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EUCHARISTIEFEIER ANLÄSSLICH DES
"III. STUDIENSEMINARS VON SUBIACO"

PREDIGT VON KARDINAL TARCISIO BERTONE

Kathedralbasilika "Santa Scolastica", Subiaco
Sonntag, 15. Juli 2007

 

In dieser herrlichen Kathedralbasilika »Santa Scolastica«, einer der Gedenkstätten des großen hl. Benedikt von Nursia, sind wir von der benediktinischen Atmosphäre umfangen – einem Leben des Gebets und der manuellen und intellektuellen Arbeit, das Einfachheit und Klugheit, Strenge und Milde, Freiheit und Gehorsam miteinander verbindet.

Ich möchte vor allem Abt Mauro Meucci grüßen und ihm für seine Einladung sowie der ganzen Mönchsgemeinschaft für die freundliche Aufnahme danken. Gerne grüße ich auch von Herzen alle Teilnehmer am III. Studienseminar von Subiaco.

Wer aus dem Chaos und Lärm der Städte an diesen heiligen Ort kommt, taucht in eine Stille ein, die mehr als alle Worte sagt, die täglich vom Fernsehen, von der Presse oder vom Stimmengewirr unnützen und leichtfertigen Geschwätzes verbreitet werden.

Dabei kommt mir die Erzählung eines Mannes in den Sinn, der zu einem Klausurmönch ging und ihn fragte: »Was lernst Du von Deinem Leben in der Stille?« Der Mönch schöpfte gerade mit einem Kübel Wasser aus dem Brunnen; er antwortete seinem Besucher: »Schau hinunter in den Brunnen! Was siehst Du?« Der Mann blickte hinunter in den Brunnen: »Ich sehe nichts.« Nach einiger Zeit, in der er völlig bewegungslos geblieben war, sagte der Mönch zu dem Besucher: »Schau jetzt hinunter! Was siehst Du in dem Brunnen?« Der Mann gehorchte und antwortete: »Jetzt sehe ich mich selbst. Ich spiegle mich im Wasser.« Der Mönch sagte: »Siehst Du, wenn ich den Kübel eintauche, bewegt sich das Wasser. Aber jetzt ist das Wasser ruhig. Das ist die Erfahrung der Stille: Der Mensch sieht sich selbst.«

Die innere Stille ist nicht nur notwendig, um sich selbst zu verstehen, sondern auch um sich im Wort Gottes zu spiegeln, der heute zu uns durch die soeben gehörten Lesungen spricht, die uns ganz klar einige Themen von großer Bedeutung für den einzelnen und die Gemeinschaft anbieten. Der erste Hinweis kommt aus dem Buch Deuterononium und zeigt uns die Beachtung der Gebote als Beweis von Weisheit und Intelligenz: Gott wird dir Gutes tun, »wenn du auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, hörst und auf seine Gebote und Gesetze achtest, die in dieser Urkunde der Weisung einzeln aufgezeichnet sind, und wenn du zum Herrn, deinem Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele zurückkehrst. Dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft und ist nicht fern von dir … Nein, das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten« (Dt 30,10–11;14). Das sind also die Worte, die wir auf den Lippen und im Herzen haben sollen. Es geht nicht darum, blind an das (sei es göttliche oder kirchliche) Gesetz zu glauben, sondern an dessen unentbehrliche Bedeutung in unserer Befindlichkeit als begrenzte und endliche Geschöpfe. Wir wissen, daß die Kraft aus dem Leben Christi in uns kommt, aus seiner lebendigen Liebe in uns, deshalb müssen wir das »Gesetz« annehmen, erkennen, betrachten und voll Liebe befolgen, aber es auch »bitten«, um den inneren Ansporn zu erhalten, es in die Tat umzusetzen.

Im Gehorsam gegenüber dem Gesetz Gottes sind alle guten Werke enthalten, die wir vollbringen können und die Gott am meisten gefallen. Der hl. Benedikt, jener große Gesetzgeber des monastischen Lebens, hat in seine »Regel« die Merkmale großer menschlicher Weisheit einfließen lassen. Im Prolog lesen wir: »Vor allem: wenn du etwas Gutes beginnst, bestürme Gott beharrlich im Gebet, er möge es vollenden. Dann muß er, der uns jetzt zu seinen Söhnen zählt, einst nicht über unser böses Tun traurig sein. Weil er Gutes in uns wirkt, müssen wir ihm jederzeit gehorchen.«

Wir wissen, daß das Lebensgesetz der Kirche die Liebe ist und daß sie der beste Weg von allen ist, der jedes Verhalten des Christen formt und bildet (vgl. 1 Kor 12,31; 13,4–7), und sie wird so das Kennzeichen der wahren Jünger. Deshalb konnte der hl. Thomas schreiben: »Etiam littera Evangelii occideret, nisi adesset interius Gratia.« Das Gesetz ist ein Entwurf, den die Liebe vollenden muß, um lebendig zu machen.

Die Zweite Lesung aus dem Brief an die Kolosser sagt uns, daß Jesus Christus das Ebenbild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung; denn durch ihn ist alles geschaffen worden im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare. Ein Vorrang der Liebe zu Gott im menschlichen Leben zeigt sich schon in der einfachen Betrachtung der Tatsache der Schöpfung. Wenn alles von Gott geschaffen ist, kann ihm nichts entgehen. Jedes Geschöpf strebt deshalb der höchsten Quelle des Seins zu. Jedes Seiende, auch das unbedeutendste, fühlt sich viel mehr zu Gott als zu sich selbst hingezogen. Im Menschen wird diese Liebe bewußt und frei.

