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PASTORALBESUCH IN DER SCHWEIZ

EUCHARISTIEFEIER AUF DER WIESE VOR DEM HAUS
DES "HL. BRUDERS KLAUS"

 PREDIGT VON JOHANNES PAUL II.

Flüeli - Donnerstag, 14. Juni 1984

 

Liebe Brüder und Schwestern!


”Der Name Jesus sei euer Gruß!“

Mit diesem Grußwort eures Landesvaters darf ich hier im Flüeli in eure Mitte treten. Hier hat der heilige Bruder Klaus gelebt und gewirkt. Hier hat er mit seiner Frau Dorothea 23 Jahre lang ein glückliches Familienleben geführt und seine zehn Kinder großgezogen. Hier hat er in schwerem inneren Ringen den Entschluß gefaßt, um des Namens Christi willen Brüder, Schwestern, Frau und Kinder, Äcker und Haus zu verlassen (Mt 19, 29), um Gott allein zu dienen. Hier hat er im Ranft, auf eigenem Grund und Boden, zwanzig Jahre lang ein Einsiedlerleben geführt, weltabgeschieden und doch offen für die Nöte der Welt und seiner Heimat.

Im Namen Jesu grüße ich die Schweizer Bürger, die heute in diesen Gemeinden wohnen und das kostbare Andenken dieses außergewöhnlichen Heiligen hüten; ebenso alle Gläubigen, die sich von nah und fern mit uns, mit ihren Bischöfen und Priestern zu dieser Eucharistiefeier versammelt haben. Einen ehrerbietigen Gruß richte ich auch an die anwesenden Vertreter aus Staat und Gesellschaft, denen die Sorge für das Wohl der Bürger in den Kantonen anvertraut ist und für die das Wirken des hl. Nikolaus von der Flüe für Frieden und Gerechtigkeit heute in einer besonderen Weise Vorbild und Verpflichtung sein kann.

1. ”Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, es ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14, 17), so hörten wir eben in der Lesung aus dem Römerbrief. Der Apostel Paulus hat diese Worte der Gemeinde von Rom in einem damaligen konkreten Kontext geschrieben. Wir möchten sie heute im Blick auf dieses Land und diesen Heiligen auslegen, der ein Symbol für das Land und Volk ist: Nikolaus von der Flüe und die Schweiz.

Diese Wahrheit vom Reich Gottes ist im Leben des Nikolaus zur äußersten Konsequenz gekommen, weit über normale menschliche Maßstäbe hinaus. Er ist ein Mann, der viele Jahre seines Lebens hindurch auf Speise und Trank verzichtet hat, um das Reich Gottes zu bezeugen.

Im Leben und Wirken von Bruder Klaus in der Schweiz hat sich das Reich Gottes als ”Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist“ erwiesen. Vor über fünfhundert Jahren erging von diesem Ort aus, aus der Stille des Gebetes und der Gottverbundenheit im Ranft, seine Friedensbotschaft, die die entzweiten und zerstrittenen Eidgenossen auf der Tagsatzung zu Stans wieder zur Einheit gebracht und einen neuen Abschnitt eurer Geschichte eingeleitet hat. Hier im Flüeli, wo uns die Gestalt von Bruder Klaus immer noch lebendig vor Augen steht, glauben wir auch heute noch seine Stimme zu hören, die uns zum Frieden mahnt, zum Frieden in eurem eigenen Land, zur Verantwortung für den Frieden in der Welt, zum Frieden im eigenen Herzen.

2. Euer Landesvater mahnt auch heute noch zum Frieden im eigenen Land. ”Mein Rat ist auch, daß ihr in diesen Sachen gütlich seiet, denn ein Gutes bringt das andere. Wenn es aber nicht in Freundschaft möchte geschlichtet werden, so laßt doch das Recht das beste sein“, so schrieb Bruder Klaus im Jahre 1482 an Bürgermeister und Rat von Konstanz.

