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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 30. September 2009

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Apostolische Reise in die Tschechische Republik

Liebe Brüder und Schwestern!

Wie es nach den internationalen Apostolischen Reisen üblich ist, nütze ich die Gelegenheit der heutigen Generalaudienz, um über die Pilgerreise zu sprechen, die ich in den vergangenen Tagen in die Tschechische Republik unternommen habe. Ich tue das vor allem als Dank an Gott, der mir gestattet hat, diesen Besuch zu machen, und ihn reichlich gesegnet hat. Es ist eine echte Pilgerreise und gleichzeitig eine Mission im Herzen Europas gewesen: eine Pilgerreise, weil Böhmen und Mähren seit über einem Jahrtausend Boden des Glaubens und der Heiligkeit sind; eine Mission, weil es für Europa notwendig ist, in Gott und in seiner Liebe das feste Fundament der Hoffnung wiederzufinden. Es ist kein Zufall, wenn die Heiligen, die jenen Völkern das Evangelium gebracht haben, Cyrill und Methodius, zusammen mit dem hl. Benedikt Patrone Europas sind. »Die Liebe Christi ist unsere Kraft«: Das war das Leitwort der Reise, eine Aussage, in der der Glaube so vieler heldenhafter Zeugen der fernen und jüngsten Vergangenheit widerhallt – ich denke dabei insbesondere an das letzte Jahrhundert –, die aber vor allem die Gewißheit der Christen von heute darstellen möchte. Ja, unsere Kraft ist die Liebe Christi! Eine Kraft, welche die wahren, friedlichen und befreienden Revolutionen inspiriert und beseelt und uns in den Augenblicken der Krise stützt, indem sie uns gestattet, uns wiederaufzurichten, wenn die mühsam wiedergewonnene Freiheit Gefahr läuft, sich selbst, die ihr eigene Wahrheit, zu verlieren.

Die Aufnahme, die ich erfahren habe, ist herzlich gewesen. Der Präsident der Republik, dem ich noch einmal meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringe, wollte bei verschiedenen Gelegenheiten anwesend sein und hat mich zusammen mit meinen Mitarbeitern in seiner Residenz, der historischen Burg der Hauptstadt, mit großer Herzlichkeit empfangen. Die ganze Bischofskonferenz, insbesondere der Kardinalerzbischof von Prag und der Bischof von Brünn, haben mich mit großer Wärme das tiefe Band spüren lassen, das die tschechische katholische Gemeinde mit dem Nachfolger des hl. Petrus vereint. Ihnen danke ich auch dafür, daß sie die liturgischen Feiern so sorgfältig vorbereitet haben. Ich danke auch allen zivilen und militärischen Autoritäten und allen, die auf unterschiedliche Weise zum guten Gelingen meines Besuchs zusammengearbeitet haben.

Die Liebe Christi hat ihre Offenbarung im Gesicht eines Kindes begonnen. Nach der Ankunft in Prag war meine erste Etappe die Kirche St. Maria »vom Siege«, wo das Jesuskind verehrt wird, das als »Prager Jesulein« bekannt ist. Jenes Bild verweist auf das Geheimnis des menschgewordenen Gottes, auf den »nahen Gott«, Grund unserer Hoffnung. Vor dem »Prager Jesulein« habe ich für alle Kinder, für die Eltern, für die Zukunft der Familie gebetet. Der wahre »Sieg«, um den wir heute Maria bitten, ist der Sieg der Liebe und des Lebens in der Familie und in der Gesellschaft!

Die Prager Burg, die unter einem historischem und architektonischem Gesichtspunkt außerordentlich ist, regt zu einer weiteren und allgemeineren Überlegung an: Sie umfaßt auf ihrem sehr großen Gelände vielfältige Monumente, Bereiche und Einrichtungen, so daß sie gleichsam eine »polis« darstellt, in der die Kathedrale und der Palast, der Platz und der Garten harmonisch miteinander leben. So konnte in eben jenem Rahmen mein Besuch den zivilen und den religiösen Bereich berühren, die einander nicht entgegengesetzt sind, sondern sich in harmonischer Nähe voneinander unterscheiden. Als ich meine Ansprache an die politischen und zivilen Autoritäten und an das Diplomatische Korps richtete, wollte ich daher die Aufmerksamkeit auf das unauflösliche Band richten, das immer zwischen Freiheit und Wahrheit bestehen muß. Vor der Wahrheit braucht man keine Angst zu haben, weil sie dem Menschen und seiner Freiheit wohlgesonnen ist; ja, allein in der aufrichtigen Suche nach dem Wahren, Guten und Schönen kann man den jungen Menschen von heute und den kommenden Generationen eine Zukunft bieten. Im übrigen, was zieht so viele Menschen nach Prag, wenn nicht seine Schönheit, eine Schönheit, die nicht nur ästhetisch, sondern auch historisch, religiös und in einem weiten Sinn menschlich ist? Wer im Bereich der Politik und der Erziehung Verantwortung ausübt, muß es verstehen, aus dem Licht jener Wahrheit zu schöpfen, die der Widerschein der ewigen Weisheit des Schöpfergottes ist; und er ist dazu berufen, davon selbst mit dem eigenen Leben Zeugnis zu geben. Nur ein ernsthafter Einsatz intellektueller und moralischer Redlichkeit ist des Opfers all derer würdig, die einen teuren Preis für die Freiheit gezahlt haben!

