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AKADEMISCHER TAG ZUM 20. JAHRESTAG DER PROMULGATION 
DES NEUEN CODEX DES KANONISCHEN RECHTS

GRUßWORT VON KARDINAL ANGELO SODANO

Freitag, 24. Januar 2003 

 

Eminenzen, Exzellenzen, 
geehrte Professoren, 
verdienstvolle Kanonisten! 

Es ist mir eine Ehre, diesen vom Päpstlichen Rat für die Interpretation von Gesetzestexten veranstalteten »Akademischen Tag« zum 20. Jahrestag der Promulgation des neuen Codex luris Canonici zu eröffnen. Mit Freude richte ich an alle Anwesenden meinen ehrerbietigen Gruß, besonders an Erzbischof Julián Herranz, Präsident dieses Rates, dem das Verdienst zukommt, diese Gelegenheit der Begegnung und der Diskussion zwischen hochrangigen Kanonisten gefördert zu haben. Allen wünsche ich von Herzen eine fruchtbare Arbeit bei der Vertiefung der verschiedenen, im reichhaltigen Programm des Symposiums vorgesehenen Themen. 

* * *

Es ist bekannt, daß der selige Papst Johannes XXIII. bei der Bekanntgabe seiner Absicht, ein neues ökumenisches Konzil einzuberufen, auch seinen Entschluß kundgab, eine Diözesansynode für die Stadt Rom abzuhalten. Er unterstrich »die historische und rechtliche Bedeutung dieser beiden Vorhaben«, die – seiner Überzeugung entsprechend – schließlich zu der »erwünschten und erwarteten Erneuerung des Codex des kanonischen Rechtes als providentielle »Krönung« des Konzils selbst (AAS 51, 1959, 5. 68) führen würden. Diese Eingebung des »guten Papstes« bestätigte dann der regierende Papst, als er bei der Promulgation des neuen Codex vor nunmehr 20 Jahren bekannte, daß dieser Codex nur ein und demselben Vorsatz entsprang, das christliche Leben zu erneuern, von dem auch das Konzil seinen Ausgang nahm (vgl. Apostolische Konstitution Sacrae disciplinae leges, in: AAS 75 , 1983, Teil II, 5. 8).  

Diese gemeinsame Bezugnahme des Konzils und des Codex auf die kirchliche Wirklichkeit setzt voraus, daß das kanonische Recht vom kirchlichen Leben nicht getrennt werden darf. In dieser Hinsicht ist es nicht schwierig, die nachkonziliaren Gesetzgebungen und die dazu im Laufe dieser Jahre ergangenen wissenschaftlichen Kommentare als einen Aspekt jener intensiven Bestrebungen zu interpretieren, das Konzil zu verwirklichen, worum sich die Universalkirche auch heute noch bemüht. Deshalb kann auch aus dieser Sicht das Konzil durchaus als jene »große Gnade betrachtet werden, in deren Genuß die Kirche im 20. Jahrhundert gekommen ist« (vgl. Apostolisches Schreiben Novo Millennio ineunte, 57). In ihm ist uns tatsächlich eine sichere Orientierungshilfe für den Weg ins neue Jahrtausend geboten worden.  

* * *

Daher muß vor allem zugegeben werden, daß jene Abneigung gegen das Recht (eine Art »animus adversus ius«), die sich in einigen Kreisen der Kirche in den Jahren nach dem Konzil verbreitete, unbegründet war. Es handelte sich um eine psychologische Haltung, die sich auf lehrhafte, an sich richtige Grundaussagen bezog (»Primat der Liebe«, »Freiheit der Kinder Gottes«, »vorrangige pastorale Erfordernisse« usw.), die jedoch zu offensichtlich unrechtmäßigen Schlußfolgerungen führten. Wir erinnern uns alle an den Versuch dialektischer Gegenüberstellungen zwischen »Charisma« und »Institution«, zwischen »pastoralem Geist« und »kanonischer Ordnung«, zwischen der »prophetischen Kirche« und der »Rechtskirche«. Diese Gegenüberstellungen wurden zu Gemeinplätzen im Sprachgebrauch einiger Priester und Gläubigen. 

Zum Glück ist dieses Fieber im kirchlichen Körper heute verschwunden. In diesem Zusammenhang kann mit Freude festgestellt werden, daß sich sowohl in den römischen Universitäten als auch in den Hochschulen weltweit viele Menschen dem Studium des kanonischen Rechts widmen. Dies ist sicher ein ermutigendes Zeichen für die Zukunft. Die kürzlich durch ein Dekret der Kongregation für das Katholische Bildungswesen am 2. September 2002 durchgeführte Reform der höheren Studien des kanonischen Rechts an den kirchlichen Fakultäten wird bestimmt zu einer vollständigeren Ausbildung neuer Generationen von Kanonisten beitragen, was der gesamten Kirche zum Vorteil gereichen wird. In dieser Hinsicht ist es ebenso wünschenswert, daß auch den Priesteramtskandidaten in den Seminaren eine bessere Kenntnis jener Gesetze vermittelt wird, die die rechte Ordnung im Leben des Volkes Gottes gewährleisten, das von seinem Gründer als sichtbares und soziales Gefüge errichtet worden ist.  

