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KURZBIOGRAPHIE
SEINER HEILIGKEIT

BENEDIKT XVI.

 

Der Heilige Vater Joseph Ratzinger – ab 1977 Kardinal, ab 1981 Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, ab 2002 Dekan des Kardinalskollegiums – wurde am 16. April 1927 in Marktl am Inn im Gebiet der Diözese Passau geboren.

Sein Vater war Gendarmerie-Kommissar und stammte aus einer Familie niederbayerischer Landwirte, deren finanzielle Situation eher bescheiden war. Seine Mutter war eine Handwerkertochter aus Rimsting am Chiemsee. Vor ihrer Heirat war sie als Köchin in verschiedenen Hotels tätig.

Seine Kindheit und Jugend verbrachte Joseph in Traunstein, einer kleinen Stadt in der Nähe der österreichischen Grenze, ungefähr 30 Kilometer von Salzburg entfernt. In dieser Umgebung, die er selbst einmal »mozartlich« nannte, erhielt er seine christliche, menschliche und kulturelle Bildung.

Seine Jugendzeit war nicht einfach. Der Glaube und die Erziehung in seiner Familie haben ihn auf die harte Erfahrung der mit dem nationalsozialistischen Regime verbundenen Probleme vorbereitet: Er mußte einmal selbst mit ansehen, wie sein Pfarrer vor der Feier der heiligen Messe von den Nazis zusammengeschlagen wurde; er hat das Klima der Feindseligkeit gegenüber der katholischen Kirche in Deutschland erlebt.

Aber gerade in dieser schwierigen Situation hat er die Schönheit und Wahrheit des Glaubens an Christus entdeckt. Dabei hat seine Familie, die fortwährend ein klares, in der bewußten Zugehörigkeit zur Kirche verwurzeltes Zeugnis der Güte und der Hoffnung gegeben hat, eine grundlegende Rolle gespielt. Gegen Ende der Tragödie des Zweiten Weltkriegs wurde er zu den Hilfsdiensten der Flugabwehr eingezogen.

Von 1946 bis 1951 studierte er Philosophie und Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule zu Freising und an der Universität München.

Am 29. Juni 1951 wurde er zum Priester geweiht.

Kaum ein Jahr später begann Joseph Ratzinger seine Lehrtätigkeit an derselben Freisinger Hochschule, an der er studiert hatte.

Sein Doktorat in Theologie schloß er 1953 mit einer Dissertation über das Thema »Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche« ab.

Er habilitierte 1957 bei dem bekannten Münchener Fundamentaltheologen Gottlieb Söhngen mit einem Werk über »Die Geschichtstheologie des hl. Bonaventura«.

Nach einem Lehrauftrag in Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Freisinger Hochschule setzte er seine Lehrtätigkeit in Bonn (1959–1963), in Münster (1963–1966) und in Tübingen (1966–1969) fort. Von 1969 an war er Professor der Dogmatik und Dogmengeschichte an der Universität Regensburg, wo er auch die Aufgabe des Vizerektors der Universität ausübte.

Seine intensive wissenschaftliche Tätigkeit führte ihn zur Übernahme wichtiger Ämter innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz und der Internationalen Theologenkommission.

Unter seinen zahlreichen und qualifizierten Veröffentlichungen fand die Einführung in das Christentum (1968), eine Sammlung von Universitätsvorlesungen über das Apostolische Glaubensbekenntnis, ein besonderes Echo. 1973 wurde dann sein Buch Dogma und Verkündigung veröffentlicht, eine Sammlung von Aufsätzen, Betrachtungen und Homilien zur Pastoral.

Auf breite Resonanz stieß seine öffentliche Rede vor der Katholischen Akademie Bayern über das Thema: »Warum bin ich noch in der Kirche?« Mit seiner gewohnten Klarheit erklärte er: »Nur in der Kirche ist es möglich, Christ zu sein, und nicht neben der Kirche«.

Die Reihe seiner wichtigen Veröffentlichungen setzte sich im Laufe der Jahre fort. Seine stets treffenden Publikationen stellen einen Bezugspunkt für viele Menschen dar, ganz besonders für die, die sich einem tiefergehenden Studium der Theologie widmen. Man denke zum Beispiel an das Buch Zur Lage des Glaubens aus dem Jahr 1985 und an Salz der Erde von 1996. Es soll auch an das Buch Vom Wiederauffinden der Mitte erinnert werden, das aus Anlaß seines 70. Geburtstags entstand.

