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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

  

Das wohlriechende Öl der Sünderin

 Donnerstag, 18. September 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 40, 3. Oktober  2014

 

Der Herr rettet »nur den, der es versteht, sein Herz zu öffnen und zu erkennen, dass er ein Sünder ist«. So lautet die Lehre, die Papst Franziskus in der Frühmesse am 18. September in Santa Marta dem in der Liturgie verlesenen Abschnitt aus dem Lukasevangelium (7,36-50) entnahm. Es geht um die Geschichte der Sünderin, die sich während eines Essens im Hause eines Pharisäers Christus »mit einem Gefäß von wohlriechendem Öl« nähert – obwohl sie nicht einmal eingeladen war – und »weinend hinter seinen Füßen stehenbleibt «. Sie beginnt, »seine Füße mit ihren Tränen zu benetzen«, trocknet sie dann »mit ihrem Haar«, küsst sie und salbt sie mit wohlriechendem Öl.

Der Papst erläuterte, dass »gerade das Eingeständnis unserer Sünden, unserer Armseligkeit, das Eingeständnis, was wir sind, was wir imstande sind zu tun oder was wir bereits getan haben, die Tür ist, die sich öffnet, um die Liebkosung Jesu zu empfangen, um die Vergebung Jesu und das Wort Jesu zu empfangen: Geh in Frieden, dein Glaube hat dir geholfen, denn du bist mutig gewesen, du bist so mutig gewesen, dein Herz für den zu öffnen, der allein dich retten kann.« In diesem Zusammenhang wiederholte der Papst einen Ausdruck, der ihm besonders lieb und teuer ist: »der bevorzugte Ort für die Begegnung mit Christus sind die eigenen Sünden«.

Dem Ohr eines unachtsamen Hörers mag das »fast wie eine Häresie vorkommen«, so kommentierte er, »aber auch der heilige Paulus sagte dies«, als er im Zweiten Korintherbrief (12,9) erklärte, er rühme sich »nur zweier Dinge: der eigenen Sünden und des auferstandenen Christus, der ihn gerettet hat«.

Der Bischof von Rom begann seine Reflexion mit der Rekonstruktion der im Tagesevangelium beschriebenen Szene. Der Mann, »der Jesus zum Essen eingeladen hatte«, so bemerkte er, »war ein Mensch, der ein gewisses Niveau hatte, er war kultiviert, vielleicht ein Universitätsgelehrter. Er wollte die Lehre Jesu hören, weil er als guter kultivierter Mann keine Ruhe hatte« und sich bemühte, »noch mehr zu lernen«. Und »man hat nicht den Eindruck, dass er ein schlechter Mensch gewesen sei«, so wie auch »die anderen, die mit bei Tisch waren«, dies nicht gewesen seien. Bis zum Augenblick, an dem eine Frauengestalt das Bankett unterbricht: im Grunde habe es sich um »eine ungezogene Person« gehandelt, die »einfach da hereinplatzte, wo sie nicht eingeladen war. Eine unkultivierte Person, die, sofern sie doch Kultur gehabt hat, dies hier jedenfalls nicht unter Beweis gestellt hat.« In der Tat »platzt sie herein und tut, was sie will: ohne sich zu entschuldigen, ohne um Erlaubnis zu bitten«. Und bei all dem, so bemerkte der Papst, »lässt es Jesus ruhig geschehen«.

An diesem Punkt zeige sich die Wirklichkeit hinter der Fassade der guten Manieren, wenn der Pharisäer anfange, bei sich zu denken: »Wenn er wirklich ein Prophet wäre, müsste er wissen, was das für eine Frau ist, von der er sich berühren lässt; er wüsste, dass sie eine Sünderin ist.« Dieser Mann »war nicht schlecht«, und doch »ist er nicht imstande, die Geste dieser Frau zu verstehen. Er ist außerstande, die einfachsten Gesten der Menschen zu verstehen.« Vielleicht, so betonte Franziskus, »hatte dieser Mann vergessen, wie man ein Kind streichelt, wie man eine Großmutter tröstet. Inmitten seiner Theorien, seiner Gedanken, in seiner Regierungstätigkeit – denn vielleicht war er ein Ratsmitglied der Pharisäer – hatte er die allerersten Gesten des Lebens vergessen, die wir alle gleich nach unserer Geburt von unseren Eltern zu empfangen begonnen haben.« Kurz, »er war weit weg von der Realität«. Nur auf diese Weise, so fuhr der Papst fort, könne der »Vorwurf« erklärt werden, den er Jesus macht: »Das ist ein Pseudo-Heiliger! Er erzählt uns schöne Dinge, zaubert ein bisschen. Er ist ein Wunderheiler, aber letzten Endes kennt er die Menschen nicht. Denn wenn er wüsste, was das hier für eine Art von Frau ist, dann hätte er etwas gesagt.«

