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BRIEF VON JOHANNES PAUL II.
ÜBER DIE PILGERFAHRT ZU DEN STÄTTEN,
DIE MIT DER HEILSGESCHICHTE
VERBUNDEN SIND

An alle, die sich einstimmen,
im Glauben
das Große Jubiläum
zu feiern

1. Nach Jahren der Vorbereitung stehen wir nun an der Schwelle des Großen Jubiläums. Viel ist in diesen Jahren in der ganzen Kirche unternommen worden, um dieses Gnadenereignis vorzubereiten. Wie kurz vor einer Reise, so ist jetzt der Augenblick für die letzten Vorbereitungen gekommen. Das Grobe Jubiläum besteht ja nicht in einer Reihe von Aufgaben, die zu erledigen sind. Vielmehr soll es zu einer großen Erfahrung und zu einem inneren Erlebnis werden. Die äußeren Initiativen sind insofern sinnvoll, als sie den tieferen Einsatz ausdrücken, der das Herz der Menschen anrührt. Gerade auf diese innere Dimension wollte ich alle hinweisen. Dazu sollte sowohl das Apostolische Schreiben Tertio millennio adveniente als auch die Verkündigungsbulle des Großen Jubiläums Incarnationis mysterium dienen. Beide Dokumente sind sehr wohlwollend und auf breiter Basis aufgenommen worden. Die Bischöfe haben daraus wichtige Hinweise entnommen; über die Themen, die für die einzelnen Vorbereitungsjahre vorgeschlagen wurden, hat man ausführlich nachgedacht. Für all das möchte ich dem Herrn Dank sagen und den Bischöfen und dem ganzen Volk Gottes meine aufrichtige Anerkennung aussprechen.

Da nun das Jubiläum unmittelbar bevorsteht, ist es mir ein Anliegen, Gedanken vorzulegen, die mit meinem Wunsch zusammenhängen, persönlich — wenn Gott es will — eine besondere Jubiläumswallfahrt zu unternehmen. Dabei möchte ich an einigen Stätten innehalten, die mit der Fleischwerdung des Wortes Gottes in einzigartiger Weise verbunden sind – dem Ereignis also, auf das sich das Heilige Jahr 2000 direkt bezieht.

Meine Betrachtung führt daher an die »Stätten« Gottes, in jene Räume, die er sich auserwählt hat, um unter uns »zu wohnen« (Joh 1, 14; vgl. Ex 40, 34-35; 1 Kön 8, 10-13) und auf diese Weise dem Menschen eine direkte Begegnung mit ihm zu ermöglichen. So ergänze ich gewissermaßen die Überlegungen von Tertio millennio adveniente, wo vor dem Hintergrund der Heilsgeschichte die Sichtweise von der grundlegenden Bedeutung der »Zeit« beherrschend war. Tatsächlich ist aber bei der konkreten Verwirklichung des Geheimnisses der Menschwerdung die Dimension des »Raumes« nicht weniger wichtig als die der Zeit.

2. Auf den ersten Blick könnte das Reden von bestimmten »Räumen« in bezug auf Gott eine gewisse Unsicherheit auslösen. Steht etwa der Raum nicht ebenso wie die Zeit ganz unter Gottes Herrschaft? Denn alles ist aus seinen Händen hervorgegangen, und es gibt keinen Ort, an dem man Gott nicht begegnen könnte: »Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner. Denn er hat ihn auf Meere gegründet, ihn über Strömen befestigt« (Ps 24, 1-2). Gott ist in jedem Winkel der Erde gleichermaßen anwesend, so daß man die ganze Welt als »Tempel« seiner Gegenwart betrachten kann.

