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INTERNATIONALES KOLLOQUIUM

"THE CHURCH IN DIALOGUE. VATICANUM II TODAY"

ERÖFFNUNGSVORTRAG VON KARDINAL GERHARD MÜLLER

 

Brüssel, 26. Oktober 2014

1. Vorbemerkungen

Exzellenzen, verehrte Mitbrüder, sehr geehrte Herren Rektoren und Verantwortliche der Omnes gentes-Konferenz, meine sehr geehrten Damen und Herren,

es ist mir eine besondere Freude, zu Ihnen am Beginn des Kongresses „Kirche im Dialog – Vatikanum II heute“ sprechen zu können. Ich danke Ihnen für die Begrüßung und einleitenden Worte. Mein Dank gilt der Belgischen Bischofskonferenz, der Katholieke Universiteit Leuven und der Université Catholique Louvain für die ehrenvolle Einladung, die ich gerne angenommen habe, weil ich um die Bedeutung dieser beiden katholischen Universitäten im Raum der theologischen Wissenschaften weiß, und weil ich als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre davon überzeugt bin, daß das Thema, unter das sie diese Tagung gestellt haben, für die Kirche – und nicht nur für sie – von großer Bedeutung ist.

In diesem Jahr gedenken wir des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges vor einhundert Jahren, der über die Stadt Löwen und ihre Universität bereits in den ersten Wochen, nämlich Ende August 1914, Tod und Verwüstung brachte. Das Erschrecken darüber, daß Länder mit jahrhundertelanger christlicher Tradition über andere ebenfalls christlich geprägte Völker in einer solch barbarischen Weise herfallen konnten, führte, wie wir wissen, in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg unter wachen und hellsichtigen Christen zu einem neuen Nachdenken über die Kirche[1], zu einer Reflexion, die, selbst wenn sie noch durch ein tiefes Tal des Leidens und der Reinigung hindurch reifen mußte, in jene Ekklesiologie mündete, die das Zweite Vatikanische Konzil formuliert hat.

2. „Dialog“ als Element in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils

a. Anmerkungen zur theologischen Qualifikation der Konzilstexte

Ich möchte am Beginn dieses Kolloquiums „Kirche im Dialog“ vor allem den Begriff des „Dialogs“ aufgreifen, um eine gewisse Grundlage zu schaffen für die vorgesehenen detaillierten Überlegungen zu den einzelnen Dokumenten des Vatikanum II.

Dabei ist im Blick auf die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils zuerst festzuhalten, daß sie natürlich eine große Bandbreite an theologischen Sprachformen aufweisen, deren Polarität etwas vereinfachend zwischen „dialogisch“ und „doktrinal“ bzw. „dogmatisch“ aufgeteilt wird. Diese Vielfalt der Sprache ergab sich zum einen aus der Fülle der unterschiedlichen Themen, die das Konzil bearbeitete, zum anderen aus der Intention des Konzils, wie sie ihm vom hl. Johannes XXIII. von der ersten Ankündigung an im Januar 1959 zugedacht war und wie er sie in der berühmten Eröffnungsansprache Gaudet Mater Ecclesia am 11. Oktober 1962 entfaltete[2]: Das depositum fidei, das war seine Vorgabe, sollte unversehrt bewahrt und erklärt werden, aber dies sollte gerade dadurch geschehen, daß die Gegenwart in den Blick genommen wird, und daß die Lehre erforscht und ausgelegt wird, „wie es unsere Zeit verlangt“.

So waren von Anfang an die lehramtliche Aufgabe, der missionarische Auftrag und die pastorale Ausrichtung des Konzils miteinander verschränkt. Allerdings war das Programm leichter formuliert als in den Details durchzuführen, und so ergaben sich in der Konzilsarbeit Auseinandersetzungen, die in manchen Dokumenten deutliche Spuren hinterlassen haben.

Die Varietät der Sprachformen erfordert zwar eine größere hermeneutische Aufmerksamkeit, sie entspricht aber von innen her dem Anliegen des Konzils: Die Konzilsväter haben sich der von Johannes XXIII. formulierten Gesamtaufgabe gestellt und gerade keine ausschließlich doktrinellen oder jurisdiktionellen Texte und dann dazu passend pastoral-praktische Texte zur Applikation geschaffen. In allen Dokumenten sind die verschiedenen Dimensionen präsent, freilich entsprechend der Eigenart der Texte in je unterschiedlicher Dichte. Eine aufmerksame Lektüre der Konzilsdokumente zeigt, daß sich ein Antagonismus zwischen einer ausschließlich „pastoralen“ Sicht der Wirklichkeit und dogmatischen Formulierungen bzw. zwischen rein doktrinellen, sozusagen exklusiv nach innen gerichteten Texten und rein „dialogischen“ Dokumenten nicht auf das Konzil berufen kann. Gerade einen solchen Dualismus wollte das Konzil überwinden, indem es das überlieferte Glaubensgut so formulierte, daß es auch heute wahrgenommen werden kann.

Deswegen kann auch nicht ein einzelner Text oder eine einzelne Gattung unabhängig von anderen zur Gesamtkennzeichnung des Zweiten Vatikanischen Konzils herangezogen werden, wie es bisweilen mit der Pastoralkonstitution Gaudium et spes geschah, die von einigen Theologen als das eigentliche Vermächtnis des Konzils betrachtet wurde, das die dogmatischen Texte relativiere.[3]

b. Die Verschränkung „dogmatischer“ und „dialogischer“ Aussagen in der Thematik der Mission

Wir können die Verschränkung der Ebenen, auch der sprachlichen, sehr deutlich an der Thematik zeigen, die vom Gesamtthema dieses Kolloquiums her nahe liegt, nämlich an der Missionsthematik. Sie wird ausführlich in zwei Dokumenten des Konzils behandelt, nämlich im Missionsdekret Ad gentes selber, aber auch – und dafür grundlegend – in der dogmatischen Konstitution über die Kirche Lumen gentium.

