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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 7. September 2005

 

Lesung: Brief an die Kolosser 1,3.12–20

3 Wir danken Gott, dem Vater Jesu Christi, unseres Herrn, jedesmal, wenn wir für euch beten.
12 Dankt dem Vater mit Freude! Er hat euch fähig gemacht, Anteil zu haben am Los der Heiligen, die im Licht sind.
13 Er hat uns der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes.
14 Durch ihn haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden.
15 Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung.
16 Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
17 Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand.
18 Er ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten; so hat er in allem den Vorrang.
19 Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen,
20 um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.

 

Kolosser 1, 3.12-20
Christus, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Wir haben bereits vor einiger Zeit das großartige Bild Christi, des Herrn des Universums und der Geschichte, betrachtet, das den Hymnus beherrscht, der am Anfang des Briefes des hl. Paulus an die Kolosser steht. In der Tat wird dieses Canticum in allen vier Wochen wiederholt, in die die Vesperliturgie eingeteilt ist.

Den Kern des Hymnus bilden die Verse 15–20, in denen Christus unmittelbar und erhaben auftritt und als »Ebenbild des unsichtbaren Gottes« bezeichnet wird (V. 15). Der Apostel Paulus hat eine Vorliebe für das griechische Wort »eikon«, »Ikone«: Er verwendet es in seinen Briefen neunmal, wobei er es auf Christus, das vollkommene Ebenbild Gottes (vgl. 2 Kor 4,4), und auf den Menschen, Abbild und Abglanz Gottes (vgl. 1 Kor 11,7), anwendet. Der Mensch jedoch »vertauschte« aufgrund der Sünde »die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes mit Bildern, die einen vergänglichen Menschen … darstellen« (Röm 1,23), als er sich entschloß, die Götzen anzubeten, und ihnen ähnlich wurde.

Wir müssen deshalb unser Sein und Leben ständig entsprechend dem Bild des Gottessohnes gestalten (vgl. 2 Kor 3,18), denn wir wurden »der Macht der Finsternis entrissen und aufgenommen in das Reich seines geliebten Sohnes« (Kol 1,13). Das ist ein erster Imperativ dieses Hymnus: unser Leben nach dem Bild des Gottessohnes gestalten, indem wir seine Gefühle, seinen Willen und sein Denken in uns aufnehmen.

2. Im weiteren Verlauf wird Christus als der »Erstgeborene [zuerst Gezeugte] der ganzen Schöpfung« verkündet (V. 15). Christus geht der ganzen Schöpfung voraus (vgl. V. 17), weil er von Ewigkeit her gezeugt ist, denn »alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen« (V. 16). Auch in der alten jüdischen Tradition wurde bekräftigt, daß »die ganze Welt auf den Messias hin erschaffen wurde« (Sanhedrin 98b).

Für den Apostel ist Christus das Prinzip des Zusammenhalts (»in ihm hat alles Bestand«), der Mittler (»durch ihn«) und die endgültige Bestimmung, der die ganze Schöpfung zustrebt. Er ist »der Erstgeborene von vielen Brüdern« (Röm 8,29), das heißt, er ist der Sohn vor allen anderen in der großen Familie der Kinder Gottes, in die uns die Taufe eingliedert.

3. An dieser Stelle geht der Blick von der Welt der Schöpfung hin zur Welt der Geschichte: Christus ist »das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche« (Kol 1,18), und er ist es schon durch seine Menschwerdung. Denn Christus ist in die menschliche Gemeinschaft eingetreten, um sie zu leiten und in einem »Leib«, das heißt in einer harmonischen und fruchtbaren Einheit, zusammenzuführen. Der Bestand und das Wachstum der Menschheit haben ihre Wurzeln in Christus, dem lebenswichtigen Angelpunkt, »dem Anfang«.

Aufgrund dieses Primats kann Christus der Anfang der Auferstehung aller, der »Erstgeborene der Toten« sein, denn »in Christus werden alle lebendig gemacht werden … Erster ist Christus, dann folgen , wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören« (1 Kor 15,22–23).