Das schließt jedoch folgendes nicht aus: Wie der Rhythmus der Zeit von den kairoí als einzigartigen Zeitpunkten der Gnade bestimmt sein kann, so ist es möglich, daß in ähnlicher Weise auch der Raum von besonderen Heilstaten Gottes gekennzeichnet ist. Diese intuitive Erkenntnis findet sich übrigens in allen Religionen, in denen es nicht nur heilige Zeiten, sondern auch heilige Räume gibt, wo die Begegnung mit dem Göttlichen intensiver erlebt werden kann, als das gewöhnlich in der Unermeßlichkeit des Universums geschehen mag.

3. Im Vergleich zu dieser allgemeinen religiösen Tendenz bietet die Bibel ihre besondere Botschaft an, wenn sie das Thema vom »heiligen Raum« in den Horizont der Heilsgeschichte stellt. Sie warnt einerseits vor den Gefahren, die der Definition dieses Raumes innewohnen, wenn damit die Natur vergöttlicht wird; man denke in diesem Zusammenhang an die heftige Polemik, mit der die Propheten im Namen der Treue zu Jahwe gegen den Götzendienst ankämpften. Andererseits schließt die Bibel eine kultische Nutzung des Raumes nicht aus, sofern diese die Besonderheit des Wirkens Gottes in der Geschichte Israels vollkommen zum Ausdruck bringt. So wird der heilige Raum allmählich auf den Tempel von Jerusalem »konzentriert«, wo der Gott Israels verehrt werden und sich eine Art Begegnung mit ihm ereignen soll. Auf den Tempel sind die Augen des Israelpilgers gerichtet, und groß ist seine Freude, wenn er den Ort erreicht, wo Gott wohnt: »Ich freute mich, als man mir sagte: “Zum Haus des Herrn wollen wir pilgern”. Schon stehen wir in deinen Toren, Jerusalem!« (Ps 122, 1-2).

Im Neuen Testament findet diese »Konzentration« des heiligen Raumes ihren Höhepunkt in Christus, der nun der personifizierte neue »Tempel« ist (vgl. Joh 2, 21), in dem »die ganze Fülle Gottes« wohnt (Kol 2, 9). Mit seinem Kommen ist die Gottesverehrung dazu bestimmt, die materiellen Tempel radikal zu überwinden, um zur Anbetung »im Geist und in der Wahrheit« (Joh 4, 24) zu werden. In Christus sieht dann das Neue Testament auch die Kirche als »Tempel« an (vgl. 1 Kor 3, 17); dasselbe gilt sogar von jedem Jünger Christi, da der Heilige Geist in ihm wohnt (vgl. 1 Kor 6, 19; Röm 8, 11). Dies alles schließt offensichtlich nicht aus, daß die Christen Kultstätten haben können, wie die Kirchengeschichte es ja zeigt. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, daß sie funktionalen Charakter hatten. Denn sie dienten dem gottesdienstlichen und gemeinschaftlichen Leben der Gemeinde. Man war sich bewußt, daß sich Gottes Gegenwart ihrem Wesen entsprechend nicht auf eine Stätte hin begrenzen läßt, da sie alle Orte durchdringt und in Christus die Fülle ihres Ausdrucks und ihrer Austrahlung findet.

Das Geheimnis der Menschwerdung Gottes umschreibt also die universale Erfahrung des »heiligen Raumes« neu. Denn einerseits schränkt es diese Erfahrung ein, andererseits hebt es mit neuen Begriffen ihre Bedeutung hervor. Der Bezug zum Raum ist nämlich in der »Fleischwerdung« des Wortes (vgl. Joh 1, 14) selbst enthalten. Gott hat in Jesus Christus die der menschlichen Natur eigenen Wesensmerkmale angenommen, die notwendige Zugehörigkeit des Menschen zu einem bestimmten Volk und einem bestimmten Land eingeschlossen. »Hic de Virgine Maria Iesus Christus natus est«. Diese Inschrift, die in Betlehem an der Stelle angebracht ist, wo der Überlieferung nach Jesus geboren wurde hat ihre ganz besondere Ausdruckskraft: »Hier wurde von der Jungfrau Maria Jesus Christus geboren«. Die physische Konkretheit des Landes und seine geographischen Koordinaten werden eins mit der Wahrheit des menschlichen Fleisches, das vom Wort angenommen wurde.

