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PASTORALBESUCH IN ÖSTERREICH

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE JUGENDLICHEN

Salzburg - Sonntag, 26. Juni 1988

 

Liebe jungen Mitchristen, Brüder und Schwestern!

1. ”Silber und Gold besitze ich nicht; doch was ich habe, gebe ich dir“.  Mit diesen Worten wendet sich Petrus in der Apostelgeschichte dem gelähmten Mann an der Tempelpforte zu. Im gleichen Sinne möchte der Nachfolger des Petrus heute zu euch allen sprechen: Was ich habe, gebe ich euch: ”Im Namen Jesu Christi.... geh umher!“. Der Name Christi, seine Person, seine Worte und Taten, sollen euch Kraft geben, sollen euch aufleben lassen gegen alle Trägheit und euch auf den Weg der Nachfolge senden: Im Namen Christi, steht auf, geht umher, packt zu, erweist euch als Jünger Christi!

Das sei euer Beitrag zum Leitwort meines zweiten Pastoralbesuches in eurem Land: Ja zum Glauben – Ja zum Leben. Auch ihr bekennt euch dazu, daß ein hochherziges Ja zum christlichen Glauben die reinste Quelle für die Fülle des Lebens ist, auch für ein junges, vorwärtsdrängendes Leben. Ich freue mich, in dieser Stunde zusammen mit euch diesen unseren gemeinsamen Glauben bekennen und stärken zu können. In euch grüße ich zugleich all jungen Katholiken dieser Erzdiözese Salzburg und ganz Österreichs mit ihren Seelsorgern, von denen jetzt gewiß viele mit uns durch das Fernsehen oder durch den Hörfunk verbunden sind. Euch allen möchte ich Anteil geben an meinem Glauben, an meinem Zeugnis. Im Namen Christi darf ich euch zurufen: Gott liebt euch; Gott liebt jeden einzelnen von euch. In Jesus Christus hat er euch erlöst und zu Großem berufen.

2. Ihr seid erlöst! – Das wirkt zunächst wie eine Provokation. So vieles in der Welt und in eurer Umgebung scheint doch dieser Botschaft zu widersprechen. Manche bange Frage zu eurer Zukunft richtet ihr an Eltern und Priester, an Lehrer und Politiker. Die erste Antwort auf solche Fragen und Klagen könnt aber bereits ihr selbst geben: ja, ihr selbst! Wenn ihr euch mit Herz und Verstand bewußt macht, daß ihr von Gott geliebte Menschen seid, mit einer unverlierbaren Würde und Verantwortung, wenn ihr auch nach dieser Überzeugung lebt, dann bezeugt ihr bereits, daß ein Menschenleben nicht ein verlorener Tropfen im Meer ist, nicht eine zufällig Zahl in der Statistik, nicht ein belangloses Teilchen im Weltcomputer.

Wer sich durch Jesu Christi Tod und Auferstehung erlösen läßt, findet den tiefen, inneren Frieden mit Gott und mit sich selbst. Er hat die nötige Zuversicht und Ausdauer, die Schwierigkeiten in seinem eigenen Leben zu meistern. Weil er um seine ewige Berufung weiß, weil er den Mut und die Großherzigkeit des Glaubens in sich trägt, darum hat er auch die Maßstäbe und die Kraft, in der rechten Weise für den Frieden auf Erden zu wirken. Weil er den Menschen nicht als Zufallsprodukt, sondern als von Gott gewolltes und zur Freiheit berufenes Geschöpf kennt, darum versteht er Freiheit in ihren ganzen Breite und kann sich für Befreiung oder ideologische Verengungen einsetzen. Nur wer die Welt von Gott her sieht und lebt, hat einen Standort gefunden, der nicht zu neuen Parteiungen führt, sondern soziales Unrecht, Haß und Gleichgültigkeit wirksam bekämpfen läßt.

3. Erlöste Menschen seid ihr: Diese Wahrheit will sich in eurem Leben in verschiedenen Dimensionen entfalten. So seid ihr erlöst zum Glauben, zu vertrauensvoller Freundschaft mit Gott in Jesus Christus. Sorgt dafür, daß dieser Glaube bei euch wachsen kann, so wie ihr auch körperlich und seelisch wachst und reifer werdet. Das bewußte Ja zum gemeinsamen Glauben der Kirche, zur Einheit mit Papst und Bischöfen wird euch helfen, in der verwirrenden Vielfalt und Gegensätzlichkeit heutiger religiöser Literatur die rechten Maßstäbe zu finden und das auszuwählen, was den Glauben wirklich aufbaut und vertieft. Der mündige Christ muß die wichtigsten Problemstellungen und Antworten der christlichen Glaubenslehre kennen. Der Glaube ist ja nicht ein blindes Gefühl, sondern eine bewußte und bedachte Zustimmung zum Anruf Gottes. In einem seiner Briefe fordert der Apostel Petrus auch uns auf: ”Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“. 

