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PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Damasus-Hof
Mittwoch, 30. September 2020

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Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

In den letzten Wochen haben wir im Licht des Evangeliums gemeinsam darüber nachgedacht, wie man die Welt heilen kann, die unter einem Unwohlsein leidet, das die Pandemie deutlich gemacht und betont hat. Das Unwohlsein war schon da: Die Pandemie hat es nur noch deutlicher gemacht, hat es betont. Wir sind die Wege der Würde, der Solidarität und der Subsidiarität gegangen – Wege, die unverzichtbar sind, um die Würde des Menschen und das Gemeinwohl zu fördern. Und als Jünger Jesu haben wir uns vorgenommen, seinen Schritten zu folgen, indem wir uns auf die Seite der Armen stellen, den Gebrauch der Güter überdenken und Sorge tragen für das gemeinsame Haus. Inmitten der Pandemie, die uns heimsucht, haben wir uns in den Prinzipien der Soziallehre der Kirche verankert und uns vom Glauben, von der Hoffnung und von der Liebe leiten lassen.

Hier haben wir eine solide Hilfe gefunden, um zu einem Wandel beizutragen und dabei große Träume zu haben, nicht bei der Engstirnigkeit haltzumachen, die spaltet und verletzt, sondern dazu zu ermutigen, eine neue und bessere Welt hervorzubringen. »Soziale Leiden« Ich möchte, dass dieser Weg nicht mit meinen Katechesen endet, sondern dass wir weiter gemeinsam unterwegs sein und »dabei auf Jesus blicken« (Hebr 12,2) können, wie wir am Anfang gehört haben; auf Jesus blicken, der die Welt rettet und heilt. Wie uns das Evangelium zeigt, hat Jesus Kranke aller Art geheilt (vgl. Mt 9,35), den Blinden das Augenlicht, den Stummen das Wort, den Tauben das Gehör geschenkt. Und wenn er die leiblichen Krankheiten und Behinderungen geheilt hat, hat er auch den Geist geheilt, indem er die Sünden vergeben hat, denn Jesus vergibt immer, ebenso wie die »sozialen Leiden«, indem er die Ausgegrenzten eingeschlossen hat (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1421).

Jesus, der jedes Geschöpf erneuert und versöhnt (vgl. 2 Kor 5,17; Kol 1,19-20), schenkt uns die notwendigen Gaben, um zu lieben und zu heilen, wie er es verstanden hat (vgl. Lk 10,1-9; Joh 15,9-17), um für alle Sorge zu tragen, ohne Unterscheidung der Hautfarbe, Sprache oder Nation. Damit das wirklich geschieht, müssen wir die Schönheit eines jeden Menschen und eines jeden Geschöpfs betrachten und wertschätzen. Wir sind im Herzen Gottes gezeugt worden (vgl. Eph 1,3-5). »Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht«.[1] Außerdem hat jedes Geschöpf uns etwas zu sagen über Gott, den Schöpfer (vgl. Enzyklika Laudato si’, 69. 239).

Diese Wahrheit zu erkennen und für die innigen Bande unserer universalen Gemeinschaft mit allen Menschen und mit allen Geschöpfen zu danken, aktiviert »ein großherziges und von Zärtlichkeit erfülltes Umweltengagement« (ebd., 220). Und es hilft uns auch, die Gegenwart Christi in unseren armen und leidenden Brüdern und Schwestern zu erkennen, ihnen zu begegnen und ihre Klage und die Klage der Erde zu hören, die darin widerhallt (vgl. ebd., 49). Innerlich mobilisiert von diesen Klagen, die von uns einen Kurswechsel verlangen (vgl. ebd., 53), eine Veränderung verlangen, können wir zur Heilung der Beziehungen beitragen mit unseren Gaben und unseren Fähigkeiten (vgl. ebd., 19). Wir können die Gesellschaft erneuern und nicht zur sogenannten »Normalität« zurückkehren, die eine kranke Normalität ist, ja die sogar schon vor der Pandemie krank war: Die Pandemie hat es deutlich gemacht! »Jetzt kehren wir zur Normalität zurück«: Nein, das geht nicht, denn diese Normalität war krank an Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten und Umweltschäden.

Die Normalität, zu der wir berufen sind, ist die des Reiches Gottes: »Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium verkündet« (Mt 11,5). Und wo niemand sich dumm stellt und wegschaut. Das ist es, was wir tun müssen, um die Dinge zu verändern. In der Normalität des Reiches Gottes gelangt das Brot zu allen, und alle haben etwas davon übrig, gründet die Gesellschaftsordnung auf dem Beitragen, Teilen und Verteilen, und nicht auf dem Besitzen, Ausgrenzen und Anhäufen (vgl. Mt 14,13-21). Die Geste, die eine Gesellschaft, eine Familie, ein Stadtviertel, eine Stadt voranbringt, ist die Selbsthingabe, das Geben. Das bedeutet nicht, ein Almosen zu geben, sondern es ist ein Geben, das aus dem Herzen kommt. Eine Geste, die den Egoismus und die Besitzgier vertreibt. Fürsorge und Großherzigkeit Die christliche Art, das zu tun, ist jedoch keine mechanische Art: Es ist eine menschliche Art. Wir können nie mechanisch, mit neuen Geräten – die sehr wichtig sind, sie lassen uns voranschreiten, und wir dürfen vor ihnen keine Angst haben – aus der Krise herauskommen, die in der Pandemie deutlich geworden ist, sondern in dem Wissen, dass auch hochentwickelte Mittel viele Dinge tun können, aber eines nicht: die Zärtlichkeit. Und die Zärtlichkeit ist das Zeichen der Gegenwart Jesu: die Annäherung an den Nächsten, um unterwegs zu sein, um zu heilen, um zu helfen, um sich für den anderen aufzuopfern.