4. Deshalb empfinde ich im Blick auf zweitausend Jahre Menschwerdung Gottes den tiefen Wunsch, persönlich zu den wichtigsten Orten zu pilgern, wo nach dem Zeugnis des Alten und des Neuen Testamentes die Taten Gottes geschehen sind, um schlieblich im Geheimnis von Christi Menschwerdung, von seinem Leiden und Sterben und von seiner Auferstehung zu gipfeln. Diese Orte haben sich bereits unauslöschlich in mein Gedächtnis eingeprägt, seitdem ich im Jahr 1965 Gelegenheit hatte, das Heilige Land zu besuchen. Es war ein unvergebliches Erlebnis. Noch heute lese ich immer wieder gern die Seiten, die ich, innerlich tief angerührt, damals niederschrieb. »Ich bin hier angekommen, an diesen Orten, die Du ein für allemal mit Dir, mit Deinem Sein erfüllt hast... Oh, du Ort! Wie oft, wie oft hast du dich gewandelt, ehe du von Seinem Ort zu meinem geworden bist! Als Er dich zum ersten Mal erfüllte, warst du noch kein äuberlicher Ort, du warst nur der Schoß Seiner Mutter. Zu wissen, daß die Steine, über die ich in Nazaret gehe, dieselben sind, die ihr Fuß berührte, als sie noch Dein Ort war, einzigartig auf der Welt. Dir zu begegnen durch einen Stein, der vom Fuß Deiner Mutter berührt worden ist! Oh Du Ort, Heiliges Land – welchen Raum nimmst du in mir ein! So darf ich dich nicht mit Füßen treten, ich muß niederknien. Auf diese Weise soll ich heute bezeugen, daß du ein Ort der Begegnung gewesen bist. Ich falle auf die Knie – und bringe so mein Siegel an. Du wirst hier mit meinem Siegel bleiben – du wirst bleiben – und ich werde dich mitnehmen. Ich werde dich in mir in den Ort eines neuen Zeugnisses verwandeln. Ich gehe weg als ein Zeuge, der durch die Jahrtausende hindurch Zeugnis ablegen soll« (Karol Wojtyla, Poezje. Poems, Wydawnictwo Literacki, Kraków 1998, p. 169).

Als ich diese Worte vor mehr als dreißig Jahren niederschrieb, hätte ich mir nicht gedacht, daß ich das Zeugnis, zu dem ich mich damals verpflichtete, heute als Nachfolger Petri, bestellt zum Dienst an der ganzen Kirche abgeben würde. Es ist ein Zeugnis, das mich in eine lange Kette von Menschen einreiht, die sich seit zweitausend Jahren in jenem Land, das mit Recht »heilig« genannt wird, auf die Suche nach den »Fußspuren« Gottes begeben haben. Diesen Fußspuren sind sie gleichsam nachgegangen auf den Steinen, in den Bergen und an den Gewässern, wo sich das Erdenleben des Gottessohnes abspielte. Aus der Antike ist das Reisetagebuch der Pilgerin Egeria bekannt. Wieviele Pilger, wieviele Heilige sind ihrem Weg im Laufe der Jahrhunderte gefolgt! Zwar haben die historischen Umstände den eigentlich friedlichen Charakter der Wallfahrt ins Heilige Land erschüttert, so daß sie ein Aussehen annahm, das sich entgegen der Absicht nicht mit dem Bild des Gekreuzigten vereinbaren lieb. Doch die Herzen derer, die sich ihres Christseins am bewubtesten waren, strebten nur danach, in jenem Land dem lebendigen Andenken Christi zu begegnen. Und die Vorsehung wollte es, daß es neben den Brüdern der Ostkirchen für die Kirche des Abendlandes vor allem die Söhne des hl. Franz von Assisi — des Heiligen der Armut, der Sanftmut und des Friedens — waren, die den berechtigten christlichen Wunsch nach Schutz der Stätten, in denen unsere geistlichen Wurzeln liegen, in einer Weise umsetzen sollten, die dem Evangelium ursprünglich entsprach.