Eine Erfahrung von zentralem Stellenwert im Leben des Hirten Ratzinger war seine Teilnahme am Zweiten Vatikanischen Konzil in der Funktion eines Konzilsberaters, was er als eine Bestätigung seiner theologischen Berufung betrachtete.

Am 24. Mai 1977 ernannte ihn Papst Paul VI. zum Erzbischof von München und Freising.

Am 28. Mai desselben Jahres erhielt er die Bischofsweihe und war damit nach 80 Jahren der erste Diözesanpriester, der die pastorale Leitung dieser großen bayerischen Diözese übernahm. Als bischöfliches Motto wählte er »Mitarbeiter der Wahrheit.«

Im Konsistorium am 27. Juni 1977 kreierte ihn der Papst zum Kardinal mit der Titelkirche »Santa Maria Consolatrice al Tiburtino«.

Kardinal Joseph Ratzinger nahm an der Fünften Generalversammlung der Bischofssynode (1980) über das Thema »Die christliche Familie in der Welt von heute« als Referent teil. In seinem Einführungsvortrag gab er eine inhaltsreiche und treffende Analyse der Situation der Familie in der Welt. Dabei sprach er über die Krise der traditionellen Kultur angesichts einer technischen und rein vernunftbetonten Denkweise. Er beließ es aber nicht bei seiner Kritik an negativen Aspekten, sondern hob hervor, daß die Wiederentdeckung des wahren christlichen Personalismus wie ein Sauerteig wirke, welcher die eheliche Erfahrung vieler Ehepartner befruchte. Außerdem lud er dazu ein, zu einer richtigen Bewertung der Rolle der Frau zu gelangen, die zu den fundamentalen Fragen der Reflexion über Ehe und Familie gezählt werden müsse. Im zweiten Teil seines Vortrags behandelte er den Plan Gottes für die Familie von heute und erinnerte vor allem daran, daß Männlichkeit und Fraulichkeit Ausdruck der Gemeinschaft von Personen und ursprüngliches Zeichen für die liebende Hingabe des Schöpfers seien.

Daraus folge, so betonte er, daß die Liebe des Mannes und der Frau weder eine private, noch profane, noch rein biologische Angelegenheit sei, sondern etwas Heiliges, etwas, das in einen »Lebensstand« und somit zu einer neuen, dauerhaften und verantwortlichen Lebensform führe. Ehe und Familie, so unterstrich er mit Nachdruck, hätten in gewisser Weise Vorrang im öffentlichen Leben, und letzteres müsse das der Ehe und Familie innewohnende Recht und sein innerstes Geheimnis achten. Im dritten Teil ging der Purpurträger die mit der Familie verbundenen pastoralen Probleme an: von der Bildung einer Gemeinschaft von Personen bis zur Zeugung des Lebens, von der elterlichen Aufgabe der Erziehung bis zur Notwendigkeit der Vorbereitung der Jugendlichen zur Ehe und zum Familienleben, von sozialen bis hin zu den kulturellen und moralischen Aufgaben. Im Angesicht der Herrschaft des Materialismus, des Hedonismus und der Permissivität könne die Familie vor der Welt von einer neuen Menschlichkeit Zeugnis geben (vgl. die Zusammenfassung in O.R. dt., Nr. 40, 3.10.1980, S. 4–5).

Er wirkte auch als delegierter Präsident der Sechsten Versammlung (1983) mit dem Thema »Versöhnung und Buße im Sendungsauftrag der Kirche«. In seinem Beitrag zu den Arbeiten bekräftigte er die von der Kongregation für die Glaubenslehre bezüglich des Sakraments der Versöhnung festgesetzten pastoralen Normen. Er ging speziell auf Probleme ein, die mit zwei im Verlauf der Versammlung immer wieder aufgeworfenen Fragen verbunden waren: Die eine Frage bezog sich auf die Verpflichtung, schwere Sünden auch dann zu beichten, wenn sie schon durch eine Generalabsolution vergeben wurden; die andere betraf die persönliche Beichte als wesentliches Element des Sakraments (in O.R. dt., Nr. 43, 28.10.1983, S. 5).

