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VORSTELLUNG DES BUCHES
"L'ULTIMA VEGGENTE DI FATIMA" [DIE LETZTE SEHERIN VON FATIMA]
VON KARDINALSTAATSSEKRETÄR TARCISIO BERTONE
UND DR. GIUSEPPE DE CARLI

BEITRAG VON KARDINAL TARCISIO BERTONE

Aula Magna der Päpstlichen Universität Urbaniana
Freitag, 21. September 2007

 

Zum Abschluß der vielen Wortmeldungen danke ich aufrichtig den Referenten, die durch ihre verschiedenen, aber sich ergänzenden Ausführungen ein wunderbares – ich würde sagen »marianisches« – Gemälde gezeichnet haben, das in verschiedener Hinsicht für den Geist erhebend, für die Geschichte bedeutsam, für die Kultur beeindruckend und für die Information interessant war.

Ich selbst möchte zwei Punkte behandeln, die nur scheinbar gegensätzlich sind: die Bedeutung der Mariologie für die katholische Spiritualität, die auch übernatürliche Phänomene umfaßt, und die gebotene Vorsicht der Kirche bei der offiziellen Anerkennung derselben.

1. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich in der Kirche verschiedene Erscheinungen ereignet, die vor allem der Mutter des Herrn und den Heiligen zugeschrieben wurden und Gegenstand eines verborgenen göttlichen Plans waren. Die Kirche hat manche als außerordentliche Zeichen der von der Vorsehung gewollten Begleitung der Jünger Christi oder als prophetische Zeichen anerkannt und aufgenommen. Aber sie wollte den Glauben der Gläubigen niemals an diese binden (das bezeugt schon Papst Benedikt XIV. in De servorum Dei beatificatione). Der Glaube bleibt immer nur in Jesus Christus verwurzelt und gegründet, der die wahre Prophetie des Vaters bis zum Ende der Zeiten ist.

Die Lehre des Konzils läßt Zeichen zu, die nicht den Charakter der biblischen Offenbarung besitzen, sondern an Privatpersonen gerichtet sind (vgl. KKK, 66). Diese Zeichen, die dem Glaubensinhalt nicht widersprechen dürfen, müssen auf den Kern der Verkündigung Jesu Christi ausgerichtet sein: die Liebe des Vaters, der in den Menschen die Umkehr weckt und die Gnade schenkt, damit sie sich ihm mit kindlicher Hingabe überlassen. Das ist auch die Botschaft von Fatima, die uns durch den eindringlichen Aufruf zur Umkehr und Buße wirklich ins Herz des Evangeliums führt. In diesem Sinn erhält die Erscheinung von Fatima gleichsam die Form eines großen kirchlichen Gemäldes, wie Kardinal Ratzinger in seinem theologischen Kommentar anläßlich der Veröffentlichung des dritten Teils des sogenannten Geheimnisses gezeigt hat.

Die Sendung der Jungfrau Maria im universalen Heilsplan und im Leben jedes Christen wird heute vom Katholizismus immer mehr ins Licht gestellt. Manche sind besorgt darüber und fürchten, daß dadurch die Spaltung, die uns von unseren protestantischen Brüdern trennt, noch vertieft wird. Aber wir betrachten die Entwicklung der Mariologie als einen Beweis der Treue zum Heiligen Geist, der im Lauf der Jahrhunderte so führt, daß die in der Heiligen Schrift enthaltene Wahrheit immer tiefer ins Bewußtsein dringt. Die Aufgabe, die Maria vom katholischen Glauben zuerkannt wird – ich spreche nicht von dieser oder jener Form der Verehrung –, ist keine der Schrift übergestülpte Lehre, sondern erwächst vielmehr aus der Verständlichkeit des Wortes Gottes selbst, das vom Glauben der Christengemeinde und von der Tradition des Lehramtes unter dem ständigen Einwirken des Heiligen Geistes in den Jahrhunderten besser verstanden wurde. Es handelt sich um die wunderbare Wirklichkeit, daß eine Frau erwählt wurde, Mutter Gottes zu sein. Alles, was im Herzen der Jungfrau Christus vorbereitet und vorwegnimmt, bleibt für uns noch heute eine gegenwärtige Wirklichkeit, weil sich vor unseren Augen in der Welt das Geheimnis der fortschreitenden Wiederkunft Christi in allen Herzen und Nationen vollzieht. »Wir befinden uns immer im Advent«, schrieb Kardinal Jean Danielou. »Er ist gekommen, aber sein Erscheinen ist noch nicht vollendet.«

