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JOHANNES PAUL II. 

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 9. Juli 2003

 

Lesung: Psalm 143,1–11

1 Gebet um Kraft und Hilfe gegen Feinde
[Ein Psalm Davids.] Herr, höre mein Gebet, vernimm mein Flehen; in deiner Treue erhöre mich, in deiner Gerechtigkeit!
2 Geh mit deinem Knecht nicht ins Gericht; denn keiner, der lebt, ist gerecht vor dir.
3 Der Feind verfolgt mich, tritt mein Leben zu Boden, er läßt mich in der Finsternis wohnen wie längst Verstorbene.
4 Mein Geist verzagt in mir, mir erstarrt das Herz in der Brust.
5 Ich denke an die vergangenen Tage, / sinne nach über all deine Taten, erwäge das Werk deiner Hände.
6 Ich breite die Hände aus (und bete) zu dir; meine Seele dürstet nach dir wie lechzendes Land. [Sela]
7 Herr, erhöre mich bald, denn mein Geist wird müde; verbirg dein Antlitz nicht vor mir, damit ich nicht werde wie Menschen, die längst begraben sind.
8 Laß mich deine Huld erfahren am frühen Morgen; denn ich vertraue auf dich. Zeig mir den Weg, den ich gehen soll; denn ich erhebe meine Seele zu dir.
9 Herr, entreiß mich den Feinden! Zu dir nehme ich meine Zuflucht.
10 Lehre mich, deinen Willen zu tun; denn du bist mein Gott. Dein guter Geist leite mich auf ebenem Pfad.
11 Um deines Namens willen, Herr, erhalt mich am Leben, führe mich heraus aus der Not in deiner Gerechtigkeit!

 

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Soeben wurde der Psalm 143 vorgelesen, der letzte der sogenannten »Bußpsalmen« im Septenar der im Psalter vorkommenden Bittpsalmen (vgl. Ps 6; 32; 38; 51; 102; 130; 143). Die christliche Tradition hat sie alle benutzt, um vom Herrn die Vergebung der Sünden zu erbitten. Der Text, den wir heute vertiefen wollen, lag dem Apostel Paulus besonders am Herzen: Er leitete aus ihm eine tief verwurzelte Sündhaftigkeit jedes Menschen ab: »… keiner der lebt, ist gerecht vor dir, (Herr)« (V. 2). Dieser Satz wurde vom Apostel als Grundlage seiner Lehre über die Sünde und die Gnade übernommen (vgl. Gal 2,16; Röm 3,20).

Die Liturgie der Laudes bietet uns dieses Gebet an als Vorsatz der Treue und als Bitte um Gottes Hilfe am Tagesbeginn. In der Tat läßt uns der Psalm zu Gott sprechen: »Laß mich deine Huld erfahren am frühen Morgen; denn ich vertraue auf dich« (Ps 143,8).

2. Der Psalm beginnt mit einem inständigen und beharrlichen Ruf zu Gott, der dem Heilsversprechen gegenüber seinem Volk treu ist (vgl. V. 1). Der Beter erkennt an, daß er keine Verdienste geltend machen kann und bittet Gott demütig, über ihn nicht zu urteilen (vgl. V. 2).

Dann schildert er die dramatische Situation, ähnlich einer tödlichen Gefahr, in der er sich befindet: Der Feind, der sinnbildlich für das Böse in der Geschichte und in der Welt steht, hat ihn bis an die Schwelle des Todes geführt. In der Tat, hier liegt er, am Boden, im Staub, gleichsam schon im Grab; in der Finsternis, die eine Verneinung des Lichtes, des göttlichen Lebenszeichens, ist; schließlich die »längst Verstorbenen« (vgl. V. 3), unter denen er schon zu wohnen scheint.

3. Das Dasein des Psalmisten ist zerstört. Ihm fehlt der Atem, und sein Herz scheint zu erstarren und nicht mehr schlagen zu können (vgl. V. 4). Der am Boden liegende, geschundene Gläubige hat nur noch die Hände frei, die sich zum Himmel in einer Geste erheben, die zugleich eine Bitte um Hilfe und Suche nach einer Stütze ist (vgl. V. 6). Denn er denkt an die Vergangenheit, in der Gott wunderbare Taten vollbracht hat (vgl. V. 5).

Dieser Hoffnungsschimmer bringt das Eis des Leidens und der Prüfung zum Schmelzen, in dem der Beter unterzugehen droht (vgl. V. 7). Die Spannung ist zwar immer noch sehr groß, aber am Horizont erscheint ein Lichtstrahl. Wir gehen deshalb über zum zweiten Teil des Psalms (vgl. V. 7–11).

4. Er beginnt mit einer neuen, dringenden Bitte. Weil der Gläubige fühlt, daß ihn das Leben zu verlassen scheint, ruft er zu Gott: »Herr, erhöre mich bald, denn mein Geist wird müde« (V. 7). Er fürchtet, daß Gott sein Antlitz verbirgt und fern ist, ja, daß er sein Geschöpf allein gelassen hat.