Symbol dieser Synthese zwischen Wahrheit und Freiheit ist die herrliche Kathedrale von Prag, die den heiligen Vitus, Wenzel und Adalbert geweiht ist, wo die Feier der Vesper mit den Priestern, Ordensleuten, Seminaristen und einer Vertretung der in den kirchlichen Vereinen und geistlichen Bewegungen engagierten Laien stattgefunden hat. Für die Gemeinschaften des östlichen Mitteleuropa ist dies ein schwieriger Moment: Zu den Folgen des langen Winters des atheistischen Totalitarismus kommen die schädlichen Auswirkungen eines gewissen westlichen Säkularismus und Konsumismus hinzu. Daher habe ich alle dazu ermuntert, immer neue Energien aus dem auferstandenen Herrn zu schöpfen, um Sauerteig des Evangeliums in der Gesellschaft zu sein, und sich, wie dies bereits geschieht, in karitativen und zunehmend in erzieherischen und schulischen Aktivitäten zu engagieren.

Diese Botschaft der Hoffnung, die auf den Glauben an Christus gegründet ist, habe ich an das ganze Volk Gottes in den beiden großen Eucharistiefeiern gerichtet, die in Brünn, der Hauptstadt Mährens, und in Altbunzlau, dem Ort des Martyriums des hl. Wenzel, des ersten Patrons der Nation, stattgefunden haben. Mähren läßt uns unmittelbar an die hll. Cyrill und Methodius denken, die den slawischen Völkern das Evangelium gebracht haben, und somit an die unerschöpfliche Kraft des Evangeliums, das wie ein Fluß heilkräftiger Wasser die Geschichte und die Kontinente durchquert und überall Leben und Heil hinbringt. Über dem Eingangsportal der Kathedrale von Brünn stehen die Worte Christi: »Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen« (Mt 11,28). Dieselben Worte erklangen am vergangenen Sonntag in der Liturgie, während sie die ewige Stimme des Heilands, Hoffnung der Völker gestern, heute und immer, widerhallen ließen. Beredtes Zeichen der Herrschaft Christi, Herrschaft der Gnade und Barmherzigkeit, ist das Leben der Schutzheiligen der verschiedenen christlichen Nationen, wie eben das Leben Wenzels, eines jungen Königs Böhmens im 10. Jahrhundert, der sich durch sein beispielhaftes christliches Zeugnis auszeichnete und von seinem Bruder getötet wurde. Wenzel hat das Himmelreich dem Reiz weltlicher Macht vorgezogen und ist für immer im Herzen des tschechischen Volkes als Vorbild und Schutzherr in den Wechselfällen der Geschichte geblieben. An die zahlreichen Jugendlichen, die bei der Messe des hl. Wenzel anwesend waren und auch aus den Nachbarnationen kamen, habe ich die Einladung gerichtet, in Christus den wahrsten Freund zu erkennen, der die tiefste Sehnsucht des menschlichen Herzens erfüllt.

