KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE
Anmerkung zum Buch
VORBEMERKUNG Nach einer Untersuchung des Buches von P. Guindon, die nach der ordentlichen von der eigenen Ratio agendi vorgesehenen Prozedur durchgeführt wurde, sowie nach einem Dialog mit dem Autor, der mit der Vermittlung des Generaloberen O. M. I. vom November 1988 bis zum September 1991 geführt wurde, veröffentlicht die Kongregation für die Glaubenslehre, die die Aufgabe hat, "die Lehre über Glaube und Sitten auf dem ganzen katholischen Erdkreis zu fördern und zu schützen" [1], die folgende Anmerkung, in der zum Wohl der Gläubigen die Punkte angegeben werden, in denen das genannte Buch der Lehre der Kirche im Bereich der Sexualmoral widerspricht. Zugleich wird dem Autor eine weitere Möglichkeit geboten, innerhalb einer vernünftigen Frist einige Klarstellungen zu liefern, die die von ihm versicherte Treue zur Lehre des Lehramtes bestätigen. Der Dialog mit dem Autor wird für die Aspekte ihrer jeweiligen Zuständigkeit im Einverständnis mit der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und Gesellschaften apostolischen Lebens und der Kongregation für das Katholische Bildungswesen geführt.
I. BEOBACHTUNGEN ZUM BUCH 1. Einleitung Das Buch will mehr sein als eine Studie zur Sexualkunde: Der Autor will der Kirche einen persönlichen Beitrag zur Ausarbeitung einer neuen Lehre über das anbieten, was er "sexual fecundity" nennt, die er als "einen Beitrag zur Gestaltung einer Alternative zur unbefriedigenden auf Fruchtbarkeit-Fertilität gegründeten Perspektive" vorschlägt (S. IX). Es handelt sich also nicht nur um ein Neudenken der moralischen Normen zur menschlichen Sexualität, als vielmehr um den Vorschlag einer neuen Anthropologie und eines "Programmes für die nächste Revolution der sexual creators" (S. 236). In dem Werk fehlt es nicht an lobenswerten Absichten und positiven Aspekten wie zum Beispiel: der Wunsch, einen bloß äußerlichen und negativen Legalismus zu überwinden (S. 9ff.), die erklärte Gegnerschaft zu einer Verhütungs- und hedonistischen Mentalität, die die sexuelle Lust als Selbstzweck betrachtet (S. 36, 74, 94), die Anstrengung, eine einheitliche Konzeption des Menschen zu erreichen (S. 22ff.), der Vorsatz, sich den Menschen über ihre moralischen Verfehlungen hinaus aufmerksam zuzuwenden (S. 164), die Suche nach dem christlichen Sinn der menschlichen Affektivität (S. 100, 105). Dennoch hat eine aufmerksame Untersuchung des Buches schwere und grundlegende Unstimmigkeiten nicht nur gegenüber dem jüngsten Lehramt, sondern auch gegenüber der traditionellen Lehre der Kirche gezeigt. Diese Unstimmigkeiten betreffen die allgemeine Konzeption der Sexualität, die Sicht der menschlichen Person in ihren Beziehungen mit den anderen und mit Gott, dem Schöpfer, sowie das moralische Urteil über einige konkrete sexuelle Verhaltensweisen. Sie wurzeln letztlich in einem unzureichenden und mitunter fehlerhaften Ansatz auf der Ebene der theologischen Methode. 2. Besondere Fragen 2.1. Allgemeine Konzeption der Sexualität Der Autor gebraucht die Begriffe "sexual" oder "sexuality" in einem so weiten Sinn, dass sie alles einschließen, was die affektiven Äußerungen des Menschen als geschlechtliches Wesen kennzeichnet. (vgl. z. B. S. 23, 71, 120-121). "Die Sexualität ist das, was den Menschen eine interpersonale und soziale Geschichte verleiht, und das, was sie für deren Entwicklung verantwortlich macht" (S. 34). Schwer kann man sich eine weitere Beschreibung als diese vorstellen. Die Sexualität wird also durch die beiden Bestandteile "Sinnlichkeit" und "Zärtlichkeit" bestimmt, die