Der Maßstab zur Unterscheidung der Wahrheit einer Privatoffenbarung ist also ihre Ausrichtung auf Christus und auf das Evangelium. Ausgehend von diesem grundlegenden Kriterium, können verschiedene Auslegungen angewendet werden, wie die Volksfrömmigkeit oder Volksreligiosität. Kardinal Ratzinger hat in seinem theologischen Kommentar auf die Volksfrömmigkeit und ihre sehr bedeutsamen Ausdrucksweisen Bezug genommen. Er bekräftigte, daß »eine Privatoffenbarung neue Akzente setzt, daß sie neue Weisen der Frömmigkeit herausstellt oder alte vertieft und verbreitet«. Aber in allem muß es um die Stärkung des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe gehen, die für alle der ständige Heilsweg sind. Volksfrömmigkeit bedeutet, daß der Glaube im Herzen der einzelnen Völker Wurzel faßt, so daß er in die Welt des Alltags eingeht. Die Volksfrömmigkeit ist die erste und grundlegende Form der »Inkulturation« des Glaubens.

2. Aber welche Gründe hat die Kirche zur Vorsicht bei der Anerkennung der Erscheinungen als wahre übernatürliche Zeichen? Wenn wir uns nicht so sehr auf die Vergangenheit, sondern mehr auf unsere Zeit beziehen, dann ist einer der Gründe mit der Zunahme dieser Phänomene verbunden, die wahrscheinlich verschiedene Ursachen hat: Zusammenbruch des Rationalismus, krampfhafte Suche nach dem Geheimnis, oberflächlicher und wenig gebildeter Glaube, wachsende Besorgnis oder Angst vor der unbekannten Zukunft …

Solche Phänomene setzen sich rascher durch als zuvor, und ihre Auswirkungen sind in allen Teilen der Welt zu spüren, vor allem auf Grund des Drucks der Medien. Tatsächlich ist eine weite und gezielte Verbreitung der mit ihnen verbundenen angeblichen »übernatürlichen Botschaften« festzustellen. Zugleich besteht im allgemeinen die Tendenz, die »Botschaften«, die im Verlauf bestimmter »Erscheinungen« empfangen wurden, mit denen anderer Erscheinungen zu verknüpfen – besonders wenn diese von der obersten kirchlichen Autorität als authentisch anerkannt wurden, aber sie werden auch mit nicht anerkannten Erscheinungen verbunden; ebenso verbunden werden mit ihnen die verschiedenen Bewegungen, die aus den einzelnen Phänomenen hervorgehen.

Hinsichtlich des Inhalts der »Botschaften« besteht die Gefahr, die Phänomene für authentisch zu halten, wenn die Botschaften keine Irrtümer in der Glaubenslehre, sondern Aufrufe und Einladungen zu Gebet und Umkehr beinhalten. Diese angeblichen Erscheinungen übermitteln nicht selten »apokalyptische« Botschaften, von denen auch ein Anstieg zu verzeichnen ist. Die Veröffentlichungen (Bücher, Zeitschriften), die sich auf das Thema übernatürlicher Phänomene spezialisiert haben, rufen großes Interesse hervor.

Besonders tiefen Eindruck erwecken solche Veröffentlichungen, wenn sie von einem Kleriker oder einem Theologen geschrieben wurden.

