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BEGEGNUNG DES HEILIGEN VATERS MIT DEN PRIESTERN DER DIÖZESE ROM

"LECTIO DIVINA" VON PAPST  BENEDIKT XVI.

Benediktionsaula
Donnerstag, 10. März 2011

 

Eminenz,
Exzellenzen und liebe Mitbrüder!

Es ist eine große Freude für mich, jedes Jahr am Beginn der Fastenzeit mit euch, dem Klerus von Rom, zusammenzukommen und mit euch den österlichen Weg der Kirche zu beginnen. Ich möchte Seiner Eminenz für die schönen Worte, die er an mich gerichtet hat, und euch allen für die Arbeit danken, die ihr für die Kirche von Rom leistet, welche – nach dem hl. Ignatius – den Vorsitz in der Liebe einnimmt und deshalb immer auch vorbildlich in ihrem Glauben sein sollte. Tun wir miteinander alles in unserer Möglichkeit Stehende, damit diese Kirche von Rom ihrer Berufung entspricht und wir treue Arbeiter in diesem »Weinberg des Herrn« sind.

Wir haben den Abschnitt aus der Apostelgeschichte (20,17–38) gehört, in dem der hl. Paulus zu den Ältesten der Gemeinde von Ephesus spricht – vom hl. Lukas als Testament oder Abschiedsrede des Paulus bezeichnet –, eine Rede, die nicht nur für die Ältesten von Ephesus, sondern für die Priester aller Zeiten bestimmt ist. Der hl. Paulus spricht nämlich nicht nur zu denjenigen, die dort anwesend waren, er spricht in Wirklichkeit zu uns. Versuchen wir daher, etwas von dem zu begreifen, was er uns in dieser Stunde sagt.

Ich beginne: »Ihr wißt, wie ich vom ersten Tag an die ganze Zeit in eurer Mitte war« (V. 18), und von seinem Verhalten während dieser ganzen Zeit sagt Paulus am Ende, er habe »drei Jahre lang Tag und Nacht nicht aufgehört, unter Tränen jeden einzelnen zu ermahnen« (V. 31). Das heißt: In dieser ganzen Zeit war er für sie Verkünder, Botschafter, Gesandter Christi; er war für sie Priester. Man könnte gewissermaßen sagen, er war ein Arbeiterpriester, weil er – wie er auch in diesem Abschnitt sagt – mit seinen Händen als Zeltmacher gearbeitet hat, um ihnen nicht zur Last zu fallen, um frei zu sein, sie frei zu machen. Obwohl er mit seinen Händen gearbeitet hat, war er dennoch in dieser ganzen Zeit Priester, hat die ganze Zeit ermahnt. Mit anderen Worten, auch wenn er nicht die ganze Zeit äußerlich für die Verkündigung zur Verfügung stand, war er mit seinem Herzen und seiner Seele immer für sie gegenwärtig; er war vom Wort Gottes, von seiner Sendung durchdrungen. Das scheint mir ein sehr wichtiger Punkt zu sein: Priester sind wir nicht nur für eine gewisse Zeit; wir sind es für immer, mit ganzer Seele, mit unserem ganzen Herzen. Dieses Bei-Christus-Sein und Gesandter Christi zu sein, dieses Dasein für die anderen, ist eine Sendung, die unser ganzes Sein durchdringt und immer mehr die Gesamtheit unseres Seins durchdringen muß.