Das Studium der Kirchengeschichte führt schließlich alle zur Erkenntnis, daß es auch in den ersten Jahrhunderten der Kirche in der christlichen Gemeinde eine Rechtsordnung gegeben hat. Persönlich erinnere ich mich an den Eindruck, den mir in der Jugend das Studium der Werke des hl. Johannes Chrysostomus hinterließ, aus denen die ganze, in Konstantinopel geltende kanonische Lehre deutlich wurde, wo er im Jahr 397 seinen feierlichen Einzug hielt. Deshalb wollte ich auch meine Doktorarbeit im kanonischen Recht an der Päpstlichen Lateranuniversität dem rechtlichen Gedankengut des hl. Johannes Chrysostomus widmen. Es beeindruckte mich immer sein Beharren auf der Notwendigkeit der Autorität in der Kirche und des Gesetzes, des »nómos«, wie in jeder Gesellschaft. Seinem bekannten Redeeifer entsprechend sagte er beispielsweise im Kommentar zum Hebräerbrief: »Wie der Chor, wenn du ihn des Führers beraubst, sich nicht mehr im rhythmischen Schritt und in Ordnung befindet, wie die Truppen, wenn du dem Kriegsheer den Feldherrn entziehst, nicht in Reih und Glied verbleiben, und wenn du dem Schiff den Steuermann nimmst, das Fahrzeug zum Versinken bringst: so überlieferst du, wenn du die Herde hirtenlos machst, alles der Unordnung und dem Verderben« (In Ep. Ad Hebr., hom. 34; PG 63, 231). Und weiter: »Wo keine Autorität ist, da ist überall Böses und große Unordnung« (vgl. Ep. Ad Rom., hom. 23; PG 60, 616). 

Es ist jetzt nicht meine Aufgabe, auf den Inhalt der Themen einzugehen, die Gegenstand Eurer Erörterungen sein werden. Nicht wenige Probleme erfordern eine aufmerksame Überarbeitung im Hinblick auf die im Verlauf dieser Jahre der Anwendung des neuen Codex entstandenen Fragen.

Man denke nur an die Beziehung zwischen Priestern und Laien, an die Ehe und an die Familie, an die Wahrung der Sakramente, vor allem der hl. Eucharistie und der Buße, an die rechtlichen Prospekte des Lehrberufes in bezug auf den Glauben und die verschiedenen theologischen Disziplinen usw. Ich bin davon überzeugt, daß Ihr auch aus dieser Konfrontation Nutzen ziehen werdet, um auf die wesentlichen Grundsätze zurückzukommen, die die Rechtspflege in der Kirche leiten, und um aus ihnen die geeigneten Kriterien für angemessene Lösungen zu entnehmen. 

* * *

Die deutliche Bekräftigung des Konzils bezüglich des allgemeinen, auf dem Sakrament der Taufe begründeten Priestertums der Gläubigen und folglich die Betonung der universalen Berufung zur Heiligkeit und zum Apostolat (worauf im II. und IV. Kapitel der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium eingegangen wird), haben in den Gläubigen ein klares Bewußtsein ihrer Rechte und der damit verbundenen Pflichten geweckt sowie die Notwendigkeit einer weiteren Vertiefung verdeutlicht, um eine in sich selbst äußerst komplexe Thematik besser definieren zu können. 

Dennoch ist es notwendig, sich stets vor einer dem individualistischen Subjektivismus frönenden Interpretation dieser Rechte und Pflichten zu hüten, die man bisweilen in der Art und Weise vorfindet, wie die menschlichen Rechte im zivilen Bereich verstanden werden. Der ganz und gar in den mystischen Leib Christi eingegliederte Getaufte wird unter allen Umständen bestrebt sein, gemeinsam mit allen Gläubigen das kirchliche Gemeinwohl zu fördern. Sein Handeln ist nicht individualistisch, sondern auf die Gemeinschaft ausgerichtet. Unter diesem Gesichtspunkt wird das Recht in der Kirche ausgeübt: Auch wenn die hierarchische Autorität nach besten Kräften bemüht ist, »unicuique suum« zu geben, übt sie eine Tätigkeit aus, die in der ihr von Christus anvertrauten Sendung mit eingeschlossen ist. 

* * *

Verehrte Rechtswissenschaftler, nun übergebe ich das Wort an den Präsidenten des Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten und die Referenten, die die einzelnen, im Programm vorgesehenen, bedeutenden Themen behandeln werden. 

Gerne habe ich die Einladung angenommen, Eure Tagung zu eröffnen, um auch auf diese Weise die Hochschätzung zu bekunden, die wir alle, Mitglieder der Römischen Kurie, Euch und dem von Euch geleisteten, wertvollen Beitrag für das Leben der Kirche entgegenbringen. Empfangt meine besten Wünsche, die der väterlichen Botschaft vorausgehen mögen, die der Heilige Vater an Euch richten und mit der er Euren wertvollen kirchlichen Dienst segnen wird. 

Nun wünsche ich allen viel Erfolg bei der Arbeit!

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