5. In diesem Geist möchte ich, so Gott will, anläßlich des Großen Jubiläumsjahres 2000 noch einmal die Spuren der Heilsgeschichte in dem Land nachgehen, in dem sie ihren Lauf genommen hat ist.

Ausgangspunkt werden einige typische Stätten des Alten Testamentes sein. Damit möchte ich deutlich machen, daß sich die Kirche ihrer unauflöslichen Bande zum alten Bundesvolk bewußt ist. Abraham ist auch für uns schlechthin der »Vater im Glauben« (vgl. Röm 4; Gal 3, 6-9; Hebr 11, 8-19). Im Johannesevangelium lesen wir, was Christus einmal auf ihn hin sagte: »Euer Vater Abraham jubelte, weil er meinen Tag sehen sollte. Er sah ihn und freute sich« (8, 56).

So ist denn der erste Abschnitt der Reise, die ich unternehmen möchte, eng mit Abraham verbunden. Ich würde mich nämlich, wenn es Gottes Wille ist, gern nach Ur in Chaldäa, dem heutigen Tal al Muqayyar im südlichen Irak begeben – in die Stadt also, wo nach biblischem Bericht Abraham das Wort des Herrn vernahm. Dieses Wort entriß ihn seinem Land, seinem Volk und in gewissem Sinn sich selbst, um ihn zum Werkzeug eines Heilsplans zu machen, der das künftige Bundesvolk und alle Völker der Welt umfaßte: »Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein... Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen« (Gen 12, 1-3). Mit diesen Worten beginnt der grobe Weg des Gottesvolkes. Auf Abraham blicken nicht nur alle, die sich stolz in seine leibliche Nachkommenschaft einreihen können, sondern auch alle — und ihre Zahl geht ins Unendliche —, die sich ihrer »geistlichen« Herkunft von ihm bewußt sind, weil sie seinen Glauben teilen und sich wie er vorbehaltlos dem Heilswirken des Allmächtigen überlassen.

6. Die wechselvolle Geschichte des Volkes Abrahams hat sich durch die Jahrhunderte hindurch entfaltet und viele Orte des Vorderen Orients berührt. Ein zentrales Ereignis war der Exodus, als das Volk Israel, nach erlittener harter Knechtschaft, unter der Führung des Mose zum Land seiner Freiheit aufbrach. Drei Ereignisse sind es, die den Rhythmus jenes Zuges bestimmen: alle verbunden mit Orten in den Bergen, die vom Geheimnis umwoben sind. In der Vorbereitungszeit taucht zunächst der Berg Horeb auf, den die Bibel sonst auch Sinai nennt. Dort empfing Mose die Offenbarung des Namens Gottes als Zeichen seines Geheimnisses und seiner wirksamen heilbringenden Gegenwart: »Ich bin der “Ich-bin-da”« (Ex 3, 14). Wie an Abraham, so erging auch an Mose der Anruf, dem Plan Gottes zu vertrauen und sich an die Spitze seines Volkes zu stellen. Auf diese Weise begann das dramatische Geschehen der Befreiung, das Israel als grundlegende Erfahrung für seinen Glauben in Erinnerung bleiben sollte.