Dann sagt der hl. Paulus: »Ich habe dem Herrn in aller Demut gedient« (V. 19). »Gedient« – ein Schlüsselwort des ganzen Evangeliums. Christus selbst sagt: Ich bin nicht gekommen, um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen (vgl. Mt 20,28). Er ist der Diener Gottes, und Paulus und die Apostel sind weiterhin »Diener«; nicht Herren  des Glaubens, sondern Helfer zu eurer Freude, sagt der hl. Paulus im Zweiten Korintherbrief (vgl. 1,24). »Dienen« – das muß auch für uns maßgebend sein: Wir sind Diener. Und dienen heißt, nicht das zu tun, was ich mir vornehme und was mir am liebsten wäre; dienen heißt, mir die Last des Herrn, das Joch des Herrn aufladen zu lassen; dienen heißt, nicht meinen Vorlieben, meinen Prioritäten zu folgen, sondern mich wirklich »für den anderen« in Dienst nehmen zu lassen. Das heißt, daß auch wir Dinge tun müssen, die nicht unmittelbar geistlich zu sein scheinen und die nicht immer unseren Entscheidungen entsprechen. Wir alle – vom Papst bis zum letzten Kaplan – müssen Verwaltungsarbeiten, zeitlich-irdische Arbeiten leisten; wir tun das jedoch als Dienst, als Teil dessen, was uns der Herr in der Kirche aufträgt, und tun alles, was die Kirche uns sagt und was sie von uns erwartet. Dieser konkrete Gesichtspunkt des Dienstes – daß nämlich nicht wir entscheiden, was wir tun sollen, sondern Diener Christi in der Kirche sind und so arbeiten, wie es uns die Kirche sagt, wohin uns die Kirche ruft, und eben versuchen, genauso zu sein: Diener, die nicht ihren eigenen Willen tun, sondern den Willen des Herrn. In der Kirche sind wir wirklich Gesandte des Herrn und Diener des Evangeliums.

»Ich diente dem Herrn in aller Demut.« Auch »Demut« ist ein Schlüsselwort des Evangeliums, des ganzen Neuen Testaments. Demut trägt uns der Herr auf. Im Brief an die Philipper erinnert uns der hl. Paulus daran, daß Christus, der über uns allen stand, der wirklich göttlich, in der Herrlichkeit des Vaters war, sich erniedrigt hat, herabgestiegen ist, indem er Mensch wurde, die ganze Gebrechlichkeit des menschlichen Seins auf sich nahm, bis zum letzten Gehorsam am Kreuz (vgl. 2,5–8). Demut heißt nicht falsche Bescheidenheit – wir sind dankbar für die Gaben, die der Herr uns gegeben hat –, aber sie zeigt, daß wir uns bewußt sind, daß alles, was wir tun können, Gabe Gottes ist, uns um des Himmelreiches willen geschenkt ist. In dieser Demut, in diesem nicht in Erscheinung treten wollen, arbeiten wir. Wir verlangen kein Lob, wir wollen uns nicht »sehen lassen«, für uns ist das entscheidende Kriterium nicht, was man in den Zeitungen und anderswo über uns sagen wird, sondern was Gott sagt. Das ist die wahre Demut: Nicht vor den Menschen in Erscheinung treten, sondern unter dem Blick Gottes stehen und demütig für Gott zu arbeiten und auf diese Weise auch der Menschheit und den einzelnen Menschen wirklich zu dienen.

»Ich habe nichts verschwiegen von dem, was heilsam ist. Ich habe es euch verkündigt und habe euch gelehrt, öffentlich und in den Häusern « (V. 20). Der hl. Paulus kommt nach einigen Sätzen wieder auf diesen Punkt zurück und sagt: »Denn ich habe mich der Pflicht nicht entzogen, euch den ganzen Willen Gottes zu verkünden« (V. 27). Das ist wichtig: Der Apostel predigt nicht ein Christentum »à la carte« nach eigenem Geschmack, er predigt nicht ein Evangelium nach eigenen theologischen Lieblingsideen; er entzieht sich nicht der Aufgabe, den ganzen, auch den unbequemen Willen Gottes und die Themen zu verkünden, die ihm persönlich nicht besonders gefallen. Es ist unsere Mission, den ganzen Willen Gottes zu verkünden, in seiner Gesamtheit und äußersten Einfachheit. Aber wichtig ist die Tatsache, daß wir – wie der hl. Paulus sagt – wirklich den ganzen Willen Gottes lehren und verkündigen müssen. Ich denke, da die heutige Welt neugierig darauf ist, alles zu erkennen, müßten wir um so neugieriger darauf sein, den Willen Gottes zu erkennen: Was könnte für uns interessanter, wichtiger, wesentlicher sein als zu erkennen, was Gott will, den Willen Gottes, das Angesicht Gottes zu erkennen? Diese innere Neugier sollte auch unsere Neugier sein, den Willen Gottes besser, vollkommener zu erkennen. Wir müssen auf diese Neugier antworten und sie bei den anderen wecken: den ganzen Willen Gottes wahrhaft zu erkennen und auf diese Weise zu erkennen, wie wir leben können und sollen, wie unser Lebensweg verlaufen soll. Wir müßten also – soweit wir das können – den Inhalt des Glaubensbekenntnisses der Kirche, von der Schöpfung bis zur Wiederkunft des Herrn, der Welt bekannt und verständlich machen. Die Lehre, die Liturgie, die Moral, das Gebet – die vier Teile des Katechismus der Katholischen Kirche – zeigen diese Gesamtheit des Willens Gottes auf. Und es ist auch wichtig, uns nicht in Details zu verlieren, nicht die Idee aufkommen zu lassen, das Christentum sei ein Riesenpaket an Dingen, die gelernt werden müssen.