sich jeweils auf die leiblichen und geistlichen Dimensionen des Menschen beziehen. Jeden Gefühlsausdruck unter dem Vorwand, dass er unausweichlich von der Geschlechtlichkeit der Person geprägt ist, als "sexuell" zu bezeichnen, bedeutet jedoch, nicht nur einen inflationären und unklaren Gebrauch des Begriffes zu provozieren, sondern auch die elementaren Gesetze der Logik zu verletzen. So sehr auch jede affektive Beziehung von der Geschlechtlichkeit der Partner gekennzeichnet ist, folgt daraus noch nicht, dass es sich um eine sexuelle Beziehung handelt. Es entsteht Unklarheit und Verwirrung, wenn alle affektiven Beziehungen, auch die zwischen Eltern und ihren Kindern, die von Zölibatären usw. als sexuell bezeichnet werden. (S. 66-67, 120-121). In Entsprechung zu dieser erweiterten Auffassung der Sexualität schlägt der Autor einen neuen und grundlegenderen Begriff von "sexueller Fruchtbarkeit" ("sexual fecundity") vor, der als Basis zur Bewertung "aller Formen sexueller Interaktion" dienen soll (S. 66-67). Dieses neue Bezugskriterium wird als unabhängig von der "biologischen Fertilität" präsentiert, die die traditionelle katholische Moral zu Unrecht als einzige Norm betrachtet. So ist das Regulierungsprinzip der menschlichen Sexualität nicht mehr die Untrennbarkeit der vereinigenden und prokreativen Bedeutung des Sexualaktes, sondern vielmehr die Untrennbarkeit von "Sinnlichkeit" und "Zärtlichkeit" (S. 66-68). Die primäre Bedeutung der "Weitergabe des Lebens" ist eine "neue Qualität menschlichen Lebens, die in und durch eine integrierte sexuelle Erfahrung mitgeteilt wird … von einem Liebenden zum anderen" (S. 67). Die Fortpflanzung wird als zweitrangiges und verzichtbares Element betrachtet. Die Intergration von Sinnlichkeit und Zärtlichkeit wird als Kriterium jeglicher sexueller Betätigung vorgeschlagen, und zwar nicht nur der ehelichen, sondern sogar der homosexuellen (S. 67). In der Konsequenz wird davon "ausgegangen, dass der moralische Weg im Sexualleben von Eheleuten, Eltern, Söhnen und Töchtern, Lesben und Schwulen sich nicht wesentlich von einem Lebenstil zum anderen unterscheidet" (S. 79). Es ist recht, die Absicht des Autors anzuerkennen, seine Konzeption von Sexualität und Fruchtbarkeit auf eine ganzheitliche Anthropologie zu gründen ("a wholistic view of selfhood", S. 23), die die aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte Natur des Menschen nicht aufgibt, sondern sie wirklich ganzheitlich zu fassen vermag, ohne in gefährliche Dualismen zu verfallen, aus denen sich biologistische oder spiritualistische Reduktionen ergeben, die zu einer schweren Entstellung der Sexualethik führen. Vergeblich sucht man in dem Buch allerdings auch bloß eine synthetische Präsentation einer solchen Anthropologie, die sich daher auf eine Art Absichtserklärung beschränkt. Darüber hinaus führen die Zweideutigkeit der Definition von Sexualität und die fehlerhafte Vision der Fruchtbarkeit als unerwünschte Konsequenz faktisch zu einem anthropologischen Dualismus. Denn während die von P. Guindon vertretene Konzeption der Sexualität in den ersten zwei Kapiteln eine starke Betonung der leiblichen Natur des Menschen erfordert, wird diese Natur im dritten und vierten Kapitel, wo es darum geht, die Fruchtbarkeit in sich und für sich unabhängig von der Fertilität zu definieren, zu einem Störfaktor und wird folglich vernachlässigt oder geopfert, um zu verhindern, was der Autor als die althergebrachte Reduktion der Sexualität und Fruchtbarkeit auf reine Biologie betrachtet. Eine angemessene und einheitliche Konzeption der menschlichen