfahrung des Scheiterns gemacht haben oder sich in verzweifelten Situationen befinden. Die christliche Botschaft enthält immer die Wirklichkeit und Dynamik der Barmherzigkeit und der Wahrheit, die in Christus zur Einheit geführt werden.

36.  In der Vorbereitung auf das Ehe- und Familienleben müssen die Seelsorger die Pluralität der konkreten Situationen berücksichtigen. Wenn es auf der einen Seite gilt, Maßnahmen zu fördern, welche eine Vorbereitung der Jugendlichen auf die Ehe sicherstellen, kommt es auf der anderen Seite darauf an, diejenigen zu begleiten, die keine neue Familie gründen und häufig der Ursprungsfamilie verbunden bleiben. Auch die Paare, die keine Kinder bekommen können, müssen von Seiten der Pastoral der Kirche eine besondere Aufmerksamkeit erfahren, die ihnen dabei helfen kann, im Dienst der ganzen Gemeinschaft, den Plan Gottes in ihrer Situation zu entdecken.

Es gibt eine große Nachfrage, klarzustellen, dass mit dem Begriff „Fernstehende“ nicht etwa Ausgeschlossene oder an den Rand Gedrängte gemeint sind: es handelt sich um Menschen, die von Gott geliebt werden und dem pastoralen Handeln der Kirche am Herzen liegen. Es gilt, einen Blick des Verständnisses für alle zu entwickeln, und dabei zu bedenken, dass die tatsächliche Distanz vom kirchlichen Leben nicht immer gewollt ist. Häufig wird diese durch das Verhalten Dritter hervorgerufen oder manchmal auch erlitten.


II. TEIL

DIE UNTERSCHEIDUNG DER GEISTER
IM HINBLICK AUF DIE BERUFUNG DER FAMILIE

I. Kapitel

Familie und göttliche Pädagogik

Der Blick auf Jesus und die göttliche Pädagogik in der Heilsgeschichte

37.  (12) Wenn wir «wirklich unsere Schritte auf dem Terrain der zeitgenössischen Herausforderungen verifizieren wollen, dann besteht die entscheidende Bedingung darin, den Blick fest auf Jesus Christus gerichtet zu halten, in der Kontemplation und Anbetung seines Antlitzes zu verweilen [...].Denn jedes Mal, wenn wir zur Quelle der christlichen Erfahrung zurückkehren, dann öffnen sich neue Wege und ungeahnte Möglichkeiten» (Papst Franziskus, Ansprache am 4.Oktober 2014). Jesus hat mit Liebe und Zärtlichkeit auf die Männer und Frauen geblickt, die ihm begegneten; als er die Erfordernisse des Gottesreiches verkündete, hat er ihre Schritte mit Wahrheit, Geduld und Barmherzigkeit begleitet.

Das Wort Gottes in der Familie

38.  Den Blick auf Jesus zu richten heißt vor allen Dingen, auf Sein Wort zu hören: die Lesung der Heiligen Schrift, nicht nur in der Gemeinschaft, sondern auch in den Häusern, erlaubt es, die Zentralität des Paares und der Familie im Plan Gottes herauszustellen und anzuerkennen, wie Gott in die Konkretheit des Familienlebens eintritt, es schön und lebendig macht.

Ungeachtet verschiedener Initiativen ist jedoch in den katholischen Familien immer noch ein Mangel an direktem Kontakt mit der Bibel festzustellen. In der Familienpastoral ist der zentrale Wert der Begegnung mit Christus zu unterstreichen, die dann wie von selbst entsteht, wenn man in der Bibel verankert ist. Es ist daher vor allem wünschenswert, dass in den Familien zu einem lebendigen Verhältnis zum Wort Gottes ermutigt wird, und zwar dergestalt, dass es zu einer echten personalen Begegnung mit Christus führt. Als Weg, sich der Schrift zu nähern, wird die „lectio divina“ empfohlen. Sie stellt eine betende Lektüre des Wortes Gottes dar und ist Quelle der Inspiration für das tägliche Handeln.

Die göttliche Pädagogik

39.  (13) Weil die Schöpfungsordnung von der Orientierung auf Christus hin bestimmt ist, müssen wir die verschiedenen Grade unterscheiden, durch die Gott der Menschheit die Gnade seines Bundes vermittelt, ohne sie voneinander zu trennen. Auf Grund der göttlichen Pädagogik, entsprechend der sich die Schöpfungsordnung in aufeinander folgenden Schritten in die Erlösungsordnung verwandelt, muss das Neue am christlichen Ehesakrament in Kontinuität mit der natürlichen Ehe des Anfangs verstanden werden. Auf diese Weise erkennt man die Art des Heilshandelns Gottes, sowohl in der Schöpfung, als auch im christlichen Leben. In der Schöpfung: weil alles durch Christus und auf ihn hin geschaffen wurde (vgl. Kol 1,16), spüren die Christen «mit Freude und Ehrfurcht […] die Saatkörner des Wortes auf, die in ihr verborgen sind. Sie sollen aber auch den tiefgreifenden Wandlungsprozess wahrnehmen, der sich in diesen Völkern vollzieht» (AG, 11). Im christlichen Leben: Insofern der Gläubige, vermittelt durch jene Hauskirche, die seine Familie ist, durch die Taufe in die Kirche eingefügt wird, tritt er ein in jenen «dynamischen Prozess von Stufe zu Stufe entsprechend der fortschreitenden Hereinnahme der Gaben Gottes» (FC, 9), durch die beständige Umkehr zur Liebe, die von der Sünde erlöst und die Fülle des Lebens schenkt.

Naturehe und sakramentale Fülle

40.  Insofern als die natürlichen Gegebenheiten im Licht der Gnade verstanden werden müssen, darf nicht vergessen werden, dass die Erlösungsordnung die Schöpfungsordnung erleuchtet und vollendet. Die Naturehe ist daher im Licht ihrer sakramentalen Vollendung voll zu erfassen; nur, wenn der Blick auf Christus gerichtet bleibt, kann man die Wahrheit der menschlichen Beziehungen wirklich ergründen. «Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. […]Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung» (GS, 22). In dieser Perspektive ist es besonders angemessen, die reichen und vielfältigen natürlichen Eigenschaften der Ehe christozentrisch zu verstehen.

Jesus und die Familie

41. (14) Jesus selbst bestätigt unter Bezugnahme auf die ursprüngliche Absicht hinsichtlich des menschlichen Paares die unauflösliche Verbindung von Mann und Frau, auch wenn er sagt: «Nur, weil ihr so hartherzig seid, hat Mose erlaubt, eure Frauen aus der Ehe zu entlassen. Am Anfang war das nicht so» (Mt 19,8). Die Unauflöslichkeit der Ehe („Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ Mt 19,6) ist nicht vor allem als ein dem Menschen auferlegtes „Joch“ zu verstehen, sondern als ein „Geschenk“ für die in der Ehe vereinten Menschen. Auf diese Weise zeigt Jesus, wie Gottes Entgegenkommen den Weg der Menschen immer begleitet, die verhärteten Herzen mit seiner Gnade heilt und verwandelt und sie über den Weg des Kreuzes auf ihren Ursprung hin ausrichtet. Aus den Evangelien geht klar das Beispiel Jesu hervor, das für die Kirche ein Paradigma ist. So hat Jesus eine Familie angenommen, hat seine Zeichenhandlungen bei der Hochzeit in Kana begonnen, hat die Botschaft von der Bedeutung der Ehe als Vollendung der Offenbarung verkündet, die den ursprünglichen Plan Gottes wieder herstellt (vgl. Mt 19,3). Doch gleichzeitig hat er die verkündigte Lehre in Taten umgesetzt und so die wahre Bedeutung der Barmherzigkeit dargelebt. Das geht deutlich aus den Begegnungen mit der Samaritanerin (vgl. Joh 4,1-30) und der Ehebrecherin (vgl. Joh 8,1-11) hervor, in denen Jesus in einer Haltung der Liebe gegenüber dem sündigen Menschen zu Reue und Umkehr führt („geh und sündige von nun an nicht mehr“), den Bedingungen für die Vergebung.

Die Unauflöslichkeit als Gabe und Aufgabe

42.  Das Zeugnis von Paaren, welche die christliche Ehe in ihrer Fülle leben, rückt den Wert dieser unauflöslichen Verbindung ins Licht und erweckt das Verlangen, immer neue Wege der ehelichen Treue zu beschreiten. Die Unauflöslichkeit stellt die Antwort des Menschen auf das tiefe Verlangen nach gegenseitiger und dauerhafter Liebe dar: eine Liebe „für immer“, die zur Erwählung und Selbsthingabe wird, sowohl der Eheleute aneinander, als auch des Ehepaares an Gott selbst und an diejenigen, die Gott ihnen anvertraut. In dieser Hinsicht ist es wichtig, in der christlichen Gemeinschaft die Jahrestage der Ehen zu feiern, um daran zu erinnern, dass es in Christus möglich und dass es schön ist, für immer zusammen zu leben.

Das Evangelium der Familie stellt ein Lebensideal dar, das die Empfindungen unserer Zeit und die tatsächlichen Schwierigkeiten berücksichtigen muss, Verpflichtungen für immer aufrecht zu erhalten. Hier ist eine Verkündigung angebracht, die Hoffnung gibt und nicht erdrückt: jede Familie soll wissen, dass die Kirche sie auf Grund der «unauflöslichen Verbindung der Geschichte Christi und der Kirche mit der Geschichte der Ehe und der Menschheitsfamilie» nie aufgibt (Franziskus, Generalaudienz, 6.Mai 2015).

Der Stil des Familienlebens

43.  Von verschiedenen Seiten wird die Einladung vorgebracht, eine Moral der Gnade zu fördern, welche die Schönheit der Tugenden, die dem Eheleben eigen sind, entdecken lässt und zur Entfaltung bringt. Dazu gehören: wechselseitiger Respekt und Vertrauen, gegenseitige Annahme und Dankbarkeit, Geduld und Vergebung. Auf der Eingangstür zum Familienleben, so sagt Papst Franziskus, «stehen drei Worte geschrieben, die ich schon mehrmals erwähnt habe. Und diese Worte lauten: „bitte“, „danke“, „Entschuldigung“. Denn diese Worte öffnen den Weg zu einem guten Familienleben, um in Frieden zu leben. Es sind einfache Worte, aber sie sind nicht einfach zu praktizieren! Sie beinhalten eine große Kraft: die Kraft, das Haus zu schützen, auch durch zahlreiche Schwierigkeiten und Prüfungen hindurch; ihr Fehlen dagegen öffnet nach und nach Risse, die es sogar zum Einsturz bringen können» (Franziskus, Generalaudienz, 13.Mai 2015). Zusammenfassend: das Sakrament der Ehe eröffnet eine Dynamik, welche die Zeiten und die Prüfungen der Liebe, die einer durch die Gnade genährten schrittweisen Reifung bedürfen, einbezieht und unterstützt.

Die Familie im Heilsplan Gottes

44. (15) Die Worte des ewigen Lebens, die Jesus seinen Jüngern hinterlassen hat, schließen die Lehre über Ehe und Familie ein. Diese Lehre Jesu lässt uns den Plan Gottes im Hinblick auf Ehe und Familie in drei grundlegenden Abschnitten erkennen. An seinem Beginn steht die Familie des Anfangs, als der Schöpfergott die ursprüngliche Ehe zwischen Adam und Eva als feste Grundlage der Familie stiftete. Gott hat den Menschen nicht nur als Mann und Frau geschaffen (vgl. Gen 1,27), sondern er hat sie auch gesegnet, damit sie fruchtbar seien und sich vermehren (vgl. Gen 1,28). Deshalb «verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau und sie werden ein Fleisch» (Gen 2,24). Diese Einheit wurde durch die Sünde beschädigt und wurde zur historischen Form der Ehe im Volk Gottes, dem Mose die Möglichkeit gab, einen Scheidungsbrief auszustellen (vgl. Dtn 24, 1ff). Dies war in der Zeit Jesu die übliche Praxis. Mit seiner Ankunft und mit der durch seinen Erlösertod bewirkten Versöhnung der gefallenen Welt ging die von Mose eingeleitete Ära zu Ende.

Einheit und Fruchtbarkeit der Eheleute

45.  Es wurde unterstrichen, dass die Wertschätzung der in der Heiligen Schrift enthaltenen Lehre eine Hilfe sein könnte um zu zeigen, wie Gott, vom Bericht der Genesis an, sein Bild und Gleichnis dem Menschenpaar eingeprägt hat. In diesem Sinne hat Papst Franziskus daran erinnert, dass «nicht nur der Mann als Einzelner betrachtet das Abbild Gottes ist, dass nicht nur die Frau als Einzelne betrachtet das Abbild Gottes ist, sondern dass auch Mann und Frau als Paar Abbild Gottes sind. Der Unterschied zwischen Mann und Frau dient nicht dem Gegensatz oder der Unterordnung, sondern der Gemeinschaft und der Fortpflanzung, stets als Abbild Gottes, ihm ähnlich» (Generalaudienz, 15.April 2015). Einige heben hervor, dass im Schöpfungsplan die Komplementarität des Vereinigungscharakters der Ehe mit dem Fruchtbarkeitscharakter eingeschrieben ist: der Vereinigungscharakter, Frucht eines freien, bewussten und überlegten Konsenses, bereitet auf die Verwirklichung des Fruchtbarkeitscharakters vor. Darüber hinaus muss der Zeugungsakt in der Perspektive der verantwortlichen Elternschaft und der Verpflichtung verstanden werden, sich mit Treue der Kinder anzunehmen.

Die Familie, Bild der Dreifaltigkeit

46.  (16) Jesus, der alles in sich versöhnt hat, hat Ehe und Familie zu ihrer ursprünglichen Form zurückgeführt (vgl. Mk 10,1-12). Christus hat Ehe und Familie erlöst (vgl. Eph5,21-32) und nach dem Bild der Heiligsten Dreifaltigkeit, dem Geheimnis, aus dem jede Liebe entstammt, wieder hergestellt. Der eheliche Bund, der in der Schöpfung grundgelegt und in der Heilsgeschichte offenbart wurde, erhält die volle Offenbarung seiner Bedeutung in Christus und in seiner Kirche. Ehe und Familie empfangen von Christus durch die Kirche die notwendige Gnade, um Gottes Liebe zu bezeugen und ein gemeinsames Leben zu leben. Das Evangelium der Familie zieht sich durch die Geschichte der Welt, von der Erschaffung des Menschen nach dem Bild und Gleichnis Gottes (vgl. Gen 1, 26-27) bis zur Erfüllung des Geheimnisses des Bundes in Christus am Ende der Zeit mit dem Hochzeitsmahl des Lammes (vgl. Offb19,9; Johannes Paul II, Katechesen über die menschliche Liebe).

