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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
IN DIE DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO UND DEN SÜDSUDAN 
(Ökumenische Pilgerreise in den Südsudan)
[31. Januar - 5. Februar 2023]

Begegnung mit Binnenflüchtlingen

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS 

“Freedom Hall” (Juba)
Samstag, 4. Februar 2023

[Multimedia]

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Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Danke für die Gebete, für die Zeugnisse und für euer Singen! Ich habe schon lange an euch gedacht und in meinem Herzen den Wunsch getragen, euch zu treffen, euch in die Augen zu schauen, eure Hände zu drücken und euch zu umarmen: endlich bin ich hier, zusammen mit den Brüdern, mit denen ich diesen Pilgerweg des Friedens gemeinsam gehe, um euch meine ganze Nähe, meine ganze Zuneigung auszudrücken. Ich bin bei euch, ich leide für euch und mit euch.

Joseph, du hast eine entscheidende Frage gestellt: »Warum leiden wir in dem Lager für Vertriebene?« Warum... Warum sind so viele Kinder und Jugendliche wie du dort, statt in der Schule zu lernen oder an einem schönen Ort im Freien zu spielen? Du selbst hast uns die Antwort gegeben, indem du sagtest, es sei »wegen der anhaltenden Konflikte im Land«. Wegen der Verwüstungen, die durch menschliche Gewalt und die Überschwemmungen verursacht wurden, mussten Millionen unserer Brüder und Schwestern wie ihr, darunter viele Mütter mit Kindern, ihr Land verlassen und ihre Dörfer, ihre Häuser aufgeben. Leider ist in diesem leidgeprüften Land die Erfahrung, ein Vertriebener oder ein Flüchtling zu sein, zu einer normalen und kollektiven Erfahrung geworden.

Deshalb erneuere ich mit aller Kraft den eindringlichen Aufruf, alle Konflikte zu beenden und den Friedensprozess ernsthaft wiederaufzunehmen, damit die Gewalt ein Ende hat und die Menschen zu einem menschenwürdigen Leben zurückkehren können. Nur mit Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit kann es Entwicklung und soziale Wiedereingliederung geben. Aber wir können nicht länger warten: Eine immense Anzahl von in den letzten Jahren geborenen Kindern haben nur die Wirklichkeit von Vertriebenenlagern kennengelernt und dabei den Geruch der Heimat vergessen, die Verbindung zu ihrem Herkunftsort, ihren Wurzeln und ihren Traditionen verloren.

Die Zukunft kann nicht in Vertriebenenlagern liegen. Alle Jugendlichen wie du, Johnson, müssen die Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen und auch die Möglichkeit zum Fußballspielen haben, genau wie du es gefordert hast! Es ist notwendig, als offene Gesellschaft zu wachsen, sich zu vermischen, durch die Herausforderungen der Integration hindurch ein einziges Volk zu bilden und auch die Sprachen zu lernen, die im ganzen Land und nicht nur in der eigenen Ethnie gesprochen werden. Man muss das wunderbare Risiko eingehen, Personen kennenzulernen und anzunehmen, die anders sind, um die Schönheit einer versöhnten Geschwisterlichkeit wiederzufinden und das unbezahlbare Abenteuer zu erleben, in Freiheit die eigene Zukunft zusammen mit der der gesamten Gemeinschaft zu gestalten. Und es ist absolut notwendig, die Ausgrenzung von Gruppen und die Ghettoisierung von Menschen zu vermeiden. Aber für all diese Bedürfnisse braucht es Frieden. Und die Hilfe von vielen, die Hilfe von allen.