Person, die allen Ebenen ihres Seins (biologisch, psychologisch und spirituell) Rechnung trägt, dürfte den Autor nicht dazu verleiten, über die Fertilität wie im folgenden Abschnitt zu sprechen: "Solange wir daran festhalten, dass das beabsichtigte Ergebnis ein Kind sein muss, reden wir nicht länger über einen Aspekt eines sexuellen Ursprungs (Fruchtbarkeit) oder eines sexuellen Produktes. Wir beschäftigen uns mit Substanzen: Chromosomen (dem Ursprung), die ein Kind (Effekt) hervorbringen" (S. 65). Die prokreative Bedeutung der Fruchtbarkeit wird auf die Ebene der Fortpflanzung einer Art reduziert, währen die anthropologische Bedeutung der Sexualität vor allem in ihren Erfahrungskomponenten von Sinnlichkeit und Zärtlichkeit verortet wird, die folglich kreativ sein können und den Leib wie ein Werkzeug gebrauchen können, dem keine moralischen Werte innewohnen und das je nach den subjektiven Intentionen völlig manipulierbar ist. Die Trennung zwischen den Erfahrungs- und psychologischen Elementen der Sinnlichkeit und Zärtlichkeit einerseits und den leiblichen Elementen der Fortpflanzung andererseits ist unbestreitbar dualistisch. In Wirklichkeit sind beide integraler Bestandteil ein und derselben Person. Eine solche Anklage, dualistisch zu sein, kann dagegen nicht gegen das der Lehre der Kirche eigene Prinzip vorgebracht werden, dass die vereinigende und prokreative Bedeutung des Sexualaktes untrennbar sind. 2.2. Die interpersonellen Beziehungen In der von P. Guindon präsentierten Phänomenologie der sexuellen Beziehungen wird die Betonung wiederholt auf "the self expressing the self" gelegt (für Formulierungen dieser Art siehe die S. 11, 14, 22, 23, 26, 27, 31, 33, 34, 66-67, 71, 90 und 102). Es handelt sich hier um einen auf das Selbst und den Selbstausdruck konzentrierten Personalismus. Wie kann dieser Ansatz mit den Erfordernissen, eine andere Person zu lieben, vereinbart werden und der Wirklichkeit und Autonomie der anderen Person Rechnung tragen? Warum wird in dem Buch der Umstand nie erwähnt, der sicherlich zur christlichen Tradition gehört, dass nämlich das Gesetz der Liebe das Gesetz des Kreuzes einschließt? Nach dem Konzil erfordert die Berufung zur Ehe "ungewöhnliche Tugend" und "Opfergeist".[2] P. Guindon bezieht sich kaum auf die Notwendigkeit solcher Tugend, und er beachtet nicht, dass die sexuellen Triebe sich nicht leicht in die authentische Liebe integrieren, so dass die Keuschheit und die Selbstbeherrschung ein notwendiger und schwieriger Bestandteil der menschlichen Liebe sind – es sei denn, man glaubt, dass der Wunsch, sich sexuell auszudrücken, immer auf die bereitwillige Verfügbarkeit eines Partners trifft, mit dem man sich ausdrücken will. Obwohl der Autor die Werte der "loving fecundity" (S. 72-74) und der "responsible fecundity" (S. 74-78) als drittes und viertes Kriterium vorschlägt, um die "sexual fecundity" zu bewerten, und obwohl er versichert, dass die "menschliche Sexualität fruchtbar ist, wenn sie zärtliches, sinnliches Leben, individuelle Identität, den Wert der Person und Gemeinschaft menschlich fördert" (S. 78), bietet er damit noch keine angemessene Erklärung, wie die Erfahrungen der Zärtlichkeit und der Sinnlichkeit zum Aufbau einer Gemeinschaft führen könnten. 