II. Kapitel

Familie und Leben der Kirche
 

Die Familie in den Dokumenten der Kirche

47.  (17) «Im Verlauf der Jahrhunderte hat es die Kirche nicht an der beständigen und vertieften Lehre über Ehe und Familie fehlen lassen. Eine der höchsten Ausdrucksformen dieses Lehramtes ist vom II. Vatikanischen Konzil in der Pastoralkonstitution Gaudium et Spes vorgelegt worden, die ein ganzes Kapitel der Förderung der Würde von Ehe und Familie widmet (vgl. GS 47-52). Hier ist die Ehe als Gemeinschaft des Lebens und der Liebe definiert worden (vgl. GS48), wobei die Liebe in die Mitte der Familie gestellt und zugleich die Wahrheit dieser Liebe angesichts der verschiedenen Formen des Reduktionismus, wie sie in der heutigen Kultur gegenwärtig sind, gezeigt wird. Die „wahre Liebe zwischen Mann und Frau“ (GS 49) umfasst die gegenseitige Hingabe seiner selbst, und schließt nach dem Plan Gottes auch die sexuelle Dimension und die Affektivität ein und integriert sie (vgl. GS 48-49). Darüber hinaus unterstreicht GS Nr. 48 die Verwurzelung der Brautleute in Christus: Christus, der Herr, „begegnet den christlichen Gatten im Sakrament der Ehe“ und bleibt bei ihnen. In der Menschwerdung nimmt Er die menschliche Liebe an, reinigt sie, bringt sie zur Vollendung, und schenkt den Brautleuten mit seinem Geist die Fähigkeit, sie zu leben, indem er ihr ganzes Leben mit Glaube, Hoffnung und Liebe durchdringt. Auf diese Weise werden die Brautleute gleichsam geweiht und bauen durch eine eigene Gnade den Leib Christi auf, indem sie so etwas wie eine Hauskirche bilden (vgl. LG 11). Daher schaut die Kirche, um ihr eigenes Geheimnis in Fülle zu verstehen, auf die christliche Familie, die es in unverfälschter Weise darlebt» (IL, 4).

Die missionarische Dimension der Familie

48. Im Licht der Lehre des Konzils und des nachfolgenden Magisteriums wird vorgeschlagen, die missionarische Dimension der Familie als Hauskirche zu vertiefen. Sie ist verwurzelt im Sakrament der Taufe und verwirklicht sich durch die Erfüllung der eigenen Dienstbarkeit innerhalb der christlichen Gemeinschaft. Die Familie ist ihrer Natur nach missionarisch und bringt den eigenen Glauben zum Wachsen, indem sie ihn weitergibt. Um Wege der Wertschätzung der missionarischen Rolle, die ihnen anvertraut ist, beschreiten zu können, ist es dringlich, dass die christlichen Familien ihre Berufung wiederentdecken, das Evangelium mit dem Leben zu bezeugen, ohne das zu verstecken, woran sie glauben. Die Tatsache an sich, familiäre Gemeinschaft zu leben, ist eine Form der missionarischen Verkündigung. Von daher ist es erforderlich, die Familie als Subjekt des pastoralen Handelns zu fördern. Dies geschieht durch einige Formen des Zeugnisses, wie etwa: die Solidarität gegenüber den Armen, die Offenheit für die Verschiedenheit der Personen, die Bewahrung der Schöpfung, der Einsatz für die Förderung des Gemeinwohls ausgehend von der Umgebung, in der man lebt.

Die Familie, Weg der Kirche

49.  (18) «Auf der Linie des II. Vatikanischen Konzils hat das päpstliche Lehramt die Lehre über Ehe und Familie vertieft. Besonders Paul VI. hat mit der Enzyklika Humanae Vitae, das innere Band zwischen der ehelichen Liebe und der Weitergabe des Lebens ins Licht gehoben. Der Hl. Johannes Paul II. hat der Familie durch seine Katechesen über die menschliche Liebe, den Brief an die Familien (Gratissimam Sane) und vor allem durch das Apostolische Schreiben Familiaris Consortio eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. In diesen Dokumenten hat der Papst die Familie als den „Weg der Kirche“ bezeichnet, und eine Gesamtschau der Berufung des Mannes und der Frau zur Liebe dargeboten. Zugleich hat er die Grundlinien der Familienpastoral und eine Pastoral im Hinblick auf die Gegenwart der Familie in der Gesellschaft vorgelegt. Vor allem hat er, im Zusammenhang mit der „ehelichen Liebe“ (vgl. FC 13), die Art und Weise beschrieben, in der die Eheleute in ihrer gegenseitigen Liebe die Gabe des Geistes Christi empfangen und ihre Berufung zur Heiligkeit leben» (IL, 5).

Das göttliche Maß der Liebe

50.  (19) «In der Enzyklika Deus Caritas Est hat Papst Benedikt das Thema der Wahrheit der Liebe zwischen Mann und Frau wieder aufgegriffen, das erst im Licht der Liebe des gekreuzigten Christus vollkommen deutlich wird (vgl. DCE, 2). Der Papst unterstreicht: „Die auf einer ausschließlichen und endgültigen Liebe beruhende Ehe wird zur Darstellung des Verhältnisses Gottes zu seinem Volk und umgekehrt: die Art, wie Gott liebt, wird zum Maßstab menschlicher Liebe“ (DCE, 11). Darüber hinaus unterstreicht er in der Enzyklika Caritas in Veritate die Bedeutung der Liebe als Prinzip des Lebens in der Gesellschaft (vgl. CiV, 44), dem Ort, an dem man die Erfahrung des Gemeinwohls macht» (IL, 6).

Die Familie im Gebet

51.  Die Lehre der Päpste lädt dazu ein, ausgehend von der Wiederentdeckung des Gebetes in der Familie und dem gemeinsamen Hören auf das Wort Gottes, aus dem der karitative Einsatz hervorgeht, die spirituelle Dimension des Familienlebens zu vertiefen. Für das Familienleben ist die Wiederentdeckung des Tages des Herrn als Zeichen der tiefen Verwurzelung in der kirchlichen Gemeinschaft von grundlegender Bedeutung. Als Antwort auf die Fragen, die sich aus dem Alltagsleben ergeben, wird darüber hinaus eine pastorale Begleitung vorgeschlagen, um eine inkarnierte Spiritualität der Familie wachsen zu lassen. Es wird für sinnvoll erachtet, dass sich die Familienspiritualität durch starke Glaubenserfahrungen nährt, besonders durch die treue Teilnahme an der Eucharistiefeier, «Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens» (LG, 11).

Familie und Glaube

52.  (20) «In der Enzyklika Lumen Fidei schreibt Papst Franziskus über den Zusammenhang von Familie und Glauben: „Christus zu begegnen und sich von seiner Liebe ergreifen und führen zu lassen weitet den Horizont des Lebens und gibt ihm eine feste Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt. Der Glaube ist nicht eine Zuflucht für Menschen ohne Mut, er macht vielmehr das Leben weit. Er lässt eine große Berufung entdecken, die Berufung zur Liebe, und er garantiert, dass diese Liebe verlässlich ist und es wert ist, sich ihr zu übereignen, da ihr Fundament auf der Treue Gottes steht, die stärker ist als all unsere Schwäche“ (LF, 53)» (IL, 7).

Katechese und Familie

53.  Viele halten eine Erneuerung der katechetischen Angebote für die Familien für erforderlich. Diesbezüglich soll man dafür sorgen, dass die Paare in Zusammenarbeit mit den Priestern, Diakonen und Gottgeweihten als aktive Subjekte der Katechese wertgeschätzt werden, besonders, wenn es um die eigenen Kinder geht. Diese Zusammenarbeit ermöglicht es, die Berufung zur Ehe als etwas Wichtiges zu betrachten, auf das man sich in einem angemessenen Zeitraum entsprechend vorbereiten muss. Die Einbeziehung solider christlicher Familien und verlässlicher Seelsorger macht das Zeugnis einer Gemeinschaft, welche sich an die Jugendlichen wendet, die auf die großen Lebensentscheidungen hin unterwegs sind, glaubwürdig.

Die christliche Gemeinschaft soll darauf verzichten, eine Serviceagentur zu sein, um vielmehr zu einem Ort zu werden, an dem die Familien geboren werden, sich begegnen, miteinander auseinandersetzen, im Glauben unterwegs sind und Wege des Wachstums und des gegenseitigen Austausches miteinander teilen.

Die Unauflöslichkeit der Ehe und die Freude des Zusammenlebens

54. (21) Das gegenseitige Geschenk, welches für die sakramentale Ehe grundlegend ist, hat seinen Ursprung in der Gnade der Taufe, die den Bund jedes Menschen mit Christus in der Kirche begründet. In der gegenseitigen Annahme und mit der Gnade Christi versprechen sich die Eheleute vollkommene Hingabe, Treue und Offenheit für das Leben. Sie erkennen die Gaben, die Gott ihnen schenkt, als konstitutive Elemente der Ehe an und nehmen ihre gegenseitige Verpflichtung in seinem Namen und gegenüber der Kirche ernst. Im Glauben ist es dann möglich, die Güter der Ehe als Aufgabe anzunehmen, die durch die Gnade des Sakramentes besser erfüllt werden kann. Gott heiligt die Liebe der Eheleute und bestätigt ihre Unauflöslichkeit, indem er ihnen hilft, die Treue, die gegenseitige Ergänzung und die Offenheit für das Leben zu leben. Deshalb blickt die Kirche auf die Eheleute als das Herz der ganzen Familie, die ihrerseits ihren Blick auf Jesus richtet.

55. Die Freude des Menschen ist Ausdruck der vollen Verwirklichung der eigenen Person. Um die Einheit der Freude, die aus der Einheit der Eheleute und aus der Bildung einer neuen Familie entspringt, aufzeigen zu können, ist es angemessen, die Familie als einen Ort persönlicher und ungeschuldeter Beziehungen vorzustellen, die es so in anderen sozialen Gruppen nicht gibt. Das gegenseitige und nicht berechnende Geschenk, das Leben, das geboren wird und der Schutz aller Mitglieder, von den Kleinen zu den Alten, sind nur einige der Aspekte, welche die Familie in ihrer Schönheit einzigartig machen. Es ist wichtig, den Gedanken reifen zu lassen, dass die Ehe eine Wahl für das ganze Leben ist, die unser Dasein nicht begrenzt, sondern es reicher und voller macht, auch in den Schwierigkeiten.

Durch diese Lebensentscheidung baut die Familie die Gesellschaft auf; nicht als die Summe der Bewohner eines Territoriums, oder der Einwohner eines Staates, sondern als echte Erfahrung des Volkes, des Volkes Gottes.

 

III. Kapitel

Die Familie und der Weg zur Fülle

Das Schöpfungsgeheimnis der Ehe

56. (22) In derselben Perspektive machen wir uns die Lehre des Apostels zu eigen, nach der die ganze Schöpfung in Christus und im Hinblick auf ihn gedacht wurde (vgl. Kol 1,16). So wollte das II. Vatikanische Konzil seine Wertschätzung für die natürliche Ehe und die wertvollen Elemente, die in den anderen Religionen (vgl. NA, 2) und Kulturen, ungeachtet ihrer Grenzen und Unzulänglichkeiten (vgl. RM, 55) vorhanden sind, zum Ausdruck bringen. Das Vorhandensein der „semina Verbi” in den Kulturen (vgl. AG, 11) könnte teilweise auch auf die Realität von Ehe und Familie  in vielen Kulturen und bei den Nichtchristen angewandt werden. Es gibt also auch wertvolle Elemente in einigen Formen außerhalb der christlichen Ehe – solange sie auf der dauerhaften und wahrhaftigen Beziehung zwischen Mann und Frau gründen –, die wir in jedem Fall als darauf hin orientiert betrachten. Im Blick auf die menschliche Weisheit der Völker und Kulturen erkennt die Kirche auch diese Familien als notwendige und fruchtbare Grundzellen des menschlichen Zusammenlebens an.

57.  Die Kirche ist sich des hohen Profils des Schöpfungsgeheimnisses der Ehe zwischen Mann und Frau bewusst. Daher ist es ihre Absicht, die ursprüngliche Schöpfungsgnade wertzuschätzen, welche die Erfahrung eines ehelichen Bundes umgibt, der ehrlich darauf ausgerichtet ist, dieser ursprünglichen Berufung zu entsprechen und ihre Gerechtigkeit zu leben. Die Ernsthaftigkeit der Übernahme dieses Projektes und der Mut, den dies erfordert, können vor allem heute in besonderer Weise wertgeschätzt werden, zu einer Zeit, in welcher der Wert dieser Inspiration, die alle Bindungen, die in der Familie aufgebaut werden, betrifft, in Zweifel gezogen oder aber tatsächlich zensuriert und ausgeschlossen wird.

So ist auch im Fall, dass die Reifung der Entscheidung, eine sakramentale Ehe anzustreben, von Seiten der Zusammenlebenden oder der zivil Verheirateten sich noch in einem anfänglichen, virtuellen Stadium oder aber in einer schrittweisen Annäherung befindet, die Kirche aufgefordert, sich nicht der Aufgabe zu entziehen, diese Entwicklung zu ermutigen und zu unterstützen. Gleichzeitig tut sie ein gutes Werk, wenn sie gegenüber der schon eingegangenen Verpflichtung Wertschätzung und Freundschaft zeigt und darin jene Elemente anerkennt, welche der Schöpfungsabsicht Gottes entsprechen.

Im Hinblick auf die nicht nur in den Missionsgebieten, sondern auch in Ländern mit langer christlicher Tradition steigende Zahl von Familien, denen eine kultusverschiedene Ehe zu Grunde liegt, wird die Notwendigkeit unterstrichen, eine angemessene Seelsorge zu entwickeln.

Wahrheit und Schönheit der Familie und Barmherzigkeit gegenüber den verletzten und schwachen Familien

58.  (23) Mit innerer Freude und tiefem Trost blickt die Kirche auf die Familien, die den Lehren des Evangeliums treu bleiben. Sie dankt ihnen für ihr Zeugnis und ermutigt sie darin. Durch sie werden die Schönheit der unauflöslichen Ehe und ihre immer dauernde Treue glaubwürdig. In der Familie, die man als „Hauskirche“ bezeichnen könnte (LG, 11), reift die erste kirchliche Erfahrung der Gemeinschaft unter den Menschen, in der sich durch die Gnade das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit spiegelt. «Hier lernt man Ausdauer und Freude an der Arbeit, geschwisterliche Liebe, großmütiges, ja wiederholtes Verzeihen und vor allem den Dienst Gottes in Gebet und Hingabe des Lebens» (KKK, 1657). Die Heilige Familie von Nazareth ist dafür ein wunderbares Vorbild. In ihrer Schule «verstehen wir, warum wir eine geistliche Disziplin halten müssen, wenn wir der Lehre des Evangeliums Jesu folgen und Jünger Christi werden wollen» (Paul VI, Ansprache in Nazareth, 5.Januar 1964).Das Evangelium der Familie nährt auch jene Samen, die noch nicht reif sind, und muss jene Bäume pflegen, die ausgedörrt sind und nicht vernachlässigt werden dürfen.

