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VIDEOBOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS
ZUR 5. INTERNATIONALEN KONFERENZ, DIE DER PÄPSTLICHE RAT
FÜR DIE KULTUR UND DIE STIFTUNG CURA ORGANISIERT HABEN
Liebe Freunde!
Ich wende mich an Sie alle, die Sie am Internationalen Kongress mit dem Titel »Geist, Leib und Seele« teilnehmen, ein Thema, dem sich die Forschung im Laufe der Jahrhunderte intensiv gewidmet hat, um das Geheimnis der menschlichen Person zu verstehen. Ich grüße Kardinal Gianfranco Ravasi, Präsident des Päpstlichen Rats für die Kultur, und die Organisatoren dieser Veranstaltung wie auch die Vorstände der Stiftungen »Cura« und »Scienza e Fede«, ebenso die Referenten, und ich danke Ihnen allen.
Ihr Kongress verbindet philosophisch-theologische Reflexion und wissenschaftliche Forschung besonders im medizinischen Bereich. Das gibt mir zunächst die Gelegenheit, all jenen die allgemeine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen, die sich entschieden haben, sich persönlich und beruflich in der Behandlung der Kranken und der Unterstützung der Bedürftigsten zu engagieren. In dieser Zeit empfinden wir alle Anerkennung und Dankbarkeit gegenüber denjenigen, die sich unermüdlich dafür einsetzen, die Pandemie zu bekämpfen, die weiterhin Opfer fordert und zugleich unseren Sinn für Solidarität und Geschwisterlichkeit auf die Probe stellt. Ein Denken, das den Menschen dauerhaft in den Mittelpunkt stellt, erfordert daher auch eine Reflexion über die Gesundheitssysteme, die für alle Kranken ohne Unterschied zugänglich sind.
Das Kongressprogramm spiegelt die grundle- genden Elemente wieder, die im Titel genannt werden: Leib, Geist, Seele. Diese drei Kategorien entsprechen nicht der »klassischen« christlichen Sichtweise, deren bekanntestes Modell das der Person ist, verstanden als untrennbare Einheit vo Leib und Seele, die ihrerseits mit Verstand und Willen begabt ist (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1703-1705). Das ist allerdings keine exklusive Sichtweise. Der heilige Paulus zum Beispiel sagt: »euch ganz und gar, Geist, Seele und Leib« (vgl. 1 Thess 5,23). Das ist eine Dreiteilung, die viele Kirchenväter und auch verschiedene moderne Denker übernommen haben. Um bei Ihrer Einteilung zu bleiben, scheint mir, dass ihr großes Verdienst in dem Hinweis darauf besteht, dass bestimmte Dimensionen unseres Seins, die heute allzu oft getrennt werden, in Wirklichkeit tief und untrennbar verflochten sind.
Die biologische Schicht unserer Existenz, die in unserer Körperlichkeit zum Ausdruck kommt, stellt die unmittelbarste Dimension dar, ist aber deswegen keineswegs am einfachsten zu verstehen. Wir sind kein reiner Geist. Für jeden von uns beginnt alles mit unserem Leib, aber nicht nur: Von der Empfängnis bis zum Tod haben wir nicht bloß einen Leib, sondern wir sind Leib – und der christliche Glaube sagt uns, dass wir das auch bei der Auferstehung sein werden. Die Geschichte der medizinischen Forschung stellt uns insofern einen Aspekt des faszinierenden Weges des Menschen auf der Suche nach sich selbst vor Augen. Und dabei denken wir nicht nur an die so- zusagen »westliche« akademische Medizin, son- dern an den Reichtum der verschiedenen Arten der Medizin in den unterschiedlichen Zivilisatio- nen der Welt. Zweifellos haben die Wissenschaften uns einen Wissenshorizont eröffnet und Kenntnis von Wechselwirkungen vermittelt, die vor wenigen Jahrhunderten undenkbar waren.
Dank der interdisziplinären Studien können wir die Dynamiken besser verstehen, die zwischen unserer körperlichen Verfasstheit und der Umwelt, in der wir leben, bestehen, wie auch zwischen der Gesundheit und dem, was wir essen, zwischen unserem psychophysischen Wohlergehen und der Pflege des geistlichen Lebens – auch durch die Praxis des Gebets oder der Meditation in ihren verschiedenen Formen –, und sogar zwischen Gesundheit und Kunst, wobei ich besonders an die Musik denke. Denn nicht zufällig bildet die Medizin eine Brücke zwi-schen Natur- und Geisteswissenschaften, so dass sie in der Vergangenheit als »philosophia corporis« bezeichnet wurde, wie das eine in der Vati- kanbibliothek aufbewahrte Handschrift bezeugt.
Ein geweiteter Blickwinkel und der Einsatz für die interdisziplinäre Forschung sind entscheidend für einen Wissensfortschritt, dessen Resultat in Bezug auf die Medizinwissenschaften immer differenziertere Forschungsansätze und angemessenere, präzisere Behandlungsmethoden sind. Es mag genügen, an das weite Forschungsfeld der Genetik zu denken, das auf die Überwindung verschiedener Krankheiten ausgerichtet ist. Auf der anderen Seite wirft die Genetik auch einige grundsätzliche anthropologische und ethische Fragen auf, wie zum Beispiel das Problem der Manipulation des menschlichen Genoms, um den Alterungsprozess zu kontrollieren oder sogar aufzuhalten oder um durch Veränderung eine »Verbesserung« des Menschen zu erreichen.