Bezeichnend für unsere Zeit ist auch ein starker Geltungsdrang seitens der »Seher«. Häufig entstehen neue »Bewegungen« oder Vereinigungen von Gläubigen im Umfeld eines bestimmten Phänomens, die einer Prüfung bedürfen, um zu vermeiden, daß in der Gemeinschaft und im kirchlichen Leben des Landes oder der Ortskirche Probleme entstehen.

Obwohl manchmal Mängel im Verhalten der Diözesanbischöfe und ihrer Mitarbeiter auftreten, muß man die Gefahr einer »Kirche der Erscheinungen« vermeiden, die der Hierarchie der Kirche mißtraut, als Variante der bekannten Gegenüberstellung »charismatische Kirche – institutionelle Kirche«. In diesem Fall haben wir nicht so sehr eine bestimmte ideologische Stellungnahme vor uns, sondern eine praktisch gelebte Haltung, die von einer etwas oberflächlichen Religiosität, einer geschwächten kirchlichen Gemeinschaft und einem nicht sehr tiefen Glauben bewirkt wird, der Wunder und Zeichen nötig hat.

Aus den oben angeführten Merkmalen ergibt sich die Notwendigkeit zu Besonnenheit und Vorsicht seitens der Bischöfe bei der Prüfung dieser Fälle, vor allem wenn es darum geht, die öffentliche Verehrung zu erlauben und, noch mehr, sich etwa für oder gegen die Übernatürlichkeit auszusprechen. Eine solche Verehrung gilt immer mehr als theologisches Statut mit bedeutsamen pastoralen Kehrseiten. Die internationale Tagung 2008 in Lourdes wird sich hauptsächlich mit der »theologischen Bedeutung« der Marienerscheinungen befassen.

Aber kehren wir zur Botschaft von Fatima zurück. In ihr verwirklicht sich die fruchtbringende Begegnung zwischen Charisma und Institution, zwischen trinitarischem und christologischem Geheimnis. Maria, Zeichen der göttlichen Barmherzigkeit, läßt die Christen nicht allein. Sie gibt uns Wegweisungen, um den gewaltigen Kampf zwischen Gut und Böse auszufechten. Maria ist die Ikone der Zuneigung Gottes zu uns.

In Fatima gibt es einige besondere Merkmale: vom Auftrag zur praktizierten Frömmigkeit bis hin zur Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariens; von der Spiritualität bis hin zu einer geschichtlichen und politischen Vision (Rußland, Frieden und Krieg, Atheismus …); von einem geographisch begrenzten Einfluß hin zu einem universalen Einfluß, der sogar die Päpste, insbesondere Papst Wojtyla betrifft.

In einem Interview mit »Avvenire« sagte ich kürzlich, daß das Geheimnis von Fatima ein Ereignis ist, das wie keine andere Marienerscheinung auf unsere Zeitgeschichte zurückgreift und diese durchdringt, und die Dichtheit ihrer Botschaft – nicht nur des dritten Teils des Geheimnisses – trifft das Herz der Menschen, indem sie diese zur Umkehr und zur Mitverantwortung für die Rettung der Welt einlädt. Wir finden hier eine Interpretationsweise des 20. Jahrhunderts, und ihre Botschaft zwingt in gewisser Weise die Menschen unserer Zeit, mit einer übernatürlichen Dimension zu rechnen, an die man nicht gerne denkt. Der Gedanke einer übernatürlichen »Einmischung« in die weltlichen Geschehnisse ist auch für den, der glaubt, nicht leicht zu akzeptieren, im Gegensatz zu dem in gewisser Hinsicht beruhigenden Gedanken, der die Begegnung zwischen Mensch und Gott in die Eschatologie verdrängt. Wie Papst Benedikt XVI. wiederholt gesagt hat, ist ein weit entfernter Gott bequemer als ein naher und zugänglicher Gott.

