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ERÖFFNUNG DER AUSSTELLUNG ""APOKALYPSE"
ANSPRACHE VON KARDINAL TARCISIO BERTONE "Salone Sistino", Vatikanische Museen Donnerstag, 18. Oktober 2007
Bei der feierlichen Eröffnung hielt Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone eine Ansprache, in der er die Einzigartigkeit dieser Schau unterstrich und über die Bedeutung des Buches der Apokalypse sprach. Zunächst hieß er die anwesenden Persönlichkeiten willkommen, unter ihnen Erzbischof Giovanni Lajolo, Präsident des Governatorats, und zahlreiche Botschafter beim Heiligen Stuhl. Den Verantwortlichen des »Komitees des hl. Florian« und seinen Mitarbeitern, sowie den Vatikanischen Museen mit ihrem Direktor Dr. Francesco Buranelli dankte Kardinal Bertone für die Verwirklichung der Ausstellung. Anschließend sagte er: Im »Salone Sistino« werden über 100 Meisterwerke aus einigen der wichtigsten Museen der Welt zu sehen sein. Sie werden den Besucher anregen, das letzte Buch der Heiligen Schrift erneut zu lesen und zu verstehen. In diesem Buch wendet sich der Seher Johannes an die Gemeinden Asiens – Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia, Laodizea – und im Geiste an die gesamte Kirche: Er ruft die Jünger Jesu auf, im Glauben treu zu bleiben und sich weder verführen noch erschrecken zu lassen von den bösen Mächten dieser Welt, die scheinbar überlegen, aber in Wirklichkeit zum Scheitern verurteilt sind. Die Apokalypse ist also nicht, wie man oft meint, die beunruhigende Ankündigung eines katastrophalen Endes für die Menschheit, sondern die Erklärung des Scheiterns der höllischen Mächte und die großartige Verkündigung des Geheimnisses Christi, der zur Rettung der Geschichte und des Kosmos gestorben und auferstanden ist. Die Lektüre der Apokalypse erschüttert die Seele, so wie auch die Betrachtung des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle. Aber es ist die verzückte Erschütterung angesichts der Majestät und der überraschenden Barmherzigkeit, die uns entgegenkommt, nicht jener dumpfe und verzweifelte Schauder des Untergangs und der Angst. Dieser Text und die Kunstwerke wollen uns nicht erschrecken, wenn sie uns Szenen der Ewigkeit vor Augen führen. Allenfalls wollen sie uns daran erinnern, daß das Leben hier auf der Erde vergänglich ist und wir es jeden Tag durch die Qualität unseres Handelns prägen. In der Apokalypse die Ankündigung der Auferstehung am Jüngsten Tag zu lesen, ist an sich ein Trost und eine Art Gerechtigkeit. Man darf nicht vergessen, daß nur eine Welt gerecht sein wird, in der die Toten auferstehen und letztlich jede Wunde geheilt, jede Träne getrocknet, alle unterbrochenen Gespräche fortgesetzt und jede Sehnsucht nach dem Guten erfüllt wird. Die Vision des himmlischen Jerusalem füllt in dieser Hinsicht nicht nur den letzten Teil der Apokalypse und der Ausstellung aus, sondern ist auch eine logische Notwendigkeit, eine moralische Pflicht und eine unerläßliche Voraussetzung, damit das Reden von Gerechtigkeit überhaupt einen Sinn hat. Einen weiteren positiven Aspekt der Apokalypse nimmt man nur dann deutlich wahr, wenn man den Text in einem Zug liest, so wie es die Ausstellung im »Salone Sistino« anbietet und möglich macht. Diesen Aspekt kann man nur angemessen beschreiben, wenn man den Geist zur hohen Poesie des längsten, bilderreichen und eindrucksvollen Textes aus dem Requiem erhebt, der als ein Kunstwerk unter anderen in der Ausstellung auf verschiedenen Tafeln zu lesen ist. Von den fünf Verstexten, die im Missale unter der Bezeichnung Sequenz aufgeführt waren, ist das »Dies irae« von Thomas von Celan das letzte; das erste ist »Victimae Paschali«. Beide verweisen aufeinander, das erste verhält sich zum letzten wie die Auferstehung Christi zur universalen Auferstehung, deren Anlaß und Ursache sie ist. »Tag des Zorns, jener Tag…«: Die lateinische christliche Tradition hat aus der Apokalypse gelernt, daß der Zorn Gottes gerade deswegen und nur deswegen besungen wird, weil von dessen Auflösung und Umkehrung durch die Liebe des unschuldigen Lammes erzählt wird, das sich für unsere Rettung geopfert hat. Das wird deutlich in der Erzählstrategie der Apokalypse wie auch im Aufbau der Ausstellung und des »Dies irae«. Die ersten sieben Strophen dieses mittelalterlichen Gebetes zeichnen das schreckenerregende Bild der Wiederkunft des göttlichen Herrschers beim Jüngsten Gericht. Aber von der achten Strophe an geschieht diese Umkehrung: Eben jener Richter, der von