Güte und Wohlwollen sind die erste und grundlegende Bedingung für den Frieden, im Leben einer Gemeinschaft wie im Leben jedes einzelnen. ”Bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat“, so ermahnt der heilige Paulus die Getauften (Kol 3, 12-14). Damit diese Mahnung in der harten politischen und sozialen Wirklichkeit eines Landes nicht bloß ein frommes Ideal bleibt, müssen wir sehen, wie sie sich ins öffentliche Leben umsetzen läßt. Die Geschichte des Stanser Ereignisses kann uns zeigen: Es gilt, einander anzunehmen bei aller Verschiedenheit und dafür verzichten zu können auf die Durchsetzung mancher sogar berechtigter Ansprüche.

3. Heute sind diesem Einander-Annehmen neue Aufgaben gestellt. Die Kluft zwischen den Generationen ist größer geworden. Die Jugendlichen müssen die Erwachsenen, die Erwachsenen die Jugendlichen, und beide zusammen müssen die ältere Generation annehmen. Gerade da braucht es heute viel ”Güte und Freundlichkeit“ : in Freundschaft die Probleme der anderen Generation verstehen, ihre berechtigten Anliegen anerkennen, in gemeinsamen Bemühen nach neuen Lösungen suchen. Laßt euch in eurem Bemühen um gegenseitiges Verstehen nicht entmutigen!

Bisher habt ihr euch in eurem Land als Mit-Eidgenossen verschiedener Sprache, verschiedener Kultur und verschiedenen Bekenntnissen gegenseitig angenommen; heute muß sich dieses Einander-Annehmen ausweiten auf Menschen ganz anderer Denk- und Lebensweise und vielleicht auch ganz anderer Religion, die bei euch Arbeit und Schutz suchen, indem sie euch ihre Dienste - und ihre Menschlichkeit! - anbieten. Gewiß eine schwierige Aufgabe, aber nicht schwieriger als das bisher erreichte Zusammenwachsen der Eidgenossenschaft und ihrer vielfältigen Menschengruppen. Seht in euren Gästen zuallererst Menschen, die mit euch in den grundlegenden Freuden und Sorgen, Wünschen und Hoffnungen zuinnerst verbunden sind und euer eigenes menschliches Los teilen!

4. Nicht immer kann jedoch das Einander-Annehmen in lauter ”Güte und Freundschaft“ geschehen; oft fehlt das Verständnis, oft fehlt der gegenseitige Kontakt. Darum gilt der weitere Rat des heiligen Bruders Klaus: ”Wenn es aber nicht in Freundschaft möchte geschlichtet werden, so laßt das Recht das beste sein“. Frieden beruht auf der Freundschaft, aber noch grundlegender auf der Gerechtigkeit. Der Schutz der Menschenrechte und der Einsatz für den Frieden gehören notwendig zusammen. Euer Staat rühmt sich, ein Rechtsstaat zu sein. Ein Rechtsstaat aber kann sich heute nicht bloß auf das bisher formulierte Recht stützen; den rasch sich wandelnden Verhältnissen entsprechend muß auch neues Recht geschaffen werden, ein Recht, das vor allem die Ungeschützten und Zurückgestellten verteidigt: das ungeborene Leben, die Jungen und die Alten, die Ausländer, die ausgebeutete Natur. Nehmt diese vordringlichen Aufgaben mutig in die Hand und versucht sie mit jener Weisheit zu lösen, von der Bruder Klaus sagt: ”Weisheit ist das allerliebste deswegen, weil sie alle Dinge zum besten anfängt“.

5. Brüder und Schwestern! Nikolaus von der Flüe erinnert uns auch an unsere Verantwortung für den Frieden in der Welt. Es gehört bereits zum Grundauftrag der Kirche, das Reich Gottes zu verkünden, das ein Reich von ”Gerechtigkeit, Frieden und Freude“ ist. Dieses Evangelium des Friedens verkündigt die Kirche heute mit besonderem Nachdruck, angesichts der weltweiten Bedrohungen unserer Tage.