Letztlich ist es einfach: Gott hat sich in Christus gezeigt. Aber das Eintreten in diese Einfachheit – ich glaube an Gott, der sich in Christus zeigt, und will seinen Willen erkennen und verwirklichen – hat Inhalte, und je nach der Situation gehen wir dann mehr oder weniger detailliert darauf ein, aber wesentlich ist, daß die letzte Schlichtheit des Glaubens verständlich wird. An Gott glauben, wie er sich in Christus gezeigt hat, ist auch der innere Reichtum dieses Glaubens, die Antworten, die er auf unsere Fragen gibt, auch die Antworten, die uns im ersten Augenblick nicht gefallen mögen und die dennoch der Weg des Lebens, der wahre Weg sind; wenn wir auf diese, wenngleich für uns nicht so angenehmen Dinge eingehen, können wir begreifen, zu begreifen beginnen, was Wahrheit wirklich ist. Und die Wahrheit ist schön. Der Wille Gottes ist gut, er ist die Güte selbst.

Dann sagt der Apostel: »Ich habe es euch verkündigt und habe euch gelehrt, öffentlich und in den Häusern. Ich habe Juden und Griechen beschworen, sich zu Gott zu bekehren und an Jesus Christus, unseren Herrn, zu glauben« (V. 20–21). Das ist eine Zusammenfassung des Wesentlichen: Bekehrung zu Gott, Glaube an Jesus. Aber verweilen wir einen Augenblick beim Wort »Bekehrung«, das das zentrale Wort oder eines der zentralen Worte des Neuen Testaments ist. Aufschlußreich ist hier – um die Dimensionen dieses Wortes zu erkennen – , auf die verschiedenen biblischen Ausdrücke zu achten: hebräisch »šub« bedeutet »den Kurs ändern«, eine neue Lebensrichtung einschlagen; griechisch »metánoia«, »Umkehr des Denkens«; lateinisch »poenitentia«, »Buße«, »meine Handlung, um mich verwandeln zu lassen«; italienisch »conversione«, stimmt mehr oder weniger mit dem hebräischen Wort für »neue Lebensrichtung« überein. Vielleicht können wir uns insbesondere den Grund für dieses Wort des Neuen Testaments, das griechische Wort »metánoia«, »Umkehr, Wandel des Denkens«, anschauen. Im ersten Augenblick erscheint der Gedanke typisch griechisch, wenn wir aber tiefer gehen, sehen wir, daß er in Wirklichkeit das Wesentliche dessen ausdrückt, was auch die anderen Sprachen sagen: Umkehr, Wandel des Denkens, das heißt wirkliche Änderung unserer Sicht der Wirklichkeit.

Da wir in der Ursünde geboren wurden, sind »für uns die Dinge Wirklichkeit«, die wir berühren können: das Geld, meine Stellung, die alltäglichen Dinge, die wir im Fernsehen anschauen: das ist die Wirklichkeit. Und die geistiggeistlichen Dinge scheinen uns etwas »hinter« der Wirklichkeit zu liegen: »Metanoia«, Umkehr, Wandel des Denkens, heißt, diesen Eindruck umzukehren. Nicht die materiellen Dinge, nicht das Geld, nicht das Haus, nicht alles, was ich haben kann, ist wesentlich, ist die Wirklichkeit. Die eigentliche Wirklichkeit ist Gott. Diese unsichtbare, von uns scheinbar ferne Wirklichkeit ist die Wirklichkeit. Wir müssen lernen, unser Denken umzukehren, wahrhaftig zu beurteilen, daß das Wirkliche, nach dem sich alles richten soll, Gott ist – es sind seine Worte, das Wort Gottes. Er, Gott, ist der Maßstab für alles, was ich tue. Das ist wirklich Umkehr, wenn sich meine Wirklichkeitsvorstellung ändert, wenn sich mein Denken ändert.

