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BEGEGNUNG MIT DEN MITGLIEDERN DER ARGENTINISCHEN BISCHOFSKONFERENZ

ANSPRACHE VON KARDINAL TARCISIO BERTONE

Buenos Aires
Freitag, 9. November 2007

 

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Ich danke dem Herrn, daß er mir die Möglichkeit gibt, heute mit den Hirten des Volkes Gottes, das in der argentinischen Nation lebt und arbeitet, zusammenzutreffen. Jedem von euch drücke ich meine aufrichtigsten Empfindungen der Brüderlichkeit aus. In den vergangenen Tagen hat mich der Heilige Vater, den ich getroffen habe, um ihn über diese Reise zu informieren, gebeten, euch seinen herzlichen Gruß zu überbringen und euch sowie die Diözesangemeinden, denen ihr in Liebe vorsteht, seiner geistlichen Nähe zu versichern. Er kennt die Situation der Kirche in Argentinien gut und ermutigt euch, in eurer Sendung im Dienst am Evangelium mit Enthusiasmus fortzufahren, indem ihr euch bemüht, standhafte Führer und fürsorgliche Väter der eurer Hirtensorge anvertrauten Herde zu sein, die unversehrte Lehre bewahrt und unermüdlich Werke der Gerechtigkeit und Nächstenliebe fördert. Seine Heiligkeit unterstützt euch immer und begleitet euch mit seinem Gebet, während er eurer besonders bei der täglichen Feier der heiligen Messe gedenkt.

Mit der jüngst abgehaltenen V. Generalversammlung der Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik in Aparecida, Brasilien, wollten die Bischöfe der Neuevangelisierung in den Ortskirchen in diesem Teil der Welt einen neuen Auftrieb verleihen. Es handelt sich gewiß um eine große pastorale Herausforderung, die alle Getauften dazu aufruft, durch ihr Verhalten als wahre Jünger und Missionare Jesu Christi, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, ein kohärentes Zeugnis ihres Glaubens und ihrer freudigen Zugehörigkeit zum Volk Gottes zu geben. Das setzt als unerläßliche Bedingung eine ständige innere Bekehrung zu Christus, eine persönliche und gemeinschaftliche Begegnung mit ihm, unserem einzigen Erlöser, voraus. Christus, allein Christus soll daher das Herz und das Zentrum der so sehr gewünschten echten pastoralen und missionarischen Erneuerung der Kirche in Lateinamerika sein!

Angesichts der vielfältigen Herausforderungen der modernen Welt, denen die Arbeit der Glaubensverkündigung begegnet, müssen wir von neuem unsere demütige Überzeugung bekräftigen, daß die Kirche heute wie vor 2000 Jahren den Menschen das Brot des Heils anbieten kann. Nur die Kirche ist Trägerin des von Liebe erfüllten Heilsplanes, eines Planes, der nicht einfach nur menschlich ist. Die Kirche verkündet und bietet Christus an, der wahrer Gott und wahrer Mensch, Erlöser des Menschen und des ganzen Menschen ist. Und dies richtet sich in besonderer Weise an uns alle, Bischöfe der katholischen Kirche, denn es ist unsere Aufgabe, für jeden Menschen in hervorragender und sichtbarer Weise ein lebendiges Zeichen Jesu Christi, des Lehrers, Priesters und Hirten, zu sein (vgl. Lumen gentium, 21).

In diesem Sinn ist es angebracht, daran zu erinnern, daß das Gebet, das im Leben jedes Christen von fundamentaler Bedeutung ist, dies mit noch größerem Recht im Leben und im Dienst jedes Bischofs sein muß. Das erwähnte vor kurzem Papst Benedikt XVI. in seiner Ansprache an die während des letzten Jahres ernannten Bischöfe: »Im Dienst eines Bischofs nehmen heute die organisatorischen Aspekte breiten Raum ein, die Verpflichtungen sind zahlreich, und immer gibt es Vieles, was notwendig ist, aber der erste Platz im Leben eines Nachfolgers der Apostel muß Gott vorbehalten sein« (O.R. dt., Nr. 40, 5.10.2007, S. 10).

So helfen wir besonders unseren Gläubigen. Vielsagend ist darüber hinaus, daß der Papst mit der Annahme des Namens Benedikt den Menschen auf der Ebene des Glaubens den Primat Gottes vor dem Tun empfehlen wollte: »ora et labora«, bete und arbeite. Feste Überzeugung des Papstes ist: Die großen Probleme, mit denen die Welt und die Kirche konfrontiert werden, kann man nicht dadurch überwinden, daß man die Christen in Aktivisten verwandelt, sondern in Jünger des Gebets. Sicherlich muß man wie von den anderen Bürgern auch von den Christen politisches Engagement, berufliche Kompetenz, Förderung der Solidarität und Freiheit, der Rechte und der Gerechtigkeit verlangen. Das besondere Merkmal der Christen ist jedoch das Gebet zum lebendigen Gott.

