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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 2. Juni 2004

    

Lesung: Psalm 41,2.5–6.10.13–14

2 Wohl dem, der sich des Schwachen annimmt; zur Zeit des Unheils wird der Herr ihn retten.
5 Ich sagte: Herr, sei mir gnädig, heile mich; denn ich habe gegen dich gesündigt.
6 Meine Feinde reden böse über mich: »Wann stirbt er endlich, und wann vergeht sein Name?«
10 Auch mein Freund, dem ich vertraute, der mein Brot aß, hat gegen mich geprahlt.
13 Weil ich aufrichtig bin, hältst du mich fest und stellst mich vor dein Antlitz für immer.
14 Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen, ja amen.

1. Ein guter Grund dafür, daß wir den soeben gehörten Psalm 41 verstehen und lieben, ist die Tatsache, daß Jesus selbst ihn zitiert hat: »Ich sage das nicht von euch allen. Ich weiß wohl, welche ich erwählt habe, aber das Schriftwort muß sich erfüllen: Einer, der mein Brot aß, hat mich hintergangen« (Joh 13,18).

Es ist der letzte Abend seines Lebens auf Erden, und Jesus reicht Judas, dem Verräter, im Abendmahlssaal den Bissen Brot zur Speise. Er denkt an diesen Psalmvers, der in Wirklichkeit das Gebet eines von seinen Freunden verlassenen kranken Mannes ist. In diesem alten Gebet findet Jesus die Gefühle und Worte, die seine tiefe Traurigkeit zum Ausdruck bringen.

Wir werden jetzt versuchen, die Handlung dieses Psalms zu verfolgen und zu erhellen. Die Psalmworte wurden von einer Person gesprochen, die sicher unter ihrer Krankheit, aber vor allem unter der grausamen Ironie ihrer »Feinde« (vgl. Ps 41,6–9) und unter dem Verrat seitens eines »Freundes« (vgl. V. 10) leidet.

2. Psalm 41 beginnt mit einer Seligpreisung. Sie ist für den wahren Freund bestimmt, »der sich des Schwachen annimmt«: Am Tag seines Leidens, wenn er »auf dem Krankenbett« liegt, wird der Herr ihn stärken (vgl. V. 2–4).

Der Kern der Bitte findet sich jedoch im nachfolgenden Teil, in dem der Kranke das Wort ergreift (vgl. V. 5–10). Er beginnt seine Rede, indem er Gott um Verzeihung bittet gemäß der traditionellen alttestamentlichen Auffassung, daß jedem Schmerz eine Schuld entspricht: »Herr, sei mir gnädig, heile mich; denn ich habe gegen dich gesündigt « (V. 5; vgl. Ps 38). Für den Juden der Antike war die Krankheit eine Aufforderung des Gewissens, sich zu bekehren.

Obwohl es sich um eine durch Christus, den endgültigen Offenbarer (vgl. Joh 9,1–3), überholte Sichtweise handelt, kann das Leiden an sich einen verborgenen Wert haben und zum Weg der Reinigung, der inneren Befreiung und der seelischen Bereicherung werden. Es lädt uns ein, die Oberflächlichkeit, die Eitelkeit, den Egoismus und die Sünde zu überwinden und sich Gott und seinem Heilswillen noch intensiver anzuvertrauen.

3. Aber da treten die Böswilligen in Erscheinung. Sie besuchen den Kranken, aber nicht um ihn zu trösten, sondern um ihn anzuklagen (vgl. V. 6–9). Ihre Worte sind bitter und treffen das Herz des Beters, der eine erbarmungslose Bosheit erfährt. Dieselbe Erfahrung machen viele Arme und Gedemütigte, die zur Einsamkeit verurteilt sind und sich als Belastung ihrer Angehörigen fühlen. Wenn sie manchmal ein Wort des Trostes hören, spüren sie sofort dessen falschen und scheinheiligen Unterton.

Ja, wie gesagt, der Betende erfährt die Gleichgültigkeit und Härte sogar von seiten seiner Freunde (vgl. V. 10), die sich in feindselige und gehässige Gestalten verwandeln. Der Psalmist verwendet für sie das Wort »hintergehen«, die unheilvolle Tat dessen, der einen Unterlegenen mit Füßen treten will, oder der Impuls des Reiters, der sein Pferd mit der Ferse antreibt, damit es den Feind zertrampelt.