Das enge Band zwischen Kirche und Familie

59. Der Segen und die Verantwortung einer neuen Familie, besiegelt im kirchlichen Sakrament, bringt innerhalb der christlichen Gemeinschaft die Bereitschaft mit sich, zu Unterstützern und Förderern der allgemeinen Qualität des Bundes zwischen Mann und Frau zu werden: im Bereich der sozialen Bindungen, der Zeugung der Kinder, des Schutzes der Schwächsten, des Gemeinschaftslebens. Diese Bereitschaft erfordert eine Verantwortung, welche das Recht hat, unterstützt, anerkannt und wertgeschätzt zu werden.

In der Kraft des christlichen Sakramentes wird jede Familie im umfassenden Sinn ein Gut für die Kirche, die ihrerseits darum bittet, von Seiten der entstehenden Familie als Gut anerkannt zu werden. Aus dieser Perspektive wird für die Kirche heute die demütige Haltung, in ausgeglichenerer Weise diese Gegenseitigkeit des „bonum ecclesiae“ anzuerkennen, sicherlich ein wertvolles Geschenk sein: die Kirche ist ein Gut für die Familie, die Familie ist ein Gut für die Kirche. Auf der einen Seite betrifft die Bewahrung des sakramentales Geschenks von Seiten des Herrn die Verantwortung des christlichen Paares, auf der anderen Seite diejenige der christlichen Gemeinschaft; jeder auf die entsprechende Weise. Angesichts der wachsenden, teilweise großen Schwierigkeit, die eheliche Einheit zu schützen, ist eine Unterscheidung erforderlich: die Erfüllung oder die entsprechende Nichterfüllung muss mit Hilfe der Gemeinschaft von Seiten der Paare aufrichtig betrachtet werden, mit dem Ziel, zu verstehen, zu bewerten und wieder instandzusetzen, was von beiden Seiten unterlassen oder vernachlässigt wurde.

60.  (24) Als verlässliche Lehrerin und fürsorgliche Mutter ist sich die Kirche – obwohl sie anerkennt, dass es für die Getauften kein anderes als das sakramentale Eheband gibt und dass jeder Bruch desselben Gottes Willen zuwiderläuft – auch der Schwäche vieler ihrer Kinder bewusst, die sich auf dem Weg des Glaubens schwer tun. «Daher muss man, ohne den Wert des vom Evangelium vorgezeichneten Ideals zu mindern, die möglichen Wachstumsstufen der Menschen, die Tag für Tag aufgebaut werden, mit Barmherzigkeit und Geduld begleiten. […] Ein kleiner Schritt inmitten großer menschlicher Begrenzungen kann Gott wohlgefälliger sein als das äußerlich korrekte Leben dessen, der seine Tage verbringt, ohne auf nennenswerte Schwierigkeiten zu stoßen. Alle müssen von dem Trost und dem Ansporn der heilbringenden Liebe Gottes erreicht werden, der geheimnisvoll in jedem Menschen wirkt, jenseits seiner Mängel und Verfehlungen» (EG, 44).

Die Familie als Gabe und Aufgabe

61. Die Haltung der Gläubigen gegenüber denjenigen, die noch nicht zum Verständnis der Wichtigkeit des Ehesakramentes gelangt sind, drückt sich vor allen Dingen in einer Beziehung der persönlichen Freundschaft aus. Der Andere soll so angenommen werden, wie er ist, ohne ihn zu verurteilen. Auf seine grundlegenden Bedürfnisse soll eine Antwort gefunden, und gleichzeitig die Liebe und die Barmherzigkeit Gottes bezeugt werden. Es ist wichtig das Bewusstsein zu haben, dass alle schwach sind, Sünder, wie die anderen, auch wenn dabei nicht darauf verzichtet werden soll, die Güter und die Werte der christlichen Ehe zu bezeugen. Darüber hinaus ist ein Bewusstsein dafür zu entwickeln dass die Familie im Plan Gottes keine Verpflichtung, sondern ein Geschenk ist, und dass heute die Entscheidung, das Sakrament einzugehen nicht von vorn herein Selbstverständliches ist, sondern ein Reifungsschritt und eine zu erreichendes Ziel.

Helfen, die Fülle zu erreichen

62.  (25) Einer pastoralen Herangehensweise entsprechend ist es Aufgabe der Kirche, jenen, die nur zivil verheiratet oder geschieden und wieder verheiratet sind oder einfach so zusammenleben, die göttliche Pädagogik der Gnade in ihrem Leben offen zu legen und ihnen zu helfen, für sich die Fülle des göttlichen Planes zu erreichen. Dem Blick Christi folgend, dessen Licht jeden Menschen erleuchtet (vgl. Joh 1,9; GS, 22) wendet sich die Kirche liebevoll jenen zu, die auf unvollendete Weise an ihrem Leben teilnehmen. Sie erkennt an, dass Gottes Gnade auch in ihrem Leben wirkt, und ihnen den Mut schenkt, das Gute zu tun, um liebevoll füreinander zu sorgen und ihren Dienst für die Gemeinschaft, in der sie leben und arbeiten, zu erfüllen.

63. Die christliche Gemeinschaft soll sich gegenüber den Paaren, die sich in Schwierigkeiten befinden, aufnahmebereit zeigen, auch durch die Nähe von Familien, welche die christliche Ehe leben. Die Kirche steht den Paaren zur Seite, die vor dem Risiko einer Trennung stehen, damit sie die Schönheit und die Kraft ihres Ehelebens wiederentdecken können. Im Fall, dass es zu einem schmerzhaften Ende der Beziehung kommt, fühlt sich die Kirche in der Pflicht, diesen Moment des Leidens in einer Weise zu begleiten, dass zwischen den Ehepartnern keine zerstörerischen Gegensätze entstehen und vor allem, damit die Kinder so wenig wie möglich darunter leiden müssen.

Es ist wünschenswert, dass in den Diözesen Angebote geschaffen werden, welche Menschen, die zusammenleben oder nur zivil verbunden sind, schrittweise einbeziehen. Ausgehend von der Zivilehe kann man dann nach einer Zeit der Unterscheidung, die am Ende zu einer wirklich bewussten Entscheidung führt, zur christlichen Ehe gelangen.

64.  (26) Die Kirche blickt mit Sorge auf das Misstrauen vieler junger Menschen gegenüber dem Eheversprechen. Sie leidet unter der Voreiligkeit, mit der viele Gläubige sich entscheiden, dem eingegangenen Bund ein Ende zu setzen und einen neuen eingehen. Diese Gläubigen, die zur Kirche gehören, brauchen eine barmherzige und ermutigende seelsorgliche Zuwendung, wobei die jeweiligen Situationen angemessen zu unterscheiden sind. Die jungen Getauften sollen ermutigt werden, nicht zu zaudern angesichts des Reichtums, den das Ehesakrament ihrem Vorhaben von Liebe schenkt, gestärkt vom Beistand der Gnade Christi und der Möglichkeit, ganz am Leben der Kirche teilzunehmen.

Die Jugendlichen und die Angst zu heiraten

65. Viele Jugendliche haben, auch auf Grund der Fälle zerbrochener Ehen, Angst, angesichts des Projekts Ehe zu scheitern. Es ist daher notwendig, die tieferen Motivationen des Verzichts und der Entmutigung aufmerksamer zu betrachten. Es ist tatsächlich daran zu denken, dass diese Beweggründe in vielen Fällen tatsächlich mit dem Bewusstsein zu tun haben, dass es sich um ein Ziel handelt, das – bei aller Wertschätzung und oft auch Sehnsucht – bei rationaler Einschätzung der eigenen Kräfte oder auf Grund des unüberwindlichen Zweifels bezüglich der Beständigkeit der eigenen Gefühle unangemessen erscheint. Mehr als die Bedenken im Hinblick auf die Treue und die Stabilität der Liebe, die Gegenstand der Sehnsucht bleiben, ist es häufig die Unsicherheit – oder gar die Angst – sie nicht garantieren zu können, die zum Verzicht führt. Die an sich überwindbare Schwierigkeit wird als Beweis einer tiefen Unmöglichkeit angesehen. Außer dem wirken sich manchmal auch Gesichtspunkte der sozialen Formen oder mit der Feier der Hochzeit verbundene wirtschaftliche Schwierigkeiten auf die Entscheidung aus, nicht zu heiraten.

66. (27) In diesem Sinn besteht für die heutige Familienpastoral eine neue Dimension darin, der Realität der Zivilehe zwischen Mann und Frau, den Ehen gemäß älteren kulturellen Bräuchen und – bei aller gebührenden Unterscheidung – auch den unverheiratet zusammenlebenden Paaren ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Wenn eine Verbindung durch ein öffentliches Band offenkundig Stabilität erlangt, wenn sie geprägt ist von tiefer Zuneigung, Verantwortung gegenüber den Kindern, von der Fähigkeit, Prüfungen zu bestehen, kann dies als Anlass gesehen werden, sie auf ihrem Weg zum Ehesakrament zu begleiten. Doch sehr oft fällt die Entscheidung für das Zusammenleben ohne jede Absicht einer institutionellen Bindung und nicht im Hinblick auf eine mögliche zukünftige Ehe.

67. (28) In Übereinstimmung mit dem barmherzigen Blick Jesu, muss die Kirche ihre schwächsten Kinder, die unter verletzter und verlorener Liebe leiden, aufmerksam und fürsorglich begleiten und ihnen Vertrauen und Hoffnung geben, wie das Licht eines Leuchtturms im Hafen oder einer Fackel, die unter die Menschen gebracht wird, um jene zu erleuchten, die die Richtung verloren haben oder sich in einem Sturm befinden. Im Bewusstsein, dass die größte Barmherzigkeit darin besteht, mit Liebe die Wahrheit zu sagen, geht es uns um mehr als Mitleid. Wie die barmherzige Liebe anzieht und vereint, so verwandelt und erhebt sie auch. Sie lädt zur Umkehr ein. Auf diese Art und Weise verstehen wir auch die Haltung des Herrn, der die Ehebrecherin nicht verurteilt, sondern sie auffordert, nicht mehr zu sündigen (vgl. Joh 8,1-11).

Die Barmherzigkeit ist geoffenbarte Wahrheit

68.  Für die Kirche geht es darum, von der konkreten Situation der Familien heute auszugehen, die, angefangen von denen, die am meisten leiden, alle der Barmherzigkeit bedürfen. In der Barmherzigkeit leuchtet nämlich die Souveränität Gottes auf, durch die er immer neu seinem Sein, das Liebe ist, (1 Joh 4,8) und seinem Bund treu ist. Die Barmherzigkeit ist die Offenbarung der Treue und der Identität Gottes mit sich selbst, und gleichzeitig Aufweis der christlichen Identität. Daher nimmt die Barmherzigkeit nichts von der Wahrheit. Sie selbst ist offenbarte Wahrheit und engstens mit den grundlegenden Wahrheiten des Glaubens – der Menschwerdung, des Todes und der Auferstehung des Herrn – verbunden, und fiele ohne sie ins Nichts. Die Barmherzigkeit ist «die Mitte der Offenbarung Jesu Christi» (MV, 25)


III. TEIL

DIE SENDUNG DER FAMILIE HEUTE

I. Kapitel

Familie und Evangelisierung

Das Evangelium der Familie heute in den unterschiedlichen Kontexten verkünden

69. (29) Der synodale Dialog hat sich mit einigen dringlicheren pastoralen Anliegen befasst, die in Gemeinschaft „cum Petro et sub Petro“ der Konkretisierung in den einzelnen Ortskirchen anzuvertrauen sind. Die Verkündigung des Evangeliums der Familie stellt für die neue Evangelisierung eine Dringlichkeit dar. Die Kirche ist dazu aufgerufen, diese Verkündigung mit der Zärtlichkeit einer Mutter und der Klarheit einer Lehrmeisterin (vgl. Eph 4,15) durchzuführen, in Treue zur barmherzigen Entäußerung Christi. Die Wahrheit nimmt in der menschlichen Schwachheit Fleisch an, nicht um sie zu richten, sondern um sie zu retten (vgl. Joh 3,16 -17).

Zärtlichkeit in der Familie – die Zärtlichkeit Gottes

70.  Zärtlichkeit heißt, mit Freude zu geben und im Anderen die Freude hervorzurufen, sich geliebt zu fühlen. Sie drückt sich in besonderer Weise darin aus, sich den Grenzen des Anderen mit vorzüglicher Achtsamkeit zuzuwenden, besonders dann, wenn diese Begrenzungen offensichtlich hervortreten. Jemand mit Feingefühl und Respekt behandeln bedeutet, Wunden zu heilen und neue Hoffnung zu schenken, damit im Anderen das Vertrauen neu belebt wird. Die Zärtlichkeit in den familiären Beziehungen ist jene alltägliche Tugend, die dabei hilft, innere Konflikte und Konflikte in den Beziehungen zu überwinden. Diesbezüglich lädt uns Papst Franziskus zum Nachdenken ein: «Haben wir den Mut, mit Zärtlichkeit die schwierigen Situationen und die Probleme des Menschen neben uns mitzutragen, oder ziehen wir es vor, sachliche Lösungen zu suchen, die vielleicht effizient sind, aber der Glut des Evangeliums entbehren? Wie sehr braucht doch die Welt von heute Zärtlichkeit! – Geduld Gottes, Nähe Gottes, Zärtlichkeit Gottes» (Predigt in der Mitternachtsmette, 24.Dezember 2014).

71.  (30) Die Evangelisierung ist eine Verantwortung des ganzen Gottesvolkes, eines Jeden nach seinem eigenen Dienst und Charisma. Ohne das freudige Zeugnis der Eheleute und der Familien, der Hauskirchen, läuft die Verkündigung – auch, wenn sie korrekt ist – Gefahr, unverständlich zu bleiben oder im Meer der Worte, das unsere Gesellschaft kennzeichnet, unterzugehen (vgl. NMI, 50). Die Synodenväter haben mehrfach unterstrichen, dass die katholischen Familien aus der Kraft der Gnade des Ehesakramentes dazu berufen sind, selbst Subjekte der Familienpastoral zu werden.

