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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 17. August 2005

Lesung: Psalm 126

1 Tränen und Jubel [Ein Wallfahrtslied.] Als der Herr das Los der Gefangenschaft Zions wendete, da waren wir alle wie Träumende.
2 Da war unser Mund voll Lachen und unsere Zunge voll Jubel. Da sagte man unter den andern Völkern: «Der Herr hat an ihnen Großes getan.»
3 Ja, Großes hat der Herr an uns getan. Da waren wir fröhlich.
4 Wende doch, Herr, unser Geschick, wie du versiegte Bäche wieder füllst im Südland.
5 Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten.
6 Sie gehen hin unter Tränen und tragen den Samen zur Aussaat. Sie kommen wieder mit Jubel und bringen ihre Garben ein.

 

Psalm 126
Gott, unsere Freude und unsere Hoffnung

1. Wenn man die Worte von Psalm 126 hört, hat man den Eindruck, den Ablauf des im zweiten Teil des Buches Jesaja besungenen Ereignisses, nämlich den »neuen Exodus«, mit eigenen Augen zu verfolgen. Es ist Israels Heimkehr aus der Babylonischen Gefangenschaft in das Land der Väter nach dem Edikt des persischen Königs Cyrus im Jahr 538 v. Chr. Es wiederholte sich damals die freudige Erfahrung des ersten Auszugs, durch den das jüdische Volk von der ägyptischen Knechtschaft befreit wurde.

Besondere Bedeutsamkeit hatte dieser Psalm, wenn er in den Tagen gesungen wurde, in denen sich Israel bedroht fühlte und Furcht hatte, weil es erneut geprüft wurde. Denn der Psalm enthält die Bitte um Rückkehr der damaligen Gefangenen (vgl. V. 4). So wurde er zu einem Gebet des Volkes Gottes auf seinem geschichtlichen Weg, der voller Gefahren und Prüfungen ist, aber immer offen bleibt für das Vertrauen auf Gott, den Retter und Befreier, der die Schwachen und Unterdrückten stützt.

2. Der Psalm beginnt in einer Atmosphäre des Jubels: Es wird gelacht, man jubelt über die errungene Freiheit, da sind »unsere Zungen voll Jubel« (vgl. V. 1–2).

Die Reaktion auf die wiedererlangte Freiheit war zweifacher Art. Erstens erkannten die anderen Völker die Größe des Gottes Israels: »Der Herr hat an ihnen Großes getan« (V. 2). Die Rettung des auserwählten Volkes war ein klarer Beweis für die wirksame und mächtige Existenz Gottes, der in der Geschichte gegenwärtig ist und handelt. Zweitens bekannte das Volk Gottes seinen Glauben an den Herrn, der rettet: »Ja, Großes hat der Herr an uns getan« (V. 3).

3. Die Gedanken schweifen in die Vergangenheit, und man erlebt sie von neuem mit einem Anflug von Furcht und Bitternis. Wir wollen nun unsere Aufmerksamkeit auf das vom Psalmisten beschriebene ländliche Bild richten: »Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten« (V. 5). Unter der Last der Arbeit zeichnen die Tränen manchmal Furchen ins Gesicht. Die Aussaat ist mühevoll, vielleicht nutzlos und ohne Erfolg. Wenn aber voll Freude eine reiche Ernte eingebracht wird, entdeckt man, daß dieser Schmerz fruchtbar war.

In diesem Psalmvers ist die tiefe Lehre vom Geheimnis der Fruchtbarkeit und des Lebens zusammengefaßt, die das Leiden enthalten kann. So wie Jesus am Vorabend seines Leidens und Sterbens gesagt hatte: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht« (Joh 12.24).

4. Der Ausblick des Psalms weist auf eine fröhliche Ernte hin, das Symbol der Freude, die der Freiheit, dem Frieden und dem Wohlstand entspringt, die Frucht des göttlichen Segens sind. Dieses Gebet ist also ein Lied der Hoffnung, das man zu Hilfe nimmt, wenn man in Zeiten der Prüfung, der Angst, der äußeren Bedrohung und der inneren Bedrücktheit lebt.

Aber es kann auch ein allgemeiner Aufruf werden, unsere Tage in einer Atmosphäre der Glaubenstreue zu leben und sich dementsprechend zu entscheiden. Die Beharrlichkeit im Guten, auch wenn sie mißverstanden und angegriffen wird, endet immer mit Licht, Fruchtbarkeit und Frieden.

Daran erinnerte der Apostel Paulus die Galater: »Wer aber im Vertrauen auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten. Laßt uns nicht müde werden, das Gute zu tun; denn wenn wir darin nicht nachlassen, werden wir ernten, sobald die Zeit dafür gekommen ist« (Gal 6,8–9).