Das Verschwinden des göttlichen Antlitzes läßt den Menschen in die Verzweiflung, ja, in den Tod stürzen, denn der Herr ist die Quelle des Lebens. Gerade an dieser äußersten Grenze erwacht das Vertrauen in Gott, der niemanden verläßt. Der Beter vervielfacht seine Rufe und beteuert gegenüber dem Herrn sein Vertrauen: »… denn ich vertraue auf dich … denn ich erhebe meine Seele zu dir … Zu dir nehme ich meine Zuflucht … du bist mein Gott.« Er bittet um Schutz vor seinen Feinden (vgl. V. 8–10) und um Befreiung aus der Not (vgl. V. 11), aber er wiederholt noch eine andere Bitte, die ein tiefes geistliches Verlangen offenbart: »Lehre mich, deinen Willen zu tun; denn du bist mein Gott« (V. 10a; vgl. V. 8b.10b). Diese bewundernswerte Bitte sollen wir uns zu eigen machen. Wir müssen begreifen, daß unser größtes Wohl die Übereinstimmung unseres Willens mit dem Willen unseres himmlischen Vaters ist, denn nur so können wir in uns seine ganze Liebe empfangen, die uns das Heil und die Fülle des Lebens bringt. Wenn es nicht von einem starken Verlangen nach Fügsamkeit gegenüber Gott begleitet wird, ist das Vertrauen in ihn nicht wahrhaftig.

Der Beter ist sich dessen bewußt und bringt deshalb diesen Wunsch zum Ausdruck. Er bekennt also dadurch sein festes Vertrauen auf Gott, den Retter, der ihn von der Angst befreit und ihm den Geschmack am Leben wiedergibt im Namen seiner »Gerechtigkeit«, das heißt seiner liebevollen und heilbringenden Treue (vgl. V. 11). Von der anfänglichen bedrückenden Situation ist das Gebet in Hoffnung, Freude und Licht übergegangen, dank einer aufrichtigen Zustimmung zu Gott und seinem Willen, der ein Wille der Liebe ist. Das ist die Macht des Gebets, das Leben und Heil hervorbringt.

5. Der hl. Gregor der Große schaut auf Gottes Huld am frühen Morgen (vgl. V. 8), und in seinem Kommentar zu den sieben Bußpsalmen beschreibt er diesen Morgen voll Hoffnung und Freude so: »Das ist der Tag, der von der wahren Sonne erhellt wird, die keinen Untergang kennt, die von den Wolken nicht verdeckt und vom Nebel nicht verhüllt wird … Wenn Christus, unser Leben, erscheinen wird, werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht schauen, dann wird sich jeder Schleier der Finsternis lüften, jeder Rauch der Unwissenheit auflösen, jeder Nebel der Versuchung verflüchten … Das wird der strahlende und herrliche Tag sein, der allen Erwählten von dem bereitet wurde, der uns der Macht der Finsternis entrissen und in das Reich seines geliebten Sohnes überführt hat.

Der Morgen dieses Tages ist die zukünftige Auferstehung … An jenem Morgen wird die Glückseligkeit der Gerechten glänzen, die Herrlichkeit erscheinen, der Jubel sichtbar sein, wenn Gott jede Träne von den Augen der Heiligen abwischen wird, wenn am Ende der Tod besiegt sein wird, wenn die Gerechten wie die Sonne im Reich des Vaters erglänzen werden.

An jenem Morgen wird der Herr seine Barmherzigkeit spüren lassen, indem er sagt: ›Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid‹ (Mt 25,34). Dann wird Gottes Erbarmen offenbar werden, das der menschliche Geist in diesem Leben nicht erfassen kann. Denn der Herr hat für die, die ihn lieben, das bereitet, was kein Auge je gesehen, kein Ohr je gehört hat und in kein Menschenherz je gedrungen ist« (PL 79, coll. 649–650).


Ein Schrei um Hilfe, ein „Notruf", ist manchmal der Beginn einer neuen Gottesbeziehung: „Herr, vernimm mein Flehen; in deiner Treue erhöre mich!" (Ps 143, 1). Die Hinwendung zu Gott nimmt uns die Angst. Freiheit, Dank und Liebe lassen den Wunsch stark werden, Gottes Willen zu erfüllen: „Lehre mich, deinen Willen zu tun; denn du bist mein Gott!" (Ps 143, 10). Darin liegt unser Heil: Unseren Willen mit dem unseres himmlischen Vaters zu vereinen!

***

Mit Freude grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Festes Vertrauen in Gottes Liebe und in seinen Heilsplan befreit von Angst, stärkt die Hoffnung und führt ins Licht. Aus dem Gebet erwächst uns die Kraft, Gottes Willen zu tun. – Gebt alle Zeugnis für den Gott des Lebens; dient seinem heiligen Willen! Euch allen wünsche ich von Herzen gesegnete und frohe Ferientage.

    



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