Betrachten wir zunächst die Kirchenkonstitution. Lumen gentium bietet ein ganzes Bündel von Reflexionen zur Missionsfrage, die sich um das große Thema der Katholizität der Kirche herumgruppieren. Der Gedanke des Gottesvolkes führt mit einer inneren Logik zu einer Theologie Israels, einer Theologie der Mission und der Religionen. Diese Theologie der Konstitution über die Kirche strahlte weit in die anderen Dokumente hinein, die diese Fragen dann eigens behandeln. Es kann auch nicht anders sein: Ohne das Wissen, wer die Kirche, wer das Volk Gottes ist, was ihr Wesen und Auftrag von Gott her ist, kann man gar nicht sagen, in welchem Verhältnis Ecclesia und Synagoge stehen, was die Religionen sind und warum der Kirche eine wesensmäßige missionarische Dimension zukommt. In der Theologie der Mission müssen Ekklesiologie, Eschatologie und Schöpfungstheologie zusammenfließen.

Die Leitidee der Missionstheologie in Lumen gentium ist der Gedanke der Sammlung des Gottesvolkes:

„Zum neuen Gottesvolk werden alle Menschen gerufen. Darum muß dieses Volk eines und ein einziges bleiben und sich über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin ausbreiten“, so beginnt programmatisch Artikel 13.

Besonders in den Artikeln 13 bis 17, die dieser Thematik gewidmet sind, ist auffallend, wie sehr sich biblische, patristische und lehramtliche Bezüge verschränken. Lumen gentium wollte keine neue Ekklesiologie einführen, aber es hat das, was man etwas despektierlich „Enzyklikentheologie“ nannte, also den fast ausschließlichen Bezug auf das Lehramt der vorausgehenden Jahrzehnte, deutlich überwunden, in dem es die Tradition wieder in ihrem ursprünglichen Sinne, nämlich als Entfaltung des ganzen Verstehensprozesses der Schrift gefaßt hat, zu dem schon die Schrift selber, in besonderer Weise aber die Kirchenväter gehören. Damit hat es einen tieferen Traditionsbegriff wiedergefunden und den Zugang zu dem reichen Schatz einer Theologie eröffnet, die durch die Nähe zur Zeit Jesu und der Apostel, durch das Martyrium (als einem besonderen Ort der Wahrheitsbezeugung) und durch die noch bewahrte kirchliche Einheit von Ost und West eine besondere Authentizität besitzt.

Aus diesen Quellen schöpfend kann die dogmatische Kirchenkonstitution in Artikel 13 nicht weniger zuversichtlich und weltzugewandt als die Pastoralkonstitution sagen:

„In allen Völkern der Erde wohnt also dieses eine Gottesvolk, da es aus ihnen allen seine Bürger nimmt, Bürger eines Reiches freilich nicht irdischer, sondern himmlischer Natur. Alle über den Erdkreis hin verstreuten Gläubigen stehen mit den übrigen im Heiligen Geiste in Gemeinschaft, und [so sagt der Text mit einem Zitat des hl. Johannes Chrysostomus] so weiß ‚der, welcher zu Rom wohnt, daß die Inder seine Glieder sind‘. Da aber das Reich Christi nicht von dieser Welt ist (vgl. Joh 18,36), so entzieht die Kirche oder das Gottesvolk mit der Verwirklichung dieses Reiches nichts dem zeitlichen Wohl irgendeines Volkes. Vielmehr fördert und übernimmt es Anlagen, Fähigkeiten und Sitten der Völker, soweit sie gut sind. Bei dieser Übernahme reinigt, kräftigt und hebt es sie aber auch. Sie ist dessen eingedenk, daß sie mit jenem König sammeln muß, dem die Völker zum Erbe gegeben sind (vgl. Ps 2,8)…“ (Art. 13).

Es gibt kaum eine schönere Formulierung als dieses cum illo Rege colligere debere, „mit jenem König sammeln müssen“, das die Bestimmung der Kirche zur Sammlung der Völker, zur Mission umschreibt.

Wir haben gesagt, daß die Missionstheologie, die sich in Lumen gentium äußert, auch in andere Dokumente hineinwirkte. Im eigentlichen Missionsdekret Ad gentes ist diese Verbindung vielfach sichtbar. Ad gentes ist, äußerlich betrachtet auf Grund seiner Entstehungsgeschichte, aber im wesentlichen aufgrund seiner Thematik mehr als andere Dokumente von einer solchen Vielzahl von Verweisen auf Lumen gentium, Sacrosanctum Concilium, Dei Verbum und andere Texten durchzogen, daß man wirklich von einer gegenseitigen Durchdringung der „dialogischen“ und der dogmatischen Dimension sprechen kann. Kapitel I mit der theologischen Grundlegung bietet in geradezu überbordender Weise eine Fülle von Väterzitaten und Hinweisen auf die patristische Theologie und realisiert somit für seine Thematik das erneuerte Traditionsverständnis des Konzils. Als eines der zuletzt verabschiedeten Dokumente des Konzils betreibt es bereits eine innerkonziliare Rezeption, indem es in über 90 Aussagen zehn Dokumente des Vatikanum II wörtlich zitiert oder auf sie hinweist; davon sind allein 55 Zitate bzw. Verweise aus Lumen gentium entnommen.