5. Wir schließen mit einer Betrachtung des hl. Beda Venerabilis (672/3–735) über Psalm 126 als Kommentar zu den Worten, mit denen Jesus seinen Jüngern die Trauer ankündigte, die auf sie zukam zusammen mit der Freude, die aus ihrer Trauer erwachsen sollte (vgl. Joh 16,20).

Beda erinnert daran, daß »diejenigen weinten und klagten, die Christus liebten, als sie sahen, wie er von den Gegnern gefangengenommen, gefesselt und vor Gericht gestellt, verurteilt, gegeißelt, verhöhnt und zuletzt gekreuzigt, von der Lanze durchbohrt und begraben wurde. Diejenigen, die die Welt liebten, freuten sich …, als sie den, dessen Anblick allein ihnen schon lästig war, zum schändlichen Tod verurteilten. Die Jünger betrauerten den Tod des Herrn, aber nachdem sie von seiner Auferstehung erfahren hatten, verwandelte sich ihre Trauer in Freude. Als sie dann das Wunder der Himmelfahrt gesehen hatten, lobten und priesen sie den Herrn mit noch größerer Freude, wie der Evangelist Lukas bezeugt (vgl. Lk 24,53). Die Worte des Herrn passen für alle Gläubigen, die unter Tränen und Bedrängnissen in der Welt zu den ewigen Freuden gelangen wollen und jetzt zu Recht weinen und trauern, weil sie ihn, den sie lieben, noch nicht sehen können; sie wissen, daß sie, solange sie noch im Leib sind, fern vom Haus des Vaters und fern vom Reich Gottes sind, auch wenn sie sicher sind, durch die Mühen und Kämpfe den ewigen Lohn zu erlangen. Ihre Trauer wird sich in Freude verwandeln, wenn sie, nachdem sie diesen Lebenskampf beendet haben, den Lohn des ewigen Lebens empfangen, wie es im Psalm heißt: ›die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten‹« (Omelie sul Vangelo, 2,13; Collana di Testi Patristici, XC, Rom 1990, S. 379f.).


 

Am Morgen des 17. August erreichte Papst Benedikt XVI. die traurige Nachricht vom gewaltsamen Tod von Frère Roger Schutz. Bei der Generalaudienz sagte er:

Wir haben zugleich von Trauer und Freude gesprochen. In der Tat habe ich heute morgen eine sehr traurige, dramatische Nachricht erhalten. Gestern abend wurde während des Abendgebets der liebe Frère Roger Schutz, Gründer der Gemeinschaft von Taizé, durch Messerstiche getötet, möglicherweise von einer Geistesgestörten. Diese Nachricht betrübt mich umso mehr, als ich gerade gestern einen sehr ergreifenden und freundschaftlichen Brief von Frère Roger erhalten habe. Er schreibt darin, daß er mir von ganzem Herzen mitteilen möchte: »Wir stehen mit Ihnen und mit all denen, die jetzt in Köln versammelt sind, in Gemeinschaft«.

Dann schreibt er weiter, daß er aufgrund seines Gesundheitszustandes leider nicht persönlich nach Köln kommen könne, er sei jedoch mit seinen Brüdern spirituell anwesend. Schließlich schreibt er mir in diesem Brief, daß er den Wunsch habe, möglichst bald nach Rom zu kommen, um mir einen Besuch abzustatten und um mir mitzuteilen, daß »unsere Gemeinschaft von Taizé gemeinsam mit dem Heiligen Vater vorangehen möchte«. Und dann fügt er noch handschriftlich hinzu: »Heiliger Vater, ich versichere Sie meiner Empfindungen der tiefen Verbundenheit. Frère Rogér von Taizé«.

In diesem Moment der Trauer bleibt uns nur, der Barmherzigkeit des Herrn die Seele seines treuen Dieners anzuvertrauen. Wir wissen, daß aus der Trauer – wie wir soeben im Psalm gehört haben – wieder Freude entsteht. Frère Schutz hat nun Anteil an der ewigen Gnade, der ewigen Liebe, er ist zur ewigen Freude gelangt. Er ermahnt uns und ruft uns auf, stets treue Arbeiter im Weinberg des Herrn zu sein, auch in traurigen Situationen, mit der Gewißheit, daß uns der Herr begleitet und uns seine Freude schenken wird.

* * *

Frohen Herzens grüße ich alle Pilger deutscher Sprache. In diesen Tagen haben sich sehr viele junge Menschen in Köln zum 20. Weltjugendtag versammelt. Dieses große Treffen steht unter dem Motto: „Wir sind gekommen, um ihn anzubeten“ (Mt 2,2). Auch ich mache mich morgen auf den Weg, um gemeinsam mit den Teilnehmern aus der ganzen Welt Christus zu begegnen. Begleitet uns mit Eurem Gebet und erbittet von Gott reiche Gnaden für alle, die in Köln ihren Glauben an den lebendigen Gott vertiefen. Der Herr schenke Euch seinen Segen!

 

 



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