Politisch-ideologische Spannungen, Hunger und Verelendung, Überschuldung vieler Staaten, vielfältige Verletzung der Menschenrechte: diese Quellen von Angst bis hin zur Verzweiflung wirken sich heute weltweit aus und lassen auch die besser gestellten Völker nicht unbeeinflußt. Alle Völker müssen sich heute gemeinsam diesen Herausforderungen stellen und menschenwürdige, gerechte Auswege suchen. In den Botschaften zum jährlichen Weltfriedenstag, in vielfältigen Friedensinitiativen und Kontakten mit Politikern, Diplomaten und Wissenschaftlern sucht sie unermüdlich dafür zu werben, daß es in der heutigen Lage keine Alternative zu Dialog, Interessenausgleich und gerechten Vereinbarungen gibt.

6. Was die Schweiz und ihre Beziehungen zu anderen Staaten betrifft, so hat Bruder Klaus damals seinen Mitbürgern nach der Überlieferung diesen Rat gegeben: ”Macht den Zaun nicht zu weit . . . Mischt euch nicht in fremde Händel“. Dieses Prinzip hat schließlich zu eurer anerkannten und sicher verdienstvollen Neutralität geführt. In ihrem Schutz ist die kleine Schweiz heute zu einer Wirtschafts- und Finanzmacht geworden. Wacht als demokratisch verfaßte Gemeinschaft aufmerksam über alle Vorgänge in dieser mächtigen Welt des Geldes! Auch die Finanzwelt ist Menschenwelt, unsere Welt, unser aller Gewissen unterworfen; auch zu ihr gehören ethische Grundsätze. Wacht vor allem darüber, daß ihr mit eurer Wirtschaft und eurem Bankwesen der Welt Friedensdienste leistet und nicht - vielleicht indirekt - zu Krieg und Unrecht in der Welt beitragt!

Die schweizerische Neutralität ist ein hohes Gut; nutzt ihre Möglichkeiten weiterhin voll aus, um Flüchtlingen Asyl zu gewähren und um Hilfswerke zu fördern, die nur von einem neutralen Land aus möglich sind. Nicht wenige meiner eigenen Landsleute haben zu verschiedenen Zeiten in eurem Land Zuflucht gefunden - so zum Beispiel in einem Lager hier in Flüeli -, und immer hört man mit Dankbarkeit von der raschen und großzügigen Hilfe der Schweizer in Katastrophenfällen. Ja, ”macht den Zaun nicht zu weit“, aber scheut euch nicht, über den Zaun hinauszuschauen, macht die Sorgen anderer Völker zu euren eigenen und bietet über die Grenzen hinweg eine helfende Hand, und dies auf der Ebene eurer staatlichen Organe und Finanzmittel. Die internationalen Organisationen mit Sitz in Genf bedeuten eine ehrende Verpflichtung für die ganze Schweiz und für jeden einzelnen Schweizer.

7. Liebe Brüder und Schwestern! Nikolaus von der Flüe mahnt uns zum Frieden im eigenen Land und zum Frieden in der Welt, ermahnt uns vor allem zum Frieden im eigenen Herzen. Jesus preist in der Bergpredigt nicht einfach die Friedfertigen, sondern die Friedensstifter, jene, die mit dem Einsatz ihres ganzen Wesens ”Frieden machen“. Der Friede muß erarbeitet, erlitten, erbetet werden.

Ein Mensch aber, der mit sich selbst uneins ist, der im inneren Unfrieden lebt, kann keinen Frieden stiften. Darum weist uns Bruder Klaus auf die tiefste Quelle allen Friedens hin, wenn er an den Rat von Bern schreibt: ”Fried ist allweg in Gott, denn Gott ist der Fried“. Gott in der Einheit seiner drei Personen ist das Urbild und die Quelle allen Friedens; er schenkt uns diesen Frieden als erste Gabe der Erlösung, als Anfang der Herrschaft Gottes auf Erden, als Geschenk des Heiligen Geistes: ”Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede,  . . . Treue“ (Gal 5, 22). ”Das Reich Gottes . . . ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14, 17). Wir müssen dem Geist für seinen Frieden danken und ihn bitten, sein Wirken in uns noch zu vertiefen. Dann kann der Friede, den Gott in uns wirkt, aus dem Innersten unserer Person ausstrahlen und andere überzeugen. Im Frieden Jesu Christi, den die Welt nicht geben kann (Joh 14, 27), können wir selbst echte Friedensstifter werden.