Spuren einer konziliaren Missiologie finden wir ebenfalls in der Liturgiekonstitution, wo es um die mögliche Aufnahme von Elementen der Initiation aus nichtchristlichen Kulturen oder von bislang fremden Musiküberlieferungen in den christlichen Ritus geht (Sacrosanctum Concilium, Art. 65 und 119).[4]

Auch im Dekret über Dienst und Leben der Priester, das dogmatisch einer der interessantesten Texte des Konzils ist, werden Lehre und Praxis eng miteinander verbunden. Die sakramententheologische Vertiefung des Priestertums durch das Dekret führt in eine Beschreibung der zentralen priesterlichen Aufgabe, die mit den Begriffen Sammlung und Verkündigung umschrieben werden (Presbyterorum ordinis, Art. 4) und als dialogisch und missionarisch definiert werden kann.[5]

c. Eine Theologie des Dialogs nach Dei Verbum

Solche Beobachtungen, die sich noch durch etliche weitere vermehren ließen, zeigen, daß die Darstellung der Lehre im engeren Sinne nicht von der missionarischen und nicht von der dialogischen Dimension der Verkündigung zu trennen sind. Dort, wo Konzilstexte inhaltlich den Bezug zu anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, zur säkularen Gesellschaft oder zu den Religionen reflektieren und sich auch sprachlich deutlicher nach außen wenden, geht es nicht um eine verschleierte kirchliche Propaganda oder um ein katholisches Marketing, das sich durch Anpassung an die Zeit oder fremde Kulturen besser verkaufen möchte, sondern es geschieht aus dem dialogischen Charakter der Heilsgeschichte selbst, wie er vor allem in der dogmatischen Konstitution über die Offenbarung Dei Verbum dargestellt wird. Den eigentlichen Grund dafür, daß die Kirche „im Dialog“ sein muß, finden wir nicht in der Kommunikationswissenschaft, sondern in der Struktur der Heilsgeschichte, wie sie Dei Verbum eindrücklich im Vorwort und in Kapitel I entfaltet.

René Latourelle zeigte schon sehr früh in einer Detailstudie zum Offenbarungsbegriff des Konzils, wie sehr das Vatikanum II eine umfassende heilsgeschichtliche Schau der Offenbarung bietet.[6] Latourelle verglich bekanntermaßen die entsprechenden Passagen aus Dei Verbum, Art. 2 und Dei Filius (DH 3004) und konnte aufweisen, daß Dei Verbum, die Impulse der neueren Theologie aufnehmend, zu einem wesentlich dialogischen Verständnis der Offenbarung gefunden hatte. Die Eingangspassage von Dei Verbum sagt:

„Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun (vgl. Eph 1,9): daß die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph 2,18; 2 Petr 1,4). In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Kol 1,15; 1 Tim 1,17) aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (alloquitur) (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14-15) und verkehrt mit ihnen (conversatur) (vgl. Bar 3,38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.“

Alloquī und conversare sind die Signalwörter dieses dialogischen Elementes der Offenbarung, das noch einmal in Dei Verbum, Art. 8 aufgenommen wird, wenn das Konzil sagt:

„So ist Gott, der einst gesprochen hat, ohne Unterlaß im Gespräch (colloquitur) mit der Braut seines geliebten Sohnes, und der Heilige Geist, durch den die lebendige Stimme des Evangeliums in der Kirche und durch sie in der Welt widerhallt, führt die Gläubigen in alle Wahrheit ein und läßt das Wort Christi in Überfülle unter ihnen wohnen (vgl. Kol 3,16).“

Nicht zu übersehen ist, daß in Artikel 21 und 25 dieses Verständnis wiederholt wird, wenn das Konzil die Schriftlesung in beeindruckender Klarheit als colloquium inter Deum et hominem (Art. 25) beschreibt. Gott kommt in der Bibel seinen Kindern entgegen und – so wörtlich – „nimmt mit ihnen das Gespräch auf“ (Art. 21). Damit ist zum einen ein Verständnis der Heiligen Schrift als rein historisch zu untersuchendes Dokument überwunden. Es kann in der Exegese letztlich nicht nur darum gehen, die ipsissima vox Jesu historisch aus einem Überbau von Deutungen herauszufiltern, sondern das präsente Wort Gottes, die viva vox Evangelii, die heute zum Volk Gottes spricht, vernehmbar zu machen. Zum anderen ist schon eine Theologie des Dialogs skizziert, die sich ganz von der Offenbarung des Wortes Gottes her entfaltet.