Und das muß dann alle Einzelheiten meines Lebens durchdringen: Bei der Beurteilung jeder Einzelheit muß ich das als Maßstab nehmen, was Gott darüber sagt. Das Wesentliche ist nicht, was ich jetzt für mich daraus gewinne, nicht der Vorteil oder Nachteil, den ich haben werde, sondern die wahre Wirklichkeit, uns nach dieser Wirklichkeit zu orientieren. Wir sollen – so scheint mir – gerade in der Fastenzeit, die ein Weg der Umkehr ist, jedes Jahr von neuem diese Umkehr unserer Auffassung von der Wirklichkeit üben, das heißt, daß Gott die Wirklichkeit ist, Christus die Wirklichkeit und der Maßstab meines Handelns und Denkens ist; diese neue Orientierung unseres Lebens üben. Und so wird auch das lateinische Wort »poenitentia«, das uns etwas zu äußerlich und vielleicht aktivistisch erscheint, Wirklichkeit: Buße tun, heißt für mich, Selbstbeherrschung üben, mich mit meinem ganzen Leben vom Wort Gottes, von dem neuen Denken, das vom Herrn kommt und mir die wahre Wirklichkeit zeigt, verwandeln lassen. Es handelt sich also nicht nur um Denken, um Verstand, sondern es geht um die Ganzheit meines Seins, meiner Sicht der Wirklichkeit. Dieser Wandel des Denkens, der Umkehr ist, berührt mein Herz und verbindet Verstand und Herz und beendet diese Trennung zwischen Verstand und Herz, nimmt meine Persönlichkeit in das Herz hinein, das von Gott geöffnet wird und sich Gott öffnet. Und so finde ich den Weg, das Denken wird zum Glauben, das heißt Vertrauen in den Herrn haben, mich dem Herrn anvertrauen, mit ihm leben und in einer echten Nachfolge Christi seinen Weg einschlagen.

Und der hl. Paulus fährt dann fort: »Nun ziehe ich, gebunden durch den Geist, nach Jerusalem und ich weiß nicht, was dort mit mir geschehen wird. Nur das bezeugt mir der Heilige Geist von Stadt zu Stadt, daß Fesseln und Drangsale auf mich warten. Aber ich will mit keinem Wort mein Leben wichtig nehmen, wenn ich nur meinen Lauf vollende und den Dienst erfülle, der mir von Jesus, dem Herrn, übertragen wurde: das Evangelium von der Gnade Gottes zu bezeugen« (V. 22–24). Der hl. Paulus weiß, daß ihn diese Reise nach Jerusalem wahrscheinlich das Leben kosten wird: es wird eine Reise ins Martyrium sein. Hier müssen wir den Grund seiner Reise berücksichtigen. Er geht nach Jerusalem, um jener Gemeinde, der Kirche von Jerusalem, das in der Welt der Heiden gesammelte Geld für die Armen zu übergeben. Es ist also eine karitative Reise, aber noch mehr: Es ist ein Ausdruck für die Anerkennung der Einheit der Kirche zwischen Juden und Heiden, eine formelle Anerkennung der Vorrangstellung Jerusalems in jener Zeit, des Primats der ersten Apostel, eine Anerkennung der Einheit und Universalität der Kirche.