So ist die Normalität des Reiches Gottes wichtig: Das Brot muss zu allen gelangen, die Gesellschaftsordnung muss auf dem Beitragen, Teilen und Verteilen gründen, mit Zärtlichkeit, nicht auf dem Besitzen, Ausgrenzen und Anhäufen. Denn am Ende des Lebens nehmen wir nichts mit in das andere Leben! Ein kleines Virus verursacht weiterhin tiefe Wunden und entlarvt unsere leibliche, soziale und geistliche Verwundbarkeit. Ich habe die große Ungleichheit bloßgelegt, die in der Welt herrscht: Ungleichheit der Chancen, der Güter, des Zugangs zum Gesundheitswesen, zur Technologie, zur Bildung. Millionen von Kindern können nicht zur Schule gehen, und so geht die Liste weiter.

Diese Ungerechtigkeiten sind weder natürlich noch unvermeidlich. Sie sind das Werk des Menschen, sie kommen von einem Wachstumsmodell, das von den tieferen Werten losgelöst ist. Die Vergeudung übriggebliebener Speisen: Mit dieser Vergeudung kann man allen zu essen geben. Und das hat viele die Geduld verlieren lassen und hat Ungewissheit und Angst vermehrt. Darum, um aus der Pandemie herauszukommen, müssen wir das Heilmittel nicht nur für das Coronavirus finden – was wichtig ist! –, sondern auch für die großen menschlichen und sozialwirtschaftlichen Viren. Man darf sie nicht verstecken, indem man sie überlackiert, damit man sie nicht sieht. Und natürlich dürfen wir nicht erwarten, dass das Wirtschaftsmodell, das die Grundlage für eine ungerechte und nicht nachhaltige Entwicklung ist, unsere Probleme löst.

Es hat es bisher nicht getan, und es wird es auch weiterhin nicht tun, weil es dies nicht kann, auch wenn gewisse falsche Propheten weiterhin den »Überlaufeffekt« versprechen, der nie kommen wird.[2] Ihr habt von der Theorie des Glases gehört: Wichtig ist, das Glas zu füllen, dann läuft etwas für die Armen und für die anderen herunter, und sie bekommen Reichtümer. Es gibt jedoch ein Phänomen: Das Glas beginnt sich zu füllen, und wenn es fast voll ist, dann wächst und wächst und wächst es, und es kommt nie zum Überlaufen. Man muss achtgeben.

Wir müssen uns dringend an die Arbeit machen, um gute politische Maßnahmen hervorzubringen, Sozialordnungssysteme entwerfen, in denen Beteiligung, Fürsorge und Großherzigkeit prämiert werden und nicht Gleichgültigkeit, Ausbeutung und Eigennutz. Wir müssen mit Zärtlichkeit vorangehen. Eine solidarische und gerechte Gesellschaft ist eine gesündere Gesellschaft. Eine Partizipationsgesellschaft – wo die »Letzten« ebenso berücksichtigt werden wie die »Ersten« – stärkt die Gemeinschaft. Eine Gesellschaft, in der die Vielfalt geachtet wird, ist viel widerstandsfähiger gegen jede Art von Virus. Stellen wir diesen Weg der Heilung unter den Schutz der Jungfrau Maria, Unserer Lieben Frau von der Gesundheit. Sie, die Jesus in ihrem Schoß getragen hat, möge uns helfen, vertrauensvoll zu sein. Beseelt vom Heiligen Geist können wir gemeinsam für das Reich Gottes arbeiten, das Christus in dieser Welt eröffnet hat, indem er zu uns gekommen ist.

Es ist ein Reich des Lichtes inmitten der Finsternis, der Gerechtigkeit inmitten vieler Übergriffe, der Freude inmitten vieler Schmerzen, der Heilung und des Heils inmitten von Krankheiten und Tod, der Zärtlichkeit inmitten des Hasses. Möge Gott uns gewähren, die Liebe zu »viralisieren« und die Hoffnung zu globalisieren im Licht des Glaubens.

* * *

In einigen Tagen begehen wir das Schutzengelfest. Wenden wir uns im Gebet oft an sie, auf dass sie uns in allen Lebenslagen beistehen und uns helfen, unseren Blick fest auf Jesus, unsere einzige Rettung, zu richten.

 


[1] Benedikt XVI., Predigt bei der heiligen Messe zur Amtseinführung, 24. April 2005); vgl. Enzyklika Laudato si‘, 65.

[2] »Trickle-down effect« auf Englisch, »derrame« auf Spanisch (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 54).

 


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