3. Beispiele einer Theologie des Gesprächs in der Heiligen Schrift

a. Gott spricht mit seinen Geschöpfen

Wie kommt Dei Verbum zu einem solchen Verständnis, das die Geschichte Gottes mit seinem Volk, ja in gewisser Weise mit der Menschheit, als „Gespräch“ auffaßt? Wir wissen, wie viele theologische Ströme in das Zweite Vatikanische Konzil eingeflossen sind, es vorbereitet haben: Die liturgische Bewegung, die ökumenischen Bemühungen, patristische Forschungen und – wenn wir näher auf die Offenbarungskonstitution blicken – die Entwicklung der modernen Bibelexegese sowie das personalistische Denken.[7]

Heute, im Abstand von fünfzig Jahren, sehen wir auch wieder deutlicher die Bedeutung des Pontifikates Pauls VI. In seiner Enzyklika Ecclesiam Suam vom August 1964[8], die das Konzil begleitete, ohne ihm vorzugreifen, entfaltet Paul VI. eine eigene Theologie des Dialogs, in der er in einer großen geistigen Weite und Offenheit Eigenschaften und Kriterien des Gesprächs beschreibt. Zentral ist dabei der Gedanke, daß jede Theologie des Dialogs im Gespräch Gottes mit den Menschen ihr Vorbild hat: „Die Heilsgeschichte“, so sagt Ecclesiam Suam, „erzählt diesen langen und vielgestaltigen Dialog, der von Gott ausgeht und zu einer wunderbar vielgestaltigen Zwiesprache mit dem Menschen wird“ (Nr. 70).

Dei Verbum hat, diese Einflüsse aufgreifend, faktisch den Terminus „Gespräch“ – wir können ohne Schwierigkeiten auch sagen: die Kategorie „Dialog“ – zu einem bevorzugten offenbarungstheologischen Paradigma gemacht, weil das Studium der Heiligen Schrift im 20. Jahrhunderts doch sehr deutlich gezeigt hat, daß sich die ganze bezeugte Heilsgeschichte im Miteinander von Wort und Tat vollzieht (vgl. Dei Verbum, Art. 2).[9]

Die gesta et verba haben eine christologische Mitte, den inkarnierten Logos, das Wort selber, Jesus Christus und seine Worte und Taten. Deswegen kommt dem Gespräch in der Geschichte Gottes mit den Menschen eine besondere Bedeutung zu. Wir können hier keine Theologie des Wortes entfalten, aber es ist einsichtig, daß dem Wort und dem Gespräch in der biblischen Geschichte von den Schöpfungserzählungen an eine herausragende Rolle zukommt. Gott erschafft durch das Wort (vgl. Gen 1,3 u.a.) und schafft sich im Menschen ein Wesen „uns ähnlich“ (Gen 1,27). Von da an spricht Gott nicht mehr nur zur Schöpfung, sondern auch mit ihr, mit diesem Geschöpf Mensch. Von da an entwickelt sich ein beständiges Gespräch mit „dem Menschen“, das in Abraham zum ersten Mal an einer individuellen Gestalt gezeigt wird.

b. Das Gespräch Abrahams mit Gott

Wir brauchen nur auf die berühmte Erzählung vom Rettungsversuch zu blicken, den Abraham für die verruchte Stadt Sodom unternimmt (vgl. Gen 18,16-33). Der biblische Text bietet zunächst ein Selbstgespräch Gottes: Wenn auf Abraham die Verheißung gelegt ist, zu einem neuen Volk zu werden, das segensreich für die anderen Völker sein soll, dann muß Abraham die Schritte des göttlichen Planes verstehen: „Soll ich Abraham verheimlichen, was ich vorhabe?“ (Gen 18,17). Abraham wird Partner und Mitwisser, so schildert es die Erzählung.

Das Gespräch, das Abraham daraufhin mit Gott beginnt, ist kein Handel. Abraham hat nichts, das er anbieten könnte gegen das Urteil über die lästerliche Stadt. Aber es ist ein ernsthafter Disput, in dem Abraham unablässig argumentiert. Wie später die Hiobdichtung zeigt auch der Dialog zwischen Abraham und Gott, daß der Mensch das Verhalten Gottes in Frage stellen darf. In der Rede Abrahams zeigt sich die spätere Glaubenserfahrung Israels, daß der gottesfürchtige Mensch keine Marionette ist.

Seinen Höhepunkt und gleichzeitig seine inhaltliche Erfüllung erfährt dieses Gespräch im Opfer Isaaks oder, wie wir mit dem Judentum sagen, in der Akedá, der Bindung Isaaks (Gen 22,1-19).[10] Hier wird endgültig deutlich, daß der Dialog mit Gott nicht ein Austausch von Argumenten unter zwei Geschäftspartnern ist. An Abraham wird sichtbar, daß der Glaube im Hinhören besteht auf das, was Gott will. Der Glaube steigt nicht als ein erhabenes Bewußtsein aus der Tiefe einer Seele empor, sondern er kommt als Anforderung und Anspruch von außen auf den Menschen zu. Glauben bedeutet: Hinhören auf den Willen Gottes und ihn tun. Das Gespräch mit Gott ist nicht ein Vorspiel, das überflüssig wäre, weil der Mensch ohnehin gehorchen muß. Gott sucht die Zustimmung des Menschen, und der Mensch, der sucht und sein Leben von dieser Suche verändern läßt, erfährt die Prüfungen und den Segen des Glaubens.

Die Torà Israels ist keineswegs ein im Befehlston aufgezwungenes Gesetz, sondern, wie vor allem Gerhard von Rad erarbeitet hat, von Gott an den Menschen herangetragene „Paränese“: Mahnung und Werbung.[11] Gott überrollt die menschliche Freiheit nicht, sondern zieht sie zu sich hin: „Und nun, Israel, was erbittet der Herr, dein Gott, von dir [außer dem einen]: daß du den Herrn, deinen Gott, fürchtest, indem du auf all seinen Wegen gehst, ihn liebst, und der Herr, deinem Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dienst…“ (Dtn 10,12).