In diesem Sinn hat die Reise eine ekklesiologische und auch christologische Bedeutung, weil für ihn diese Anerkennung, dieser sichtbare Ausdruck der Einheit und Universalität der Kirche so großen Wert hat, daß er auch das Martyrium auf sich nimmt. Die Einheit der Kirche ist das Martyrium wert. So sagt er: »Aber ich will mit keinem Wort mein Leben wichtig nehmen, wenn ich nur meinen Lauf vollende und den Dienst erfülle« (V. 24). Das bloße biologische Überleben – sagt der hl. Paulus – ist nicht der erste Wert meines Lebens; der erste Wert ist für mich die Erfüllung meines Dienstes; der erste Wert ist für mich, bei Christus zu sein; mit Christus zu leben, der das wahre Leben ist. Auch wenn er dieses biologische Leben verliert, verliert er das wahre Leben nicht. Würde er hingegen, um das biologische Leben zu bewahren, die Gemeinschaft mit Christus verlieren, hätte er gerade das Leben selbst, das Wesentliche seines Daseins verloren. Auch das erscheint mir wichtig: die richtigen Prioritäten zu setzen. Sicher müssen wir auf unsere Gesundheit achten, vernünftig arbeiten, aber wir sollen auch wissen, daß der letzte Wert darin besteht, in Gemeinschaft mit Christus zu bleiben; unseren Dienst zu leben und zu vervollkommnen und so unseren Lauf zu vollenden. Vielleicht bleiben wir noch einen Augenblick bei diesem Ausdruck: »wenn ich nur meinen Lauf vollende« (V. 24). Der Apostel will bis zuletzt Diener Jesu, Gesandter Jesu für die Frohbotschaft Gottes sein.

Es ist wichtig, daß wir auch im Alter, wenn die Jahre vorrücken, den Eifer, die Freude, vom Herrn gerufen worden zu sein, nicht verlieren. Ich würde sagen, es ist in gewissem Sinn am Beginn des priesterlichen Weges leicht, voller Eifer, Hoffnung, Mut und Tatendrang zu sein, aber dann, wenn wir sehen, wie die Dinge laufen, daß die Welt immer dieselbe bleibt, daß der Dienst zur Last wird, kann es leicht geschehen, daß wir etwas von diesem Enthusiasmus einbüßen. Kehren wir immer zum Wort Gottes, zum Gebet, zur Gemeinschaft mit Christus im Sakrament – dieser innigen Vertrautheit mit Christus – zurück und lassen wir uns unser geistliches Jungsein erneuern, den Eifer, die Freude darüber, daß wir bis zum Ende mit Christus gehen, »unseren Lauf vollenden « können, immer in der Begeisterung darüber, von Christus für diesen großartigen Dienst, für das Evangelium von der Gnade Gottes berufen zu sein. Und darauf kommt es an. Wir haben von Demut gesprochen, von diesem Willen Gottes, der hart sein kann.

Schließlich ist der Name der ganzen Frohbotschaft von der Gnade Gottes »Evangelium«; es ist die »Frohbotschaft«, daß Gott uns kennt, daß Gott mich liebt und daß das Evangelium, der letzte Wille Gottes Gnade ist. Denken wir daran, daß der Verlauf des Evangeliums in Nazareth, in der Kammer Mariens mit dem Wort »Ave Maria« beginnt, aber im Griechischen lautet der Gruß »Chaire kecharitomene«, »Sei gegrüßt, du Begnadete!« Und dieses Wort bleibt der Leitfaden: Das Evangelium ist Einladung zur Freude, weil wir begnadet sind, und das letzte Wort Gottes ist die Gnade.

Dann kommt der Abschnitt über das bevorstehende Martyrium. Hier steht ein sehr wichtiger Satz, über den ich mit euch ein wenig nachdenken möchte: »Gebt acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohne erworben hat« (V. 28). Ich beginne mit dem Wort »Gebt acht«. Vor einigen Tagen habe ich die Katechese über den hl. Petrus Canisius, den Apostel Deutschlands in der Reformationszeit, gehalten. Und da ist mir ein Wort dieses Heiligen im Gedächtnis geblieben, ein Wort, das für ihn ein Angstschrei in diesem historischen Augenblick gewesen ist. Er sagt: »Seht, Petrus schläft. Judas ist wach!« Das gibt uns zu denken: Die Schläfrigkeit der Guten. Papst Pius XI. hat gesagt: »Das große Problem unserer Zeit sind nicht die negativen Kräfte, es ist die Schläfrigkeit der Guten.« »Seid wachsam!«: Denken wir darüber nach und denken wir daran, daß der Herr in Getsemani zweimal zu seinen Aposteln gesagt hat: »Wacht!«, und sie schlafen. »Wacht!«, sagt er zu uns; versuchen wir, jetzt nicht zu schlafen, sondern wirklich für den Willen Gottes und für die Anwesenheit seines Wortes, seines Reiches bereit zu sein.