Ja, wir sind auch erlöst zur Hoffnung. Vor einiger Zeit war es modern, Kleider mit der Aufschrift zu tragen: ”No future“ - ”Keine Zukunft“. Ein junger Christ lebt genau das Gegenteil: Er hat Zukunft, weil er mit Gott vorangeht, weil er auf Gott zugeht, der für ihn Liebe und Treue ist, auch da, wo der Horizont dunkel und verhangen erscheint. Er hat Zukunft, weil er darauf vertrauen kann, daß die kleinste Dosis guten Willens und jedes noch so unvollkommene gute Werk zur Ernte Gottes gehört und zu seinem Reich hinführt, das seine Allmacht bereits hier auf Erden beginnen und in der Ewigkeit sich vollenden läßt.

4. Vor allem aber seid ihr erlöst zur Liebe. Wie praktisch und konkret das werden kann, sagt uns der Apostel Paulus an einer berühmten Stelle seiner Briefe. Dort heißt es: ”Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, ...sucht nicht ihren Vorteil, läßt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit“.  In ihrer reinsten Gestalt erkennen wir diese Liebe im gekreuzigten Herrn, der seine angenagelten Arme wie zu einer großen Einladung ausbreitet: Freund und Feind will er an sich ziehen, sogar jene, die ihn verurteilt haben. Jedes Kreuz, das wir erblicken, wird so zu einer stillen Mahnung: Der wahre Sieg, der den Haß in der Welt überwindet, it der Selbsteinsatz in letzter Konsequenz, in bleibender Treue, aus der Kraft der Liebe.

”Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen“: Das ist das geheimnisvolle Gesetz wahrer Liebe, wer neben sich Platz schafft für den Nächsten, wer sich zurücknimmt, daß auch andere atmen können und zu ihrem Recht kommen, wer seine eigene Enge öffnet und anderen selbstlos Freundschaft und Liebe anbietet, der findet dort zugleich auch die ersehnte Selbstverwirklichung. Diese Regel gilt auch für den Umgang von Mann und Frau im Kraftfeld ihrer gegenseitigen geschlechtlichen Beziehung. Widersetzt euch allem, was eure Geschlechtlichkeit von der Liebe trennen will. Das Einswerden zweier Menschen in der leiblich-seelischen Hingabe aneinander ist nur dann davor geschützt, ein gegenseitiges Überwältigen und Sich-Ausbeuten zu werden, wenn es eingebunden ist in lebendige Ehrfurcht voreinander. Wer den anderen nur leiblich genießen will, beleidigt gerade durch eine solche Einengung die Seele des Partners; er verletzt ein Du, eine Person, die respektiert und geliebt sein möchte.

Immer wieder, auch heute, lädt der Herr dazu ein, der liebenden Hingabe an Gott und die Mitmenschen eine ganz besonders intensive und zeugnishafte Form zu geben: Er ruft zum Dienst des Priesters, und er ruft zum Weg der Gelübde von Armut, Gehorsam und Ehelosigkeit in einer Ordensgemeinschaft. Wenn ihr diesen Ruf verspürt, dann folgt ihm großzügig und ohne Furcht. Die Welt braucht dieses ausdrückliche Zeugnis eines selbstlosen Einsatzes; ja, an vielen Stellen der Erde sehnen sich die Menschen geradezu nach solchen Boten der Liebe und Gerechtigkeit Gottes. Helft mit, diese Sehnsucht zu stillen!

5. Aber wie auch immer sich euer Lebensweg gestalten wird, an jedem Ort und in jeder Lage sollt ihr Zeugen der Frohen Botschaft der Erlösung sein: Ihr seid erlöst zur Freude. Diese Freude soll euch selbst durchdringen und prägen: sie will aber auch ausstrahlen auf die Umgebung, sie will mitreißen und begeistern. Ich meine dabei nicht nur eine oberflächliche, lärmende Lustigkeit, sondern jene tiefere Freude, die sich gerade dann bewährt, wenn Ängste, Trauer und Leid bestanden werden müssen. Solche Freude braucht auch die Kirche von heute, damit ihre Wahrheit auch den Leib erfaßt, ihre Sprache das Herz bewegt, damit sie die Menschenfreundlichkeit Gottes vermitteln kann.

Geht euren Weg als herzliche Menschen! In einer Zeit, da Verstand, Leistung und Erfolg eine fast absolute Führungsrolle beanspruchen, hungern viele Menschen nach mehr Menschlichkeit und Zuwendung. Gerade auch in unseren kirchlichen Gemeinschaften sollten sie die ersehnte Geborgenheit und Wärme finden können. Der Umgang der Gläubigen vor allem mit verunsicherten und zweifelnden Mitmenschen braucht viel Einfühlung und Herzenstakt.