Die Bitterkeit sitzt tief, wenn uns »der Freund« enttäuscht, dem man vertraut hat und der in Hebräisch wörtlich »Mann des Friedens« heißt. Wir erinnern uns an Ijobs Freunde, die sich von Lebensgefährten in gleichgültige und feindselige Personen verwandeln (vgl. Ijob 19,1–6). Der Betende vernimmt die Stimmen der Menschen, die in ihrer Krankheit und Schwachheit vergessen und gedemütigt wurden, auch von seiten derer, die ihnen hätten helfen sollen.

4. Das Gebet in Psalm 41 endet aber nicht vor diesem dunklen Hintergrund. Der Beter ist sicher, daß Gott sich am Horizont zeigen und noch einmal seine Liebe offenbaren wird (vgl. V. 11–14). Er wird seine Unterstützung anbieten und den Kranken in die Arme nehmen, der wieder vor das »Antlitz« seines Herrn gestellt werden wird (vgl. V. 13), das heißt im Sprachgebrauch der Bibel, daß er die Erfahrung der Liturgie im Tempel wiedererleben wird.

Der vom Schmerz gezeichnete Psalm endet also in einem hoffnungsvollen Lichtblick. In dieser Sicht wird es verständlich, daß der hl. Ambrosius in seinem Kommentar die anfängliche Seligpreisung (vgl. V. 2) prophetisch als Einladung sieht, das heilbringende Leiden Christi zu betrachten, das zur Auferstehung führt. Der Kirchenvater empfiehlt, die Lektüre des Psalms so zu beginnen: »Selig, wer an das Elend und an die Armut Christi denkt, der reich war und für uns arm geworden ist. Er war reich in seinem Königtum, arm im Fleisch, weil er dieses Fleisch der Armen angenommen hat … Er hat also nicht in seinem Reichtum, sondern in unserer Armut gelitten. Darum hat nicht die Fülle der Gottheit gelitten, sondern das Fleisch … Suche deshalb den Sinn der Armut Christi zu ergründen, wenn du reich werden willst! Suche den Sinn seiner Schwachheit zu ergründen, wenn du die Gesundheit erlangen willst! Suche in den Sinn seines Kreuzes einzudringen, wenn du dich dessen nicht schämen willst; in den Sinn seiner Wunden, wenn du deine Wunden heilen willst; in den Sinn seines Todes, wenn du das ewige Leben erlangen willst; in den Sinn seines Grabes, wenn du die Auferstehung finden willst« (Commento a dodici salmi: SAEMO, VIII, Milano–Roma 1980, S. 39–41).


Krankheit und Not sind Zeiten der Prüfung. Im Leid fühlt sich der Mensch allein und verlassen. Seine Hilflosigkeit, die Bosheit der Feinde und die Gleichgültigkeit der Freunde trüben seinen Lebensmut. Doch der Aufblick zu Christus schenkt neue Zuversicht. Der Herr hat alles Leiden auf sich genommen und durch seine Auferstehung überwunden.

Gott ruft uns dazu auf, nicht in unseren eigenen Sorgen zu verharren, sondern umzukehren und die Leiden der Bedürftigen mitzutragen: „Wohl dem, der sich der Schwachen annimmt, zur Zeit des Unheils wird der Herr ihn retten" (Ps 41, 2). In der Not führt Gott uns auf einen Weg der Läuterung und inneren Befreiung. So lädt er uns ein, uns inniger seinem Heilswillen anzuvertrauen. Dann bricht sich ein Lichtstrahl der göttlichen Hoffnung in unserem Leben Bahn.

***

Sehr herzlich heiße ich die Pilger und Besucher deutscher Sprache willkommen. Besonders grüße ich die Teilnehmer an der Ministrantenwallfahrt des Bistums Eichstätt und die Augsburger Domsingknaben. Nehmt euch der Schwachen an und richtet so euer Leben auf Christus aus. Seine Gegenwart erfülle euch mit Freude!

  



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