Auf dem Zug durch die Wüste gab wiederum der Sinai den Schauplatz ab, an dem der Bund zwischen Jahwe und seinem Volk geschlossen wurde. Dieser Berg bleibt somit eng mit dem Geschenk des Dekalogs verbunden, der zehn »Worte« also, die Israel zu einem Leben in voller Annahme des Willens Gottes verpflichteten. In Wirklichkeit haben diese »Worte« die Tragpfeiler des allgemeinen Moralgesetzes umrissen, das jedem Menschen ins Herz geschrieben ist; Israel jedoch hat sie im Rahmen eines gegenseitigen Treuebündnisses empfangen. Darin hat das Volk versprochen, Gott zu lieben und der von ihm beim Auszug aus Ägypten vollbrachten Wundertaten zu gedenken. Gott seinerseits versicherte das Volk seines ewigen Wohlwollens: »Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus« (Ex 20, 2). Gott und sein Volk verpflichteten sich gegenseitig. Wenn in der Vision vom brennenden Dornbusch der Berg Horeb als Ort des »Namens« und des »Planes« Gottes vor allem der »Berg des Glaubens« war, so wurde er jetzt für das Volk, das durch die Wüste zog, zum Ort der Begegnung und des Bundes, gleichsam zum »Berg der Liebe«. Wie oft im Laufe der Jahrhunderte sollten die Propheten in der Treulosigkeit des Bundesvolkes, die sie anklagten, eine Art »eheliche« Untreue sehen: Das Volk als Braut hatte seinen Bräutigam, Gott, regelrecht verraten (vgl. Jer 2, 2; Ez 16, 1-43).

Am Ende des Auszugs aus Ägypten kommt noch einmal eine Anhöhe in den Blick, der Berg Nebo, von dem aus Mose auf das verheibene Land schauen durfte (vgl. Dtn 32, 49). Zwar war Mose die Freude nicht vergönnt, seinen Boden berühren zu können, doch hatte er die Gewißheit, es nunmehr erreicht zu haben. Sein Blick vom Nebo ist das Symbol der Hoffnung. Von jenem Berg aus konnte er feststellen, daß Gott seine Versprechungen gehalten hatte. Was indes die endgültige Erfüllung des verheißenen Planes anbelangt, mußte er sich noch einmal voll Vertrauen der göttlichen Allmacht überlassen.

Es wird mir wahrscheinlich nicht möglich sein, auf meiner Pilgerfahrt alle diese Orte aufzusuchen. Aber ich möchte, wenn es dem Herrn gefällt, wenigstens Station machen in Ur, wo Abraham herkommt, und auch das berühmte Katharinen-Kloster besuchen; es liegt am Sinai – dem Bundesberg, der gleichsam das ganze Geheimnis des Exodus umgreift und damit ein bleibendes Paradigma für den neuen Exodus ist, der auf Golgota erfüllt und vollendet wird.

7. Wenn diese und ähnliche Wegstrecken des Alten Testamentes für uns so reich an Bedeutung sind, dann liegt es auf der Hand, daß uns das Jubiläumsjahr als feierliches Gedenken der Fleischwerdung des Wortes einlädt, vor allem an den Orten innezuhalten, wo sich das Leben Jesu abspielte.

Es ist mein inständiger Wunsch, mich zunächst nach Nazaret zu begeben, in die Stadt, die mit dem eigentlichen Ereignis der Menschwerdung Gottes verbunden ist; hier ist Jesus auch aufgewachsen, seine Weisheit nahm zu, und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen (vgl. Lk 2, 52). Hier vernahm Maria den Gruß des Engels: »Sei gegrübt, du Begnadete, der Herr ist mit dir!« (Lk 1, 28). Hier sprach sie ihr fiat zu der Botschaft, die sie dazu berief, Mutter des Erlösers zu werden und, vom Heiligen Geist überschattet, in ihrem Schoß den Sohn Gottes zu empfangen.

Muß da nicht der Weg weiter nach Betlehem führen, wo Christus zur Welt kam und ihn die Hirten und die Magier stellvertretend für die ganze Menschheit anbeteten! In Betlehem ist auch zum ersten Mal jener Wunsch nach Frieden aufgeklungen, den die Engel verkündet hatten und der von Generation zu Generation bis herauf in unsere Tage widerhallen sollte.

Von besonderer Bedeutung wird der Aufenthalt in Jerusalem sein, dem Ort des Kreuzestodes und der Auferstehung Jesu Christi.