Geht euren Weg als Menschen, die auch verweilen können. Der Zeitgeist, dem wir alle ausgesetzt sind, will uns immer wieder nervös und hastig weitertreiben. Um aber wirklich verstehen und richtig werten zu können, müssen wir Oasen der Stille, des Innewerdens und auch des Gebetes schaffen. Dort lernen wir zu schauen, den überblick zu gewinnen, Freude zu empfinden, unsere eigene Person einzubringen, unser Leben von Gott her zu betrachten.

6. Vor allem aber geht euren Weg als versöhnte Menschen, die zugleich Versöhnung schenken! Kehrt die Abfälle eures Versagens, eurer Schuld, eurer vergeblichen Vorsätze nicht einfach unter den Teppich; sie verseuchen sonst die geistige Umwelt oder lassen uns nach Sündenböcken unserer eigenen Fehler suchen. Niemand kann von sich aus Vergangenes ungeschehen machen; auch der beste Psychologe kann den Menschen nicht von der Last der Vergangenheit befreien. Nur die Vollmacht Gottes kann es, der in schöpferischer Leibe einen neuen Anfang mit uns setzt. Das ist das Große am Sakrament der Vergebung, daß wir Aug in Aug mit Gott, jeder einzelne als Person von ihm angenommen, von ihm erneuert werden; daß er selbst die verseuchte Erde unserer Seele in der Gnade der Vergebung reinigt und uns so auch die Kraft gibt, ohne kleinliches Aufrechnen und heimliches Nachtragen zu ehrlicher Versöhnung mit verletzten Mitmenschen zu kommen. Christus hat darüber keinen Zweifel gelassen, daß er die Umkehr des Sünders für einen der tiefsten und wertvollsten menschlichen Akte hält. Bereits der allererste Schritt zu solcher Bekehrung geschieht schon im Licht seiner Erlöserliebe. Wenn Gott bereit ist, uns an der Wurzel zu heilen, dann müssen auch wir die Kraft finden, unserem Nächsten Versöhnung anzubieten, wann immer wir meinen, von ihm getroffen worden zu sein.

7. Liebe junge Mitchristen! Wir wissen wohl alle, daß die großen Dinge des Lebens und die notwendigen Veränderungen in Gesellschaft und Kirche nicht einfach ”machbar“ sind. Sie brauchen einen langen Atem und eine Geduld, die über den eigenen Lebensraum hinausschauen läßt. Unsere Vorfahren, darunter Heilige, Denker, Dulder und Kämpfer, haben uns schon ein wertvolles Gepäck mit auf den Weg gegeben, von dem wir bereits leben, ein Erbe, das wir gar nicht ausschöpfen können. Zugleich aber gehen wir voran auf eine Zukunft zu, die unseren heutigen Beitrag erwartet. Heute sind wir, die Lebenden, verantwortlich für die Kirche Christi. Gewiß, die Kirche ist immer mehr als das, was wir aus ihr machen. Selbst in der tiefsten Schwachheit der Menschen, die sie tragen sollten, bleibt sie unverrückbar Kirche des Herrn; in ihren Sakramenten, in der Gemeinschaft des Gebetes aller Heiligen diesseits und jenseits der Grenze des Todes ragt sie über alles menschliche Versagen hinaus. Auf diese größere Kirche müssen wir unseren Blick stets gerichtet halten. Aus dieser Sicht erwachsen uns dann Auftrag und Ansporn, in der konkreten Lebensgemeinschaft der Kirche hier und heute so zu stehen und zu handeln, daß sie als Kirche der Fülle und des Teilens erlebt werden kann, daß ihr Wort erhellt bleibt von ihrem Hören auf Gott und die Menschen, daß sie Kirche für Freuden und Schmerzen ist und eine Tür wird für Freiheit und Frieden in der Welt: Je mehr sie ganz mit Gott ist, desto mehr wird sie ganz für die Menschen sein.

Viele junge Menschen aus eurem Jugendzentrum haben Assisi besucht. Ich erinnere sie und euch alle an das Wort Christi: ”Franziskus, du mußt meine Kirche wieder aufbauen“. Dieses Wort gilt auch euch, liebe Brüder und Schwestern. Die Kirche braucht euch, um in dieser und in der nächsten Generation jung zu bleiben. Eure Jugendlichkeit erinnert an den Sohn Gottes, dessen Antlitz ein jugendliches gewesen ist, um zu offenbaren, daß Gott ewig jung ist. Er begleite euch stets mit seiner Liebe und mit seinem Segen!

 

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