»Gebt acht auf euch!« (V. 28): Auch das ist ein Wort an die Priester aller Zeiten. Es gibt einen gutgemeinten Aktivismus, bei dem einer aber seine Seele, sein geistliches Leben, sein Bei-Christus-Sein vergißt. Der hl. Karl Borromäus sagt uns in der Lesung des Breviers an seinem liturgischen Gedenktag jedes Jahr wieder: Du kannst kein guter Diener für die anderen sein, wenn du deine Seele vernachlässigst. »Gebt acht auf euch!«: Achten wir auch auf unser geistliches Leben, auf unser Bei-Christus-Sein.

Wie ich oft gesagt habe: Beten und über das Wort Gottes meditieren ist keine verlorene Zeit für die Seelsorge, sondern die Voraussetzung dafür, daß wir wirklich in Kontakt mit dem Herrn stehen und so aus erster Hand zu den anderen vom Herrn reden können. »Gebt Acht auf euch und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche Gottes sorgt, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat« (V. 28). Hier sind zwei Worte wichtig. Erstens: »Der Heilige Geist hat euch bestellt«; das heißt, das Priestertum ist keine Wirklichkeit, in der man eine Beschäftigung, einen nützlichen, schönen Beruf findet, der einem gefällt und den man sich aussucht. Nein! Wir sind vom Heiligen Geist eingesetzt. Allein Gott kann uns zu Priestern machen, allein Gott kann seine Priester erwählen, und wenn wir erwählt werden, werden wir von ihm erwählt.

Hier tritt klar der sakramentale Charakter des Priesteramtes zutage, das kein Beruf ist, der ausgeübt werden muß, weil jemand die Dinge verwalten muß, vielleicht auch predigen muß. Es ist nicht etwas, das wir einfach machen. Es ist eine Erwählung durch den Heiligen Geist, und in diesem Willen des Heiligen Geistes, dem Willen Gottes, leben und trachten wir immer mehr, uns vom Heiligen Geist, vom Herrn selber an die Hand nehmen zu lassen. Das andere Wort: »… bestellt, damit ihr als Hirten für die Kirche sorgt«. Das Wort »Hirten« (in der italienischen Übersetzung »custodi«, Hüter) steht für das griechische »episkopoi«. Der hl. Paulus spricht zu den Priestern, nennt sie aber »episkopoi«. Wir können sagen, daß in der Entwicklung der Wirklichkeit der Kirche die beiden Ämter noch nicht klar getrennt und unterschieden waren, sie sind offensichtlich noch das einzige Priestertum Christi, und sie, die Priester, sind auch »episkopoi«. Das Wort »Presbyter « (italien. »presbitero«) kommt vor allem aus der jüdischen Tradition, wo das System der »Ältesten«, der »Presbyter« oder Priester, herrschte, während das Wort »episkopos«, das im Bereich der Heidenkirche hervorgebracht – oder erfunden – wurde, aus der römischen Verwaltungssprache stammt. »Episkopoi« sind die Aufseher, die Hüter, denen die administrative Verantwortung obliegt, über den Fortgang der Dinge zu wachen. Die Christen haben dieses Wort im heidnisch-christlichen Umfeld gewählt, um das Amt des Presbyters, des Priesters zu bezeichnen. Aber das hat natürlich sofort die Bedeutung des Wortes verändert. Das Wort »episkopoi« ist sofort mit dem Wort »pastores«, »Hirten«, gleichgesetzt worden. Das heißt, überwachen bedeutet »weiden«, die Arbeit des Hirten machen: tatsächlich ist das sogleich zu »poimainein«, die Kirche Gottes »weiden«, geworden; es wird im Sinn dieser Verantwortung für die anderen, dieser Liebe für die Herde Gottes verstanden.