Seine Ausführungen stellten für alle Bischofssynoden einen fundamentalen Beitrag dar, der den Reflexionen als Bezugspunkt diente.

Am 25. November 1981 ernannte Johannes Paul II. ihn zum Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre. Er wurde auch Präsident der Päpstlichen Bibelkommission und der Internationalen Theologenkommission. Am 15. Februar 1982 verzichtete hat er dann auf die pastorale Leitung der Erzdiözese von München und Freising.

Sein Dienst als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre war unermüdlich, und es ist ein schwieriges Unterfangen, sein Werk im Rahmen einer Biographie aufzuzählen. Sein unermüdliches Wirken als Mitarbeiter Johannes Pauls II. erwies sich als sehr wertvoll.

Unter den vielen Wirkungsbereichen muß auf seine Rolle als Präsident der Kommission für den Katechismus der Katholischen Kirche hingewiesen werden.

Am 5. April 1993 wurde er zum Kardinalbischof der suburbikarischen Diözese Velletri- Segni erhoben.

Am 6. November 1998 wurde er zum Vizedekan des Kardinalskollegiums ernannt und am 30. November 2002 zu dessen Dekan, womit er als Titel die suburbikarische Kirche von Ostia in Besitz nahm. Bis zu seiner Wahl auf den Stuhl Petri war er Mitglied des Rates der Zweiten Sektion des Staatssekretariats, der Kongregation für die Orientalischen Kirchen, für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, für die Bischöfe, für die Evangelisierung der Völker, für das Katholische Bildungswesen, des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika und der Päpstlichen Kommission »Ecclesia Dei«.

Anläßlich des 50. Jahrestages seiner Priesterweihe übermittelte ihm Johannes Paul II. ein Schreiben, in dem er sich auf das Zusammenfallen seines Jubiläums mit dem liturgischen Hochfest der hll. Apostel Petrus und Paulus bezieht und ihm mit Worten, die in gewisser Weise »prophetisch« waren, vor Augen führt, wie »in Petrus … das Prinzip der Einheit verdeutlicht [wird], das auf seinem festen Glauben als Fels des Apostelfürsten gründet. In Paulus [zeigt sich] die dem Evangelium innewohnende Notwendigkeit, jeden Menschen und jedes Volk zum Glaubensgehorsam zu rufen.

Diese zwei Dimensionen verbinden sich allerdings zum gemeinsamen Zeugnis der Heiligkeit, die die hochherzige Hingabe der beiden Apostel in ihrem Dienst an der makellosen Braut Christi gefestigt hat«. Sodann fragt Johannes Paul II.: »Sind in diesen beiden Komponenten nicht auch die Grundausrichtungen des Lebensweges zu erkennen, den die göttliche Vorsehung für Sie, Herr Kardinal, bestimmt hat, indem sie Sie zum Priestertum berief?« (in O.R. dt., Nr. 28, 13.7.2001, S. 8).

Kardinal Ratzinger wurden in diesem Jahr 2005 die Meditationen des Kreuzwegs am Kolosseum anvertraut. An diesem unvergeßlichen Karfreitag hat Johannes Paul II., der sich in seiner Schwäche fest an das Kruzifix klammerte und dabei geradezu zu einer »Ikone« des Leidens wurde, in stiller Andacht die Worte dessen gehört, der sein Nachfolger auf dem Stuhl Petri werden sollte. Es hatte eine tiefe Bedeutung, daß das Leitmotiv des Kreuzwegs das Wort Jesu war, mit dem er am Palmsonntag – gleich nach seinem Einzug in Jerusalem – auf die Frage einiger Griechen, die ihn sehen wollten, antwortete: »Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht« (Joh 12,24). Mit diesen Worten gibt der Herr selbst seiner Passion eine »eucharistische« und »sakramentale« Deutung. Es zeige sich – so erläuterte der Kardinal in seinen Betrachtungen –, daß der Kreuzweg nicht einfach eine Kette des Schmerzes, der unheilvollen Dinge sei, sondern ein Geheimnis, nämlich der Prozeß, in dem das Weizenkorn in die Erde fällt und Frucht bringt. Mit anderen Worten, es zeigt sich, daß die Passion Selbsthingabe ist; dieses Opfer bringt Frucht und wird sodann eine Gabe für alle.