Sicher gibt es noch zahlreiche andere Orte, die an das Erdenleben des Erlösers erinnern. Viele von ihnen würden einen Besuch verdienen. Könnte man zum Beispiel den Berg der Seligpreisungen oder den Berg der Verklärung oder das Gebiet von Cäsarea Philippi vergessen? In dieser Gegend hat Jesus dem Petrus die Schlüssel des Himmelreiches anvertraut und ihn zum Grundstein seiner Kirche eingesetzt (vgl. Mt 16, 13-19). Man kann sagen: Im Heiligen Land, von Norden nach Süden, erinnert alles an Christus. Aber ich werde mich auf die Orte beschränken müssen, die am symbolträchtigsten sind, und Jerusalem faßt sie in gewisser Weise alle zusammen. Hier will ich mich, wenn es Gott gefällt, ins Gebet versenken und dabei die ganze Kirche im Herzen tragen. Hier werde ich mich betrachtend in die Stätten vertiefen, wo Christus sein Leben gab, um es dann in der Auferstehung wieder zu ergreifen und uns mit seinem Geist zu beschenken. Hier will ich noch einmal die herrliche, tröstliche Gewibheit ausrufen, daß »Gott die Welt so sehr geliebt [hat], daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (Joh 3, 16).

8. Unter den Jerusalemer Stätten, die am innigsten mit dem Erdenleben Christi verbunden sind, nimmt der Besuch im Abendmahlssaal einen unverzichtbaren Platz ein. Dort hat Jesus die Eucharistie eingesetzt, Quelle und Höhepunkt des Lebens der Kirche. Hier waren der Überlieferung nach die Apostel mit Maria, der Mutter Christi, im Gebet versammelt, als es am Pfingsttag zur Ausgießung des Heiligen Geistes kam. Damals begann die letzte Etappe des Weges der Heilsgeschichte, die Zeit der Kirche. Sie ist der Leib und die Braut Christi, das Volk auf der Pilgerschaft durch die Zeit und dazu berufen, Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit zu sein (vgl. Lumen gentium, 1).

So soll der Besuch im Abendmahlssaal eine Rückkehr zu den Ursprüngen der Kirche selbst sein. Der Nachfolger des Petrus, der in Rom an dem Ort lebt, wo der Apostelfürst den Märtyrertod erlitten hat, muß immer wieder dorthin zurückkehren, wo Petrus am Pfingsttag unter der berauschenden Kraft des Geistes begonnen hat, mit fester Stimme die »gute Nachricht« zu verkünden, daß Jesus Christus der Herr ist (vgl. Apg 2, 36).

9. Es ist schlüssig, daß der Besuch der heiligen Stätten, an denen der Erlöser auf Erden gelebt hat, den Zugang zu den Stätten erschließt, die für die entstehende Kirche bedeutsam waren und den missionarischen Aufschwung der ersten christlichen Gemeinde erlebt haben. Wenn wir dem Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte folgen, wären es sehr viele. Aber besonders gern würde ich betrachtend auch in zwei Städten verweilen, die in besonderer Weise mit der Geschichte des Völkerapostels Paulus verbunden sind. Ich denke zunächst an Damaskus – den Ort, der an seine Bekehrung erinnert. Der künftige Apostel reiste ja als Verfolger der Christen in jene Stadt, als Christus selbst seinen Weg durchkreuzte: »Saul, Saul, warum verfolgst du mich?« (Apg 9, 4). Von dort hat der Eifer des Paulus, den nunmehr Christus für sich gewonnen hatte, unaufhaltsam immer weitere Kreise gezogen und den Großteil der damals bekannten Welt erreicht. Vielen Städten hat Paulus das Evangelium gebracht. Es wäre schön, insbesondere Athen zu besuchen, wo er im Areopag eine glänzende Rede gehalten hat (vgl. Apg 17, 22-31). Wenn man an die Rolle denkt, die Griechenland bei der Gestaltung der antiken Kultur spielte, begreift man, daß jene Rede des Paulus gewissermaßen als das Symbol für die Begegnung des Evangeliums mit der Kultur des Menschen gelten kann.