Der Dialog ist Ausdrucksform der Suche, die auf Seiten des Menschen zur Offenbarung gehört. Die Heilsgeschichte ist umgekehrt nicht die Dimension einer willkürlichen Wahl, sondern die Frucht einer Suche und eines freien Erbarmens. Irenäus von Lyon sagt, daß Abraham, bereits bevor er die Stimme Gottes hörte, ihn „mit brennender Sehnsucht im Herzen“ suchte und, „indem er sich fragte, wo Gott sei, die ganze Welt durchstreifte“, bis dieser Erbarmen mit ihm hatte und zu ihm sprach.[12] Papst Franziskus hat dieses Wort in seiner Enzyklika Lumen fidei zitiert.[13] Die Suche Abrahams und die Entschiedenheit, sein Leben von dieser Suche her umstellen zu lassen, bilden die menschliche Korrespondenz, gleichsam „von unten her“, zur Offenbarung.

c. Maria und Jesus

Das Zeugnis des Neuen Testamentes schreibt dieses Glaubensverständnis fort. Es kulminiert in Maria und in Jesus, dem „Urheber und Anführer des Glaubens“ (Hebr 12,2). Im Spiegel der Evangelien ist Jesu ganzes Leben ein beständiges Gespräch mit dem Gott Israels, dem „Vater im Himmel“, das seine Zuspitzung im Garten am Ölberg erfährt. In Getsemani und am Kreuz, in der vierfach verschiedenen Schilderung der Evangelisten, scheint das Sprechen mit Gott aber nur noch ein einseitiges Anreden zu sein und die Qualität des Dialogs zu verlieren, die es doch zu haben schien, seit bei der Taufe Jesu die Stimme vom Himmel sprach (vgl. Mk 1,9-11 parr.). Die Antwort auf die Dramatik der Passion und des Todes ist nicht mehr ein rein kommunikatives, sondern ein kreatives Wort, das, wie in der ersten Schöpfung, etwas Neues, den neuen Leib des Auferstandenen und der Gemeinde seiner Jünger schafft.

In seinem letzten Jesus-Band hat Papst Benedikt XVI. sehr anschaulich den Glauben Marias nachgezeichnet. Er erinnert daran, daß die lukanischen Verkündigungsszene mit dem Satz endet: „Dann verließ sie der Engel“ (Lk 1,38). Der Dialog zwischen dem Boten und Maria war kein Austausch über mögliche Heilswege Gottes, sondern – wie bei Abraham, dem „Vater des Glaubens“ (Mt 3,9; Röm 4,12) – eine Anfrage, die Entschiedenheit, Exodus und Opfer verlangt. Joseph Ratzinger deutet den Schlußsatz so: „Der Engel geht, die Sendung bleibt.“[14]

Im Spiegel der Gottessohnerzählungen der Religionen und der politischen Legenden von der Geburt des Herrschers zeigt sich die Nüchternheit und Aufgeklärtheit der biblischen Überlieferung: Es werden keine physischen Berührungen zwischen Gott und Mensch und keine kosmischen Phänomene berichtet. Vielmehr wird eine schlichte Geschichte erzählt, in deren Mittelpunkt als Fortwirkung des Gesprächs mit dem Engel der alles entscheidende Gehorsam Marias steht. „Es ist der Gehorsam Marias,“ sagt Benedikt XVI., „der Gott die Tür öffnet. Gottes Wort, sein Geist schafft in ihr das Kind. Er schafft es durch die Tür ihres Gehorsams.“[15]

Für den Glaubenden ist hier, neben dem Geschehen der Auferstehung, der Punkt, wo der Glaube sichtbar in die materielle Welt einwirkt. Hier ist der Unterschied zum philosophischen dialégomai am deutlichsten. Nicht in Frage und Antwort, nicht auf dem Weg reinen Denkens erreicht der Mensch den logos, die Idee. Es ist vielmehr die Zustimmung zu einer Wahl, die oboeditio fidei (vgl. Röm 5,19; 16,26), die das Wort Gottes in die Welt bringt.

4. Dialog und Kerygma

Sehr geehrte Damen und Herren! Unsere bisherigen Gedanken haben ein dreifaches Ergebnis zutage gefördert:

Erstens: Die heilsgeschichtliche Bewegung, wie sie in den Heiligen Schriften bezeugt ist, ist im wesentlichen eine dialogische Bewegung. Gott schickt die Weisheit zur Erde, und sie beginnt ein Gespräch „mit Jakob, dem Knecht, mit Israel, Gottes Liebling“ (vgl. Bar 3,38). Die Torah ist das gleichsam „die Aufzeichnung“ dieses Dialoges, dessen Gewinn Leben ist (vgl. Bar 4,1). Auch die neutestamentliche Predigt, obwohl sie nicht durchgehend als Dialog auftritt, enthält weitgehend dialogische Elemente, angefangen von den Streitgesprächen Jesu bis zum lehrend-werbenden Stil des Paulus. Immer soll den Menschen im Gespräch, in Frage und Antwort das Verstehen des Planes Gottes, des Wortes schlechthin, eröffnet werden.[16] Das Gottesvolk lebt aus diesem „Dialog“, es ist eine Frucht dieses Gesprächs, und es muß im Gespräch mit den Nichtchristen diese seine eigene dialogische Erfahrung bezeugen. Paul VI. sagt, die Kirche muß sich selber zum Dialog machen. Deswegen ist das Gespräch das vorzüglichste Mittel, den Weg der Kirche, die nächsten notwendigen Schritte zu finden.