Seine Meditationen, die am Abend des Karfreitags vor der eindrucksvollen Kulisse des Kolosseums erklangen, haben sich im Bewußtsein der Menschen eingeprägt. So lautete seine bewegende Einladung zur Betrachtung der neunten Station: »Müssen wir nicht auch daran denken, wie viel Christus in seiner Kirche selbst erleiden muß? Wie oft wird das heilige Sakrament seiner Gegenwart mißbraucht, in welche Leere und Bosheit des Herzens tritt er da oft hinein? Wie oft feiern wir nur uns selbst und nehmen ihn gar nicht wahr? Wie oft wird sein Wort verdreht und mißbraucht? Wie wenig Glaube ist in so vielen Theorien, wie viel leeres Gerede gibt es? Wie viel Schmutz gibt es in der Kirche und gerade auch unter denen, die im Priestertum ihm ganz zugehören sollten? Wie viel Hochmut und Selbstherrlichkeit?« Sodann folgte ein Gebet, das aus seinem Herzen kam: »Herr, oft erscheint uns deine Kirche wie ein sinkendes Boot, das schon voll Wasser gelaufen und ganz und gar leck ist. Und auf deinem Ackerfeld sehen wir mehr Unkraut als Weizen. Das verschmutzte Gewand und Gesicht deiner Kirche erschüttert uns. Aber wir selber sind es doch, die sie verschmutzen. Wir selber verraten dich immer wieder nach allen großen Worten und Gebärden. Erbarme dich deiner Kirche. … Du bist aufgestanden – auferstanden und du kannst auch uns wieder aufrichten. Heile und heilige deine Kirche. Heile und heilige uns« (in O.R. dt., Nr. 14, 8.4.2005, S. 11–12).

Kaum 24 Stunden vor dem Tod Johannes Pauls II. erhielt er in Subiaco den von der Stiftung »Vita e famiglia« [Leben und Familie] verliehenen »St.-Benedikt-Preis für die Förderung des Lebens und der Familie in Europa«. In seiner Ansprache gebrauchte er Worte, die heute besonders vielsagend sind: »Wir brauchen Menschen wie Benedikt von Nursia, der sich in einer Zeit der Ausschweifung und Dekadenz in die äußerste Einsamkeit zurückzog und dem es so gelang, nach vielen Läuterungen, die er ertragen mußte, wieder ans Licht aufzusteigen. Er kam zurück und gründete Montecassino, die Stadt auf dem Berg, welche die Kraft aufbrachte, aus vielen Trümmern eine neue Welt zu formen. So wurde Benedikt, wie Abraham, Vater vieler Völker.«

Als Dekan des Kardinalskollegiums war er Hauptzelebrant der am Freitag, dem 8. April, gefeierten Totenmesse für Johannes Paul II. auf dem Petersplatz. Man kann sagen, daß seine Homilie die große Treue zum Papst und seiner Sendung ausdrückte. »›Folge mir nach!‹, sagt der auferstandene Herr als letztes Wort zu Petrus, zu dem Jünger, der erwählt war, seine Schafe zu weiden. ›Folge mir nach!‹ – Dieses lapidare Wort Christi kann als Schlüssel gelten zum Verständnis der Botschaft, die vom Leben unseres geliebten verstorbenen Papstes Johannes Paul II. ausgeht, dessen sterbliche Hülle wir heute als Samen der Unsterblichkeit in die Erde senken, während unser Herz voll Trauer ist, aber auch voll froher Hoffnung und tiefer Dankbarkeit.«

»Folge mir nach!« war das Schlüsselwort, der Leitgedanke der Predigt, die Kardinal Ratzinger bei den Exequien des Heiligen Vaters an die ganze Welt richtete. Ein Wort, das die Sendung Johannes Pauls II. beschreibt und zur gleichen Zeit ein Aufruf ist, der an jeden einzelnen ergeht.