Nur um Gott kreisen wie ein Stein, der dem Zentrum der Anziehungskraft zustrebt, wäre weniger würdevoll. Gott hat uns die wunderbare Macht gegeben, ein Ja zu sagen, das das Gegenteil von einem Nein ist. Diese bewußte und frei gewollte Liebe wird vom ersten Augenblick an durch die Gnade zum übernatürlichen Ziel der Teilhabe am Leben der Dreifaltigkeit erhoben, die Gemeinschaft der Liebe ist. Der Gedanke der Gemeinschaft als Teilhabe am dreifaltigen Leben ist besonders erhellend: denn die Gemeinschaft der Liebe, die den Sohn mit dem Vater und mit den Menschen verbindet, ist zugleich das Vorbild und die Quelle der brüderlichen Gemeinschaft, welche die Jünger untereinander vereinen soll.

Kommen wir jetzt zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das wir aus dem Lukasevangelium gehört haben, und verweilen wir bei der Einladung Jesu: »Geh, und handle genauso!« Das Evangelium der Liebe wurde im Verlauf der Menschheitsgeschichte als unumgängliche Aufgabe der Jünger Christi verkündet und vor allem durch das Leben und die guten Taten und die Hingabe einer Schar von Männern und Frauen bezeugt, die nach dem Vorbild Christi und Marias sich über die arme und leidende Menschheit mit der Geste des barmherzigen Samariters gebeugt haben. »Auf diese Weise offenbart sich die Kirche trotz aller menschlichen Schwächen, die ihrer Erscheinungsform in der Geschichte anhaften, als eine wunderbare Schöpfung der Liebe, die geschaffen wurde, um Christus bis ans Ende der Zeiten jedem Mann und jeder Frau, der oder die ihm begegnen will, nahezubringen. Und in der Kirche bleibt der Herr immer unser Zeitgenosse. Die Heilige Schrift ist nicht etwas, das der Vergangenheit angehört. Der Herr spricht nicht in der Vergangenheit, sondern er spricht in der Gegenwart, er spricht heute mit uns, er schenkt uns Licht, er zeigt uns den Weg des Lebens, er schenkt uns Gemeinschaft und bereitet und öffnet uns so für den Frieden« (Benedikt XVI., Generalaudienz vom 29. März 2006; O.R. dt., Nr. 14, 7.4.2006, S. 2). In dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird der Begriff des »Nächsten« gegenüber der damaligen Mentalität universalisiert, für die der Nächste der Familienangehörige oder der Landsmann war. Die Brüderlichkeit erlangt ihre tiefste Bedeutung. Denn es ist Christus, »der Erstgeborene von vielen Brüdern« (Röm 8,29), der uns in jedem Menschen, Freund oder Feind, einen Bruder oder eine Schwester entdecken läßt. Christus, der gekommen ist, »nicht um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten«, ruft alle Menschen zur Einheit.

Im hl. Benedikt haben wir ein leuchtendes Beispiel dieses grundlegenden Mentalitätswandels; wie im Evangelium, gerade als zu seiner Zeit die klassische Größe des Römischen Reiches traurig unterging, in einem sozioökonomischen Kontext, wo die Ausbeutung und die Willkür herrschten, stellte er den Geist der Brüderlichkeit der Gewalt und den wirkenden Einsatz der Trägheit entgegen, um die Voraussetzungen für eine ganzheitliche Erholung des Menschen zu schaffen.

Bei dem Thema Liebe können wir nicht umhin, an Benedikt XVI. zu erinnern, der ihr seine erste Enzyklika gewidmet hat: Deus caritas est. Der Papst erklärt in seinem erhellenden und hohen Lehramt die Wirklichkeit Gottes, die Liebe ist und die, wenn sie von der Kirche gelebt und praktiziert wird, Ausdruck der dreifaltigen Liebe wird. In der Liebe besteht »die Mitte des christlichen Glaubens, das christliche Gottesbild und auch das daraus folgende Bild des Menschen und seines Weges« (Nr. 1).

Zum Schluß möchte ich die Gedanken mit den abschließenden Worten dieser wunderbaren Enzyklika Papst Benedikts XVI. an die allerseligste Maria wenden: »Maria, die Jungfrau, die Mutter, zeigt uns, was Liebe ist und von wo sie ihren Ursprung, ihre immer erneuerte Kraft nimmt. Ihr vertrauen wir die Kirche, ihre Sendung im Dienst der Liebe an: Heilige Maria, Mutter Gottes, du hast der Welt das wahre Licht geschenkt, Jesus, deinen Sohn – Gottes Sohn. Du hast dich ganz dem Ruf Gottes überantwortet und bist so zum Quell der Güte geworden, die aus ihm strömt. Zeige uns Jesus. Führe uns zu ihm. Lehre uns ihn kennen und ihn lieben, damit auch wir selbst wahrhaft Liebende und Quelle lebendigen Wassers werden können inmitten einer dürstenden Welt« (Nr. 42).

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