PAPST FRANZISKUS
GENERALAUDIENZ
Petersplatz
Mittwoch, 26. August 2015
Katechese. Die Familie - 24. Das Gebet
Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!
Nachdem wir darüber nachgedacht haben, wie die Familie die Zeiten des Festes und der Arbeit lebt, betrachten wir heute die Zeit des Gebets. Die häufigste Klage der Christen betrifft die Zeit: »Ich sollte mehr beten…; ich möchte es tun, aber oft fehlt mir die Zeit.« Das hören wir ständig. Das Bedauern ist ehrlich, gewiss, denn das menschliche Herz sucht immer das Gebet, auch ohne es zu wissen; und wenn es das Gebet nicht findet, hat es keinen Frieden. Damit sie einander begegnen, muss man jedoch im Herzen eine »innige« Liebe, eine zuneigungsvolle Liebe zu Gott pflegen.
Wir können uns eine ganz einfache Frage stellen. Es ist gut, aus ganzem Herzen an Gott zu glauben, es ist gut zu hoffen, dass er uns in den Schwierigkeiten hilft, es ist gut, sich in der Pflicht zu sehen, ihm zu danken. Das ist alles richtig. Haben wir den Herrn jedoch auch ein wenig lieb? Bewegt uns der Gedanke an Gott, versetzt er uns in Staunen, berührt er uns innerlich? Denken wir an die Worte des großen Gebots, das alle anderen trägt: »Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft« (Dt 6,5; vgl. Mt 22,37). Dieser Satz gebraucht die tiefe Sprache der Liebe und richtet sie auf Gott aus. Vor allem hier wohnt der Geist des Gebets. Und wenn er hier wohnt, wohnt er der ganzen Zeit inne und verlässt sie nie. Können wir an Gott denken als die zärtliche Geste, die uns am Leben erhält und vor der es nichts gibt? Als eine zärtliche Geste, von der nichts, nicht einmal der Tod, uns trennen kann? Oder denken wir an ihn nur als das große Wesen, den Allmächtigen, der alles erschaffen hat, den Richter, der alles Handeln kontrolliert? Das ist natürlich alles wahr. Aber nur wenn Gott die Liebe all unserer Liebe ist, erhalten diese Worte ihre volle Bedeutung. Dann sind wir glücklich und auch etwas verwirrt, weil er an uns denkt und uns vor allem liebt! Ist das nicht beeindruckend? Ist es nicht beeindruckend, dass Gott uns zärtlich berührt, mit der Liebe eines Vaters? Das ist so schön! Er hätte sich einfach nur als das höchste Wesen offenbaren, seine Gebote geben und auf die Ergebnisse warten können. Gott hat jedoch unendlich mehr als das getan und tut es auch weiterhin. Er begleitet uns auf dem Weg des Lebens, er schützt uns, er liebt uns. Wenn die Liebe zu Gott nicht das Feuer entfacht, dann erwärmt der Geist des Gebets nicht die Zeit. Wir können auch plappern »wie die Heiden «, sagt Jesus; oder auch unsere Rituale zur Schau stellen »wie die Pharisäer« (vgl. Mt 6,7.5).
Ein Herz, in dem die Liebe zu Gott wohnt, macht auch einen Gedanken ohne Worte oder eine Anrufung vor einem heiligen Bild oder einen an die Kirche gerichteten Kuss zum Gebet. Es ist schön, wenn Mütter ihre kleinen Kinder anleiten, Jesus oder der Gottesmutter einen Kuss zu senden. Wie viel Zärtlichkeit liegt darin! In jenem Augenblick wird das Herz der Kinder zum Ort des Gebets. Und das ist ein Geschenk des Heiligen Geistes. Wir dürfen nie vergessen, dieses Geschenk für jeden von uns zu erbitten! Denn der Geist Gottes sagt auf besondere Weise zu unseren Herzen: »Abba« – »Vater«. Er lehrt uns, »Vater« zu sagen, ebenso wie Jesus es gesagt hat, auf eine Weise, die wir allein niemals finden könnten (vgl. Gal 4,6). Dieses Geschenk des Heiligen Geistes ist in der Familie, die lernt, darum zu bitten und es wertzuschätzen. Wenn du es mit derselben Spontaneität lernst, mit der du lernst, »Papa« und »Mama« zu sagen, hast du es für immer gelernt. Wenn das geschieht, wird das ganze Familienleben vom Schoß der Liebe Gottes umfangen und sucht von sich aus die Zeit des Gebets.