Ebenso wichtig ist eine zweite Dimension: die des Geistes, die die Voraussetzung für die Möglichkeit der Selbsterkenntnis bildet. In der Tat ist die Grundfrage, mit der Sie sich auseinandergesetzt haben, die Frage, die seit Jahrtausenden die Menschen antreibt, nach dem Wesen dessen zu fragen, was unser Menschsein ausmacht. Heute ist man häufig geneigt, jenen konstitutiven Teil mit dem Gehirn und seinen neurologischen Prozessen gleichzusetzen. Auch wenn man die vitale biologische und funktionale Bedeutung des Gehirns in den Vordergrundrückt, so handelt es sich doch nicht um das eine Element, das alle Phänomene, die uns als Menschen auszeichnen, erklären könnte, denn viele von ihnen sind nicht »messbar« und gehen damit über die materielle Körperlichkeit hinaus. Denn der Mensch kann ohne Hirngewebe keinen geistigen Verstand besitzen, aber zugleich kann sein Geist nicht auf die reine Materialität seines Gehirns reduziert werden. Das ist eine Formel, die man anwenden muss.
In den letzten Jahrzehnten haben sich dank der Verflechtung von Natur- und Geisteswissenschaften die Anstrengungen vermehrt, um die Beziehung zwischen der materiellen und der nicht-materiellen Dimension unseres Seins besser zu verstehen. Auf diese Weise bot sich die Beziehung zwischen Geist und Leib, die jahrhundertelang vor allem von Philosophen und Theologen erkundet wurde, auch als Forschungsgegenstand für diejenigen an, die die Beziehung zwischen Geist und Gehirn untersuchen.
Der Gebrauch des Begriffes »Geist« wirft im wissenschaftlichen Umfeld einige Schwierigkeiten auf, daher ist es grundlegend wichtig, ihn geRade aus einem interdisziplinären Blickwinkel verstehen und beschreiben zu können. Mit der Kategorie des »Geistes« will man im Allgemeinen auf eine ontologisch von unserer biologischen Grundsubstanz getrennte Realität hinweisen, die aber mit dieser interagieren kann. Denn mit dem Wort »Geist« ist gewöhnlich die Komplexität der menschlichen Fähigkeiten gemeint, vor allem in Bezug auf die Herausbildung des Denkens. Stets aktuell bleibt jedoch die Frage hinsichtlich des Ursprungs der menschlichen Fähigkeiten, wie die moralische Sensibilität der Person, Mitleid, Empathie, solidarische Liebe, die in philanthropischen Gesten und der uneigennützigen Hingabe an die anderen zum Ausdruck kommt, oder der ästhetische Sinn, ganz zu schweigen von der Suche nach dem Unendlichen und Transzendenten. Wie Sie sehen, ist dies sehr komplex und stark miteinander verzahnt.
In der jüdisch-christlichen wie auch in der klassisch-griechischen und hellenistischen Tradition werden diese menschlichen Ausdrucksweisen auf die transzendente Dimension zurückgeführt und mit dem immateriellen Prinzip unseres Seins gleichgesetzt, das heißt mit der Seele, dem dritten Element, das Ihr Kongress zum Thema hat.
Auch wenn dieser Begriff im Lauf der Zeit in den verschiedenen Kulturen und Religionen un- terschiedliche Bedeutungen angenommen hat, weist die Idee, die wir von der antiken Philosophie geerbt haben, der Seele die Rolle eines kon- stitutiven Prinzips zu, das den gesamten Körper organisiert und in dem die intellektuellen, affektiven und volitiven Qualitäten, einschließlich des moralischen Bewusstseins, ihren Ursprung haben. In der Tat beschrieben die Bibel und vor allem die philosophisch-theologische Reflexion mit dem Begriff »Seele« die menschliche Einzigartigkeit, die Besonderheit der von keiner anderen Form der Lebewesen herzuleitenden Person, einschließlich ihrer Offenheit für eine übernatür- liche Dimension und damit für Gott. Diese Offenheit für die Transzendenz, für etwas, das größer ist als sie selbst, ist konstitutiv und bezeugt den unendlichen Wert jeder menschlichen Person. Im allgemeinen Sprachgebrauch können wir sagen, dass sie wie ein Fenster ist, das auf einen Horizont hin geöffnet ist und dorthin führt.
Liebe Freunde, ich freue mich, dass auch Studenten verschiedener Universitäten der Welt an dieser Veranstaltung teilnehmen. Ich ermutige Sie, Wege einer interdisziplinären Forschung einzuschlagen und zu verfolgen, die verschiedene Studienzentren einbezieht, mit dem Ziel, uns selbst besser zu verstehen, stets ausgerichtet auf den transzendentalen Horizont, dem unser Sein zustrebt. Ich vertraue Ihre Arbeit Gott an und wünsche Ihnen allen, dass Sie niemals die Begeisterung, und ich würde auch sagen das Staunen, angesichts des Menschen verlieren, den wir nie ganz entdecken werden, wie uns der heilige Augustinus mit diesen biblisch klingenden Worten sagt, die stets aktuell bleiben: »Ein tiefer Abgrund ist der Mensch...« (Bekenntnisse IV,14.22). Danke!
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