Deshalb möchte ich der stellvertretenden Sonderbeauftragten Sara Beysolow Nyanti dafür danken, dass sie uns gesagt hat, dass der heutige Tag allen die Gelegenheit gibt, sich ein Bild davon zu machen, was seit Jahren in diesem Land geschieht. Hier besteht weiterhin die größte Flüchtlingskrise des Kontinents, mit mindestens vier Millionen vertriebenen Söhnen und Töchtern dieses Landes, wo zwei Drittel der Bevölkerung von Nahrungsmittelunsicherheit und Unterernährung betroffen sind und wo Prognosen von einer humanitären Tragödie sprechen, die sich im Laufe des Jahres noch verschlimmern könnte. Aber ich möchte ihr vor allem dafür danken, dass sie und viele andere nicht dabei stehen geblieben sind, die Situation zu analysieren, sondern dass sie gehandelt haben. Sie, Frau Beysolow Nyanti, sind durch das Land gereist, haben den Müttern in die Augen geschaut und den Schmerz gesehen, den diese angesichts der Situation ihrer Kinder empfinden; es hat mich beeindruckt, als Sie sagten, dass trotz allem, was diese Frauen erleiden, das Lächeln und die Hoffnung nie aus ihren Gesichtern verschwunden sind.

Und ich stimme mit dem überein, was Sie über diese Frauen sagten: Die Mütter, die Frauen, sind der Schlüssel zur Umgestaltung des Landes: Wenn sie die richtigen Chancen erhalten, werden sie mit ihrem Fleiß und ihrer das Leben schützenden Haltung fähig sein, das Gesicht des Südsudan zu verändern, ihm eine unbeschwerte und beständige Entwicklung zu ermöglichen! Aber ich bitte euch, ich bitte alle Einwohner in diesen Gebieten: die Frau muss beschützt, geachtet, geschätzt und geehrt werden. Bitte: Schützt, achtet, schätzt und ehrt jede Frau, jedes Mädchen, jede Jugendliche, jede Erwachsene, jede Mutter, jede Großmutter. Ohne dies wird es keine Zukunft geben.

Und nun, Brüder und Schwestern, schaue ich wieder auf euch, auf eure müden, aber strahlenden Augen, die die Hoffnung nicht verloren haben, auf eure Lippen, die die Kraft zum Beten und Singen nicht verloren haben; ich schaue auf euch, die ihr leere Hände habt, aber ein Herz voller Glauben, auf euch, die ihr eine schmerzhafte Vergangenheit in euch tragt, aber nicht aufhört, von einer besseren Zukunft zu träumen. Wir möchten in dieser Begegnung heute eurer Hoffnung Flügel verleihen. Wir glauben daran, wir glauben, dass jetzt, auch in den Vertriebenenlagern, wo zu bleiben ihr aufgrund der Situation im Land weiter gezwungen seid, wie aus der nackten Erde ein neuer Same sprießen kann, der Früchte tragen wird.

Ich möchte euch sagen: Ihr seid der Same für einen neuen Südsudan, die Saat für ein fruchtbares und blühendes Wachstum des Landes. Ihr seid es, aus all den verschiedenen ethnischen Gruppen, die ihr gelitten habt und leidet, die ihr aber auf das Böse nicht mit anderem Bösem antworten wollt. Ihr, die ihr euch schon heute für Geschwisterlichkeit und Vergebung entscheidet, seid dabei, eine bessere Zukunft aufzubauen. Ein Morgen, das heute eben dort entsteht, wo ihr seid, aus der Fähigkeit zur Zusammenarbeit, zum Knüpfen von Banden der Gemeinschaft und zum Begehen von Wegen der Versöhnung mit den Menschen, die an eurer Seite leben und eine andere ethnische Zugehörigkeit bzw. Herkunft haben als ihr. Brüder und Schwestern, seid Samen der Hoffnung, in denen man bereits den Baum erahnen kann, der eines Tages, hoffentlich bald, Früchte tragen wird. Ja, ihr werdet die Bäume sein, die die Verschmutzung der jahrelangen Gewalt aufnehmen und den Sauerstoff der Geschwisterlichkeit wieder abgeben werden. Es stimmt, dass ihr jetzt dort „eingepflanzt“ seid, wo ihr nicht sein wollt, aber gerade in dieser Situation der Mühseligkeit und der Unsicherheit könnt ihr den Menschen um euch herum die Hand reichen und erfahren, dass ihr in demselben Menschsein wurzelt: Von hier aus müssen wir wieder anfangen, uns als Brüder und Schwestern neu zu entdecken, als Erdenkinder des Gottes im Himmel, der der Vater aller ist.