»›Folge mir nach!‹ Mit dem Auftrag, seine Herde zu weiden, kündete Christus dem Petrus sein Martyrium an.« Dies sind die eindringlichen Worte Kardinal Ratzingers in seiner bewegenden und ergreifenden Predigt zum Begräbnis von Johannes Paul II. »Mit diesem abschließenden und zusammenfassenden Wort des Dialogs über die Liebe und über den Sendungsauftrag des universalen Hirten verweist der Herr auf einen anderen Dialog, der im Zusammenhang mit dem Letzten Abendmahl stattgefunden hat. Bei diesem Anlaß hatte Jesus gesagt: ›Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht gelangen. Petrus sagte zu ihm: ›Herr, wohin willst du gehen?‹ Jesus antwortete ihm: ›Wohin ich gehe, dorthin kannst du mir jetzt nicht folgen. Du wirst mir aber später folgen‹ (Joh 13,33.36). Vom Abendmahl geht Jesus zum Kreuz, zur Auferstehung – er tritt in das österliche Geheimnis ein; Petrus kann ihm noch nicht folgen.

Jetzt – nach der Auferstehung – ist dieser Augenblick, dieses ›später‹ gekommen. Während er die Herde Christi weidet, tritt Petrus in das österliche Geheimnis ein, geht dem Kreuz und der Auferstehung entgegen. Der Herr sagt es mit diesen Worten: ›Als du noch jung warst, … konntest [du] gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst‹ (Joh 21,18). In den ersten Jahren seines Pontifikats ging der Heilige Vater, noch jung und stark, unter der Führung Christi in alle Länder der Welt. Später aber vereinte er sich immer tiefer mit dem Leiden Christi, verstand er immer mehr die Wahrheit der Worte: ›Ein anderer wird dich gürten…‹ Und gerade in dieser Vereinigung mit dem leidenden Herrn verkündete er unermüdlich mit neuer Eindringlichkeit das Evangelium, das Geheimnis der Liebe, die bis zum Äußersten geht (vgl. Joh 13,1).«

Kardinal Ratzinger fuhr fort: »Er hat uns das österliche Geheimnis als Geheimnis der göttlichen Barmherzigkeit aufgezeigt. … Der Papst [hat] vereint mit Christus gelitten und geliebt, und deshalb ist die Botschaft seines Leidens und seines Schweigens so beredt und fruchtbar gewesen«. Er schloß mit Worten, die in gewisser Weise eine Zusammenfassung des Pontifikats Johannes Paul II. waren, aber auch seiner eigenen Sendung als treuer, direkter und enger Mitarbeiter des Papstes als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre seit 1981: »Göttliche Barmherzigkeit: Der Heilige Vater hat den reinsten Widerschein der Barmherzigkeit Gottes in der Mutter Gottes gefunden. Er, der im Kindesalter die Mutter verloren hatte, hat um so mehr die göttliche Mutter geliebt. Er hat die Worte des gekreuzigten Herrn gehört und auf sich persönlich bezogen: ›Siehe deine Mutter!‹ Und er hat wie der Lieblingsjünger gehandelt: Er hat sie in seinem tiefsten Innern aufgenommen – ›Totus tuus‹. Und von der Mutter hat er gelernt, Christus ähnlich zu werden. Für uns alle bleibt es unvergeßlich, wie der Heilige Vater, vom Leiden gezeichnet, am letzten Ostersonntag seines Lebens noch einmal am Fenster des Apostolischen Palastes erschienen ist und zum letzten Mal den Segen ›Urbi et orbi‹ erteilt hat. Wir können sicher sein, daß unser geliebter Papst jetzt am Fenster des Hauses des Vaters steht, uns sieht und uns segnet. Ja, segne uns, Heiliger Vater. Wir vertrauen deine liebe Seele der Mutter Gottes, deiner Mutter, an, die dich jeden Tag geführt hat und dich jetzt in die ewige Herrlichkeit ihres Sohnes, Jesus Christus unseres Herrn, führen wird« (in O.R. dt., Nr. 15, 15.4.2005, S. 2–3).