Viele wissen nicht, daß der letzte Blick von Mutter Teresa von Kalkutta vor ihrem Tod einer Statue der Muttergottes von Fatima gegolten hat, die in ihrem Schlafzimmer stand. Pater Pio von Pietrelcina fühlte sich im September 1959 in dem Moment von der Jungfrau von Fatima »geheilt«, als ihre Statue San Giovanni Rotondo verließ. Der Heilige mit den Wundmalen litt damals unter einem gefährlichen »bronchopneumonalen Entzündungsherd mit blutender Pleuritis«. Die Diagnose stammt von seinem behandelnden Arzt Dr. Sala. Pater Pio wandte sich an die Jungfrau von Fatima, und am Tag danach konnte er wieder die heilige Messe feiern.

Das Buch, das heute vorgestellt wird, wurde vor allem in der Absicht geschrieben, von Sr. Lucia zu sprechen, von der anziehenden und aufrichtigen Menschlichkeit einer Frau, die eine außergewöhnliche Erfahrung gemacht hat. Und durch sie von Maria zu sprechen. Festzuhalten ist, daß Sr. Lucia, als Kind Analphabetin und unbelesen, erst im Kloster Lesen und Schreiben gelernt hat, und sie hat dann ihr ganzes Leben lang geschrieben. In den achtziger Jahren trafen durchschnittlich fünftausend Briefe im Jahr in Coimbra ein, die nach dem Fall der Berliner Mauer mehrere zehntausend erreichten. Die Wahrhaftigkeit der umfassenden Veröffentlichung des dritten Geheimnisses, das von ihr auf Anordnung des Bischofs niedergeschrieben wurde, hat man in Zweifel gezogen; wenn also die Wahrheit eine andere gewesen wäre, dann könnte sie in den Tausenden von Antwortbriefen gefunden werden, die Lucia, die täglich viele Stunden in ihrem Privatbüro verbrachte, an die Gläubigen schrieb, die aus allen Teilen der Welt bei ihr anfragten.

Zum Schluß kann ich nicht umhin, auf Papst Benedikt XVI. hinzuweisen. Einige seiner Reisen sind kennzeichnend für den »Papst als Pilger auf den Spuren Marias«. Da ist Tschenstochau in Polen, Altötting in Bayern, Ephesus in der Türkei, die »Virgen de los Desamparados« in Valencia in Spanien, Aparecida in Brasilien, Loreto mit den Jugendlichen und Mariazell in Österreich.

Die Marienverehrung des Papstes findet auch in diesem Jahr, dem 90. Jahrestag der Erscheinungen, konkreten Ausdruck in der Entsendung von zwei päpstlichen Legaten nach Fatima: von Kardinal Angelo Sodano am 13. Mai, dem Jahrestag der ersten Erscheinungen, und des Kardinalstaatssekretärs zum Jahrestag der letzten Erscheinung und zum Abschluß der Feierlichkeiten.

Wie bekannt, werde ich dem Weiheritus der neuen Dreifaltigkeitsbasilika am Abend des 12. Oktober vorstehen und am 13. Oktober auf dem Hauptplatz die Messe für die Pilger feiern. Am 14. Oktober werde ich dann noch einmal in direkter Übertragung des italienischen Fernsehens RAI zelebrieren.

Ich möchte die theologische Bedeutung der Weihe der Basilika an die Heilige Dreifaltigkeit hervorheben. Sie bedeutet die Bekräftigung der konkreten Gegenwart Gottes in der menschlichen Geschichte; gewiß eine Gegenwart, die Gericht, aber vor allem Rettung und Hoffnung bringt.

»In der Tat«, sagt Benedikt XVI., »liegt die Geschichte nicht in den Händen dunkler Gewalten, des Zufalls oder rein menschlicher Entscheidungen. Über den sich entfesselnden bösen Mächten, über dem mit Gewalt eindringenden Satan, über den vielen Plagen und Übeln, mit denen wir konfrontiert werden, steht der Herr, der höchste Richter der Geschichte. Er führt sie weise zum Aufgang des neuen Himmels und der neuen Erde« (Generalaudienz, 11. Mai 2005; O.R. dt., Nr. 20, 20.5.2005, S. 2).

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