Liebe Freunde, die Wurzeln sind es, die uns daran erinnern, dass eine Pflanze aus einem Samen heranwächst. Es ist schön, dass die Menschen hier viel auf ihre Wurzeln geben. Ich habe gelesen, dass in diesen Ländern »die Wurzeln nie vergessen werden«, denn »die Vorfahren erinnern uns daran, wer wir sind und welches unser Weg sein soll.... Ohne sie sind wir verloren, verängstigt und ohne Kompass. Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit« (C. Carlassare, La capanna di Padre Carlo. Comboniano tra i Nuer, 2020, 65). Im Südsudan wachsen junge Menschen mit den Erzählungen der Älteren auf und beherzigen sie; und wenn das Narrativ dieser Jahre von Gewalt geprägt war, ist es möglich, ja sogar notwendig, dass mit euch eine neue Geschichte beginnt: eine neues Narrativ der Begegnung, in der das Erlittene nicht vergessen wird, sondern vom Licht der Geschwisterlichkeit erfüllt wird; ein Narrativ, das nicht nur den tragischen Charakter des Geschehens in den Mittelpunkt stellt, sondern den brennenden Wunsch nach Frieden. Mögt ihr junge Menschen unterschiedlicher Ethnien die ersten Seiten dieser Erzählung bilden! Wenn Konflikt, Gewalt und Hass die ersten Seiten des Lebens dieser Republik aus den schönen Erinnerungen herausgerissen haben, dann mögt ihr die Geschichte des Friedens neu schreiben! Ich danke euch für eure Seelenstärke und für all eure guten Taten, die Gott sehr wohlgefällig sind und jeden Tag eures Lebens wertvoll machen.

Ich möchte auch ein Wort des Dankes an diejenigen richten, die euch helfen, unter Bedingungen, die oft nicht nur schwierig sind, sondern eine echte Notlage darstellen. Danke den kirchlichen Gemeinschaften für ihre Arbeit, die Unterstützung verdient; danke den Missionaren, den humanitären und internationalen Organisationen, insbesondere den Vereinten Nationen, für die großartige Arbeit, die sie leisten. Natürlich kann ein Land nicht durch Unterstützungsleistungen von außen überleben, noch dazu, wenn es über ein an Ressourcen so reiches Gebiet verfügt! Aber momentan werden sie sehr dringend gebraucht. Ich möchte auch die vielen humanitären Helfer ehren, die ihr Leben verloren haben, und zum Respekt aufrufen sowohl für diejenigen, die helfen, als auch für die Strukturen, die der Bevölkerung nützen und die nicht zur Zielscheibe von Angriffen und Vandalismus werden dürfen. Neben der Nothilfe halte ich es mit Blick auf die Zukunft für sehr wichtig, die Bevölkerung auf dem Weg der Entwicklung zu begleiten, zum Beispiel durch das Erlernen moderner Techniken in Landwirtschaft und Viehzucht, um ein eigenständigeres Wachstum zu ermöglichen. Ich bitte alle von ganzem Herzen: Helfen wir dem Südsudan, lassen wir seine Bevölkerung nicht allein, die so sehr gelitten hat und leidet!

Abschließend möchte ich mich an die vielen südsudanesischen Flüchtlinge richten, die sich außerhalb des Landes befinden, und an diejenigen, die nicht zurückkehren können, weil ihr Gebiet besetzt wurde. Ich bin ihnen nahe und hoffe, dass sie wieder zu Protagonisten der Zukunft ihres Landes werden und auf konstruktive und friedliche Weise zu dessen Entwicklung beitragen können. Nyakuor Rebecca, du hast mich um einen besonderen Segen für die Kinder im Südsudan gebeten, damit ihr alle gemeinsam in Frieden aufwachsen könnt. Wir drei werden als Brüder den Segen geben: mit meinem Brüder Justin und meinem Bruder Iain werden wir euch gemeinsam den Segen geben. Möge euch damit der Segen vieler christlicher Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt erreichen, die euch umarmen und ermutigen, in dem Wissen, dass in euch, in eurem Glauben, in eurer inneren Stärke, in euren Träumen vom Frieden, die ganze Schönheit des Menschseins aufleuchtet.



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