2.3. Die Beziehung zwischen der menschlichen Person und dem Schöpfer Ein grundsätzlicherer Mangel, der den im Buch hervorgehobenen fehlerhaften Positionen zugrunde liegt, ist die Substitution des Begriffes der Kreatürlichkeit durch den der Kreativität (S. VIIff.). Indem Gott die Freiheit der Kreatur geschaffen hat, habe er dem Mann und der Frau die Fähigkeit gegeben, ihre eigene Humanität zu befreien, und in diesem Sinne müssten der Mann und die Frau als "sexual creators" betrachtet werden. Der Autor erkennt nicht, dass Gott der geschaffenen Wirklichkeit eine Bedeutung und eine innere Ordnung eingeprägt hat, deren Wahrheit auf diese Weise die objektive Norm des Verhaltens ist, die erkannt und befolgt werden muss.[3] Gott hätte vielmehr dem Mann und der Frau die Macht gegeben, kreativ eine sexuelle Sprache hervorzubringen, die die menschlichen Beziehungen ausdrückt und signifikant strukturiert (S. VIII). Für den Autor existiert also keine Wahrheit, die dem Handeln (agere) vorausgeht und es normiert. Es gibt nur die Produktion kreativer Modelle von Bedeutung durch die subjektive Spontaneität (der Autor verweist auf die Epistemologie von T. S. Kuhn, S. 4, 15-16). Moralische Güte ist nicht länger eine Qualität des Willens, der im Einklang mit der Wahrheit des Seins wählt, sondern wird auf ein Produkt der subjektiven Intentionen reduziert. Man liest zum Beispiel, dass "die moralische Aufgabe darin besteht, dass jeder seine eigene Wahrheit konstruiert oder dass jeder seinem eigenen Leben einen Sinn gibt" (S. 163). Darüber hinaus behauptet P. Guindon, dass die Personen mit einer homosexuellen Orientierung auch homosexuell handeln müssten, da agere sequitur esse (S. 161). Hier scheint das esse auf eine subjektive Neigung reduziert zu sein. Darin besteht die wahre Revolution des Buches: es ignoriert die anthropologischen Grundlagen, die für jede objektive Moral und besonders für die christliche Moral nötig sind. 2.4. Methodische Probleme der Moraltheologie Die im Hinblick auf den Inhalt fehlerhaften Positionen sind die Konsequenz der Anwendung einer unzureichenden Methode. Zuerst ist hervorzuheben, dass der Autor mit einem allgemeinen Verweis auf die Erfahrung beginnt, ohne jedoch irgendeine phänomenologische Analyse des Wesens und der Dynamik der menschlichen Sexualität zu bieten, in anderen Worten dessen, was im Übrigen die wesentliche Neuheit seines Werkes sein sollte; er beschränkt sich auf Literaturhinweise. Trotzdem behauptet er, dass die Natur der Sexualität als Integration von Sinnlichkeit und Zärtlichkeit aus der Erfahrung erhoben wird (S. 23). Er fährt mit einer kurzen Vorstellung eines linguistischen Modells anscheinend strukturalistischen Ursprungs fort, das ihm erlaubt, die Bedeutung der Sexualität zu vertiefen (S. 26-30), das aber, wie der Autor ausdrücklich sagt, durch andere Modelle ersetzt werden kann (S. 15). Die moralische Reflexion wird vom Autor nicht nur als Reflexion auf die gelebte Erfahrung verstanden (S. IX), sondern als Artikulation der Bedeutung, die dieser Erfahrung selbst innewohnt (S. 13), da niemand das Gute kennen und wertschätzen kann, wenn er es nicht 'lebt'" (S. 13). Es wird so ein Vorrang des "Gelebten" behauptet, das zum wahren Unterscheidungskriterium des moralischen Urteils wird. Das "Gelebte" wird hauptsächlich in Bezug auf die Eigenschaften der subjektiven Erfahrung wie Sinnlichkeit und Zärtlichkeit konzipiert. Daraus folgt eine Moralität, die sich auf eine Art blinden Glauben an die menschliche Spontaneität gründet. Wenig oder gar nichts wird über die radikale Zwiespältigkeit gesagt, die im Herzen des Menschen wohnt,[4] über die Folgen dieser Zwiespältigkeit im sexuellen Bereich oder über die Rolle der Gnade und der menschlichen Beharrlichkeit in der Auseinandersetzung mit diesem Konflikt. Somit wird der Erfahrungsbegriff auf sehr selektive Weise dargestellt, so wie auch die Auswahl der psychologischen Quellen selektiv ist. Zahlreiche Psychologen – um nicht von Philosophen und Theologen zu sprechen – würden nicht zustimmen, dass subjektive Erfahrungen wie die Zärtlichkeit und die Sinnlichkeit von allein automatisch zu einer genuin menschlichen Liebe und zu Verantwortung und Selbsttranszendenz führen können. Unter diesen Voraussetzungen gebraucht der Autor auch die klassischen Quellen der Moraltheologie wie die Heilige Schrift, die Tradition der Kirche und das Lehramt partiell, reduktiv und unangemessen. Indem der Autor sich auf die historisch-kritische Methode beruft, behauptet der Autor, dass die in der Heiligen Schrift vorhandenen moralischen Normen auf den historischen Kontext in der Vergangenheit zurückgeführt werden müssen und daher für ein heutiges moralisches Urteil zum Beispiel über homosexuelle Handlungen "nicht schlüssig" sind (S. 160). Die Heilige Schrift enthielte nicht so sehr konkrete Normen als vielmehr Absichten, und die einzigen Absichten, auf die Jesus sich berufen hat, seien die Liebe und die Freiheit in einer subjektivistischen Interpretation (vgl. S. 175). In unmittelbarem Kontrast mit eben diesen Prinzipien stehen jedoch die verzerrten Interpretationen der Bibel, die der Autor zur Unterstützung einiger Positionen des Buches auf der Suche nach vermeintlich erbaulichen Beispielen von lesbischen Frauen und homosexuellen Männern anführt (S. 164-165). Die Tradition und das Lehramt, die häufig wie eine Karikatur präsentiert werden (vgl. z. B. S. 4-10, 43-53), werden weder in ihrer Maßgeblichkeit noch in ihrem normativen Wert für die theologische Reflexion gewürdigt, sondern sie dienen vielmehr als polemisches Vorspiel, dem der Autor seine "Alternative" entgegenhält, die er vom vierten Kapitel an entwickelt. Es ist wahr, dass der Autor mitunter das Lehramt mit Wohlwollen zitiert, indem er sogar der Aussage von Gaudium et spes[5] Anerkennung zollt, dass Kinder "die vorzüglichste Gabe für die Ehe" sind. Dennoch macht er sich selbst zum Richter, welche Teile der Lehre der Tradition und des Lehramtes annehmbar sind und welche nicht. Diese Rolle impliziert eine Überlegenheit dessen, der richtet, im Vergleich zu dem, der gerichtet wird. 2.5. Moralische Urteile über einzelne Verhaltensweisen Das Werk The Sexual Creators enthält moralische Urteile, die dem widersprechen, was die Heilige Schrift und die Tradition beständig und gleichbleibend behaupten und was das Lehramt auch jüngst autoritativ vorgelegt hat. Darüber hinaus sind diese Positionen für das Buch nicht nebensächlich, sondern bilden sich sukzessiv in einer Form heraus, die mit der wiederholt erklärten Absicht es Autors zusammenhängt, die als Integration von Sinnlichkeit und Zärtlichkeit verstandene sexuelle Fruchtbarkeit von der Fortpflanzung unabhängig zu machen. Vor allem behandelt der Autor die Heilige Schrift, die Tradition und die Erklärungen des Lehramtes auf äußerst selektive Weise und oft bis zur völligen Verdrehung. Aus dem dritten Kapitel mit dem Titel "The Dualistic Tradition of Fertility", besonders aus den Seiten 44-53, müsste man schließen, dass die Sexualmoral sich für wenigstens zwei Jahrtausende in ihrer Betonung der Fortpflanzung, die der Autor als eine Geburtsideologie ("natalist ideology") beschreibt, größtenteils geirrt hat (S. 44ff.). Zur Lehre der Konstitution Gaudium et spes (Nr. 47-52) über die Würde der Ehe und der Familie liest man im vierten Kapitel: "Vermutlich könnte man in der Konstitution Aussagen hervorheben, die eine reproduktive Interpretation der sexuellen Fruchtbarkeit stützen würden. Das sollte uns nicht überraschen. Es gibt heute einen allgemeinen Konsens, dass sich in den