4. Abschließend preist der Hymnus die »Fülle«, auf griechisch »pleroma«, die Christus als Liebesgabe des Vaters in sich trägt. Es ist die Fülle der Gottheit, die in das Universum und in die Menschheit ausstrahlt und Quelle des Friedens, der Einheit und der vollendeten Harmonie wird (Kol 1,19–20).

Diese »Versöhnung« und »Wiederherstellung des Friedens« geschieht »am Kreuz durch sein Blut«, durch das wir gerecht gemacht und geheiligt werden. Indem er sein Blut vergossen und sich hingegeben hat, hat Christus den Frieden ausgegossen, der im Sprachgebrauch der Bibel die Zusammenfassung der messianischen Güter und der Fülle des Heils ist, die sich über die ganze geschaffene Wirklichkeit ausdehnt.

Der Hymnus endet deshalb mit dem lichten Ausblick auf Versöhnung, Einheit, Harmonie und Frieden, in dem feierlich die Gestalt ihres Urhebers – Christus, der »geliebte Sohn« des Vaters – erscheint.

5. Über diese bedeutungsreiche Perikope haben die Schriftsteller der alten christlichen Tradition nachgedacht. Der hl. Cyrill von Jerusalem zitiert in seinem Dialog das Canticum des Kolosserbriefes, um einem unbekannten Gesprächspartner zu antworten, der ihn gefragt hatte: »Heißt das also, daß das von Gott, dem Vater, gezeugte Wort in seinem Fleisch für uns gelitten hat?« Die Antwort ist entsprechend dem Canticum bejahend. »Denn« – so bekräftigt Cyrill – »das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen sichtbaren und unsichtbaren Schöpfung, durch den und in dem alles Bestand hat, wurde« – schreibt Paulus – »der Kirche als Haupt gegeben. Er ist auch der Erstgeborene der Toten«, das heißt der erste in der Reihe der Toten, die auferstehen. »Er« – so sagt Cyrill – »hat sich alles, was des Menschen Fleisch ist, zu eigen gemacht und ›das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten‹ (Hebr 12,2). Wir sagen, daß nicht ein einfacher hochgeehrter Mensch wegen seiner Verbindung mit ihm, ich weiß nicht wie, für uns geopfert wurde, sondern daß der Herr der Herrlichkeit selbst gekreuzigt wurde« (Perché Cristo è uno: Collana di Testi patristici, XXXVII, Rom 1983, S. 101).

Vor diesem Herrn der Herrlichkeit, dem Zeichen der höchsten Liebe des Vaters, stimmen auch wir unseren Lobpreis an und knien nieder zur Anbetung und Danksagung.


Wie ein großes Panorama entfaltet der Hymnus aus dem Kolosserbrief das Bild Christi, unseres Herrn und Erlösers. Von Ewigkeit her ist Christus das „Ebenbild des unsichtbaren Gottes“ (V. 15), die „Ikone“ des Vaters. Er ist der „Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ (ebd.), ihr Ursprung und Ziel. An Ihm sollen wir unser Dasein ausrichten, da wir berufen sind, „Abbild und Abglanz Gottes“ zu sein.

Durch seine Menschwerdung tritt der Sohn Gottes in die Gemeinschaft der Menschen ein, um sie zu leiten und in eine harmonische und fruchtbare Einheit zusammenzuführen: Er ist das „Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche“ (V. 18). So haben Bestand und inneres Wachstum der Menschheit in Christus ihre Wurzeln. Als „Erstgeborener der Toten“ (ebd.) ist er zudem der Urgrund der Auferstehung aller. Denn durch sein Blut und seine Hingabe am Kreuz bringt Jesus Christus den Menschen die Erlösung; er ist der Urheber der Versöhnung und der Mittler des Heils. Der geliebte Sohn Gottes des Vaters führt die Schöpfung zur Vollendung.

***

Herzlich heiße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache willkommen. Jesus Christus zeigt uns den Vater; er zeigt uns auch das Bild des wahren Menschen. Ihm wollen wir unsere Anliegen und Sorgen, unser ganzes Leben anvertrauen. Der Herr begleite euch mit seiner Liebe und mit seinem Segen!

 

 



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