Am Vortag seiner Wahl auf den Heiligen Stuhl, am Montagmorgen, dem 18. April, wenige Stunden vor Beginn des Konklaves, das ihn wählen sollte, feierte er gemeinsam mit den Kardinälen in der Vatikanbasilika die heilige Messe »pro eligendo Romano Pontifice«. »In dieser verantwortungsvollen Stunde«, mahnte er in der Homilie, »hören wir mit besonderer Aufmerksamkeit auf das, was der Herr uns mit seinen eigenen Worten sagt.« Er verwies auf die Lesungen der Liturgie und erinnerte daran, daß »die göttliche Barmherzigkeit … dem Bösen eine Grenze [setzt]. … Jesus Christus ist die göttliche Barmherzigkeit in Person: Christus begegnen heißt, der Barmherzigkeit Gottes begegnen. Der Auftrag Christi ist durch die priesterliche Salbung zu unserem Auftrag geworden; wir sind aufgerufen, ›das Jahr der Barmherzigkeit des Herrn‹ nicht nur mit Worten, sondern mit dem Leben und mit den wirksamen Zeichen der Sakramente zu verkünden.« Er unterstrich, daß »die Barmherzigkeit Christi … keine billig zu habende Gnade [ist], sie darf nicht als Banalisierung des Bösen mißverstanden werden. Christus trägt in seinem Leib und in seiner Seele die ganze Last des Bösen, dessen ganze zerstörerische Kraft. Er verbrennt und verwandelt das Böse im Leiden, im Feuer seiner leidenden Liebe.« Dann fügte er hinzu: »Je mehr wir von der Barmherzigkeit des Herrn berührt werden, um so mehr solidarisieren wir uns mit seinem Leiden, werden wir bereit, ›das, was an den Leiden Christi noch fehlt‹ (Kol 1,24), in unserem Leib zu ergänzen.«

Dann mahnte er: »Wir sollen nicht Kinder im Zustand der Unmündigkeit bleiben. … Wie viele Glaubensmeinungen haben wir in diesen letzten Jahrzehnten kennengelernt, wie viele ideologische Strömungen, wie viele Denkweisen … Das kleine Boot des Denkens vieler Christen ist nicht selten von diesen Wogen zum Schwanken gebracht, von einem Extrem ins andere geworfen worden: vom Marxismus zum Liberalismus bis hin zum Libertinismus; vom Kollektivismus zum radikalen Individualismus; vom Atheismus zu einem vagen religiösen Mystizismus; vom Agnostizismus zum Synkretismus, und so weiter. Jeden Tag entstehen neue Sekten, und dabei tritt ein, was der hl. Paulus über den Betrug unter den Menschen und über die irreführende Verschlagenheit gesagt hat (vgl. Eph 4,14). Einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus abgestempelt, wohingegen der Relativismus, das sich ›vom Windstoß irgendeiner Lehrmeinung Hin-und-hertreiben-lassen‹, als die heutzutage einzige zeitgemäße Haltung erscheint. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten läßt.

Wir haben jedoch ein anderes Maß: den Sohn Gottes, den wahren Menschen. Er ist das Maß des wahren Humanismus. ›Erwachsen‹ ist nicht ein Glaube, der den Wellen der Mode und der letzten Neuheit folgt; erwachsen und reif ist ein Glaube, der tief in der Freundschaft mit Christus verwurzelt ist. Diese Freundschaft macht uns offen gegenüber allem, was gut ist und uns das Kriterium an die Hand gibt, um zwischen wahr und falsch, zwischen Trug und Wahrheit zu unterscheiden. Diesen erwachsenen Glauben müssen wir reifen lassen, zu diesem Glauben müssen wir die Herde Christi führen.« Zum Abschluß erinnerte er daran, daß »unser Amt … ein Geschenk Christi an die Menschen [ist], um seinen Leib – die neue Welt – aufzubauen. Leben wir also unser Amt als Geschenk Christi an die Menschen! Aber in dieser Stunde beten wir vor allem inständig zum Herrn, daß er uns nach dem großen Geschenk Papst Johannes Pauls II. wieder einen Hirten nach seinem Herzen schenke, einen Hirten, der uns zur Erkenntnis Christi, zu seiner Liebe, zur wahren Freude führt« (in O.R. dt., Nr. 16, 22.4.2005, S. 3).

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