Aber von der Glaubenserfahrung Israels und der Kirche her gibt es in ihr eben kein Parlament, das über Verfassungsfragen und Gesetze abstimmt. Es ist bemerkenswert, daß in der Septuaginta der allgemeingriechische Begriff ekklesia als Übersetzung des hebräischen kahal in der Versammlung am Sinai seinen Ursprungsplatz hat, wo er sich auch wesentlich verändert: in der biblischen Tradition bedeutet er nicht mehr wie in der griechischen Polis die Versammlung der waffenfähigen Männer, die über Krieg oder Frieden, Steuern und Hochverrat abstimmen, sondern die Volksversammlung, an der alle Israeliten, Männer, Frauen und Kinder teilnehmen, weil es nicht um eine Abstimmung über die Torah Gottes geht, sondern um ihre Annahme, um das Hören des Gotteswillens, das allen möglich ist: „Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun; wir wollen hören“ (Ex 24,7). Paulus verstand seinen Auftrag dahingehend, auch die Völker in diese Erfahrung hineinzuführen. Durch Jesus, so schreibt er zu Beginn seines Briefes an die römische Gemeinde, haben die Apostel „Gnade und Apostelamt erhalten, um auch die Heiden zum Gehorsam des Glaubens zu führen“ (Röm 1,5).

Damit treffen wir auf eine zweite Erkenntnis unserer Untersuchung: Auf das Wort vom Glaubensgehorsam, das freilich verstörend ist. Es scheint im Gegensatz zu stehen zu einem freien Gespräch. Aber in der Heilsgeschichte geht es nicht um einen heute oft geforderten „Dialog auf Augenhöhe“, was immer das sein mag. Auch ein Dialog zwischen Schüler und Meister ist, wenn es um ihre Sache, das Lehren und Lernen, geht, kein „Dialog auf Augenhöhe“. Die Zuneigung des Lehrers besteht ja gerade darin, daß er dem Schüler hilft, etwas zu erkennen, was er noch nicht weiß, im Wissen und der Erfahrung dorthin zu gelangen, wo er noch nicht war und wohin er sich aus sich heraus noch nicht vortraute.

Von daher versteht man drittens, warum im Neuen Testament und darin besonders in der Apostelgeschichte und den Briefen neben das Gespräch das Kerygma tritt. Das Kerygma wird neutestamentlich geradezu zu der Sprechform, in der die Wirksamkeit Jesu nach Ostern fortgeführt wird. Es umfaßt sowohl den Inhalt, das kerygma Iesou Christou (Röm 16,25), als auch formal die Verkündigung als Tun der Apostel, besonders des Paulus (1 Kor 2,4; 15,14). Das Kerygma ist auch der Ort, wo der Widerstand gegen Jesus und seine Zeugen aufbricht – etwas, was zum Weg der Kirche gehört und immer gehören wird. Schon in den Evangelien war Gespräch ja auch Streitgespräch, Auseinandersetzung und Unterscheidung.

„Kirche im Dialog“ heißt also, Menschen für dieses Gespräch zu öffnen, und ihnen durch das Zeugnis der Christen, die ihr Leben verwandeln ließen in der Begegnung mit dem Wort Gottes, eine wirkliche Alternative zu zeigen. Deswegen brauchen der Christ und die Kirche als Ganze keine Furcht vor dem Dialog haben. Auch der Protest derer, die ihr den Rücken kehren, das „Vielleicht“ der Agnostiker oder das „Nein“ der Atheisten können zur Reinigung der Kirche beitragen, denn die Sache der Theologie hängt mit der Sache des Lebens zusammen. Das Wort Gottes ist nicht Gewohnheit, sagt Tertullian, und es darf deswegen nicht „in einer in sich gerundeten Systemgestalt“[17] daherkommen, das das Wissen der Welt scheinbar gar nicht braucht und nicht abfragt. Papst Franziskus sieht in der Wahrnehmung der Not der Welt, auch der Not des Nichtglaubens, eine Kraft zur Erneuerung der Kirche.[18] Nicht anders hatte es Papst Benedikt XVI. gedacht, als er 2011 in Freiburg sagte: Die Geschichte mit ihren Brüchen und Einsprüchen kommt uns bei der Erneuerungsaufgabe der Kirche zu Hilfe.[19]

Nicht ein einseitig horizontaler Dialog hilft uns, nicht flache Dialogprozesse, die nur innerkirchliche Kataloge des Machbaren, Wünschenswerten und für die Mehrheit Akzeptablen zusammenstellen, sondern daß wir die Kirche wieder entdecken als das Gespräch Gottes mit seiner Braut. Dialog, Disput, Diskussion, aber auch Schweigen und Gebet gehören zur „Gesprächskultur“ der Kirche, weil nicht eine eloquente Mehrheit das Richtige findet, sondern weil die Kirche darauf vertraut, daß sich die Wahrheit den Hörenden erschließt. Die Einmütigkeit vieler Personen wurde immer als etwas Menschenunmögliches angesehen, und die Erfahrung der Kirche lehrt diese Wahrheit mit beschämender Anschaulichkeit. Und trotzdem gibt es eine Art Gespräch, das paradoxerweise im Hören besteht, in einer Überwältigung durch die Wahrheit.[20] Wie in einem aufrichtigen Dialog zwischen Menschen tragen auch die Worte dieses Gespräches, so sagt Papst Franziskus, „Anlagen in sich, die wir nicht voraussagen können. (…) Die Kirche muß diese unfaßbare Freiheit des Wortes akzeptieren.“[21]