10. Obwohl ich mich ganz dem göttlichen Willen überlasse, würde ich mich freuen, wenn sich dieser Plan wenigstens in seinen wesentlichen Punkten verwirklichen läßt. Sowohl ihrem Wesen nach als auch im Hinblick auf ihre Zielsetzungen handelt es sich um eine ausschließlich religiöse Pilgerfahrt. Es würde mir leid tun, wenn jemand dieses Vorhaben anders deuten sollte. Schon jetzt vollziehe ich diese Reise im geistlichen Sinne, denn sich auch nur in Gedanken an diese Stätten zu begeben, heißt, das Evangelium gleichsam noch einmal zu lesen und die Wege noch einmal nachzugehen, die die Offenbarung selbst genommen hat.

Wenn wir uns im Geist des Gebets in dem Raum, der vom Wirken Gottes besonders geprägt ist, von einem Ort zum anderen und von einer Stadt zur anderen bewegen, hilft uns das nicht nur, um unser Leben als Weg zu erfahren. Es vermittelt uns auch plastisch die Vorstellung von einem Gott, der uns vorausgegangen ist und vor uns hergeht. Er hat sich selbst auf den Straßen der Menschen auf den Weg gemacht. Er ist ein Gott, der uns nicht von oben betrachtet, sondern unser Weggefährte geworden ist.

Die Wallfahrt zu den heiligen Stätten wird so zu einer auberordentlich bedeutsamen Erfahrung, die in gewisser Weise auch von jeder anderen Jubiläumswallfahrt geweckt wird. Denn die Kirche kann ihre Wurzeln nicht vergessen. Mehr noch: An diese Wurzeln muß sie ständig zurückkehren, um sich in vollkommener Treue an Gottes Plan zu halten. Deswegen habe ich in der Bulle Incarnationis mysterium geschrieben, daß das Jubiläum, das gleichzeitig im Heiligen Land, in Rom und in allen, über die Welt verstreuten Teilkirchen begangen wird, gleichsam zwei Zentren haben wird: einerseits die Stadt, in der nach dem Willen der Vorsehung der Stuhl des Nachfolgers Petri steht, und andererseits das Heilige Land, in dem der Sohn Gottes durch die Annahme unserer fleischlichen Gestalt von einer Jungfrau namens Maria als Mensch geboren wurde« (Nr. 2).

Während diese Liebe zum Heiligen Land Ausdruck für das Gedenken ist, zu dem sich die Christen verpflichtet fühlen, will sie zugleich die tiefe und bleibende Beziehung ehren, die die Christen mit dem jüdischen Volk verbindet, dem Christus dem Fleisch nach entstammt (vgl. Röm 9, 5). Einen weiten Weg hat man in diesen Jahrzehnten, besonders nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, zurückgelegt, um einen fruchtbaren Dialog mit dem Volk aufzubauen, das Gott als erstes dazu erwählt hat, seine Verheißungen und den Bund zu empfangen. Das Jubiläumsjahr soll eine weitere Gelegenheit dazu sein, daß das Bewußtsein der uns einigenden Bande wächst. Es soll einen Beitrag leisten zur endgültigen Behebung von Miß- und Unverständnis, das leider im Laufe der Jahrhunderte das Verhältnis zwischen Christen und Juden sehr oft bitter getrübt hat.

Außerdem dürfen wir nicht vergessen, daß das Heilige Land auch den Anhängern des Islam lieb und teuer ist; auch sie zollen ihm besondere Verehrung. Ich habe die lebendige Hoffnung, daß mein Besuch an den heiligen Stätten auch eine Gelegenheit zur Begegnung mit ihnen bieten möge, damit bei aller Klarheit des Zeugnisses die Beweggründe wachsen, um einander kennen und schätzen zu lernen sowie um im Bemühen zusammenzuwirken, den Wert des religiösen Einsatzes und die Sehnsucht nach einer Gesellschaft zu bezeugen, die dem Plan Gottes besser entspricht und jeden Menschen sowie die Schöpfung achtet.

