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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Castel Gandolfo
Mittwoch, 25. August 2010

 

Liebe Brüder und Schwestern!

Im Leben eines jeden von uns gibt es sehr liebe Menschen, denen wir uns besonders nahe fühlen. Einige sind schon bei Gott, andere teilen noch den Lebensweg mit uns: Es sind unsere Eltern, Verwandten, Lehrer; es sind Menschen, denen wir Gutes getan haben oder die uns Gutes getan haben; es sind Menschen, von denen wir wissen, daß wir auf sie zählen können. Jedoch ist es wichtig, auch »Weggefährten« auf dem Weg unseres christlichen Lebens zu haben: Ich denke an den geistlichen Begleiter, den Beichtvater, an Menschen, mit denen man seine Glaubenserfahrung teilen kann, aber ich denke auch an die Jungfrau Maria und an die Heiligen. Jeder sollte einen Heiligen haben, der ihm vertraut ist, um in Gebet und Fürbitte seine Nähe zu spüren, aber auch, um ihn nachzuahmen. Daher möchte euch einladen, die Heiligen besser kennenzulernen, angefangen bei dem, dessen Namen ihr tragt, seine Lebensbeschreibung und seine Schriften zu lesen. Seid gewiß, daß sie gute Führer werden, um den Herrn noch mehr zu lieben, und wertvolle Hilfen für euer menschliches und christliches Leben.

Wie ihr wißt, fühle auch ich mich einigen Heiligen auf besondere Weise verbunden: Außer dem hl. Josef und dem hl. Benedikt, deren Namen ich trage, gehört zu ihnen unter anderen auch der hl. Augustinus. Mir wurde das große Geschenk zuteil, ihn durch das Studium und das Gebet sozusagen aus der Nähe kennenzulernen, und er ist in meinem Leben und in meinem Dienst zu einem guten »Weggefährten« geworden. Ich möchte noch einmal einen wichtigen Aspekt seiner menschlichen und christlichen Erfahrung hervorheben, der aktuell ist auch in unserer Zeit, in der der Relativismus paradoxerweise zur »Wahrheit« geworden zu sein scheint, die das Denken, die Entscheidungen, das Verhalten leiten soll.

Der hl. Augustinus ist ein Mensch, der nie oberflächlich gelebt hat. Eines der grundlegenden Merkmale seines Lebens ist der Durst, die unruhige und ständige Suche nach der Wahrheit, aber nicht nach jenen »Scheinwahrheiten«, die dem Herzen keinen dauerhaften Frieden schenken können, sondern nach jener Wahrheit, die dem Leben Sinn gibt und die die »Ruhstatt« ist, in der das Herz Frieden und Freude findet. Wir wissen, daß sein Weg nicht einfach war: Er meinte, die Wahrheit im Ansehen, in der Karriere, im materiellen Besitz zu finden, in den Stimmen, die ihm unmittelbares Glück versprachen. Er hat Fehler gemacht, er hat Zeiten der Trauer erlebt, er hat Mißerfolge erlitten, aber er ist nie stehengeblieben, hat sich nie zufriedengegeben mit dem, was ihm nur einen schwachen Lichtschimmer vermittelte; er war fähig, in sein eigenes Inneres hineinzuschauen, und er hat gemerkt – so schreibt er in den Bekenntnissen –, daß jene Wahrheit, jener Gott, den er mit eigenen Kräften suchte, ihm innerlicher war als er sich selbst, ihm immer nahe gewesen war, ihn niemals verlassen hatte, darauf wartete, endgültig in sein Leben einzutreten (vgl. III,6,11; X,27,38). Wie ich in bezug auf den jüngst erschienenen Film über sein Leben gesagt habe, hat der hl. Augustinus in seiner unruhigen Suche verstanden, daß nicht er die Wahrheit gefunden hat, sondern daß die Wahrheit selbst, also Gott, ihm gefolgt ist und ihn gefunden hat (vgl. Worte nach der Vorführung des Films über das Leben des hl. Augustinus, 2. September 2009; in O.R. dt., Nr. 37, 11.9.2009, S.4). Romano Guardini sagt zu einem Abschnitt aus dem dritten Kapitel der Bekenntnisse: Der hl. Augustinus verstand, daß Gott die Herrlichkeit ist, die uns in die Knie zwingt, der Trank, der den Durst stillt, der Schatz, der glücklich macht. Er besaß die ruhige Gewißheit dessen, der endlich verstanden hat, aber auch die Seligkeit der Liebe, die weiß: Das ist alles, und das genügt mir (vgl. Pensatori religiosi, Brescia 2001, S. 177).