5. Eine Anmerkung zur Rolle der Glaubenskongregation in einer dialogischen Kirche

Erlauben Sie mir am Schluß dieser Überlegungen noch eine Bemerkung zur Aufgabe des Lehramtes in der dialogischen Konzeption der Kirche. Für viele ist das Lehramt, besonders in der Gestalt der Kongregation für die Glaubenslehre, geradezu eine Einrichtung des Nicht-Dialoges und der Dialogverweigerung. Es scheint, daß das Lehramt mit seinem beständigen Rekurs auf die Einzigartigkeit und Universalität der Heilsbedeutung Jesu Christi und der Kirche wirkliche Dialoge verunmöglicht und mit dem hartnäckigen Verweis auf das Glaubensgut der Kirche immer wieder einen Verschlußdeckel auf die diskutierten Fragen drückt und so den Dialogen die Luft nimmt. Es ist hier nicht der Anlaß und die Zeit, die verschiedenen Vorbehalte zu beantworten. Ich möchte nur abschließend auf drei Kennzeichen des Lehramtes verweisen, die unmittelbar den Dialog betreffen.

Durch die Einführung flächendeckender digitaler Mobilfunknetze leben wir seit etwa fünfundzwanzig Jahren in einem Raum unbegrenzter synchroner Kommunikation; wenn wir die Erfindung des Telephons hinzunehmen, ist dieser Prozeß seit etwa 140 Jahren im Gange. Die Entgrenzung durch die technischen Mittel brachte eine nie gekannte Aufwertung der mündlichen und schriftlichen zeitgleichen Kommunikation, des Gesprächs mit den jetzt lebenden Menschen mit sich, und zugleich – wie jede inflationäre Entwicklung – auch einen Wertverlust des Wortes, oder besser: der Wörter, die gesprochen werden. Damit ist eine kirchliche Dimension noch wichtiger geworden, die früher vielleicht selbstverständlich erschien: Denn die Kirche ist immer mehr als die momentan Sprechenden. Zu ihr gehören auch alle, die heute nicht reden können, wie zum Beispiel jene 100 Millionen Christen weltweit, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden. In Ecclesiam Suam sprach Paul VI. von der verfolgten Kirche als der „Kirche des Schweigens“, die nur durch das Leiden redet.[22] Zu ihr gehören auch jene, die sich nur schwer artikulieren können, die ihren Glauben in vielleicht sehr einfacher Weise leben, und doch eine Stimme haben: die Stimme ihrer Taten und ihres Gebetes. Zur Kirche gehören aber auch jene, die nicht mehr unter uns leben. Die Schweigenden, die Sprechenden und Schreibenden vergangener Jahrhunderte, besonders die Heiligen. Diese Glaubenden früherer Zeiten waren nicht nur früher die Kirche, sie sind auch die Kirche heute. Sie gehören zur Kirche, deren Katholizität Raum und Zeit umfaßt, die synchron und diachron universal ist. Der Verbindung der Christen über die Generationen hinweg entspricht eine ununterbrochene Kette der Tradition, die auch von einem Konzil zum anderen führt und das Glaubenswissen des Gottesvolkes fortschreibt.

Die Aufgabe des Lehramtes besteht nun unter anderem darin, diesen Faden zu den Glaubenden aller Zeiten und Räume nicht abreißen zu lassen, den Stimmen der Geschichte und den stummen oder leisen Stimmen der Gegenwart Gehör zu verschaffen, auch wenn sie nicht so leicht mit dem Smartphone oder per Mail erreichbar sind wie die heute in Amerika oder Asien Lebenden.

Nicht zuletzt erinnert die Glaubenskongregation an die Koordinaten des Gesprächs zwischen Gott und Mensch, die ich mit den Beispielen aus der Schrift wenigstens andeuten wollte, und übersetzt sie für die Praxis der Kirche und der Theologie heute. Dem für den Menschen definitiven Reden Gottes muß auch eine Verbindlichkeit im Wort der Kirche entsprechen. Wo allein das moderne Verständnis zweier unabhängiger Gesprächspartner vorherrscht, die ein „ergebnisoffenes Gespräch“ über das führen, was als wahr und richtig zu gelten hat, kommt fast unabwendbar der Eindruck auf, daß kein „Dialog“ geführt worden sei.

Das bedeutet auch als drittes: Weil die Kirche tatsächlich weit ausgespannt ist, kann unsere Arbeit nur im Team und das heißt: im Gespräch, im Austausch mit den theologischen Strömungen und im Aufeinanderhören geleistet werden. Dies zeigt sich in der Arbeitsweise der Glaubenskongregation, die mit der Aufgabe betraut ist, „die Glaubens- und Sittenlehre in der ganzen katholischen Kirche zu fördern und zu schützen,“[23] und zwar im Namen und mit der Vollmacht des Papstes.[24] Die Glaubenskongregation arbeitet auf allen Ebenen kollegial und dialogisch: Anstehende Fragen werden laufend von Sachbearbeitern (etwa 40 Personen aus allen Kontinenten) geprüft und in einer wöchentlichen Sitzung mit den Oberen der Kongregation einer Entscheidung zugeführt. Schwierigere Angelegenheiten werden den circa 25 Konsultoren vorgelegt, die sich regelmäßig treffen, um diese Fragen theologisch zu erörtern und zu klären. Die grundlegenden Entscheidungen werden von den Mitgliedern der Glaubenskongregation (etwa 30 Kardinäle und Erzbischöfe) in der monatlichen Versammlung getroffen und vom Präfekten in einer eigenen Audienz dem Papst vorgelegt. Auch die beiden der Glaubenskongregation zugeordneten Kommissionen spielen eine große Rolle: die Päpstliche Bibelkommission (etwa 20 Mitglieder) sowie die Internationale Theologenkommission (etwa 30 Mitglieder). So versuchen wir, unsere Aufgaben in der Glaubenskongregation auch in einer dialogischen Struktur zu erfüllen und hoffen, daß diese tägliche Arbeit der „Kirche im Dialog“ und so letztlich dem eigentlich wichtigen Gespräch inter Deum et hominem dienen möge. Dies ist auch mein Wunsch für die kommenden Tage dieses Kongresses.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