11. Auf diesem Weg in den Räumen, die Gott erwählt hat, um sein Zelt unter uns aufzuschlagen, hege ich den großen Wunsch, mich als Pilger und Bruder nicht nur bei den katholischen Gemeinschaften, denen ich mit besonderer Freude begegnen werde, willkommen fühlen zu dürfen, sondern auch bei den anderen Kirchen, die ununterbrochen an den heiligen Städten gelebt und diese in Treue und Liebe zum Herrn gehütet haben.

Diese Pilgerfahrt, die ich anläßlich des Jubiläums ins Heilige Land unternehmen möchte, wird mehr als jede andere von der Sehnsucht geprägt sein, die Jesus in seinem Gebet an den Vater ausgedrückt hat: Alle Jünger sollen eins sein (vgl. Joh 17, 21). Diese Bitte erhält eine noch größere Dringlichkeit in der außergewöhnlichen Stunde, die das neue Jahrtausend eröffnet. Deshalb wünsche ich mir, daß alle Glaubensbrüder und -schwestern sich dem Heiligen Geist öffnen und in meinen Schritten, die ich als Pilger in dem Land setze, das Christus durchwandert hat, einen Lobpreis auf die Erlösung sehen, die wir alle empfangen haben. Ich wäre glücklich, wenn wir uns an den Stätten unseres gemeinsamen Ursprungs versammeln könnten, um Christus zu bezeugen, der unsere Einheit ist (vgl. Ut unum sint, n. 23) und um unseren gegenseitigen Einsatz zu unterstreichen, die volle Gemeinschaft wiederherzustellen.

12. So bleibt mir nur, die ganze christliche Gemeinschaft herzlich einzuladen, sich in Gedanken auf den Weg zur Jubiläumswallfahrt zu begeben. Man kann sie in den vielfältigen Formen unternehmen, auf die ich in der Verkündigungsbulle hingewiesen habe. Natürlich werden sie nicht wenige in der Weise erleben, daß sie sich auch konkret zu jenen Orten aufmachen, die eine besondere Bedeutung in der Heilsgeschichte bekommen haben. Wir alle sollen uns jedenfalls auf jene innere Reise einlassen, die darauf abzielt, uns von dem zu lösen, was in uns und um uns gegen das Gesetz Gottes verstößt. Wir sollen zu einer vollkommenen Christusbegegnung befähigt werden, indem wir unseren Glauben an ihn bekennen und uns von der Fülle seiner Barmherzigkeit beschenken lassen.

Im Evangelium zeigt sich uns Jesus stets als einer, der unterwegs ist. Er scheint, daß es ihn drängt, von einem Ort zum anderen zu wandern, um anzukündigen: Das Reich Gottes ist nahe. Er verkündigt und beruft. Dem Ruf in die Nachfolge haben die Apostel bereitwillig geantwortet (vgl. Mk 1, 16-20). Wir fühlen uns alle angesprochen von seiner Stimme, von seiner Einladung, von seinem Aufruf zu einem neuen Leben.

Das sage ich vor allem den jungen Menschen, vor denen sich das Leben auftut wie ein Weg voller Überraschungen und Verheißungen.

Ich sage es allen: Folgen wir den Spuren Christi!

Die Reise, die ich im Jubiläumsjahr unternehmen möchte, möge für den Weg der ganzen Kirche stehen. Sie sehnt sich danach, immer bereiter für die Stimme des Geistes zu sein, um Christus, dem Bräutigam, entschlossen entgegenzugehen: »Der Geist und die Braut aber sagen: Komm!« (Offb 22, 17).

Aus dem Vatikan, am 29. Juni, dem Fest der hll. Petrus und Paulus, des Jahres 1999, im 21. Jahr meines Pontifikats.

 



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