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ERSTE VESPER ZUM HOCHFEST DER GOTTESMUTTER MARIA
UND "TE DEUM" ZUM DANK FÜR DAS VERGANGENE JAHR

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS

Petersdom
Sonntag, 31. Dezember 2023

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Zur feierlichen Vesper am letzten Tag des Jahres kamen auch zahlreiche Vertreter aus Kirche und Gesellschaft, unter ihnen Roms Bürgermeister Roberto Gualtieri. Als Bischof von Rom wandte sich Franziskus in seiner Predigt auch an ihn und die weiteren Organisatoren des Heiligen Jahres 2025, das im kommenden Dezember eröffnet werden soll. Er sagte:

Der Glaube ermöglicht es uns, diese Stunde anders zu leben als mit einer weltlichen Mentalität. Der Glaube an Jesus Christus, den menschgewordenen Gott, der von der Jungfrau Maria geboren wurde, schenkt uns ein neues Zeit- und Lebensgefühl. Ich würde es in zwei Worten zusammenfassen: Dankbarkeit und Hoffnung.

Manch einer mag sagen: »Aber ist das nicht ohnehin das, was alle in dieser letzten Nacht des Jahres tun? Jeder dankt, jeder hofft, ob gläubig oder nicht.« Das mag vielleicht so scheinen, und es wäre schön, wenn es so wäre! Aber in Wirklichkeit sind weltliche Dankbarkeit und weltliche Hoffnung illusorisch; ihnen fehlt die wesentliche Dimension, nämlich die Beziehung zu dem Anderen und zu den anderen, zu Gott und zu den Brüdern und Schwestern. Sie beschränken sich auf das Ich, auf seine Interessen, und so sind sie kurzatmig, sie gehen nicht über Zufriedenheit und Optimismus hinaus.

In dieser Liturgie dagegen atmet man eine ganz andere Atmosphäre: eine Atmosphäre des Lobes, des Staunens, der Dankbarkeit. Und das geschieht nicht wegen der Großartigkeit der Basilika, nicht wegen der Lichter und der Gesänge – diese Dinge sind eher die Folge –, sondern wegen des Geheimnisses, das die Antiphon des ersten Psalms so ausdrückt: »O wunderbarer Tausch! Der den Menschen erschuf, nimmt menschliches Leben an und wird aus der Jungfrau geboren. […] Er schenkt uns sein göttliches Leben.« Dieser wunderbare Tausch!

Die Liturgie lässt uns in die Empfindungen der Kirche eintauchen; und die Kirche lernt sie sozusagen von Maria, der Jungfrau und Mutter.

Stellen wir uns vor, wie groß die Dankbarkeit im Herzen Mariens gewesen sein muss, als sie den neugeborenen Jesus betrachtete. Das ist eine Erfahrung, die nur eine Mutter machen kann, und doch hat sie in ihr, in der Muttergottes, eine einzigartige, unvergleichliche Tiefe. Maria weiß – sie allein und Josef –, woher das Kind kommt. Und da ist es nun, es atmet, es weint, es braucht zu essen, es muss zugedeckt, versorgt werden. Das Geheimnis gibt der Dankbarkeit Raum, die in der Betrachtung des Geschenks, in der Unentgeltlichkeit aufblüht, während sie in der Sucht des Haben-Wollens und des äußeren Scheins erstickt.

Die Kirche lernt die Dankbarkeit von der Jungfrau Maria. Und sie lernt auch Hoffnung. Man könnte meinen, dass Gott sie, Maria von Nazaret, erwählt hat, weil er in ihrem Herzen seine eigene Hoffnung widergespiegelt sah. Die Hoffnung, die er selbst mit seinem Geist in sie hineingelegt hatte. Maria war schon immer voller Liebe, voller Gnade, und ist deshalb auch voller Vertrauen und Hoffnung. Die Hoffnung Mariens und der Kirche ist kein Optimismus, sie ist etwas anderes: Es ist der Glaube an Gott, der seinen Verheißungen treu ist (vgl. Lk  1,55); und dieser Glaube nimmt in der Dimension der Zeit, wir könnten sagen »auf dem Weg«, die Form der Hoffnung an. Der Christ ist, wie Maria, ein Pilger der Hoffnung. Und genau das wird das Thema des Heiligen Jahres 2025 sein: »Pilger der Hoffnung«.

Liebe Brüder und Schwestern, wir können uns fragen: Bereitet sich Rom darauf vor, im Heiligen Jahr eine »Stadt der Hoffnung« zu werden? Wir alle wissen, dass die Organisation des Heiligen Jahres schon seit einiger Zeit im Gange ist. Aber wir verstehen auch sehr gut, dass es in der Perspektive, die wir hier einnehmen, nicht in erster Linie darum geht. Es geht vielmehr um das Zeugnis des kirchlichen und zivilen Miteinanders; ein Zeugnis, das mehr als in den Ereignissen im Lebensstil besteht, in der ethischen und spirituellen Qualität des Zusammenlebens. Die Frage kann also wie folgt formuliert werden: Setzen wir uns, jeder in seinem Bereich, dafür ein, dass diese Stadt ein Zeichen der Hoffnung für diejenigen ist, die hier leben, und für diejenigen, die sie besuchen?

Ein Beispiel. Wenn man den Petersplatz betritt und sieht, dass sich in der Umarmung der Kolonnaden Menschen aller Nationalitäten, aller Kulturen und Religionen frei und gelassen bewegen, ist das eine Erfahrung, die Hoffnung vermittelt. Aber es ist wichtig, dass dies Bestätigung findet durch einen guten Empfang beim Besuch der Basilika wie auch in der Bereitstellung von Informationen. Ein anderes Beispiel: Der Charme des historischen Zentrums von Rom ist unvergänglich und universal, aber er muss auch von älteren oder in ihrer Mobilität eingeschränkten Menschen genossen werden können. Und der »großen Schönheit« muss ein würdevoller Zustand und die normale Funktionalität an den Orten und in den Situationen des gewöhnlichen, täglichen Lebens entsprechen. Denn eine Stadt, die für ihre Einwohner lebenswerter ist, ist auch einladender für alle.

Liebe Brüder und Schwestern, eine Pilgerreise erfordert eine gute Vorbereitung, besonders wenn sie anspruchsvoll ist. Deshalb ist das kommende Jahr, das dem Heiligen Jahr vorausgeht, dem Gebet gewidmet: ein ganzes Jahr, das dem Gebet gewidmet ist. Und welche bessere Lehrerin könnten wir darin haben als unsere heilige Mutter? Begeben wir uns in ihre Schule: Lernen wir von ihr, jeden Tag, jeden Augenblick, jede Beschäftigung mit einem inneren Blick auf Jesus zu leben. Freuden und Sorgen, Genugtuung und Probleme. Alles in der Gegenwart und mit der Gnade Jesu, des Herrn. Alles mit Dankbarkeit und Hoffnung.



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