Die Familie, Subjekt der Pastoral

72.   Die Kirche muss in den Familien einen Sinn kirchlicher Zugehörigkeit wecken, einen Sinn für das „wir“, wo keiner ein vergessenes Glied ist. Alle sollen ermutigt werden, die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln und das Projekt des eigenen Lebens im Dienst am Reich Gottes zu verwirklichen. In den kirchlichen Kontext eingebunden, soll jede Familie die Freude der Gemeinschaft mit anderen Familien erfahren, um dem Gemeinwohl der Gesellschaft zu dienen, indem sie auch durch die Nutzung der sozialen Netzwerke und der Medieneine Politik, eine Wirtschaft und eine Kultur im Dienst der Familie fördert.

Es ist wünschenswert, Möglichkeiten zu schaffen, um kleine Gemeinschaften von Familien als lebendige Zeugen der Werte des Evangeliums entstehen zu lassen. Es wird das Bedürfnis verspürt, einige Familien vorzubereiten, auszubilden und in die Verantwortung zu nehmen, um andere Familien dabei begleiten zu können, christlich zu leben. Auch die Familien, die sich für die Mission „ad gentes“ zur Verfügung stellen, sollen bedacht und ermutigt werden. Schließlich sei auf die Wichtigkeit hingewiesen, Jugendpastoral und Familienpastoral miteinander zu verbinden.

Die Eheliturgie

73.  Die Vorbereitung auf die Hochzeit nimmt die Aufmerksamkeit der Brautleute über lange Zeit in Anspruch. Der Feier der Trauung, die vorzugsweise in der Gemeinschaft stattfinden soll, zu der einer oder beide Brautleute gehören, muss die entsprechende Aufmerksamkeit gelten. Dabei soll vor allen Dingen der ihr eigene geistliche und kirchliche Charakter unterstrichen werden. Durch eine herzliche und freudige Teilnahme nimmt die christliche Gemeinschaft, unter Anrufung des Heiligen Geistes, die neue Familie in ihrer Mitte auf, damit sie sich, als Hauskirche, als Teil der größeren kirchlichen Familie empfindet.

Häufig hat der Zelebrant die Gelegenheit, sich an eine Versammlung zu richten, die aus Menschen besteht, die die wenig am kirchlichen Leben teilnehmen oder anderen christlichen Bekenntnissen oder religiösen Gemeinschaften angehören. Es handelt sich daher um eine wertvolle Gelegenheit zur Verkündigung des Evangeliums der Familie, die in der Lage sein soll, auch in den anwesenden Familien die Wiederentdeckung des Glaubens und der Liebe, die von Gott kommt, zu wecken. Die Hochzeitsfeier ist auch eine günstige Gelegenheit, viele zur Feier des Sakramentes der Versöhnung einzuladen.

Die Familie, Werk Gottes

74.  (31) Es wird entscheidend sein, den Primat der Gnade hervorzuheben und damit die Möglichkeiten, die der Geist im Sakrament schenkt. Es geht darum, erfahrbar zu machen, dass das Evangelium der Familie Freude ist, die «das Herz und das gesamte Leben erfüllt», weil wir in Christus «von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung» befreit sind (EG, 1). Im Lichte des Gleichnisses vom Sämann (vgl. Mt 13,3-9), ist es unsere Aufgabe, an der Aussaat mitzuarbeiten. Alles andere ist das Werk Gottes. Man darf auch nicht vergessen, dass die Kirche, die über die Familie predigt, Zeichen des Widerspruchs ist.

75.     Der Primat der Gnade kommt in seiner Fülle zum Ausdruck, wenn die Familie Rechenschaft über ihren Glauben ablegt und die Eheleute ihre Ehe als Berufung leben. Diesbezüglich wird vorgeschlagen: das gläubige Zeugnis der christlichen Eheleute zu unterstützen und zu ermutigen; solide Angebote im Hinblick auf das Wachstum der Taufgnade zu machen, vor allem für die Jugendlichen; in Predigt und Katechese eine symbolische, erfahrungsreiche und eingängige Sprache zu verwenden. Hierzu sollen auch entsprechende Kurse für die Seelsorger angeboten werden, damit sie wirklich ihre Adressaten erreichen und sie dazu erziehen können, in einer Haltung beständiger Umkehr die Gegenwart Gottes unter den im Sakrament verbundenen Eheleuten anzuerkennen und anzurufen.

Missionarische Bekehrung und erneuerte Sprache

76. (32) Deshalb ist von der ganzen Kirche eine missionarische Umkehr gefordert: Man darf nicht bei einer rein theoretischen, von den wirklichen Problemen der Menschen losgelösten Verkündigung stehen bleiben. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Krise des Glaubens zu einer Krise der Ehe und der Familie geführt hat, und als Konsequenz oft die Weitergabe des Glaubens von den Eltern an die Kinder unterbrochen wurde. Angesichts eines starken Glaubens können sich kulturelle Ansichten, die Familie und Ehe schwächen, nicht durchsetzen.

77.  (33) Damit die Umkehr wirklich an Bedeutung gewinnt, umfasst sie auch die Sprache. Die Verkündigung muss erfahrbar machen, dass das Evangelium der Familie die Antwort auf die tiefsten Erwartungen des Menschen darstellt: Auf seine Würde und auf die vollkommene Verwirklichung in der Gegenseitigkeit, in der Gemeinschaft und in der Fruchtbarkeit. Es geht nicht allein darum, Normen vorzulegen, sondern Werte anzubieten, und damit auf eine Sehnsucht nach Werten zu antworten, die heute selbst in den säkularisiertesten Ländern festzustellen ist.

78.  Die christliche Botschaft muss vorzugsweise in einer Sprache verkündet werden, die Hoffnung weckt. Es ist erforderlich, eine klare und einladende, offene Form der Kommunikation zu verwenden, die nicht moralisiert, verurteilt oder kontrolliert sowie Zeugnis für die Morallehre der Kirche ablegt und gleichzeitig gegenüber den Lebensbedingungen der Einzelnen sensibel bleibt.

Da das kirchliche Lehramt im Hinblick auf verschiedene Themen von vielen nicht mehr verstanden wird, spürt man die dringende Notwendigkeit einer Sprache, die in der Lage ist, alle, besonders die Jugendlichen, zu erreichen, um die Schönheit der familiären Liebe zu vermitteln und die Bedeutung von Worten wie Hingabe, eheliche Liebe, Zeugung und Fruchtbarkeit verstehen zu lassen.

Die kulturelle Vermittlung

79.  Für eine geeignetere Weitergabe des Glaubens scheint eine kulturelle Vermittlung erforderlich, die in der Lage ist, in kohärenter Weise die doppelte Treue zum Evangelium Jesu und zum heutigen Menschen zum Ausdruck zu bringen. Wie der selige Papst Paul VI. lehrte: «Insbesondere uns, den Hirten in der Kirche, ist die Sorge aufgetragen, kühn und umsichtig und zugleich in unbedingter Treue zum Inhalt die geeignetsten und wirksamsten Weisen zur Mitteilung der Botschaft des Evangeliums an die Menschen unserer Zeit neu zu entdecken und in die Tat umzusetzen» (EN, 40).

Heute ist es in besonderer Weise notwendig, den Akzent auf die Bedeutung der frohen und optimistischen Verkündigung der Wahrheit des Glaubens über die Familie zu legen, auch unter Zuhilfenahme von besonderen, in Kommunikation erfahrenen Teams, welche Probleme, die von den heutigen Lebensstilen kommen, entsprechend berücksichtigen können.

Das Wort Gottes, Quelle des geistlichen Lebens für die Familie

80. (34) Das Wort Gottes ist Quelle des Lebens und der Spiritualität für die Familie. Die betrachtende Lesung der Heiligen Schrift in Gemeinschaft mit der Kirche muss die Familienpastoral innerlich formen und die Mitglieder der Hauskirche bilden. Das Wort Gottes ist nicht nur eine frohe Botschaft für das Privatleben der Menschen, sondern auch ein Urteilskriterium und ein Licht der Unterscheidung der verschiedenen Herausforderungen, mit denen sich die Eheleute und Familien auseinandersetzen.

81.  Im Licht des Wortes Gottes, das in den unterschiedlichsten Situationen zur Unterscheidung aufruft, muss die Pastoral bedenken, dass eine für den Dialog offene und von Vorurteilen freie Kommunikation besonders gegenüber denjenigen Katholiken notwendig ist, die im Bereich von Ehe und Familie nicht in voller Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche leben oder leben können.

Die Symphonie der Verschiedenheit

82. (35) Zugleich haben viele Synodenväter auf einem positiven Zugang zu den Reichtümern der unterschiedlichen religiösen Erfahrungen bestanden, ohne die Schwierigkeiten zu verschweigen. In diesen unterschiedlichen religiösen Wirklichkeiten und der großen kulturellen Verschiedenheit, welche die Nationen prägt, ist es angemessen, zunächst die positiven Möglichkeiten zu würdigen und in ihrem Licht die Grenzen und Mängel zu bewerten.

83. Ausgehend von der Feststellung der religiösen und kulturellen Pluralität wird gewünscht, dass die Synode das Bild der „Symphonie der Verschiedenheit“ bewahrt und schätzt. Es wird hervorgehoben, dass es im Gesamt der Ehe- und Familienpastoral darauf ankommt, die positiven Elemente hervorzuheben, denen man in den verschiedenen religiösen und kulturellen Erfahrungen begegnet und die eine „praeparatio evangelica“ darstellen. Durch die Begegnung mit Menschen, die selbst einen bewussten und verantwortlichen Weg hin zu den authentischen Gütern der Ehe eingeschlagen haben, kann man eine echte Zusammenarbeit zur Förderung und Verteidigung der Familie ausbauen.

II. Kapitel

Familie und Bildung

Die Ehevorbereitung

84.  (36) Die christliche Ehe ist eine Berufung, die man durch eine angemessene Vorbereitung auf einem Glaubensweg und mit einer reifen Urteilsfähigkeit annimmt. Sie darf nicht nur als kulturelle Tradition oder als soziale und rechtliche Anforderung verstanden werden. Deshalb muss man Wege entdecken, um die Einzelnen und das Paar so zu begleiten, dass sich die Vermittlung der Glaubensinhalte mit der Lebenserfahrung verbindet, welche die gesamte Gemeinschaft der Kirche anbietet.

85.  Damit die Berufung zur christlichen Ehe verstanden werden kann, ist es unerlässlich, die Vorbereitung auf das Sakrament und besonders die voreheliche Katechese zu verbessern. Sie ist Teil der ordentlichen Seelsorge, aber manches Mal arm an Inhalten. Es ist wichtig, dass die Brautleute auf der Grundlage der klar und verständlich vorgelegten Lehre der Kirche ihren Glauben verantwortlich vertiefen.

Auch die Pastoral für die Brautleute muss sich in die umfassendere Absicht der christlichen Gemeinschaft einfügen, in entsprechender und überzeugender Weise die Botschaft des Evangeliums hinsichtlich der Würde der Person, ihrer Freiheit und dem Respekt vor den Menschenrechten vorzulegen.

86. Im Rahmen der im Gang befindlichen kulturellen Umwälzungen werden häufig Modelle vorgeschlagen, wenn nicht aufgezwungen, welche im Gegensatz zur christlichen Sicht der Familie stehen. Daher müssten die Bildungsangebote Wege der Erziehung bereithalten, welche den Menschen helfen, in entsprechender Weise ihre Sehnsucht nach Liebe in der Sprache der Sexualität zum Ausdruck zu bringen. Im heutigen kulturellen und sozialen Kontext, in dem die Sexualität häufig von einem Projekt authentischer Liebe getrennt ist, kann die Familie nicht der einzige Ort der Sexualerziehung sein, auch wenn sie das bevorzugte pädagogische Umfeld bleibt. Daher geht es darum, echte seelsorgliche Vorgehensweisen zur Unterstützung der Familie zu entwickeln, welche sich sowohl an Einzelne als auch an Paare richten. Besondere Aufmerksamkeit ist dabei auf das Pubertäts- und Jugendalter zu richten, in denen es darum geht, zu helfen, die Schönheit der Sexualität in der Liebe zu entdecken.

Aus einigen Ländern wird von Erziehungsmaßnahmen berichtet, die von der staatlichen Autorität vorgeschrieben werden, und die Inhalte vermitteln, welche im Gegensatz zu einer menschlichen und christlichen Vision stehen: diesbezüglich muss mit Entschiedenheit auf die Möglichkeit der Erzieher bestanden werden, aus Gewissensgründen Einspruch einzulegen.

Die Ausbildung der zukünftigen Priester

87. (37) Immer wieder wurde an die Notwendigkeit einer radikalen Erneuerung der pastoralen Praxis im Licht des Evangeliums der Familie erinnert, um die individualistischen Sichtweisen zu überwinden, die sie derzeit noch kennzeichnen. Deshalb wurde mehrfach auf eine Erneuerung der Ausbildung von Priestern, Diakonen, Katecheten und anderen Mitarbeitern in der Seelsorge beharrt, welche durch eine stärkere Einbeziehung der Familien geschehen könnte.

88. Die Herkunftsfamilie ist der Schoß der priesterlichen Berufung, die sich durch ihr Zeugnis nährt. Es wird allgemein eine wachsende Notwendigkeit wahrgenommen, die Familien, besonders die Frauen, in die Priesterausbildung einzubeziehen. Es wird vorgeschlagen, dass die Seminaristen während ihrer Ausbildung für angemessene Zeitspannen mit der eigenen Familie leben und beim Sammeln von Erfahrungen in der Familienpastoral und beim Erwerb entsprechender Kenntnisse im Hinblick auf die gegenwärtige Situation der Familie begleitet werden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass einige Seminaristen aus schwierigen familiären Verhältnissen kommen. Die Anwesenheit von Laien und auch von Familien innerhalb des Seminars wird als wohltuend empfunden, denn so verstehen die Priesteramtskandidaten den Wert des Miteinanders der verschiedenen Berufungen. In der Ausbildung zum geweihten Dienst kann man die affektive und psychologische Reifung nicht außer Acht lassen. Hierzu ist die konkrete Teilnahme an entsprechenden Programmen hilfreich.

Die Ausbildung des Klerus und der pastoralen Mitarbeiter

89.  Es ist wünschenswert, dass man in der ständigen Weiterbildung des Klerus und der pastoralen Mitarbeiter weiterhin mit entsprechenden Mitteln für die affektive und psychologische Reifung Sorge trägt. Sie ist unerlässlich für die seelsorgliche Begleitung der Familien. Es wird vorgeschlagen, dass die Diözesanstelle für die Familien und die anderen Seelsorgebüros ihre Zusammenarbeit im Hinblick auf eine wirksamere pastorale Tätigkeit verstärken.