Und vergessen wir nicht, daß im alten Orient »Hirt« der Titel der Könige war: Sie sind die Hirten der Herde, die das Volk ist. In der Folge verändert der Christkönig – der der wahre König ist – innerlich diesen Begriff. Er ist der Hirt, der zum Lamm wird, der Hirt, der sich für die anderen töten läßt, um sie gegen den Wolf zu verteidigen; der Hirt, dessen erste Bedeutung darin besteht, diese Herde zu lieben und ihr so Leben zu geben, sie zu nähren und zu schützen. Vielleicht sind das die beiden zentralen Begriffe für dieses »Hirtenamt «: nähren, indem sie das Wort Gottes nicht nur mit Worten bekannt machen, sondern durch den Willen Gottes Zeugnis von ihm geben; und schützen durch das Gebet, mit dem ganzen Einsatz des eigenen Lebens. Hirt, die andere Bedeutung, die die Kirchenväter in dem christlichen Wort »episkopoi« erfaßt haben, ist einer, der nicht wie ein Bürokrat wacht, sondern wie einer, der diese kleine Gemeinde der Kirche, die zur Hoheit Gottes unterwegs ist, vom Gesichtspunkt Gottes her und in Gottes Licht sieht. Das ist auch für einen Hirten der Kirche, für einen Priester, einen »episkopos« wichtig: er soll vom Gesichtspunkt Gottes her sehen, versuchen, von oben her zu sehen, nach dem Kriterium Gottes und nicht nach seinen eigenen Vorlieben, sondern wie Gott urteilt. Er soll von dieser Höhe Gottes her schauen und so mit Gott und für Gott lieben.

»Als Hirten für die Kirche Gottes sorgen, die er sich durch das Blut seines eigenen Sohnes erworben hat« (V. 28). Hier finden wir ein zentrales Wort über die Kirche. Die Kirche ist keine Organisation, die sich nach und nach herausgebildet hat; die Kirche ist am Kreuz entstanden. Der Sohn hat die Kirche erworben, und nicht nur die damalige Kirche, sondern die Kirche aller Zeiten. Er hat mit seinem Blut diesen Teil des Volkes, der Welt für Gott erworben. Und das sollte uns, wie mir scheint, nachdenken lassen. Christus, Gott hat die Kirche, die neue Eva, mit seinem Blut erschaffen.

So sehr liebt er uns und hat uns geliebt, und das trifft in jedem Augenblick zu. Und das soll uns auch verstehen lassen, daß die Kirche ein Geschenk ist; uns glücklich darüber sein lassen, daß wir dazu gerufen sind, Kirche Gottes zu sein; uns darüber zu freuen, daß wir zur Kirche gehören. Sicher gibt es immer auch negative, schwierige Aspekte, aber im Grunde muß es dabei bleiben: Es ist ein wunderschönes Geschenk, daß ich in der Kirche Gottes leben kann, in der Kirche, die sich der Herr mit seinem Blut erworben hat. Berufen zu sein, Gottes Angesicht wirklich zu  erkennen, seinen Willen zu erkennen, seine Gnade zu erkennen, diese erhabenste Liebe zu erkennen, diese Gnade, die uns führt und an der Hand nimmt. Glücklich darüber, Kirche zu sein, Freude darüber, Kirche zu sein. Mir scheint, das müssen wir wieder neu lernen. Die Angst vor dem Triumphalismus hat uns vielleicht ein wenig vergessen lassen, daß es schön ist, in der Kirche zu sein, und daß dankbar zu sein für das Geschenk des Herrn, nicht Triumphalismus, sondern Demut ist.