Schließlich muß ich neben den anderen zwei weitere Begegnungen erwähnen: die ökumenische Begegnung und die Begegnung mit der akademischen Gemeinschaft. Die erste, die im Erzbischöflichen Palais von Prag stattfand, vereinte die Vertreter der verschiedenen christlichen Gemeinschaften der Tschechischen Republik sowie den Verantwortlichen der jüdischen Gemeinde. Wenn man an die Geschichte jenes Landes denkt, die leider erbitterte Konflikte unter Christen erlebt hat, ist es Grund zu lebhaftem Dank an Gott, daß wir uns als Jünger des einen Herrn zusammengefunden haben, um die Freude des Glaubens und die geschichtliche Verantwortung gegenüber den heutigen Herausforderungen zu teilen. Die Anstrengung, zu einer immer volleren und sichtbareren Einheit unter uns Christgläubigen voranzuschreiten, macht den gemeinsamen Einsatz für die Wiederentdeckung der christlichen Wurzeln Europas stärker und wirksamer. Dieser letztgenannte Aspekt, der meinem geliebten Vorgänger Johannes Paul II. sehr am Herzen lag, ist auch bei der Begegnung mit den Rektoren der Universitäten, den Vertretern der Dozenten und der Studenten und anderer im Kulturbereich bedeutender Persönlichkeiten zutage getreten. In diesem Rahmen wollte ich die Rolle der Einrichtung der Universität betonen, einer der tragenden Strukturen Europas, die in Prag eine der ältesten und angesehensten Universitäten des Kontinents hat, die Karlsuniversität, die nach Kaiser Karl IV. benannt ist, der sie zusammen mit Papst Clemens VI. gegründet hat. Die Universität ist ein für die Gesellschaft lebenswichtiger Bereich, Garant für Freiheit und Entwicklung, wie die Tatsache beweist, daß gerade von den Universitätskreisen in Prag die sogenannte »Samtene Revolution« ihren Ausgang genommen hat. Im Abstand von zwanzig Jahren von jenem historischen Ereignis habe ich das Konzept einer integralen Bildung vorgeschlagen, die auf der Einheit des auf der Wahrheit gegründeten Wissens basiert, um sich einer neuen Diktatur, der Diktatur des Relativismus im Bund mit der Herrschaft der Technik, zu widersetzen. Die humanistische und die wissenschaftliche Kultur können nicht getrennt werden, ja sie sind die zwei Seiten ein und derselben Medaille: Daran erinnert uns einmal mehr das tschechische Land, die Heimat großer Schriftsteller wie Kafka und des Abts Mendel, Vorreiter der modernen Genetik.

Liebe Freunde, ich danke dem Herrn, da er mir mit dieser Reise die Möglichkeit gegeben hat, einem Volk und einer Kirche mit tiefen historischen und religiösen Wurzeln zu begegnen, die in diesem Jahr verschiedene Gedenktage von hohem geistlichen und sozialen Wert begehen. Den Brüdern und Schwestern der Tschechischen Republik erneuere ich eine Botschaft der Hoffnung und eine Einladung zum Mut für das Gute, um die Gegenwart und die Zukunft Europas aufzubauen. Ich empfehle die Früchte meines Pastoralbesuchs der Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria und aller heiligen Männer und Frauen Böhmens und Mährens. Danke.


Gemeinsam mit euch will ich Gott für das Geschenk der eindrucksvollen Apostolischen Reise in die Tschechische Republik danken. Der Besuch, den ich auch in Erinnerung an den Zusammenbruch der kommunistischen Regime in Europa vor 20 Jahren unternommen habe, war eine Wallfahrt an die Orte des Glaubens und Wirkens von bedeutenden Heiligen. Zugleich wollte diese Reise ein Zeichen für ganz Europa setzen, für unseren Kontinent, der es nötig hat, sich neu in Christus zu verlieben und Hoffnung auf das wahre Leben zu schöpfen. Meine erste Station galt dem berühmten Prager Jesuskind, das uns so konkret das Geheimnis der Menschwerdung veranschaulicht. Das Bildnis steht in einer Kirche, die Maria vom Sieg geweiht ist. Von Maria wollen wir immer neu den wahren Sieg erbitten, den Sieg der Liebe und des Lebens für unsere Familien und für die gesamte Gesellschaft. Die Botschaft der Hoffnung, die im Glauben an Christus gründet, war das Thema der Eucharistiefeiern in Brünn und Stará Boleslav/Altbunzlau, die ich mit besonders vielen jungen Christen feiern konnte. In Altbunzlau habe ich am Grab des heiligen Märtyrers Wenzel gebetet, dessen Beliebtheit auch darin gründet, daß er das Reich Gottes jedem Anreiz weltlicher Macht vorgezogen hat. – Liebe Freunde, ich könnte von vielen weiteren schönen Begegnungen berichten: mit den Priestern und Ordensleuten, mit den Vertretern anderer christlicher Gemeinschaften sowie mit den Professoren und Studenten der Karls-Universität. Überall wurde mir eine herzliche Aufnahme zuteil, wofür ich allen Menschen in Tschechien danke. Gott helfe ihnen, die christlichen Wurzeln, die ihre Kultur geprägt haben, wieder neu zu entdecken und auf diesem Fundament ihr Leben zu gestalten.

* * *

Mit Freude grüße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher. Wie die Heiligen, deren Spuren in unseren Ländern so reichlich zu finden sind, wollen auch wir Christus in unserem Leben Raum geben und seine Boten, die Boten der Liebe, der Wahrheit und des Guten sein. Gottes Geist helfe euch, das Gute zu vollbringen. Der Herr geleite uns auf allen unseren Wegen.

 

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