Familie und öffentliche Einrichtungen

90. (38) In gleicher Weise wurde die Notwendigkeit einer Evangelisierung unterstrichen, die offen die kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konditionierungen, wie den zügellosen Einfluss der Logik des Marktes anprangert, welche ein authentisches Familienleben verhindern und Diskriminierungen, Armut, Ausgrenzung und Gewalt hervorrufen. Deshalb muss ein Dialog und eine Zusammenarbeit mit den gesellschaftlichen Strukturen entwickelt werden, und es gilt, jene Laien zu ermutigen und zu unterstützen, die sich als Christen im kulturellen und gesellschaftlichen Bereich engagieren.

91. Davon ausgehend, dass die Familie «Grund und Lebenszelle der Gesellschaft » (AA, 11) ist, muss sie ihre Berufung zur Unterstützung des sozialen Lebens in allen seinen Aspekten wiederentdecken. Es ist unerlässlich, dass die Familien durch Zusammenschlüsse Möglichkeiten finden, mit den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen zu interagieren, mit dem Ziel, eine gerechtere Gesellschaft aufzubauen.

Die Zusammenarbeit mit den öffentlichen Einrichtungen ist nicht in allen Kontexten leicht. Das Konzept von Familie, das viele dieser Einrichtungen haben, entspricht nicht dem christlichen oder ihrem natürlichen Sinn. Die Gläubigen kommen mit verschiedenen anthropologischen Modellen in Kontakt, welche häufig ihre Denkweise zutiefst beeinflussen und verändern.

Die Familienvereinigungen und die katholischen Bewegungen müssten mit der Absicht zusammenarbeiten, den sozialen und politischen Institutionen die wirklichen Fragestellungen der Familie vorzutragen und jene Praktiken anzuzeigen, welche ihre Stabilität gefährden.

Der sozialpolitische Einsatz zu Gunsten der Familie

92. Die Christen müssen sich in direkter Weise in den sozialpolitischen Kontext einbringen, sich aktiv an den Entscheidungsprozessen beteiligen und die Anliegen der Soziallehre der Kirche in den institutionellen Diskurs einbringen. Dieser Einsatz könnte die Entwicklung angemessener Programme begünstigen, um den Jugendlichen und den bedürftigen Familien zu helfen, die vor dem Risiko sozialer Isolierung oder Ausgrenzung stehen.

In den verschiedenen nationalen und internationalen Zusammenhängen ist es nützlich, die „Charta der Familienrechte“ in Erinnerung zu rufen und ihre Verbindung mit der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ zu unterstreichen.

Bedürftigkeit und das Risiko des Wuchers

93. Unter den Familien, die auf Grund von Arbeitslosigkeit oder des unsicheren Arbeitsmarktes, der hohen Kinderzahl oder des Mangels an sozialer und medizinischer Assistenz in wirtschaftlicher Armut leben, kommt es nicht selten vor, dass einige, weil sie keinen Zugang zu Krediten haben, Opfer von Wucher werden. Diesbezüglich wird vorgeschlagen, wirtschaftliche Strukturen zur entsprechenden Unterstützung zu schaffen, um diesen Familien zu helfen.

Die Brautleute auf dem Weg der Vorbereitung zur Ehe führen

94.  (39) Die komplexe gesellschaftliche Wirklichkeit und die Herausforderungen, mit denen sich die Familien auseinandersetzen müssen, erfordern einen größeren Einsatz der ganzen christlichen Gemeinde im Hinblick auf die Vorbereitung der Brautleute auf die Ehe. Dazu ist es notwendig, an die Bedeutung der Tugenden zu erinnern. Unter ihnen erweist sich die Keuschheit als wertvolle Voraussetzung für ein echtes Wachstum der zwischenmenschlichen Liebe. Bezüglich dieses Erfordernisses stimmen die Synodenväter darin überein, die Notwendigkeit des Einbezuges der ganzen Gemeinde hervorzuheben und das Zeugnis der Familien selbst zu begünstigen. Ferner sollte die Ehevorbereitung auf dem Weg der christlichen Initiation verankert werden, indem die Verbindung zwischen Ehe und Taufe und den anderen Sakramenten betont wird. Zugleich wurde die Notwendigkeit besonderer Kurse zur unmittelbaren Vorbereitung der Eheschließung betont, die eine wirkliche Erfahrung der Teilnahme am kirchlichen Leben sein sollen und die unterschiedlichen Aspekte des Familienlebens vertiefen.

95.  Es wird eine Ausweitung der Themen in den Angeboten der Ehevorbereitung gewünscht, damit diese zu Wegen der Erziehung zum Glauben und zur Liebe werden. Sie müssten den Charakter eines Weges zur Berufungsentscheidung des Einzelnen und des Paares erhalten. Zu diesem Ziel ist es geboten, Synergien zwischen den verschiedenen Bereichen der Seelsorge – Jugend, Familie, Katechese, Bewegungen und Vereinigungen – zu schaffen, die in der Lage sind, diesen Weg der Erziehung kirchlicher werden zu lassen.

Von verschiedenen Seiten wird die Notwendigkeit betont, die Familienpastoral im Rahmen einer Gesamtpastoral zu erneuern, die in der Lage ist, alle Phasen des Lebens mit einer umfassenden Bildung zu umgreifen, welche die Erfahrung und den Wert des Zeugnisses umfasst. Die Ehevorbereitungskurse sollen auch durch verheiratete Paare angeboten werden, die in der Lage sind, die Brautleute vor der Hochzeit und in den ersten Ehejahren zu begleiten und auf diese Weise die Dienstbereitschaft der Ehe unterstreichen.

Die ersten Jahre des Ehelebens begleiten

96. (40) Die ersten Jahre der Ehe sind ein wesentlicher und heikler Zeitabschnitt, während dessen die Paare im Bewusstsein der Herausforderung und der Bedeutung der Ehe wachsen. Hieraus ergibt sich das Erfordernis einer pastoralen Begleitung, die nach der Feier des Sakramentes fortgesetzt wird (vgl. FC, III. Teil). Bei dieser Pastoral ist die Anwesenheit erfahrener Ehepaare von großer Bedeutung. Die Pfarrei wird als der Ort verstanden, an dem erfahrene Paare jüngeren zur Verfügung stehen können, möglicherweise unter Mithilfe von Vereinigungen, kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften. Brautleute sollen zu der grundlegenden Haltung ermutigt werden, Kinder als ein großes Geschenk anzunehmen. Dabei gilt es, die Bedeutung der Spiritualität der Familie, des Gebetes und der Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistie zu unterstreichen. Die Paare sollen ermutigt werden, sich regelmäßig zu treffen, um das Wachstum des geistlichen Lebens sowie die Solidarität in den konkreten Herausforderungen des Lebens zu fördern. Die Liturgie, Übungen der Frömmigkeit und die Eucharistie für die Familien, vor allem am Hochzeitstag, wurden als wichtig zur Förderung der Evangelisierung durch die Familien erwähnt.

97. Nicht selten kommt es in den ersten Ehejahren zu einer gewissen Selbstbezüglichkeit des Paares, die eine Isolierung vom sozialen Kontext mit sich bringt. Aus diesem Grund soll die Gemeinschaft die jungen Eheleute ihre Nähe spüren lassen. Es herrscht die einstimmige Überzeugung, dass das Teilen der Erfahrungen des Ehelebens den neuen Familien dabei hilft, ein stärkeres Bewusstsein für die Schönheit und die Herausforderungen der Ehe reifen zu lassen. Die Festigung eines Beziehungsnetzes zwischen den Paaren und die Schaffung echter Bindungen ist notwendig, um die familiäre Dimension zum Reifen zu bringen. Da es häufig die Bewegungen und kirchlichen Gruppen sind, welche solche Möglichkeiten des Wachstums und der Bildung anbieten und gewährleisten, wird gewünscht, dass man vor allem auf Ebene der Diözese die Anstrengungen vervielfacht, die auf eine beständigen Begleitung der jungen Eheleute ausgerichtet sind.

 

III. Kapitel

Familie und kirchliche Begleitung

Seelsorge für jene, die in einer Zivilehe oder ohne Trauschein zusammenleben

98. (41) Während die Synode weiterhin die christliche Ehe verkündet und fördert, ermutigt sie zugleich zu einer pastoralen Unterscheidung der Situationen vieler Menschen, die diese Wirklichkeit nicht mehr leben. Es ist wichtig, in einen pastoralen Dialog mit diesen Menschen zu treten, um jene Elemente in ihrem Leben hervorzuheben, die zu einer größeren Offenheit gegenüber dem Evangelium der Ehe in seiner Fülle führen können. Die Hirten müssen jene Elemente erkennen, welche die Evangelisierung und das menschliche und geistliche Wachstum fördern können. Eine neue Sensibilität der heutigen Pastoral besteht darin, jene positiven Elemente zu erfassen, die in Zivilehen und – bei gebührender Unterscheidung – im Zusammenleben ohne Trauschein vorhanden sind. Es ist angebracht, dass wir im Angebot der Kirche, das mit Klarheit die christliche Botschaft verkündet, auch auf die konstitutiven Elemente in jenen Situationen hinweisen, die ihr noch nicht oder nicht mehr entsprechen.

99. Als treue und unauflösliche Einheit zwischen einem Mann und einer Frau, die berufen sind, sich gegenseitig und das Leben anzunehmen, ist das Sakrament der Ehe eine große Gnade für die Menschheitsfamilie. Die Kirche hat die Pflicht und die Sendung, diese Gnade jedem Menschen und in jedem Kontext zu verkünden. Sie muss auch in der Lage sein, jene, die in einer Zivilehe oder ohne Trauschein zusammenleben, bei der schrittweisen Entdeckung der Samen des Wortes zu begleiten, die darin verborgen sind, um sie bis hin zur Fülle der sakramentalen Einheit zu erschließen.

Auf dem Weg zum Ehesakrament

100. (42) Es wurde darauf hingewiesen, dass in vielen Ländern eine «steigende Zahl von Paaren ad experimentum zusammenleben, ohne kirchliche oder zivile Trauung» (IL, 81). In einigen Ländern geschieht dies vor allem in traditionellen Ehen, die unter Familien vereinbart und oft in verschiedenen Stufen geschlossen werden. In anderen Ländern wächst hingegen die Zahl derer, die nach einem langen Zusammenleben um die Feier der kirchlichen Trauung bitten. Das einfache Zusammenleben wird oft auf Grund der allgemeinen Mentalität gewählt, die sich gegen Institutionen und endgültige Verpflichtungen wendet, aber auch in Erwartung einer existentiellen Sicherheit (Arbeit und festes Einkommen). Schließlich sind die faktischen Verbindungen in anderen Ländern sehr zahlreich, nicht nur, weil die Werte der Familie und der Ehe zurückgewiesen werden, sondern vor allem, weil dort die Heirat aus gesellschaftlichen Gründen als Luxus betrachtet wird, so dass die materielle Not die Menschen zu solchen faktischen Verbindungen drängt.

101.  (43) All diese Situationen müssen in konstruktiver Weise angegangen werden, indem versucht wird, sie in Gelegenheiten für einen Weg hin zur Fülle der Ehe und der Familie im Licht des Evangeliums zu verwandeln. Es geht darum, sie mit Geduld und Feingefühl anzunehmen und zu begleiten. Dabei ist das attraktive Zeugnis authentischer christlicher Familien als Subjekt der Evangelisierung der Familie wichtig.

102. Die Entscheidung für die Zivilehe, oder, in anderen Fällen, für das einfache Zusammenleben, hat häufig ihren Grund nicht in Vorurteilen oder Widerständen gegen die sakramentale Verbindung, sondern in kulturellen oder zufälligen Gegebenheiten. In vielen Fällen ist die Entscheidung, Zusammenzuleben Zeichen für eine Beziehung, die strukturiert werden und sich auf eine Perspektive der Fülle hin öffnen will. Dieser Wille, der sich in ein dauerhaftes, verlässliches und für das Leben offenes Band übersetzt, kann als eine Voraussetzung verstanden werden, die in einen Weg des Wachstums, der für die sakramentale Ehe offen ist, veredelt werden: sie ist ein erreichbares Gut und muss als Geschenk verkündet werden, welches das Ehe- und Familienleben bereichert und stärkt, und nicht als schwer zu verwirklichen Ideal.

103. Um dieser pastoraler Notwendigkeit zu begegnen, soll sich die christliche Gemeinschaft, vor allem diejenige vor Ort, darum bemühen, den Stil des Empfangens, der ihr eigen ist, zu stärken. Durch die pastorale Dynamik persönlicher Beziehungen ist es möglich, eine gesunde Pädagogik konkret werden zu lassen, welche, von der Gnade und vom Respekt belebt, die schrittweise Öffnung des Verstandes und des Herzens auf die Fülle des Planes Gottes hin fördert. Die christliche Familie, die mit dem Leben die Wahrheit des Evangeliums bezeugt, spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

Die verwundeten Familien heilen (Getrenntlebende, nicht wiederverheiratete Geschiedene, wiederverheiratete Geschiedene, Alleinerziehende)

104. (44) Wenn die Eheleute in ihren Beziehungen Schwierigkeiten begegnen, müssen sie auf die Hilfe und Begleitung der Kirche zählen können. Die Pastoral der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit sind darauf ausgerichtet, Menschen wieder aufzurichten und Beziehungen wiederherzustellen. Die Erfahrung zeigt, dass ein großer Prozentsatz der Ehekrisen durch eine angemessene Hilfe und die versöhnende Kraft der Gnade in zufriedenstellender Weise überwunden werden. Vergeben können und Vergebung erfahren ist eine grundlegende Erfahrung des Familienlebens. Die gegenseitige Vergebung der Eheleute erlaubt es, eine Liebe zu erfahren, die für immer ist und nie vergeht (vgl. 1 Kor 13,8). Manchmal fällt es aber dem, der die Vergebung Gottes empfangen hat, schwer, selbst die Kraft zu einer aufrichtigen Vergebung aufzubringen, die den Menschen erneuert.

Die Vergebung in der Familie

105. Aus verschiedenen Gründen ist die Notwendigkeit der Versöhnung im Bereich der familiären Beziehungen eine alltägliche Notwendigkeit. Das den Beziehungen zu den Herkunftsfamilien geschuldete Unverständnis; der Konflikt zwischen verschiedenen verwurzelten Gewohnheiten; unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Erziehung der Kinder; die Unruhe auf Grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten; die Spannung, die durch den Verlust des Arbeitsplatzes entsteht: dies sind einige der Gründe, die gewöhnlich Konflikte hervorrufen. Um sie überwinden zu können, bedarf es der ständigen Bereitschaft, die Gründe des Anderen zu verstehen und sich gegenseitig zu vergeben. Die mühevolle Kunst der Wiederaufrichtung der Beziehung erfordert nicht nur die Unterstützung der Gnade, sondern auch die Bereitschaft, Hilfe von außen zu erbitten. In dieser Hinsicht muss die christliche Gemeinschaft sich als wirklich bereit erweisen.

