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 Pontifical Council for the Pastoral Care of Migrants and Itinerant People

People on the Move - N° 93,  December 2003, pp. 159-162

Erfahrungen der Katholischen Kirche Deutschlands 

in der ökumenischen Zusammenarbeit 

angesichts der Arbeit mit Migranten und Flüchtlingen.

S.Exz. Msgr. Josef VOß

Vorsitzender der Kommission für Migration

der Deutschen Bischofskonferenz

1. Geschichtlicher Hintergrund - einige Daten und Fakten.

Die Geschichte der ausdrücklichen ökumenischen Zusammenarbeit in Deutschland wurde sehr geprägt von der Zeit des gemeinsamen Leids unter der Diktatur des Nationalsozialismus: Aus dem Widerstand gegen das Unrecht haben Christen der katholischen wie auch der evangelischen Kirche gemeinsam Zeugnis für den Glauben gegeben und haben als Märtyrer ihr Leben gelassen. Im großen Jubiläumsjahr 2000 hat Papst Johannes Paul in einer eindrucksvollen liturgischen Feier aller Märtyrer des 20. Jahrhunderts gedacht, über alle Konfessionsgrenzen hinweg.

In der ökumenischen Zusammenarbeit stand nach dem Kriege die Zusammenarbeit zwischen der Katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) im Vordergrund. Das hat seinen Grund darin, dass Deutschland das Ursprungsland der Reformation ist und die Bevölkerung fast zu gleichen Teilen zur Katholischen Kirche bzw. zur Evangelischen Kirche Deutschlands gehört. Die Verteilung ist allerdings höchst unterschiedlich: Im Norden Deutschlands und in den Ländern Ostdeutschlands, im Gebiet der früheren Deutschen Demokratischen Republik sind die Katholiken eine verschwindende Minderheit von nur etwa 4 - 5 %, konzentriert in den größeren Städten.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung setzte eine neue Phase ein mit der Anwerbung von "Gastarbeitern": Aus den Mittelmeerstaaten, aus den Ländern des Balkans und aus der Türkei begann seit 1955 eine ökonomisch ausgerichtete Einwanderung von Ausländern einschließlich ihrer Familien. Bis zum Anwerbestopp im Jahre 1973 kamen etwa 14 Millionen Gastarbeiter nach Deutschland, von denen etwa 11 Millionen zurückgewandert sind. Seit dieser Zeit leben in unserem Land größere Zahlen von Christen der unterschiedlichen reformatorischen Gemeinschaften und vor allem Angehörige der orthodoxen Kirchen aus den verschiedenen Ländern wie auch Angehörige anderer Religionen, vor allem Muslime.

2. Strukturen der ökumenischen Zusammenarbeit.

Die Arbeit mit Migranten und Flüchtlingen hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg in wachsender ökumenischer Zusammenarbeit zwischen der Katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche Deutschlands entwickelt.

Diese ökumenische Zusammenarbeit hat eine neue Qualität erfahren, als durch die Einwanderung von Arbeitsmigranten und ihren Familien und durch die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern Angehörige der verschiedenen christlichen Kirchen und christlichen Gemeinschaften in unser Land kamen und auch ihre je eigene kirchliche Struktur aufgebaut haben. Alle christlichen Kirchen und christlichen Gemeinschaften haben sich zusammengeschlossen in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK).

2.1 Als nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland einen Höchststand erreichte (1992 waren es 438.191), setzte in unserem Land eine heftige und ausgedehnte Diskussion über die Ausländerpolitik ein mit der Änderung unserer Verfassung zum Asylrecht. In diesem Zusammenhang haben 1993 die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingesetzt; Vorsitzende waren der Vorsitzende der Bischöflichen Kommission für Migration und der Vorsitzende der Kommission für Ausländerfragen der Evangelischen Kirche Deutschlands.

Aufgabe dieser Arbeitsgruppe war, ein gemeinsames Wort der Kirchen über Geschichte und Ursachen von Migration und Flucht, über ethische Prinzipien für die Arbeit mit Ausländern und Flüchtlingen und über Perspektiven für eine zukunftsfähige Ausländerpolitik. Dieses gemeinsame Wort der Kirchen wurde 1997 veröffentlicht unter dem Titel "... und der Fremdling, der in deinen Toren ist" - Gemeinsames Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht. Dieses Wort ist Grundlage für die gemeinsame Arbeit der christlichen Kirchen und christlichen Gemeinschaften.