Konzilsdokumenten Texte finden, die das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Positionen sind, die mitunter theoretisch nicht miteinander zu vereinbaren sind. Paradigmenwechsel sind immer durch das gleichzeitige Vorhandensein einander entgegengesetzter Sichtweisen gekennzeichnet" (S. 65). Das kann nur bedeuten, dass die Konstitution Gaudium et spes zum Teil falsch ist und nur richtig verstanden werden kann, indem der falsche Teil ihrer Lehre ausgeschlossen wird, nämlich der beträchtliche Teil, der nicht mit den im Buch ausgedrückten Ideen übereinstimmt. Humanae vitae wird kritisiert, weil sie sich auf biologische Gesetze beruft (S. 47). Es wird gesagt, dass Familiaris consortio eine "rein nominelle Unterscheidung" zwischen der "Einhaltung des Rhythmus" und einer "Verhinderung der Geburt" macht, als ob diese eine Unterscheidung von moralischer Bedeutung wäre (S. 49-50). Persona humana wird kritisiert, weil sie die Fortpflanzung als "wesentlichen und unverzichtbaren Zweck" (der Fruchtbarkeit) betrachtet (S. 43). Der Autor betrachtet voreheliche sexuelle Beziehungen, die Möglichkeit eines so genannten "vor-zeremoniellen" Zusammenlebens und eine Eheschließung in mehreren Phasen (S. 87-89) und behauptet im Widerspruch zur Lehre des Lehramtes[6]: "Man könnte sogar argumentieren, dass theologisch eine solche 'Eheschließung in Phasen' nicht undenkbar ist", und verweist auf andere Schriften vom ihm selbst. (S. 110, Anmerkung 5). Gegen die Lehre der Kirche vertritt er die Unerheblichkeit der öffentlichen Feier des ehelichen Bundes und der kanonischen Form der Ehe unter Katholiken. Sein ablehnendes Urteil über die Notwendigkeit einer kirchlichen Zustimmung stützt er auf eine verfälschte Darstellung der Geschichte (S. 88). Denn er gibt zu verstehen, dass die liturgische Feier der Eheschließung eine späte Entwicklung in der Kirche darstellt. Damit verwechselt er die zur Gültigkeit der Ehe erforderliche kanonische Formpflicht mit dem Vorhandensein einer liturgischen Zeremonie, die dagegen uralt ist. Kurz gesagt schlägt der Autor eine völlige Neudefinition des Ehesakramentes vor. (S. 87-89). Was die Homosexualität betrifft, tendiert der Autor dazu, die homosexuelle moralisch mit der heterosexuellen Situation zu vergleichen, er stützt sich dabei auf eine abstrakte Konzeption sexueller Fruchtbarkeit, die gleichermaßen auf unverkennbar unterschiedliche sexuelle Verhaltensweisen angewendet wird (S. 159-160, 172, 177). In mancher Hinsicht scheint eine homosexuelle Beziehung der heterosexuellen sogar überlegen zu sein. Auf Seite 165 heißt es: "So eine freie Feier der Liebe [wie im Buch Hohelied, vgl. oben auf derselben Seite] ist typisch für die schwule Sexualität. ... Eine Frau lebt Liebe und Sexualität nicht mit einer anderen Frau, ein Mann nicht mit einem anderen Mann, weil das das ist, was alle erwarten, auch nicht, weil es getan werden muss, um jemanden zu haben, der für Unterhalt oder ein Obdach sorgt, und ebensowenig weil man auf diese Weise Kinder zeugt. Gesunde Homosexuelle sind mit ihrem Partner sexuell aktiv, weil sie ihre Zuneigung zu jemandem ausdrücken wollen, von dem sie angezogen werden." P. Guindon verteidigt die "sexuelle Fruchtbarkeit" der Homosexuellen mit dem Anspruch, dabei von jedem Urteil über die objektive Sittlichkeit der erotischen oder genitalen Handlungen, die sie vornehmen mögen, abzusehen (S. 163) – ein Anspruch, der sich nur schwer oder gar nicht mit der offensichtlichen Bedeutung der von ihm gebrauchten Ausdrücke wie "Liebe machen" und "sexuell aktiv [sein]" auf S. 165 wie eben zitiert vereinbaren lässt – und mit