Ebenfalls in den Bekenntnissen, im neunten Buch, gibt unser Heiliger ein Gespräch mit seiner Mutter wieder, der hl. Monika, deren Gedenktag am kommenden Freitag, übermorgen, gefeiert wird. Es ist eine sehr schöne Szene: Er und seine Mutter sind in Ostia in einer Herberge, und vom Fenster aus sehen sie den Himmel und das Meer. Und sie werden über Himmel und Meer hinaus erhoben und berühren einen Augenblick lang Gottes Herz im Schweigen der Geschöpfe. Hier tritt ein grundlegender Gedanke auf dem Weg zur Wahrheit zutage: Die Geschöpfe müssen schweigen, wenn die Stille eintreten soll, in der Gott sprechen kann. Das ist immer wahr, auch in unserer Zeit: Manchmal hat man eine gewisse Furcht vor der Stille, vor der Sammlung, vor dem Nachdenken über das eigene Handeln, über den tieferen Sinn des eigenen Lebens. Oft zieht man es vor, nur den flüchtigen Augenblick zu leben und bildet sich ein, daß er dauerhaftes Glück bringt; oft zieht man es vor, oberflächlich zu leben, ohne nachzudenken, weil es einfacher zu sein scheint; oft hat man Angst, die Wahrheit zu suchen. Oder vielleicht hat man Angst, daß die Wahrheit uns findet, uns ergreift und unser Leben ändert, wie beim hl. Augustinus.

Liebe Brüder und Schwestern, ich möchte allen nahelegen – auch jenen, die sich an einem schwierigen Punkt auf ihrem Glaubensweg befinden, die am Leben der Kirche kaum teilnehmen oder die so leben »als ob es Gott nicht gäbe« –, keine Angst vor der Wahrheit zu haben, den Weg zu ihr niemals zu unterbrechen, nie aufzuhören, mit dem inneren Auge des Herzens die tiefste Wahrheit über sich selbst und über die Dinge zu suchen. Gott wird es nicht versäumen, Licht zu schenken, damit wir sehen können, und Wärme, damit das Herz spürt, daß er uns liebt und daß er geliebt werden möchte.

Die Fürsprache der Jungfrau Maria, des hl. Augustinus und der hl. Monika begleite uns auf diesem Weg.

 

* * *

 

Mit Freude grüße ich alle Gäste deutscher Sprache, vor allem die Teilnehmer am Ferienlager in Ostia. Ostia erinnert uns an Augustinus und seine Mutter Monika, die dort gestorben ist, und erinnert uns so daran, daß für unser Leben, für uns als Christen die Heiligen nicht Tote sind, sondern Wegbegleiter, die mit uns gehen. Mir selbst ist durch meine Studien und so weiter der heilige Augustinus ein solcher ganz persönlicher Freund und Weggefährte geworden. Am kommenden Samstag feiern wir seinen Gedenktag. Sein Leben war erfüllt von der Suche nach Wahrheit. Diese war nicht leicht zugänglich. Er hat viele Umwege machen müssen, aber er ließ sich davon nicht abbringen zu suchen: Was ist nun wirklich wahr? Gibt es Gott? Wer ist er? Wo ist er? Und diese Suche hat ihm schließlich Sinn und Halt gegeben und ihn zum lebendigen Gott geführt. Augustinus helfe uns allen auf unserem Weg durch die Wirrnisse dieser Zeit, Gott zu finden, mit ihm und auf ihn hin zu leben. Der Herr segne euch alle.

 

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