In den schmerzlichsten Fällen, wie dem der ehelichen Untreue, ist ein wirkliches und eigentliches Wiederaufbauwerk erforderlich, zu dem man bereit sein muss. Ein gebrochener Bund kann wieder neu begründet werden: zu dieser Hoffnung hin muss man sich von der Ehevorbereitung an erziehen.

Im Hinblick auf die Sorge um die verwundeten Menschen und Familien muss an die Bedeutung des Wirkens des Heiligen Geistes und die Notwendigkeit geistlicher, von erfahrenen Seelsorgern begleiteter Wege erinnert werden. Es ist nämlich wahr, dass der Geist «der von der Kirche „Licht der Herzen“ genannt wird, „die Tiefe der menschlichen Herzen“ durchdringt und erfüllt. Durch eine solche Bekehrung im Heiligen Geist öffnet sich der Mensch dem Verzeihen» (DeV, 45).

»Der große Fluss der Barmherzigkeit«

106. (45) Auf der Synode wurde die Notwendigkeit mutiger pastoraler Entscheidungen deutlich. Die Synodenväter haben nachdrücklich die Treue zum Evangelium der Familie bekräftigt und anerkannt, dass Trennung und Scheidung stets eine Verwundung darstellen, welche den betroffenen Paaren und den Kindern tiefes Leid zufügt. So sehen die Synodenväter die Dringlichkeit neuer pastoraler Wege, die von der tatsächlichen Realität der Zerbrechlichkeit der Familie ausgehen, im Wissen darum, dass Trennung und Scheidung oft eher mit Schmerz „erlitten“, als aus freien Stücken gewählt werden. Es handelt sich um unterschiedliche Situationen sowohl auf Grund persönlicher als auch kultureller und sozioökonomischer Faktoren. Das verlangt einen differenzierten Blick, wie es der hl. Johannes Paul II empfohlen hat (vgl. FC, 84).

107. Sich der verwundeten Familien annehmen und sie die unendliche Barmherzigkeit Gottes erfahren lassen, wird von allen als grundlegendes Prinzip anerkannt. Die Haltung gegenüber den betroffenen Personen ist jedoch differenziert. Auf der einen Seite gibt es die, die es für notwendig halten, diejenigen, die in nichtehelichen Gemeinschaften leben, zu ermutigen, den Weg der Umkehr einzuschlagen. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die diese Menschen unterstützen, indem sie sie einladen, nach vorne zu schauen, aus dem Gefängnis der Wut, der Enttäuschung, des Schmerzes und der Einsamkeit auszubrechen, um sich wieder auf den Weg zu machen. Sicherlich, so sagen andere, erfordert diese Kunst der Begleitung eine umsichtige und barmherzige Unterscheidung, sowie die Fähigkeit, im Konkreten die Verschiedenheit der einzelnen Situationen wahrzunehmen.

108. Es darf nicht vergessen werden, dass die Erfahrung des Scheiterns in der Ehe immer eine Niederlage für alle ist. Daher hat jeder, nachdem er sich seiner eigenen Verantwortung bewusst geworden ist, das Bedürfnis, Vertrauen und Hoffnung wieder zu finden. Alle müssen Barmherzigkeit geben und erhalten. In jedem Fall muss Gerechtigkeit gegenüber allen Beteiligten am Scheitern der Ehe (Eheleute und Kinder) hergestellt werden.

Die Kirche hat die Pflicht, die getrennten Eheleute zu bitten, sich mit Respekt und Barmherzigkeit zu behandeln, vor allem um des Wohles der Kinder willen, die nicht weiterem Leid ausgesetzt werden sollen. Einige halten es für erforderlich, dass auch die Kirche eine ähnliche Haltung denen gegenüber einnimmt, die den Bund gebrochen haben. «Aus dem Herzen der Dreifaltigkeit, aus dem tiefsten Inneren des göttlichen Geheimnisses entspringt und quillt ununterbrochen der große Strom der Barmherzigkeit. Diese Quelle kann niemals versiegen, seien es auch noch so viele, die zu ihr kommen. Wann immer jemand das Bedürfnis verspürt, kann er sich ihr nähern, denn die Barmherzigkeit Gottes ist ohne Ende» (MV, 25).

Die Kunst der Begleitung

109. (46) Jede Familie muss vor allem mit Respekt und Liebe angehört werden, indem man sich zum Weggefährten macht, wie Christus mit den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus. Für diese Situationen gelten in besonderer Weise die Worte von Papst Franziskus: «Die Kirche wird ihre Glieder – Priester, Ordensleute und Laien – in diese „Kunst der Begleitung” einführen müssen, damit alle stets lernen, vor dem heiligen Boden des anderen sich die Sandalen von den Füßen zu streifen (vgl. Ex3,5). Wir müssen unserem Wandel den heilsamen Rhythmus der Zuwendung geben, mit einem achtungsvollen Blick voll des Mitleids, der aber zugleich heilt, befreit und zum Reifen im christlichen Leben ermuntert.» (EG, 169).

110. Viele haben die Bezugnahme der Synodenväter auf das Bild Jesu, der sich mit den Jüngern auf den Weg nach Emmaus macht, geschätzt. Als Weggefährte den Familien nahe sein bedeutet für die Kirche, eine weise und differenzierte Haltung einzunehmen. Manchmal ist es gut, da zu sein und schweigend zuzuhören; ein andermal, vorauszugehen und den Weg zu zeigen, den es zu gehen gilt; wieder ein anderes Mal, zurückzubleiben, um zu unterstützen und zu ermutigen. In einer affektiven Teilnahme macht sich die Kirche die Freuden und die Hoffnungen, die Schmerzen und die Ängste jeder Familie zu Eigen.

111. Es wird darauf hingewiesen, dass in diesem Bereich der Familienpastoral die größte Unterstützung von Seiten der Bewegungen und der kirchlichen Vereinigungen angeboten wird, innerhalb derer die Gemeinschaftsdimension stärker unterstrichen und gelebt wird. Gleichzeitig ist es wichtig, auch die Priester für diesen Dienst der Tröstung und der Heilung besonders vorzubereiten. Von verschiedenen Seiten kommt die Einladung, spezialisierte Zentren einzurichten, in denen Priester und/oder Ordensleute lernen können, sich der Familien, besonders der verletzten, anzunehmen und sich darum zu bemühen, ihren Weg in der christlichen Gemeinschaft, welche nicht immer darauf vorbereitet ist, diese Aufgabe in entsprechender Weise zu unterstützen, zu begleiten.

Die Getrennten und die Geschiedenen, die dem Bund treu bleiben

112. (47) Ein besonderes Urteilvermögen ist unerlässlich, um die Getrenntlebenden, die Geschiedenen und die Verlassenen pastoral zu begleiten. Vor allem muss das Leid derer angenommen und geachtet werden, die ungerechter Weise Trennung oder Scheidung erlitten haben, die verlassen wurden oder wegen Misshandlungen des Ehepartners gezwungen waren, das Zusammenleben aufzugeben. Die Vergebung des erlittenen Unrechts ist nicht einfach, sie ist aber ein Weg, den die Gnade möglich macht. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Pastoral der Versöhnung und der Mediation, auch durch besondere Beratungsstellen, die in den Diözesen einzurichten sind. In gleicher Weise muss stets betont werden, dass es unerlässlich ist, sich in aufrichtiger und konstruktiver Weise um die Folgen der Trennung oder der Scheidung für die Kinder zu kümmern, die in jedem Fall unschuldige Opfer der Situation sind. Sie dürfen nicht zum „Streitobjekt“ werden; stattdessen gilt es, die besten Wege zu finden, damit sie das Trauma der familiären Spaltung überwinden und möglichst unbeschwert aufwachsen können. In jedem Fall wird die Kirche immer das Unrecht hervorheben müssen, das sehr oft aus der Situation der Scheidung entsteht. Eine besondere Aufmerksamkeit gilt der Begleitung der Alleinerziehenden. Vor allem müssen Frauen unterstützt werden, die allein die Verantwortung für den Haushalt und die Kindererziehung zu tragen haben.

Gott verlässt uns nie

113. Von verschiedenen Seiten wird darauf hingewiesen, dass die barmherzige Haltung gegenüber denen, deren eheliche Beziehung zerbrochen ist, es erfordert, die verschiedenen subjektiven und objektiven Aspekte, welche die Trennung herbeigeführt haben, zu beachten. Viele Stimmen heben hervor, dass das Drama der Trennung oft am Ende einer langen Zeit von Konflikten steht, welche, im Fall, dass Kinder da sind, noch größeres Leiden hervorgerufen haben. Hinzu kommt die zusätzliche Prüfung der Einsamkeit, in der sich derjenige Ehepartner wiederfindet, der verlassen wurde, oder der die Kraft hatte, ein Zusammenleben zu unterbrechen, das vom Erleiden beständiger und schwerer Misshandlungen gekennzeichnet war. Es handelt sich um Situationen, bezüglich derer von Seiten der christlichen Gemeinschaft eine besondere Sorge erwartet wird, besonders im Hinblick auf die Alleinerziehenden, bei denen zuweilen auf Grund einer unsicheren Arbeitssituation, der Schwierigkeit, die Kinder zu unterhalten, oder des Fehlens einer Wohnung, wirtschaftliche Probleme entstehen.

Der Situation derer, die keine neue Beziehung eingehen, sondern dem Bund treu bleiben, gebührt alle Wertschätzung und Unterstützung von Seiten der Kirche, welche die Pflicht hat, ihnen das Angesicht Gottes zu zeigen, der uns niemals verlässt und immer in der Lage ist, Kraft und Hoffnung zu schenken.

Die Beschleunigung der Prozesse und die Bedeutung des Glaubens in den Nichtigkeitsverfahren

114.  (48) Eine große Zahl der Synodenväter hat die Notwendigkeit unterstrichen, die Verfahren zur Anerkennung der Nichtigkeit einer Ehe zugänglicher und schneller zu gestalten, und möglicherweise ganz auf Gebühren zu verzichten. Dazu werden u.a. folgende Vorschläge gemacht: Die Notwendigkeit zweier gleichlautender Urteile aufzugeben; die Möglichkeit, einen Verwaltungsweg unter Verantwortung des Diözesanbischofs festzulegen; ein verkürztes Verfahren, das bei Fällen offenkundiger Nichtigkeit anzuwenden wäre. Einige Synodenväter haben sich dennoch gegen diese Vorschläge ausgesprochen, weil sie kein verlässliches Urteil garantieren würden. Es muss betont werden, dass es in all diesen Fällen darum geht, die Wahrheit über die Gültigkeit des Ehebandes zu ermitteln. Anderen Vorschlägen zufolge sollte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, mit Blick auf die Gültigkeit des Ehesakramentes der Rolle des Glaubens der Brautleute Gewicht zu verleihen, ohne dadurch infrage zu stellen, dass unter Getauften alle gültigen Ehen Sakrament sind.

115.  Hinsichtlich der Angemessenheit, die Prozesse zur Feststellung der Ehenichtigkeit zugänglicher, schneller und möglichst kostenfrei zu machen, ist ein breiter Konsens festzustellen.

Bezüglich der Frage nach den Kosten schlagen einige vor, in den Diözesen einen festen Dienst kostenloser Beratung einzurichten. Was die Notwendigkeit zweier gleichlautender Urteile angeht, geht die Mehrheitsmeinung dahin, sie zu überwinden, wobei die Möglichkeit des Appells von Seiten des Bandverteidigers oder einer der Parteien bestehen bleiben soll. Auf der anderen Seite aber findet die Möglichkeit eines Vorgehens auf dem Verwaltungsweg unter der Verantwortung des Diözesanbischofs keine einhellige Zustimmung, denn einige heben problematische Aspekte hervor. Demgegenüber trifft die Möglichkeit eines summarischen Prozesses in Fällen eindeutiger Nichtigkeit auf breite Zustimmung.

Bezüglich der Bedeutung des Glaubens der Brautleute für die Gültigkeit des Konsenses gibt es Einigkeit bezüglich der Wichtigkeit der Frage und verschiedene Vorschläge zu deren Vertiefung.

Die Vorbereitung der Mitarbeiter und die Stärkung der Gerichte

116.  (49) Mit Blick auf eine von vielen geforderte Straffung des Eheprozesses muss neben der Ausbildung ausreichender Mitarbeiter – Kleriker und Laien –, die sich dieser Aufgabe vorrangig widmen, die Verantwortung des Diözesanbischofs betont werden. Er könnte in seiner Diözese entsprechend vorbereitete Berater beauftragen, welche die Parteien über die Gültigkeit ihrer Ehe unentgeltlich beraten. Diese Aufgabe könnten ein Amt oder qualifizierte Personen übernehmen (vgl. DC, Art. 113, 1).

117.  Es wird der Vorschlag gemacht, dass in jeder Diözese kostenlose Dienste der Information, der Beratung und der Schlichtung gewährleistet werden, die mit der Familienpastoral verbunden sind und vor allem getrennt lebenden oder Paaren in der Krise zur Verfügung stehen. Ein auf diese Weise qualifizierter Dienst würde den Menschen dabei helfen, den Gerichtsweg zu beschreiten, der in der Geschichte der Kirche der angesehenste Weg der Unterscheidung ist, wenn es um die Feststellung der wirklichen Gültigkeit der Ehe geht. Weiterhin wird von verschiedenen Seiten darum gebeten, die kirchlichen Gerichte zu stärken und besser zu verteilen sowie sie mit qualifiziertem und kompetentem Personal auszustatten.

Gemeinsame pastorale Linien

118.  (50) Nicht wiederverheiratete Geschiedene, die oft Zeugen der ehelichen Treue sind, werden ermutigt, in der Eucharistie die Nahrung zu finden, die sie in ihrer Lebensform stärkt. Die Gemeinde vor Ort und die Hirten müssen diese Menschen fürsorglich begleiten, vor allem wenn Kinder vorhanden sind, oder sie unter schwerer Armut leiden.