2.2 Als im Jahre 2000 die Bundesregierung eine Unabhängige Kommission "Zuwanderung" einrichtete mit der Aufgabe, ein Konzept für ein zukünftiges Zuwanderungsgesetz zu erarbeiten, waren die Deutsche Bischofskonferenz und die Evangelische Kirche Deutschlands in dieser Unabhängigen Kommission vertreten durch ihren jeweiligen Vorsitzenden der Kommission. Es stellte sich heraus, dass das Gemeinsame Wort der Kirchen mit seinen ethischen Prinzipien und seinen politischen Perspektiven in einem stillschweigenden Konsens Grundlage für die Diskussion in dieser Unabhängigen Kommission war.

2.3 Um diese bewährte Zusammenarbeit fortzusetzen und zu stärken, treffen sich Vertreter der Bischöflichen Kommission, der Kommission für Ausländerfragen der Evangelischen Kirche, Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, Vertreter des Deutschen Caritasverbandes und des Diakonischen Werkes zweimal jährlich zur gegenseitigen Information, zur Abstimmung ihrer Arbeit und zur Planung gemeinsamer Aufgaben.

2.4 Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands unterhalten sowohl bei der Bundesregierung in Berlin als auch bei den einzelnen Landesregierungen jeweils eine Vertretung für die Kommunikation mit den jeweiligen Regierungen und den Parteien.

In Fragen der Ausländerpolitik stimmen sich die beiden kirchlichen Vertreter jeweils ab bzw. vertreten die Position der Kirche gemeinsam.

2.5 Anstelle des jährlichen Sonntags der Flüchtlinge und Migranten findet in Deutschland seit Jahren die Woche der ausländischen Arbeitnehmer und der Flüchtlinge statt, und zwar in der letzten Woche des September. Diese Woche der ausländischen Arbeitnehmer hat einen festen Platz in den Medien; sie wird jedes Jahr eröffnet in einer ökumenischen Veranstaltung; der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands laden gemeinsam dazu ein.

Vorbereitet wird diese Woche jeweils durch einen ökumenischen Vorbereitungsausschuss, der getragen wird von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands; vertreten sind in diesem Vorbereitungsausschuss alle christlichen Kirchen und christlichen Gemeinschaften; Vertreter der Gewerkschaften und der Muslime arbeiten als Gäste mit.

2.6 Um den Dialog mit nichtchristlichen Religionen, vor allem mit dem Islam zu fördern, haben sowohl die Deutsche Bischofskonferenz als auch die Evangelische Kirche Deutschlands Hilfen und Handreichungen erarbeitet, jeweils in Zusammenarbeit mit muslimischen Vertretern. Diese Handreichungen sollen den Dialog vor Ort fördern.

2.7 Die Flüchtlingshilfen vor Ort werden in der Regel von Mitarbeitern der katholischen und der evangelischen Gemeinde gemeinsam getan.

3. Erfahrungen und Konsequenzen.

Gerade im Hinblick auf die Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten hat die ökumenische Zusammenarbeit in Deutschland eine lange Tradition; sie hat sich bewährt und ist notwendig.

Sie ist die praktische Realisierung dessen, was Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika "Ut unum sint" sagt: "Es kommt immer häufiger vor, dass die Verantwortlichen der christlichen Gemeinschaften zu wichtigen Problemen, die die menschliche Berufung, die Freiheit, die Gerechtigkeit, den Frieden, die Zukunft der Welt betreffen, gemeinsam im Namen Christi Stellung beziehen. Dadurch sind sie in einem tragenden Element der christlichen Sendung miteinander verbunden: nämlich die Gesellschaft auf möglichst realistische Weise an den Willen Gottes zu erinnern ... Es versteht sich von selbst, und die Erfahrung beweist es, dass unter gewissen Umständen die gemeinsame Stimme der Christen mehr Durchschlagskraft besitzt als eine Einzelstimme" (43).

Diese Aussage hat sich in unseren Erfahrungen bewahrheitet. Im Hinblick auf die Ausländerpolitik in unserem Land haben die Stimmen der Kirchen und der christlichen Gemeinschaften nur Gewicht, wenn sie gemeinsam vorgetragen werden.

Papst Johannes Paul II. erinnert immer wieder daran, dass das Gemeinsame und Verbindende im Vordergrund stehen muss im Vergleich zu dem, was trennt.

Gerade in den Bereichen der christlichen Caritas, in der Vertretung humanitärer Anliegen, in der Einflussnahme auf die Ausländerpolitik erweist sich das Evangelium für die christlichen Kirchen und Gemeinschaften als gemeinsame Grundlage.

In der Arbeit für Migranten und Flüchtlinge ist durch die ökumenische Zusammenarbeit eine große Offenheit und ein großes Vertrauen gewachsen, das den Weg der Ökumene stärkt.
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