Darauf folgt gleich, daß diese Kirche immer auch nicht nur Gabe Gottes und göttlich ist, sondern auch sehr menschlich: »Reißende Wölfe werden bei euch eindringen« (V. 29). Die Kirche ist immer bedroht, ist immer in Gefahr, die Gegnerschaft des Teufels, der nicht akzeptiert, daß es in der Menschheit dieses neue Gottesvolk geben soll, daß es die Gegenwart Gottes in einer lebendigen Gemeinschaft gibt. Es braucht uns daher nicht zu wundern, daß es immer Schwierigkeiten gibt, daß es auf dem Acker der Kirche immer Unkraut gibt. So ist es immer gewesen und wird weiter immer so sein. Aber wir sollen uns mit Freude bewußt sein, daß die Wahrheit stärker ist als die Lüge, die Liebe stärker ist als der Haß, Gott stärker ist als alle ihm feindlichen Kräfte. Und mit dieser Freude, mit dieser inneren Gewißheit gehen wir unseren Weg weiter »inter consolationes Dei et persecutiones mundi«, »zwischen den Tröstungen Gottes und den Verfolgungen der Welt«, wie das II. Vatikanische Konzil sagt (vgl. Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 8).

Und nun der vorletzte Vers. Bei diesem Punkt will ich nicht mehr auf Einzelheiten eingehen: Am Ende erscheint ein wichtiges Element der Kirche, des Christseins. »In allem habe ich euch gezeigt, daß man sich auf diese Weise abmühen und sich der Schwachen annehmen soll, in Erinnerung an die Worte Jesu, des Herrn, der selbst gesagt hat: Geben ist seliger als nehmen« (V. 35). Dir Vorzugsoption für die Armen, die Liebe zu den Schwachen, ist grundlegend für die Kirche, ist grundlegend für den Dienst eines jeden von uns: mit großer Liebe an der Seite der Schwachen sein, auch wenn sie einem vielleicht nicht sympathisch sind, schwierig sind. Aber sie erwarten unsere Liebe, und Gott erwartet diese unsere Liebe. In Gemeinschaft mit Christus sind wir aufgerufen, mit unserer Liebe, mit unseren Taten denen  zu helfen, die schwach sind.

Schließlich der letzte Vers: »Nach diesen Worten kniete er nieder und betete mit ihnen allen« (V. 36). Am Ende wird die Rede zum Gebet, und Paulus kniet nieder. Der hl. Lukas erinnert uns daran, daß auch der Herr im Ölgarten kniend betete, und er sagt uns, daß auch der hl. Stephanus in der Stunde seines Martyriums sich niederkniete, um zu beten. Kniend beten heißt, in unserer Schwachheit die Größe Gottes anbeten, dankbar dafür, daß der Herr uns gerade in unserer Schwachheit liebt. Dahinter taucht das Wort des hl. Paulus im Philipperbrief auf, das die christologische Umgestaltung eines Wortes des Propheten Jesaja ist, der im 45. Kapitel sagt, daß die ganze Welt, der Himmel, die Erde und alles, was unter der Erde ist, ihre Knie beugen werden vor dem Gott Israels (vgl. Jes 45, 23). Und der hl. Paulus konkretisiert: Christus ist vom Himmel auf das Kreuz herabgestiegen, der letzte Gehorsam. Und in diesem Augenblick vollzieht sich die Verwirklichung dieses Wortes des Propheten: Vor dem gekreuzigten Christus beugen der ganze Kosmos, alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie (vgl. Phil 2,10–11). Er ist wirklich der Ausdruck der wahren Größe Gottes. Die Demut Gottes, die Liebe bis zum Kreuz zeigt uns, wer Gott ist. Vor ihm knien wir, wenn wir ihn anbeten. Niederknien ist nicht mehr ein Ausdruck von Knechtschaft, sondern gerade der Freiheit, die uns die Liebe Gottes schenkt, die Freude, erlöst zu sein, sich mit dem Himmel und der Erde, mit dem ganzen Kosmos zusammenzutun, um Christus anzubeten, mit Christus vereint und dadurch erlöst zu sein.

Die Worte des hl. Paulus enden im Gebet. Auch unsere Ansprachen sollen im Gebet enden. Beten wir zum Herrn, daß er uns helfen möge, immer mehr von seinem Wort durchdrungen zu werden, immer mehr Zeugen und nicht nur Lehrer, immer mehr Priester, Hirten, »episkopoi«, das heißt jene zu sein, die Gott schauen und den Dienst am Evangelium Gottes, den Dienst am Evangelium der Gnade vollbringen.



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