119. Nach Meinung einiger muss die Aufmerksamkeit für die konkreten Fälle mit der Notwendigkeit der Förderung gemeinsamer pastoraler Linien verbunden werden. Ihr Fehlen trägt dazu bei, Konfusion und Spaltung zu vergrößern und erzeugt ein brennendes Leiden bei denen, die das Scheitern ihrer Ehe erleben und die sich mitunter ungerecht verurteilt fühlen. So wird z.B. festgestellt, dass einige getrennt lebende Gläubige, die nicht in einer neuen Verbindung leben, die Trennung selbst als sündhaft empfinden und sich des Sakramentenempfangs enthalten. Daneben gibt es Fälle von zivil wiederverheiratet Geschiedenen, die aus unterschiedlichen Gründen enthaltsam leben und nicht wissen, dass sie an einem Ort, an dem ihre Situation nicht bekannt ist, zu den Sakramenten gehen können. Sodann gibt es die Situation von irregulären Verbindungen, in denen die Beteiligten sich im internen Forum (der Beichte) für den Weg der Enthaltsamkeit entschieden haben, und daher zu den Sakramenten gehen können, wobei sie vermeiden sollen, Anstoß zu erregen. Es handelt sich um Beispiele die bestätigen, dass es von Seiten der Kirche notwendig ist, klare Vorgaben zu bieten, damit ihre Kinder, die sich in besonderen Situationen befinden, sich nicht diskriminiert fühlen.

Die Integration der zivil wiederverheiratet Geschiedenen in die christliche Gemeinschaft

120.  (51) Auch die Lebenssituationen der wiederverheirateten Geschiedenen verlangen eine aufmerksame Unterscheidung und von großem Respekt gekennzeichnete Begleitung, die jede Ausdrucksweise und Haltung vermeidet, die sie als diskriminierend empfinden könnten. Stattdessen sollte ihre Teilnahme am Leben der Gemeinschaft gefördert werden. Diese Fürsorge bedeutet für das Leben der christlichen Gemeinschaft keine Schwächung ihres Glaubens und ihres Zeugnisses im Hinblick auf die Unauflöslichkeit der Ehe. Im Gegenteil, sie bringt gerade in dieser Fürsorge ihre Nächstenliebe zum Ausdruck.

121.  Von verschiedenen Seiten wird gefordert, dass die Aufmerksamkeit und Begleitung im Hinblick auf die zivil wiederverheiratet Geschiedenen auf deren immer bessere Integration in das Leben der christlichen Gemeinschaft ausgerichtet sein soll, wobei die Unterschiedlichkeit ihrer Ausgangssituationen zu berücksichtigen ist. Ohne an den Vorschlägen in Familiaris Consortio 84 etwas ändern zu wollen, müssen die bisher praktizierten Formen des Ausschluss im liturgisch-pastoralen, im erzieherischen und im karitativen Bereich überdacht werden. Insofern, als sich diese Gläubigen nicht außerhalb der Kirche befinden, wird vorgeschlagen, über die Angemessenheit dieser Ausschlüsse nachzudenken. Immer in der Absicht, ihre bessere Integration in die christliche Gemeinschaft zu fördern, geht es darüber hinaus darum, vor dem Hintergrund der Unersetzbarkeit der erzieherischen Rolle der Eltern im Sinne des vorrangigen Interesse des Minderjährigen, ihren Kindern besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Es ist gut, wenn diesen Wegen der pastoralen Integration der zivil wiederverheiratet Geschiedenen eine entsprechende Unterscheidung der Hirten hinsichtlich der Unumkehrbarkeit der Situation und des Glaubensleben des Paares in der neuen Verbindung vorausgeht, und sie von einer Sensibilisierung der christlichen Gemeinschaft im Hinblick auf die Aufnahme der Betroffenen begleitet werden. Sie sollen sich entsprechend dem Gesetz der Gradualität vollziehen (vgl. FC, 34), und die Reifung der Gewissen respektieren.

Der Bußweg

122.  (52) Es wurde über die Möglichkeit nachgedacht, wiederverheiratete Geschiedene zum Sakrament der Buße und der Eucharistie zuzulassen. Mehrere Synodenväter haben auf Grund der konstitutiven Beziehung zwischen der Teilnahme an der Eucharistie und der Gemeinschaft mit der Kirche und ihrer Lehre über die Unauflöslichkeit der Ehe auf der derzeitigen Regelung bestanden. Andere haben sich für eine nicht zu verallgemeinernde Zulassung an den Tisch der Eucharistie ausgesprochen – und zwar in einigen besonderen Situationen und unter genau festgelegten Voraussetzungen, vor allem wenn es sich um unumkehrbare Fälle handelt, die mit moralischen Verpflichtungen gegenüber den Kindern einhergehen, die ungerechtem Leid ausgesetzt würden. Einem möglichen Zugang zu den Sakramenten müsste unter der Verantwortung des Diözesanbischofs ein Weg der Buße vorausgehen. Diese Frage gilt es aber noch zu vertiefen, wobei die Unterscheidung zwischen einem objektiven Zustand der Sünde und mildernden Umständen genau zu bedenken ist, da «die Anrechenbarkeit einer Tat und die Verantwortung für sie […] durch […] psychische oder gesellschaftliche Faktoren gemindert, ja sogar aufgehoben sein» könnte (KKK, 1735).

123.  Um das angesprochene Thema angehen zu können, gibt es im Hinblick auf die zivil wiederverheirateten Geschiedenen, welche unwiderruflich in einer neuen Partnerschaft leben, bezüglich der Idee eines Prozesses der Versöhnung oder eines Bußweges unter der Autorität des Bischofs eine gewisse Übereinstimmung. Unter Bezugnahme auf Familiaris Consortio 84 wird ein Prozess der Bewusstwerdung bezüglich des Scheiterns und der Wunden, die es hervorgerufen hat vorgeschlagen. Dieser Prozess umfasst die Reue, die Überprüfung der möglichen Ungültigkeit der Ehe, die Verpflichtung zur geistlichen Kommunion und die Entscheidung, enthaltsam zu leben.

Andere verstehen unter einem Bußweg einen von einem dazu beauftragten Priester begleiteten Prozess der Klärung und der Neuausrichtung nach dem erlebten Scheitern. Dieser Prozess sollte die Betroffenen zu einem ehrlichen Urteil über die eigene Situation führen. Dabei kann auch der Priester selbst seine Einschätzung reifen lassen, um situationsgerecht die Vollmacht zum Binden und zum Lösen zu gebrauchen.

Einige schlagen vor, zur Vertiefung im Hinblick auf die objektive Situation der Sünde und die moralische Zurechenbarkeit zwei Dokumente zu beachten: das Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre an die Bischöfe der Katholischen Kirche über den Kommunionempfang von wiederverheirateten Geschiedenen Gläubigen (14. September 1994) und die Erklärung über die Möglichkeit der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte (24. Juni 2000).

Die geistliche Teilnahme an der kirchlichen Gemeinschaft

124.  (53) Einige Synodenväter waren der Ansicht, dass wiederverheiratete oder mit einem Partner zusammenlebende Geschiedene in fruchtbarer Weise an der geistlichen Kommunion teilhaben können. Andere Synodenväter stellten daraufhin die Frage, warum sie dann keinen Zugang zur sakramentalen Kommunion erhalten könnten. Es wird also eine Vertiefung dieser Thematik gefordert, um so die Eigenart der beiden Formen und ihre Verbindung zur Ehetheologie herauszuarbeiten.

125.  Der mit der Taufe begonnene kirchliche Weg der Einverleibung in Christus ereignet sich auch für die geschiedenen Gläubigen, die zivil wiederverheiratet sind, schrittweise und vermittels einer ständigen Bekehrung. In diesem Prozess gibt es verschiedene Möglichkeiten, mittels derer sie eingeladen sind, ihr Leben dem Herrn Jesus gleich zu gestalten, der sie mit seiner Gnade in der Gemeinschaft der Kirche bewahrt. Wie von Familiaris Consortio 84 vorgeschlagen, werden unter diesen Formen der Teilhabe das Hören auf das Wort Gottes, die Teilnahme an der Eucharistiefeier, die Beständigkeit im Gebet, die Werke der Nächstenliebe, die gemeinschaftlichen Aktivitäten im Bereich der Gerechtigkeit, die Glaubenserziehung der Kinder und der Geist der Buße empfohlen. All dies wird vom Gebet und vom einladenden Zeugnis der Kirche unterstützt. Frucht dieser Teilnahme ist die Gemeinschaft des Gläubigen mit der ganzen Gemeinschaft als Ausdruck der wirklichen Einverleibung in den Leib Christi. Was die geistliche Kommunion angeht, muss darauf hingewiesen werden, dass sie die Umkehr und den Stand der Gnade voraussetzt und mit der sakramentalen Kommunion in Zusammenhang steht.

Mischehen und interreligiöse Ehen

126. (54) Die Probleme bezüglich der Mischehen kamen in den Beiträgen der Synodenväter immer wieder zur Sprache. Die Verschiedenheit des Eherechts der orthodoxen Kirche führt in einige Zusammenhängen zu Problemen, über die in der Ökumene nachgedacht werden muss. Analog wird für interreligiöse Ehen der Beitrag des interreligiösen Dialogs bedeutsam.

127.   Die Mischehen und die interreligiösen Ehen bringen verschiedene kritische Aspekte mit sich, die nicht einfach gelöst werden können. Dies gilt nicht so sehr für die normative als vielmehr für die pastorale Ebene. Zum Beispiel sei auf die Problematik der religiösen Kindererziehung hingewiesen; die Teilnahme des Ehepartners am liturgischen Leben, wenn es sich um eine Mischehe mit einem in einer anderen christlichen Konfession getauften Partner handelt; das Teilen geistlicher Erfahrungen mit einem Partner, der einer anderen Religion angehört oder ungläubig und auf der Suche ist. Es wäre daher angemessen, einen Kodex guten Verhaltens zu erarbeiten, damit nicht ein Ehepartner zum Hindernis auf dem Glaubensweg des anderen wird. Mit dem Ziel, die Verschiedenheit hinsichtlich des Glaubens konstruktiv anzugehen, ist es daher erforderlich, den Menschen, die sich in solchen Ehen verbinden, besondere Aufmerksamkeit zu schenken – nicht nur in der Zeit vor der Eheschließung.

128.  Einige schlagen vor, dass die Mischehen als Fälle „schwerer Not“ zu betrachten sind, in denen es möglich ist, außerhalb der vollen Gemeinschaft mit der Katholischen Kirche, in Gemeinschaften, welche mit ihr den Glauben an die Eucharistie teilen, Getauften, bei Ermangelung eigener Hirten zum Empfang dieses Sakramentes zuzulassen (vgl. EdE,45-46; Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus, 25.März 1993,122-128), wobei die eigenen Kriterien der kirchlichen Gemeinschaft zu beachten sind, zu der sie gehören.

Die Besonderheit der orthodoxen Tradition

129.   Einige nehmen Bezug auf die abweichende Ehepraxis der orthodoxen Kirchen. Dabei ist aber die unterschiedliche theologische Vorstellung im Hinblick auf die Ehe zu berücksichtigen. In der Orthodoxie gibt es die Tendenz, die Segnung einer zweiten Ehe auf das Konzept der „Ökonomie“ (oikonomia) zurückzuführen, welche als pastorales Zugeständnis gegenüber den gescheiterten Ehen verstanden wird, ohne dabei das Ideal der uneingeschränkten Monogamie oder die Einheit der Ehe zur Diskussion zu stellen. Diese Segnung ist eigentlich eine Bußfeier, um die Gnade des Heiligen Geistes anzurufen, damit er die menschliche Schwäche heile und die Büßer in die Gemeinschaft der Kirche zurückführe.

Die pastorale Aufmerksamkeit gegenüber Personen mit homosexueller Orientierung

130.  (55) Einige Familien machen die Erfahrung, dass in ihrer Mitte Menschen mit homosexueller Orientierung leben. Diesbezüglich hat man sich gefragt, welche pastorale Aufmerksamkeit in diesen Fällen angemessen ist, indem man sich auf das bezog, was die Kirche lehrt: «Es gibt keinerlei Fundament dafür, zwischen den homosexuellen Lebensgemeinschaften und dem Plan Gottes über Ehe und Familie Analogien herzustellen, auch nicht in einem weiteren Sinn. »Dennoch müssen Frauen und Männer mit homosexuellen Tendenzen mit Achtung und Feingefühl aufgenommen werden. «Man hüte sich, sie in irgend einer Weise ungerecht zurückzusetzen.» (Kongregation für die Glaubenslehre, Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen, 4).

131.  Es wird bekräftigt, dass jeder Mensch, unabhängig von der eigenen sexuellen Orientierung, in seiner Würde geachtet und sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft mit Sensibilität und Takt aufgenommen wird. Es wäre wünschenswert, wenn die diözesanen Pastoralpläne der Begleitung der Familien, in denen Menschen mit homosexuellen Tendenzen leben, und diesen Menschen selbst eine besondere Aufmerksamkeit schenken würden.

132.  (56) Es ist vollkommen unannehmbar, dass auf die Hirten der Kirche in dieser Frage Druck ausgeübt wird und dass die internationalen Organisationen Finanzhilfen gegenüber armen Ländern davon abhängig machen, dass sie in ihrer Gesetzgebung eine „Ehe“ unter Personen des gleichen Geschlechts einführen.

 

IV. Kapitel

Familie, Zeugung, Erziehung

 

Die Weitergabe des Lebens und die Herausforderung des Geburtenrückgangs

133. (57) Es ist nicht schwer, festzustellen, dass sich eine Mentalität ausbreitet, welche die Weitergabe des Lebens auf eine Variable in der Planung eines Einzelnen oder eines Paares verkürzt. Die wirtschaftlichen Faktoren üben manchmal ein entscheidendes Gewicht aus und tragen zum starken Geburtenrückgang bei, der das soziale Netzwerk schwächt, die Beziehungen unter den Generationen beeinträchtigt und den Blick in die Zukunft unsicher macht. Die Offenheit für das Leben ist ein Erfordernis, das der eheliche Liebe innewohnt. In diesem Licht unterstützt die Kirche die Familien, die behinderte Kinder aufnehmen, erziehen und mit ihrer Liebe umfangen.

134.  Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass weiterhin die Dokumente des Lehramtes der Kirche bekanntzumachen sind, welche angesichts einer immer verbreiteteren Kultur des Todes die Kultur des Lebens fördern. Die Wichtigkeit einiger Zentren, die Untersuchungen über die menschliche Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit anstellen, welche den Dialog zwischen katholischen Bioethikern und den Wissenschaftlern aus dem Bereich der biomedizinischen Technologie erleichtern, wird unterstrichen. Die Familienpastoral sollte die katholischen Spezialisten im Bereich der Biomedizin stärker in die Angebote zur Ehevorbereitung und bei der Begleitung der Ehepaare einbeziehen.