uns jetzt angerufen wird, Jesus, ist derjenige, der ohne irgendein Motiv, ohne Gegenleistung, sozusagen »gratis« rettet. Gerade weil der Mensch sich nicht rechtfertigen kann, muß er von jemandem gerettet werden, der ihn mit reiner Liebe liebt: kurz gesagt, von einer Liebe die Gottes würdig ist! Was passiert also, wenn wir erneut die Apokalypse lesen und deren faszinierende Umsetzung in Bilder betrachten, die uns so viele Künstler hinterlassen haben? Es bedeutet, die Lektüre oder den Besuch im »Salone Sistino« mit der Bestätigung im Herzen zu beenden, daß das letzte Wort unseres persönlichen und des gemeinsamen Lebens auf Erden weder dem Tod noch dem Bösen gehört. Und während das Bekenntnis unseres Glaubens ein Ausdruck der Erwartung der höchsten und endgültigen Begegnung mit Gott in Christus ist, üben uns die Seiten der Apokalypse sowie die Kupferstiche und Gemälde, die die Verwüstung der Erde und den Umsturz der Völker beschreiben, weise darin ein, jede andere Wirklichkeit als mögliche endgültige Erfüllung der Welt und des Menschen von Grund auf abzulehnen. Die Apokalypse ist eine Hilfe, das Herz freizuhalten von den unendlich vielen Verführungen, die die Welt mit Tausenden von Zaubereien umgarnen wollen, indem sie der Welt das anbieten, was sie nur in Gott finden kann. Vergessen wir nicht, was auch der große hl. Augustinus gesagt hat: Der Herr hat unser Herz für sich geschaffen, und unser Herz wird keinen Frieden finden, bis es in Ihm ruht. Hier unten indes stehen vom Beginn der Dinge bis zum eschatologischen Hochzeitsmahl das Gute und das Böse auf der erhabenen und furchtbaren Bühne dieser Welt im Kampf gegeneinander. Und gerade davon werden wir schließlich befreit werden, unwiderruflich geschützt vor Fehlbarkeit, Unwissenheit, Müdigkeit, Alter, Schmerz, Eitelkeit, aber vor allem vor der Möglichkeit zu sündigen, der absurden Möglichkeit, ein Geschöpf dem Schöpfer vorzuziehen. Das Bild des himmlischen Jerusalem ist also – aus unvergänglichem Gold und mit Edelsteinen geschmückt, so wie das wundervolle Reliquiar aus Tournai, das in der Ausstellung zu sehen ist – ein Bild für die Herrlichkeit, die aus der Höhe in die Tiefe der Erde herabkommt, das heißt in alle Fasern unseres gesamten Seins, Leib und Seele, wenn nichts mehr Widerstand leisten wird. Und das geschah unmittelbar der allerseligsten und unbefleckten Jungfrau Maria, denn in ihr setzte nichts jemals der Liebe Gottes einen Widerstand entgegen. Wir brauchen also nichts anderes zu tun, als unseren Blick getröstet auf die Schönheit des Textes der Apokalypse, auf das Gebet der Kirche und die Werke der Künstler zu richten. Zum Schluß möchte ich betonen, daß diese Ausstellung zweifellos nicht nur wegen der Botschaft, die sie vermittelt, sehr wertvoll ist, sondern daß sie auch in ihrer Art ein Unikum darstellt, denn die Vatikanischen Museen haben sie erhalten, nachdem sie in einem kleinen Ort der Karnischen Alpen zu sehen war, in Illegio, wo das »Komitee des hl. Florian« zu Hause ist. Dieses Bergdorf habe ich besucht, als ich dort oben dieses Ausstellung eröffnet habe: Illegio ist keine Metropole und auch keine geschichtlich bedeutungsvolle Hauptstadt der Kunst. Aber es ist ein Ort, an dem sich Glaube und Kunst auf dem fruchtbaren Boden des Herzens der Menschen begegnet sind, denn diese Ausstellung – und das sage ich, weil ich es mit eigenen Augen gesehen habe – ist eine Wirklichkeit des Volkes, Ergebnis der Einbeziehung von vielen, die den Wunsch hatten, dem Evangelium und der Verbreitung des christlichen Gedankenguts einen Dienst zu erweisen, sowie die Schätze der Schönheit und der christlichen Tradition ihrer Heimat Friaul zu fördern, und in gewisser Weise die ganz Europas. Deshalb möge der Herr sie segnen und ermutigen mit großer Begeisterung weiterzumachen. Den Besuchern dieser Ausstellung in den Vatikanischen Museen und uns allen möge es gewährt sein – das ist mein Wunsch –, daß wir durch das Bewundern dieser Kunstwerke zur Begegnung mit dem Herrn geführt werden und seine strahlende Schönheit erkennen können. Diesen Wunsch vertraue ich der himmlischen Fürsprache der Jungfrau Maria und des Erzengels Michael an, die uns in der Apokalypse gezeigt werden, wie sie kraft des Erlösers den Drachen besiegen. Ihre Demut in dem Wunsch, Gott zu dienen, war das Mittel, um das Werk dessen zu verwirklichen, der uns für immer an seiner Herrlichkeit teilnehmen lassen will, der König der Könige und Herr der Herren: vor unseren Augen geschah dieses Wunder! |