In dieser Gesinnung sind wir heute zum heiligen Nikolaus von der Flüe gepilgert. Diesen Frieden ”im Heiligen Geist“ wollen wir uns mit seiner Fürsprache erbeten! Am Bruder Klaus haben sich in wunderbarer Weise die Worte der heutigen Liturgie erfüllt: ”Wirf deine Sorge auf den Herrn, er hält dich aufrecht! Er läßt den Gerechten niemals wanken“ (Ps 55, 23). Und im Antwortpsalm hören wir geradezu unseren Heiligen beten: ”Unsere Tage zu zählen, lehre uns (o Gott), damit wir ein weises Herz gewinnen!  . . . Laß deine Knechte dein Walten sehen und ihre Kinder dein herrliches Tun!“ (Ps 90, 12. 16). Ja, das ”herrliche Tun“ Gottes erblickt der heilige Mensch überall dort, wo wahrhaft Frieden gestiftet wird. Diese Botschaft brachten die Engel schon in der Nacht der Geburt des Herrn. Auf Schweizer Erde hat Bruder Klaus sie aufgenommen. Sein Friedenswerk hat er mit einem eindrucksvollen Zeugnis für die Ehre Gottes verbunden, die er seinen Landsleuten über Generationen hin bis heute vor Augen stellt.

8. Im heutigen Evangelium spricht Christus zu Petrus und den anderen Aposteln: ”Wenn die Welt neu geschaffen wird und der Menschensohn sich auf den Thron der Herrlichkeit setzt, werdet ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Und wer um meines Namens willen Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder, Äcker und Häuser verlassen hat, wird das Hundertfache dafür erhalten und das ewige Leben gewinnen“ (Mt 19, 28. 29).

Seht, das ist Nikolaus von der Flüe, euer Landsmann! Vor 517 Jahren hat er um seiner Berufung willen seine Frau, seine Kinder, sein Haus, seine Äcker verlassen: Er hat die Worte des Evangeliums wörtlich genommen! In den Schweizer Kantonen hat sich sein Name eingeprägt: Er ist ein echter Zeuge Christi! Ein Mensch, der das Evangelium bis zum letzten Wort verwirklicht hat. Ehren wir auch seine Frau Dorothea: In einem durchlittenen Entschluß hat sie den Gatten freigegeben. Zu Recht trägt sie in den Augen vieler das heroische Lebenszeugnis des Bruders Klaus mit.

So bleiben die heiligen Menschen im Volke Gottes wie ein lebendiges Beispiel des Weges, der Wahrheit und des Lebens, das Christus selber ist.

Die Heiligen sind aber auch Richter: ”Ihr werdet die zwölf Stämme Israels richten“, so lautet das Evangelium. Ja, sie richten die Herzen, die Gewissen, unsere Taten. Sie richten die Lebensformen und Sitten. Sie richten die Generationen: vor allem die Generationen jenes Landes, aus dem Christus sie jeweils berufen hat.

Söhne und Töchter der Schweiz! Nehmt das Beispiel des Bruders Klaus an, stellt euch unter sein Urteil! Unter seinem Beispiel und Urteil soll die Geschichte eures Landes vorangehen. Seit so vielen Generationen ist unter euch ein Mensch geistig gegenwärtig, der mit seinem ganzen irdischen Leben die Wirklichkeit des ewigen Lebens in Gott bekräftigt hat. Schaut auf ihn! Und schaut auf diese Wirklichkeit Gottes! Gebt ihr aufs neue Raum in eurem Bewußtsein, in eurem Verhalten, in eurem Gewissen, in eurem Herzen!

”Unsere Tage zu zählen, lehre uns (o Gott), damit wir ein weises Herz gewinnen!  . . . Laß deine Knechte dein Walten sehen und ihre Kinder dein herrliches Tun“ : Das gewähre uns der himmlische Vater als ein besonderes Erbe vom heiligen Bruder Klaus, dem Patron eures Vaterlandes. Amen.

 

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