135.  Es ist dringend erforderlich, dass die in der Politik engagierten Christen im Hinblick auf die Förderung und Verteidigung des Lebens angemessene und verantwortliche Gesetzesvorhaben fördern. So, wie sich die Stimme der Kirche auf sozialpolitischer Ebene zu diesen Themen vernehmen lässt, ist es notwendig, dass die Anstrengungen vervielfacht werden, um in Übereinstimmung mit den internationalen Organismen und den politischen Entscheidungsträgern zu kommen, mit dem Ziel, den Respekt für das menschliche Leben von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende zu fördern, wobei den Familien mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist.

Die Verantwortung im Bereich der Zeugung

136. (58) Auch auf diesem Gebiet muss man davon ausgehen, was die Menschen sagen, und die Schönheit und Wahrheit einer vorbehaltlosen Offenheit gegenüber dem Leben als das darstellen und begründen, dessen die menschliche Liebe bedarf, um in ihrer Fülle gelebt zu werden. Auf diese Grundlage kann sich eine angemessene Lehre über die natürlichen Methoden für eine verantwortliche Fortpflanzung stützen. Sie verhilft dazu, die Gemeinschaft unter den Ehepartnern in all ihren Dimensionen und mit generativen Verantwortung harmonisch und bewusst zu leben. Es gilt, die Botschaft der Enzyklika Humanae Vitae Papst Paul VI. wiederzuentdecken, die hervorhebt, dass bei der moralischen Bewertung der Methoden der Geburtenregelung die Würde der Person respektiert werden muss. Die Adoption verwaister und vernachlässigter Kinder ist eine besondere Form des Familienapostolates (vgl. AA, 11), worauf das Lehramt mehrfach hingewiesen und wozu es ermutigt hat (vgl. FC, 41; EV, 93). Die Entscheidung zur Adoption oder Pflegschaft bringt eine besondere Fruchtbarkeit der ehelichen Erfahrung zum Ausdruck, nicht nur, wenn sie von Unfruchtbarkeit gekennzeichnet ist. Eine solche Entscheidung ist ein eindrucksvolles Zeichen der familiären Liebe. Sie erlaubt es, den eigenen Glauben zu bezeugen und denen die Würde des Kindseins zurückzugeben, die sie verloren haben.

137.  Angesichts des in Humanae Vitae enthaltenen Reichtums an Weisheit ergeben sich im Hinblick auf die in ihr behandelten Fragen zwei Pole, die beständig miteinander zu verbinden sind: Auf der einen Seite die Rolle des Gewissens, das als Stimme Gottes verstanden wird, die im menschlichen Herz wiederhallt, das dazu erzogen ist, auf sie zu hören; auf der anderen Seite die objektive moralische Anweisung, welche es verbietet, die Zeugung als etwas zu verstehen, über das willkürlich, unabhängig vom göttlichen Plan zur menschlichen Fortpflanzung, entschieden werden kann. Wenn die Bezugnahme auf den subjektiven Pol vorherrscht, riskiert man leicht egoistische Entscheidungen; im andern Fall wird die moralische Norm als eine untragbare Last erlebt, die nicht den Erfordernissen und der Möglichkeit des Menschen entspricht. Die Zusammenführung der beiden Aspekte, die mit der Begleitung eines kompetenten geistlichen Führers gelebt wird, könnte den Eheleuten dabei helfen, Entscheidungen zu treffen, die zutiefst menschlich sind und dem Willen des Herrn entsprechen.

Adoption und Pflegschaft

138.  Viele haben darum gebeten, die Bedeutung der Adoption und der Pflegschaft besser hervorzuheben, wenn es darum geht, vielen verlassenen Kindern eine Familie zu geben. Diesbezüglich wird die Notwendigkeit hervorgehoben, zu unterstreichen, dass die Erziehung eines Kindes genauso wie die Zeugung auf der sexuellen Differenz gründen muss. Auch sie hat also ihre Grundlage in der ehelichen Liebe zwischen einem Mann und einer Frau, welche die unerlässliche Basis für eine umfassende Bildung des Kindes darstellt.

Gegenüber den Situationen, in denen ein Kind sozusagen „für mich selbst“ gewollt ist, egal auf welche Weise – so, als ob es sich um eine Verlängerung der eigenen Wünsche handelte – lassen die recht verstandene Adoption und Pflegschaft einen wichtigen Aspekt der Elternschaft und des Kindseins deutlich werden, insofern sie dabei helfen, anzuerkennen, dass die Kinder, seien sie ehelich oder adoptiert oder in Pflegschaft, „etwas von mir Verschiedenes“ sind und dass sie angenommen und geliebt werden sollen, dass man sich um sie kümmern muss und sie nicht einfach „in die Welt setzt“.

Von diesen Voraussetzungen ausgehend sollen Adoption und Pflegschaft auch innerhalb der Theologie von Ehe und Familie wertgeschätzt und vertieft werden.

Das menschliche Leben als unberührbares Geheimnis

139. (59) Es gilt, auch im Band der Ehe die Affektivität als Weg der Reifung zu leben, in der immer tieferen Annahme des Anderen und einer immer vollkommeneren Hingabe. In diesem Zusammenhang muss die Notwendigkeit bekräftigt werden, Wege der Bildung anzubieten, die das eheliche Leben stärken. Daneben braucht es Laien, die durch ihr lebendiges Zeugnis Begleitung anbieten. Eine große Hilfe ist dabei das Beispiel einer treuen und tiefen Liebe, die geprägt ist von Zärtlichkeit und Achtung, die fähig ist, mit der Zeit zu wachsen und die in ihrer konkreten Offenheit gegenüber der Weitergabe des Lebens die Erfahrung eines Geheimnisses macht, das uns übersteigt.

140.  Das Leben ist Geschenk Gottes und ein Geheimnis, das uns übersteigt. Daher dürfen weder sein Beginn noch sein Ende auf irgendeine Weise „verworfen“ werden. Im Gegenteil ist es notwendig, diesen Phasen eine besondere Aufmerksamkeit zu sichern. Es kommt heute allzu leicht vor, dass «der Mensch an sich wie ein Konsumgut betrachtet wird, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Wir haben die „Wegwerfkultur“ eingeführt, die sogar gefördert wird» (EG, 53). Diesbezüglich ist es Aufgabe der Familie, die dabei von der ganzen Gesellschaft zu unterstützen ist, das werdende Leben anzunehmen und sich um die letzte Lebensphase zu sorgen.

141. Im Hinblick auf das Drama der Abtreibung bestätigt die Kirche vor allem den heiligen und unverletzbaren Charakter des menschlichen Lebens und sie setzt sich konkret zu seinen Gunsten ein. Dank ihrer Einrichtungen bietet sie den Schwangeren Beratung, unterstützt die minderjährigen Mütter, steht verlassenen Kindern bei und ist denen nahe, die eine Fehlgeburt erlitten haben. Denjenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, wird die moralische Pflicht der Verweigerung aus Gewissensgründen in Erinnerung gerufen.

In gleicher Weise fühlt die Kirche nicht nur die Dringlichkeit, das Recht auf einen natürlichen Tod zu bekräftigen, sowie therapeutischen Übereifer und Euthanasie zu vermeiden, sondern sie nimmt sich auch der Alten an, beschützt die Menschen mit Behinderung, steht den unheilbar Kranken bei und tröstet die Sterbenden.

Die Herausforderung der Erziehung und die Rolle der Familie bei der Evangelisierung

142. (60) Eine der grundlegenden Herausforderungen, vor der die heutigen Familien stehen, ist sicherlich die Erziehung, welche durch die aktuelle kulturelle Wirklichkeit und den großen Einfluss der Medien noch anspruchsvoller und komplexer gemacht wird. Dabei gilt es, die Bedürfnisse und Erwartungen der Familie gebührend zu berücksichtigen, die in der Lage sind, im Alltag Orte des Wachstums und der konkreten und grundlegenden Weitergabe jener Tugenden zu sein, die dem Dasein Gestalt verleihen. Das bedeutet, dass Eltern die Freiheit haben müssen, ihren Kindern die Art von Erziehung zu vermitteln, die ihren Überzeugungen entspricht.

143.  Es herrscht einstimmiger Konsens darüber, in Erinnerung zu rufen, dass die Familie die vorrangige Schule der Erziehung ist. Die christliche Gemeinschaft unterstützt und ergänzt sie in dieser unersetzlichen bildenden Rolle. Von verschiedenen Seiten wird es als erforderlich erachtet, Räume und Zeiten der Begegnung zu finden, um die Bildung der Eltern und den Erfahrungsaustausch unter Familien zu erleichtern. Es ist wichtig, dass die Eltern als erstrangige Erzieher und Zeugen des Glaubens für ihre Kinder in die Angebote zur Vorbereitung der Sakramente der christlichen Initiation aktiv einbezogen werden.

144.  In den verschiedenen Kulturen behalten die Erwachsenen in der Familie eine unersetzliche erzieherische Funktion. Desungeachtet beobachten wir in vielen Zusammenhängen eine kontinuierliche Schwächung der erzieherischen Rolle der Eltern auf Grund der aufdringlichen Präsenz der Medien innerhalb der Familie und der Tendenz, Anderen diese Aufgabe zu übertragen. Es wird darum gebeten, dass die Kirche die Familien bei ihrer Aufgabe, im Hinblick auf die schulischen und erzieherischen Programme, die ihre Kinder betreffen, kritisch und verantwortlich zu sein, ermutigt und unterstützt.

145.  (61) Die Kirche hat, ausgehend von der christlichen Initiation und durch aufnahmebereite Gemeinschaften im Hinblick auf die Unterstützung der Familien eine wichtige Rolle. Sie ist mehr denn je gefordert, die Eltern in den alltäglichen wie in den komplexen Situationen bei der Aufgabe der Erziehung zu unterstützen und die Kinder und Jugendlichen in ihrem Wachstum auf personalisierten Wegen zu begleiten, die in der Lage sind, sie in den umfassenden Sinn des Lebens einzuführen und ihnen Entscheidungen und die Übernahme von Verantwortung zu ermöglichen, die im Lichte des Evangeliums gelebt werden. Maria kann in ihrer Zärtlichkeit, Barmherzigkeit und mütterlichen Liebe den Hunger nach Menschlichkeit und Leben stillen. Deshalb wird sie von den Familien und vom christlichen Volk angerufen. Seelsorge und Marienverehrung sind gute Ausgangspunkte, um das Evangelium der Familie zu verkünden.

146.  Der christlichen Familie kommt die Pflicht zu, den Glauben an ihre Kinder weiterzugeben. Diese Pflicht hat ihre Grundlage in der bei der Feier der Trauung übernommenen Aufgabe. Solche Weitergabe will mit Unterstützung der christlichen Gemeinschaft im Gang des Familienlebens umgesetzt werden. Die Zeiten der Vorbereitung der Kinder auf die Sakramente der christlichen Initiation sind in besonderer Weise wertvolle Gelegenheiten für die Eltern, den Glauben wieder zu entdecken, und dadurch zu den Grundlagen ihrer christlichen Berufung zurückzukehren, indem sie in Gott die Quelle ihre Liebe anerkennen, die Er durch das Sakrament der Ehe geweiht hat.

Die Rolle der Großeltern bei der Weitergabe des Glaubens und der religiösen Praxis darf nicht vergessen werden: mit ihrem weisen Rat, ihrem Gebet und ihrem guten Beispiel sind sie in den Familien unersetzliche Apostel. Die Teilnahme an der sonntäglichen Liturgie, das Hören auf das Wort Gottes, der Empfang der Sakramente und die gelebte Liebe stellen sicher, dass die Eltern ihren Kindern ein glaubwürdiges und klares Zeugnis Christi geben.

SCHLUSS

147.  Das hier vorgelegte „Instrumentum Laboris“ ist Frucht des Weges zwischen den Synoden, der aus der pastoralen Kreativität von Papst Franziskus hervorgeht, der, aus Anlass des fünfzigsten Jahrestages des Abschlusses des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Einrichtung der Bischofssynode durch den seligen Paul VI. im Abstand eines Jahres zwei Synodenversammlungen zum gleichen Thema einberufen hat. Wenn die III. Außerordentliche Generalversammlung im Herbst 2014 der ganzen Kirche geholfen hat, sich Gedanken über „Die pastoralen Herausforderungen im Hinblick auf die Familie im Kontext der Evangelisierung“ zu machen, ist die für Oktober 2015 vorgesehene XIV. Ordentliche Generalversammlung aufgerufen, über „Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute“ nachzudenken. Auch kann nicht vergessen werden, dass die Feier der nächsten Synode im Zusammenhang mit dem von Papst Franziskus ausgerufenen Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit steht, das am 8. Dezember 2015 beginnt.

Auch in diesem Fall hat die große Zahl der beim Generalsekretariat der Bischofssynode eingegangenen Beiträge das außerordentliche Interesse und die aktive Teilnahme aller Glieder des Volkes Gottes gezeigt. Auch wenn die hier vorgelegte Zusammenfassung nicht den ganzen Reichtum des aus allen Kontinenten eingegangenen Materials berücksichtigen kann, ist der Text dennoch in der Lage, die Wahrnehmung und die Erwartungen der ganzen Kirche im Hinblick auf das zentrale Thema der Familie widerzuspiegeln.

Wir vertrauen die Arbeiten der nächsten Synodenversammlung der Heiligen Familie von Nazareth an, die uns «verpflichtet, die Berufung und die Sendung der Familie, jeder Familie, neu zu entdecken» (Franziskus, Generalaudienz, 17.Dezember 2014).

Gebet zur Heiligen Familie

Jesus, Maria und Josef,
in Euch betrachten wir
den Glanz der wahren Liebe.
Mit Vertrauen wenden wir uns an Euch.

Heilige Familie von Nazareth,
lass auch unsere Familien
zu einem Ort der Gemeinschaft und zu Zellen des Gebets werden
zu echten Schulen des Evangeliums
und kleinen Hauskirchen.

Heilige Familie von Nazareth,
nie wieder soll in den Familien die Erfahrung
der Gewalt, der Abschottung und der Teilung gemacht werden:
wer immer verletzt oder schockiert wurde,
dem sei bald Trost und Heilung geschenkt.

Heilige Familie von Nazareth,
die kommende Bischofssynode
möge in allen das Bewusstsein dafür wecken,
dass die Familie heilig und unverletzlich ist,
und ihre Schönheit im Plan Gottes begründet liegt.

Jesus, Maria und Josef,
hört unsere Bitte an und erhört uns.

Amen.

 


© Copyright 2015 – Generalsekretariat der Bischofssynode und  Libreria Editrice Vaticana.

Dieser Text darf von den Bischofskonferenzen oder mit ihrer Genehmigung nachgedruckt werden; dabei muss sichergestellt werden, dass der Text nicht verändert wird. Zwei Belegexemplare sind zu schicken an Segreteria Generale del Sinodo dei Vescovi, 00120 Città del Vaticano.