Die Zeit in der Familie, das wissen wir gut, ist eine komplizierte und übervolle, geschäftige und sorgenvolle Zeit. Sie ist immer knapp, sie genügt nie, es gibt viele Dinge zu tun. Wer eine Familie hat, lernt schnell, eine Gleichung zu lösen, die nicht einmal die großen Mathematiker lösen können: In die 24 Stunden packt sie das Doppelte hinein! Es gibt Mütter und Väter, die dafür den Nobelpreis gewinnen könnten. Aus 24 machen sie 48 Stunden: Ich weiß nicht, wie sie es tun, aber sie rühren sich und tun es! Es gibt viel Arbeit in der Familie!
Der Geist des Gebets gibt Gott die Zeit zurück, kommt aus der Obsession eines Lebens heraus, dem immer die Zeit fehlt, findet wieder Frieden für die notwendigen Dinge und entdeckt die Freude unerwarteter Geschenke. Gute Vorbilder dafür sind die beiden Schwestern Marta und Maria, von denen das Evangelium spricht, das wir gehört haben. Sie lernen von Gott die Harmonie der familiären Rhythmen: die Schönheit des Festes, die Besonnenheit der Arbeit, den Geist des Gebets (vgl. Lk 10,38-42). Der Besuch Jesu, den sie liebhatten, war ihr Fest. Eines Tages lernte Marta jedoch, dass die Arbeit der Gastfreundschaft, so wichtig sie auch ist, nicht alles ist, sondern dass dem Herrn zuzuhören, wie Maria es tat, das wirklich Wesentliche war, »das Bessere« der Zeit. Das Gebet entspringt dem Hören auf Jesus, dem Lesen des Evangeliums. Vergesst nicht, jeden Tag einen Abschnitt des Evangeliums zu lesen.
Das Gebet entspringt der Vertrautheit mit dem Wort Gottes. Herrscht in unserer Familie diese Vertrautheit? Haben wir das Evangelium im Haus? Schlagen wir es manchmal auf, um gemeinsam darin zu lesen? Denken wir darüber nach, wenn wir den Rosenkranz beten? Das Evangelium, das in der Familie gelesen und betrachtet wird, ist gleichsam ein gutes Brot, das das Herz aller nährt. Und morgens und abends und wenn wir uns zu Tisch setzen, wollen wir lernen, gemeinsam ein ganz einfaches Gebet zu sprechen: Es ist Jesus, der zu uns kommt, wie er in die Familie von Marta, Maria und Lazarus ging. Eine Sache liegt mir sehr am Herzen; ich habe es in den Städten gesehen: Es gibt Kinder, die nicht gelernt haben, das Kreuzzeichen zu machen! Du, Mutter, Vater: Leite dein Kind an zu beten, das Kreuzzeichen zu machen: Das ist eine schöne Aufgabe der Mütter und der Väter! Im Gebet der Familie, in ihren starken Augenblicken und in ihren schwierigen Zeiten, sind wir einander anvertraut, damit jeder von uns in der Familie von der Liebe Gottes behütet ist.
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Einen herzlichen Gruß richte ich an alle Gläubigen deutscher Sprache, besonders an die Pilger aus der Diözese Graz-Seckau und den Jugenddienst des Dekanats Klausen. Halten wir neben der notwendigen Zeit für die Arbeit immer eine Zeit bereit, um beim Herrn zu sein. Hören wir sein Wort beim Lesen des Evangeliums und betrachten wir ihn im Rosenkranzgebet. Beten wir in der Familie gemeinsam am Morgen und am Abend. So bleiben wir immer von Gottes Liebe beschützt.
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