Wir hätten es also mit »zwei Verhaltensweisen« zu tun, die untereinander völlig verschieden seien: einerseits die Haltung des »Mannes, der schaut und beurteilt«, der Urteile fällt; und andererseits das Verhalten der »Frau, die weint und Dinge tut, die Torheiten zu sein scheinen«, denn sie nimmt ein wohlriechendes Öl, das »teuer ist, das sehr viel kostet«. Der Papst verweilte vor allem bei der Tatsache, dass im Evangelium das Wort »Salbung« verwendet wird, um darauf zu verweisen, dass »das wohlriechende Öl der Frau salbt: Es hat die Fähigkeit, eine Salbung zu werden«, im Gegensatz zu den Worten des Pharisäers, die »nicht bis zum Herzen vordringen, die den Körper nicht erreichen, die die Wirklichkeit nicht erreichen«.

Zwischen diesen beiden gegensätzlichen Menschen stehe Jesus, mit »seiner Geduld, seiner Liebe«, mit seinem »Willen, alle Menschen zu retten«, der »ihn veranlasst, dem Pharisäer zu erläutern, was das Tun dieser Frau bedeutet« und ihn zu tadeln – wenn auch »demütig und voller Zärtlichkeit« –, dass dieser es ihm gegenüber habe an »Höflichkeit« mangeln lassen. »Als ich in dein Haus kam«, so sage er zu ihm, »hast du mir kein Wasser zum Waschen der Füße gegeben; du hast mir keinen Kuss gegeben; du hast mir nicht das Haupt mit Öl gesalbt; sie aber hat mit ihren Tränen, mit ihren Haaren, ihrem wohlriechenden Öl all das getan.«

Der Papst hob auch hervor, dass das Evangelium nicht sage, »wie die Geschichte für diesen Mann ausgegangen ist«, aber es sage ganz eindeutig, »wie sie für diese Frau ausgegangen ist: ›Deine Sünden sind dir vergeben!‹« Dies sei ein Satz, der die Tischgenossen schockiert habe, die angefangen hätten, untereinander zu tuscheln und sich zu fragen: »Wer ist das, dass er sogar Sünden vergibt?« Jesus hingegen gehe unbeirrt auf seinem Weg weiter und »er sagt diesen Satz, der im Evangelium so oft wiederholt wird: ›Geh in Frieden, dein Glaube hat dir geholfen!‹« Kurz, »ihr wird gesagt, dass ihre Sünden vergeben sind, den anderen hingegen zeigt Jesus nur die Gesten auf und erläutert die Gesten, auch jene Gesten, die unterlassen wurden, nämlich das, was ihm gegenüber unterlassen wurde«. Es ist ein Unterschied, den Franziskus betonen wollte: im Verhalten der Frau »ist viel, sehr viel Liebe«, während Jesus bei den Tischgenossen »nicht sagt, dass es« an Liebe »fehle«, aber »er lässt es durchblicken«. Folglich spreche er das »Wort Erlösung – ›dein Glaube hat dir geholfen‹ – nur zu der Frau, die eine Sünderin ist. Und er sagt es deshalb, weil sie es fertiggebracht hat, über ihre Sünden zu weinen, ihre Sünden einzugestehen, zu sagen: ›Ich bin eine Sünderin.‹« Im Gegensatz dazu »sagt er es nicht zu diesen Leuten«, auch wenn diese »nicht schlecht waren«, er sage es auch deshalb nicht, weil diese Leute »glaubten, sie seien keine Sünder«. Ihres Erachtens »waren die anderen die Sünder: die Zöllner, die Prostituierten«.

Das also sei die Lehre des Evangeliums: »Die Erlösung hält erst dann Einzug im Herzen, wenn wir unser Herz der Wahrheit unserer Sünden gegenüber öffnen.« Sicher, so argumentierte der Bischof von Rom, »keiner von uns wird hingehen und diese schöne Geste tun, die diese Frau getan hat«, denn es handle sich dabei um »eine kulturelle Geste jener Zeit. Aber wir alle haben die Möglichkeit, zu weinen, wir alle haben die Möglichkeit, uns zu öffnen und zu sagen: Herr, erlöse mich! Wir alle haben die Möglichkeit, dem Herrn zu begegnen.«

Auch deshalb, weil »Jesus zu diesen anderen Leuten an dieser Bibelstelle nichts sagt. Aber an einer anderen Stelle wird er jenes fürchterliche Wort aussprechen: ›Ihr Heuchler! Denn ihr habt euch von der Wirklichkeit entfernt, ihr habt euch von der Wahrheit entfernt!‹« Und weiter, indem er sich auf das Beispiel dieser Sünderin beziehe, mahne Jesus: »Denkt daran, Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr!« Denn sie, so schloss Franziskus, »empfinden sich als Sünder« und »öffnen ihr Herz im Eingeständnis ihrer Sünden der Begegnung mit Jesus, der sein Blut für uns alle vergossen hat«.

 


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