 

[1] Beispielhaft: R. Guardini, Vom Sinn der Kirche, Mainz 1922; O. Dibelius, Das Jahrhundert der Kirche, Berlin 1926.

[2] Johannes XXIII., Ansprache zur Eröffnung des Zweiten Ökumenischen Vatikanischen Konzils, 11. Oktober 1962, in: AAS 54 (1962), 786–795.

[3] Vgl. K. Koch, Was bedeutet heute «Reform» der katholischen Kirche in der Schweiz? Zur Lage der Konzilsrezeption, in: SZRKG, 103 (2009), 273–301; bes. 285.

[4] Im selben „pastoralen Geist“ wie schon Lumen gentium weist Sacrosanctum Concilium zurück, daß die Kirche eine rigida forma unius tenoris in der Liturgie durchsetzen wolle. Statt dessen soll sie unter anderem durch die Integration nichtchristlicher Kulturen in den christlichen Gottesdienst „das glanzvolle geistige Erbe der verschiedenen Stämme und Völker“ (Art. 37) pflegen und fördern.

[5] „Das Volk Gottes wird an erster Stelle geeint durch das Wort des lebendigen Gottes, das man mit Recht vom Priester verlangt“ (Presbyterorum ordinis, Art. 4). Mit dem Missionsbefehl in der markinischen Fassung – „Gehet hin in alle Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen“ (Mk 16,15) – wird es als „die erste Aufgabe der Priester“ (Art. 4) bezeichnet, als Mitarbeiter der Bischöfe allen Menschen die frohe Botschaft zu verkünden. Das hier entworfene Priesterbild – neben dem es im Konzil weitere Akzentuierungen gibt – sieht den Priester nicht vom rein Kultischen her, sondern vom Dienst der Versammlung des Gottesvolkes und der Verkündigung, die in der eucharistischen Versammlung zusammenkommen; vgl. auch: J. Ratzinger, Konzilsaussagen über die Mission außerhalb des Missionsdekretes, in: JRGS Bd. 7/2, 919-951.

[6] R. Latourelle, La Révélation et sa transmission selon la constitution « Dei Verbum », in: Gr 47 (1966), 1-40; vgl. J. Ratzinger, Einleitung und Kommentar zum Prooemium, zu Kapitel I, II und VI der Offenbarungskonstitution „Dei Verbum“, in: JRGS 7/2, 715-791; 736.

[7] Vgl. J. Ratzinger, Einleitung, 736.

[8] Paul VI., Enzyklika Ecclesiam Suam über die Kirche, ihre Erneuerung und ihre Sendung in der Welt, 6. August 1964, in: AAS 56 (1964) 609-659.

[9] „Das Offenbarungsgeschehen ereignet sich in Tat und Wort, die innerlich miteinander verknüpft sind.“

[10] Die Glaubensprobe Abrahams findet in der Weisheitsliteratur (Weish 10,5; Sir 44,20), im Brief an die Römer (Röm 4,9) und besonders im Hebräerbrief (Hebr 11,17 f.) ein starkes Echo. In der rabbinischen wie auch in der patristischen Tradition findet sich eine Fülle von Auslegungen, die alle um das Wunder dieses Glaubens kreisen. Am eindringlichsten hat Sören Kierkegaard in seiner 1843 erschienenen Schrift „Furcht und Zittern“ den Glaubensbegriff an Beispiel der Isaak-Erzählung entfaltet.

[11] Vgl. G. von Rad, Das fünfte Buch Mose – Deuteronomium (=ATD 8), Göttingen 41983, 57; 59.

[12] Vgl. Irenäus von Lyon, Demonstratio apostolicae praedicationis, 24 SC 406 117

[13] Vgl. Franziskus, Enzyklika Lumen fidei, Nr. 35.

[14] J. Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth. Prolog: Die Kindheitsgeschichten, Freiburg – Basel – Wien 2012, 47.

[15] A.a.O. 64.

[16] Vgl. J. Ratzinger, Weltoffene Kirche, 992.

[17] J. Ratzinger, Weltoffene Kirche, 987.

[18] Vgl. Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), Nr. 1. Kapitel.

[19] Vgl. Benedikt XVI., Begegnung mit engagierten Katholiken aus Kirche und Gesellschaft im Konzerthaus, 25. September 2011.

[20] Vgl. J. Ratzinger, Zur Lage der Ökumene, in: ders., Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio. Festgabe zum 75. Geburtstag, hrsg. vom Schülerkreis, Augsburg 2002, 220-234; 224.

[21] Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, Nr. 22.

[22] Paul VI., Enzyklika Ecclesiam Suam, Nr. 107.

[23] Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Pastor bonus, Art. 48.

[24] II. Vatikanisches Konzil, Dekret Christus Dominus, Art. 9.

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