einem vagen und fragwürdigen Verweis auf die vom Evangelium verkündete interpersonale Liebe (S. 174-175). Es fehlt nicht nur die Anerkennung einer objektiven Fehlordnung der homosexuellen Veranlagung als solcher, sondern im Widerspruch zu Persona humana, Nr. 8 wird homosexuelles Verhalten sogar als die "einzig gesunde Entscheidung" für diejenigen gerechtfertigt, die von Natur aus und unumkehrbar homosexuell sind (S. 160-161). Um dies zu rechtfertigen, beruft sich der Autor auf das Prinzip agere sequitur esse (S. 161), das so gleichermaßen und ohne Unterscheidung auf die ontologische (ontische) wie auf die moralische Ordnung angewendet wird. Er scheint den Homosexuellen nicht viel Freiheit in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung oder die Möglichkeit der sexuellen Enthaltsamkeit einzuräumen: "Die einzige Option, die sie [die Moralisten] ihnen scheinbar anbieten können (einen heterosexuellen oder asexuellen Lebensstil), ist, wie sie selbst zugeben müssen, für gesunde Homosexuelle nicht umsetzbar" (S. 162). Die Möglichkeit, dass eine homosexuelle Person durch Psychotherapie heterosexuell wird, wird lächerlich gemacht und verworfen (S. 161). Die Homosexuellen werden in ihrer Feier der frei geschenkten Liebe als eine Quelle des Zeugnisses für Gesellschaft dargestellt (S. 174ff.).
II. BEDÜRFNIS NACH KLARSTELLUNG In einigen Briefen an seinen Generaloberen, die nach dem Erhalt einer vorausgegangenen Kritik seitens der Kongregation für die Glaubenslehre geschrieben und anschließend derselben Kongregation übermittelt worden sind, und zwar besonders in einem Brief vom 15. August 1990, behauptet P. Guindon, dass sein Buch, abgesehen von der Frage der Empfängnisverhütung, dem Reichtum der katholischen Tradition treu zu sein beabsichtigt und dass man darin keinen Abschnitt finden kann, der die Rolle des Lehramtes in der katholischen Ethik verneint. Diese Behauptungen lassen sich nicht mit der Art und Weise vereinbaren, in der er tatsächlich die Tradition und das Lehramt kritisiert. In diesen Briefen hat P. Guindon auch erklärt, dass er an keiner Stelle in seinem Buch der Lehre von Persona humana[7] widerspricht, nach der "der Gebrauch der sexuellen Funktion seine wahre Bedeutung und moralische Rechtschaffenheit nur in der rechtmäßigen Ehe hat". Er behauptet dagegen, dass er in The Sexual Creators keine der Positionen von Persona humana in Bezug auf bestimmte genitale Handlungen in Frage gestellt hat. Selbstverständlich erschöpft sich die Gesamtheit der katholischen Sexualmoral nicht in der Lehre von Persona humana. Trotzdem stellt das Dokument einen angemessenen Bezugspunkt dar, auf den sich im Übrigen P. Guindon selbst in seiner Verteidigung beruft. Daher verdient es hier eine nähere Aufmerksamkeit. Die vom Autor gewählte Verteidigungsstrategie ist zumindest erstaunlich. Zuerst wird in dem Buch eine extrem weite Beschreibung der menschlichen Sexualität geboten: "Die Sexualität ist das, was den Menschen eine interpersonale und soziale Geschichte verleiht, und das, was sie für deren Entwicklung verantwortlich macht" (S. 34). Aber nach dem, was P. Guindon in seiner Verteidigung behauptet, bezieht seine Abhandlung der Sexualität dann die genitalen Handlungen überhaupt nicht mehr in Betracht, so als ob man ein Buch über die Sexualmoral schreiben und dabei völlig von der Sittlichkeit solcher Handlungen absehen könnte. Wir sollen also glauben, dass der Autor verschiedene sexuelle Lebensstile inklusive des vorehelichen Zusammenlebens (S. 87-88) und der homosexuellen Beziehungen (S. 159-204) in einem Sinne diskutiert, der nicht impliziert, dass