Beten besteht nach dem Heiligen Vater gewiß nicht im Wiederholen von Formeln an einen Gott, der alle Probleme löst, sondern es besteht zuallererst in einer Lebenserfahrung, die verwandelt, die die Liebesfähigkeit verbessert und den Weg zur inneren Glückseligkeit erkennen läßt. Wie er bei verschiedenen Anlässen wiederholt hat, dringt Benedikt XVI. darauf, daß vor irgendeinem Aktionsprogramm die Anbetung stehen muß, die uns in der Wahrheit frei macht und unser Handeln erleuchtet.

Liebe Brüder, eure Aufgabe sei es immer, der kirchlichen Gemeinschaft neue Kraft zu geben und an erster Stelle die Einheit unter euch und zwischen euren Diözesangemeinden zu bewahren. Das wird von euch Bischöfen in manchen Fällen Mut, Entschlossenheit und Festigkeit verlangen; ein andermal werdet ihr Geduld und Verständnis aufbringen müssen; notwendig ist immer, daß ihr euch mit Milde, Liebe und Klugheit wappnet. Vor allem aber müßt ihr mit Christus verbunden bleiben und von ihm, dem Guten Hirten, lernen, gute Hirten der Herde zu sein, die er euch anvertraut hat. Hervorgehoben sei die besondere Aufmerksamkeit, die jeder Bischof seinen Priestern erweist, die die engsten Mitarbeiter des Bischofsamtes sind und an dem einen Priestertum Christi teilhaben. Papst Johannes Paul II. sagte: »Der Bischof soll immer versuchen, mit seinen Priestern als Vater und Bruder umzugehen, der sie liebt, sie anhört, sie annimmt, sie zurechtweist, sie tröstet, ihre Mitarbeit sucht und sich, soweit es ihm möglich ist, für ihr menschliches, geistliches, priesterlich-dienstliches und wirtschaftliches Wohl einsetzt« (Pastores gregis, 47). In diesem Sinn äußerte sich auch Seine Heiligkeit Benedikt XVI. in der schon erwähnten Ansprache: »In eurem Gebet, liebe Mitbrüder, sollen eure Priester einen besonderen Platz haben, damit sie stets in ihrer Berufung verharren und treu sind gegenüber der priesterlichen Sendung, die ihnen anvertraut ist. Es ist äußerst erbauend für jeden Priester zu wissen, daß der Bischof, von dem er das Geschenk des Priestertums empfangen hat oder der auf jeden Fall sein Vater und Freund ist, ihm im Gebet und im Herzen nahe ist und stets bereit, ihn aufzunehmen, ihn anzuhören, ihn zu unterstützen und zu ermutigen« (a.a.O.).

Die Kirche in Argentinien, soweit ich sie kennenlernen konnte, ist sehr aktiv in der Verkündigung des Evangeliums und in der Katechese und unternimmt große Anstrengungen für die Weiterbildung des Klerus und anderer Mitarbeiter in der Pastoral. Diese Weiterbildung, die an erster Stelle eine Erziehung zum persönlichen und liturgischen Gebet einschließt, ist heutzutage besonders nötig, um zu erreichen, daß die Christen darauf vorbereitet werden, in reifer und bewußter Weise auf die Herausforderungen der modernen Welt zu antworten. Notwendig sind daher eine Katechese und eine christliche Erziehung, die einen gefestigten und überzeugten Laienstand heranbilden sollen. Außerdem ist es erforderlich, daß die Kirche nicht als eine bloße humanitäre Organisation, sondern in ihrer authentischen Wirklichkeit als von der Liebe Christi belebte Familie Gottes wahrgenommen wird, deren Ziel es ist, die vollständige Heilsbotschaft zu jedem Mann und zu jeder Frau gelangen zu lassen. Die mit großer Hochherzigkeit verwirklichten Werke menschlicher Förderung werden dann das sichtbare Zeugnis der Liebe Christi sein, der will, daß alle Menschen zur Kenntnis der Wahrheit gelangen und die erneuernde Kraft seines Geistes erfahren.

Während man die Kenntnis Christi vertieft, wächst das Verlangen, sich von seinem Leib und seinem Blut zu nähren. In diesem Zusammenhang sagt das Zweite Vatikanische Konzil, daß das eucharistische Opfer »Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens« ist (Lumen gentium, 11). Jede christliche Gemeinde wächst um die Eucharistie und erfährt deren effektive und heiligende Wirkung, besonders, wenn sie sich am Tag des Herrn, dem Sonntag, versammelt.

Es scheint angebracht, hier hervorzuheben, daß die Bischöfe schon seit den Anfangszeiten der Kirche die Gläubigen ständig an die Wichtigkeit, den Tag des Herrn zu heiligen, sowie an die Notwendigkeit der Teilnahme an der sonntäglichen liturgischen Versammlung erinnert haben. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß die Priester sorgfältig auf eine würdige und fromme Feier des Gottesdienstes achten, sowie auch ihr Bemühen, eine vertiefte und für alle offene Tätigkeit der Katechese zu entfalten, damit die Gläubigen zu einer erfüllten Teilnahme an der Feier der heiligen Geheimnisse gelangen. Damit die sonntägliche Eucharistiefeier fruchtbarer sei, bedarf es zudem einer immer tieferen Kenntnis und Vertrautheit mit dem Wort Gottes, das einen wesentlichen Teil der Feier bildet.

Die Kirche ist eine große Familie, an der teilzunehmen uns Jesus einlädt und in die er uns aufnimmt. Er beruft uns, durch eine reiche Vielfalt von Ämtern und Diensten an seiner Sendung teilzunehmen. Die Begegnung mit Christus in der Eucharistie weckt im Christen ein starkes Verlangen, das Evangelium zu verkünden und in der Gesellschaft davon Zeugnis zu geben, um eine menschlichere und solidarischere Welt zu schaffen. Im Laufe der Jahrhunderte sproß aus der Eucharistie ein unermeßlicher Reichtum an Liebe und Hochherzigkeit hervor, der es möglich machte, die Schwierigkeiten der anderen zu teilen, ein Reichtum an Liebe, der dazu veranlaßte, für die Verwirklichung einer gerechteren, friedlichen und brüderlichen Menschheit zu arbeiten. Darüber hinaus wird das Geheimnis Christi, das die Kirche verkündet, feiert und lebt, vorzugsweise dort sichtbar, wo eine Gemeinde wirklich nach der Heiligkeit strebt. Wie Papst Benedikt XVI. gern wiederholt, heißt heilig zu sein im Grunde, treue und wahre Freunde Christi zu sein, ihn anzuerkennen und ihn auf konkrete Weise in den Brüdern zu lieben. Jede Gemeinde sollte dieses Licht der Heiligkeit und Freude widerspiegeln.

In diesem Augenblick denke ich an die Pfarrei, dieses Miteinander von Getauften, das wie ein kleiner »Kosmos« alle Glieder der Kirche versammelt: Priester, Ordensleute und gläubige Laien, jeder entsprechend seiner Berufung. In den christlichen Familien, wo man den Glauben lebt und an die Kinder weitergibt, entstehen und reifen die Berufungen für den Dienst am Reich Gottes. Es ist deshalb sehr wichtig, daß die Pfarrgemeinden unmißverständliche Orte der Eintracht, Schulen des Gebets, Spiegel der Liebe und Quellen der Hoffnung sind, so daß alle ihre Mitglieder die Freude erfahren, sich vom Herrn und von den Brüdern geliebt zu fühlen, und gleichzeitig das Bedürfnis spüren, allen in ihrer Umgebung das volle Glück, Jünger Christi zu sein, mitzuteilen. Diesbezüglich weiß ich, daß ihr sehr darum bemüht seid, diesen Reichtum, der aus dem Evangelium stammt, und den Eifer für die Berufungspastoral und die formende und geistliche Begleitung der Kandidaten für das Priesteramt und das Ordensleben vor allem mit den jungen Menschen zu teilen.

Schließlich, liebe Brüder, ist es mein lebhafter Wunsch, euch für all eure Zuvorkommenheit zu danken, besonders für die Worte, die der Vorsitzende der Bischofskonferenz im Namen aller an mich gerichtet hat und die mir die Gelegenheit geboten haben, diese Überlegungen mit euch zu teilen. Ebenso wollte ich mich zum Sprachrohr machen für die ständige Sorge, die der Heilige Vater für die verschiedenen kirchlichen Gemeinschaften Lateinamerikas hegt. In seinem Namen ermuntere ich euch, im Vertrauen auf Gott euren Weg weiterzugehen, durch das Wort und das gelebte Vorbild, getreu eurer Sendung als Lehrer des christlichen Volkes.

Die Jungfrau Maria, an die sich das Land Argentinien mit kindlicher Verehrung wendet und die sie unter vielen und schönen Titeln anruft, helfe uns allen und leite uns in unserem Hirtenamt. Auf euch alle rufe ich die besondere Fürbitte des hl. Toribio de Mogrovejo, Patron der lateinamerikanischen Bischöfe, herab. Was mich betrifft, so versichere ich euch, eurer im Gebet zu gedenken, während ich von Herzen die Empfindungen meiner brüderlichen Wertschätzung für euch in Christus erneuere.

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