diese Art von Beziehungen die Möglichkeit genitaler Ausdrucksformen mindestens als Frage einschließt, mit der man sich auseinandersetzen muss. Zweitens stimmt die Erklärung, dass er nicht beabsichtigt, Persona humana in dieser Hinsicht zu widersprechen, nicht mit verschiedenen Abschnittes des Textes von The Sexual Creators selbst überein. Denn der Autor selbst betont die Wichtigkeit des Geschlechtsverkehrs: "Wenn das Dasein des jeweils anderen durch die gegenseitige Anerkennung in der Umarmung des Geschlechtsaktes bestätigt wird, werden die Subjekte sich selbst als Subjekte geboren" (S. 93). Wenn man die vom Autor verwendeten Begriffe wie "vor-zeremonielles" Zusammenleben (S. 87-88), "Liebe machen" und "sexueller Ausdruck" (S. 165 im Kontext der Homosexualität) im heute allgemein gebräuchlichen Sinne versteht, signalisiert die offensichtliche Bedeutung des Textes eine Billigung der genitalen Vereinigung auch außerhalb des Kontextes einer wahren Ehe. Im Mindesten kann man sagen, dass die Sittlichkeit der genitalen Vereinigung eine Frage ist, die praktisch jeder angehen und beantworten muss. Ein Buch über die Sexualethik mit dem Anspruch zu schreiben, diese Frage beiseite zu lassen, ist in der Tat eine sehr seltsame Herangehensweise. Wie kann man die Notwendigkeit einer einheitlichen Konzeption der menschlichen Natur als Grundlage des Verständnisses der Sexualität behaupten und dann versichern, dass der Begriff der Sexualität, wie immer er auch zu verstehen sein mag, nicht die Frage nach der Sittlichkeit der genitalen Vereinigung impliziert, wenn zum Beispiel vom vorehelichen Zusammenleben oder von der Homosexualität die Rede ist? In diesem Fall bedeutet die Verweigerung einer expliziten Stellungnahme in der Tat eine implizite Stellungnahme. Der Dialog mit P. Guindon hat deshalb bislang nicht zu einer zufriedenstellenden Klärung seiner Position geführt, so dass weitere Klarstellungen erbeten werden müssen.
III. DIE ERBETENEN KLARSTELLUNGEN Im Interesse des geistlichen Wohls der Gläubigen hat die Kongregation für die Glaubenslehre die Aufgabe, die authentische katholische Lehre zu fördern und zu verteidigen. Aus diesem Grunde hielt sie es für richtig, diese Kritikpunkte an dem Buch von P. Guindon The Sexual Creators zu veröffentlichen. Ferner verlangt die Kongregation, dass der Autor die Bedeutung von drei wichtigen Aussagen, die er privat in seinem Brief an seinen Generaloberen (15. August 1990) gemacht hat, öffentlich bestätigt und darlegt, und zwar: 1. dass er beim Schreiben von The Sexual Creators bestrebt war, dem Reichtum der katholischen Tradition im Bereich der Sexualmoral treu zu sein; 2. dass er an keiner Stelle des Buches die maßgebliche Rolle des Lehramtes in der katholischen Ethik verneinen wollte; 3. dass er der andauernden und jüngst in Persona humana bekräftigten Lehre der Kirche nicht widerspricht, nach der die sexuelle Funktion ihren rechtmäßigen Platz nur in einer wahren Ehe hat. Die Kongregation verlangt ferner, dass P. Guindon in einer öffentlichen Erklärung den in dieser Anmerkung aufgezeigten Widerspruch zwischen den zuvor gegenüber seinem Generaloberen gemachten Behauptungen und dem Text von The Sexual Creators auflöst, indem er seinen Gedankengang in einer kohärenteren Weise entfaltet und so die im Buch vorhandenen Ungereimtheiten (wie den selektiven und unbeständigen Gebrauch der Tradition und des Lehramtes) auflöst und der Lehre des Lehramtes den Platz und die Maßgeblichkeit zuerkennt, die ihr zukommt.
[1] Apostolische Konstitution Pastor Bonus, Art. 48.
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