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HL. MESSE AM HOCHFEST DER AUFNAHME MARIENS IN DEN HIMMEL

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Pfarrkirche "San Tommaso da Villanova", Castelgandolfo
Freitag, 15. August 200
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Liebe Brüder und Schwestern!

Jedes Jahr begehen wir mitten im Sommer das Hochfest der Aufnahme der seligen Jungfrau Maria in den Himmel, das älteste Marienfest. Es bietet uns die Gelegenheit, zusammen mit Maria die Höhen des Geistes zu erklimmen, wo wir die reine Luft des übernatürlichen Lebens atmen und die authentischste Schönheit betrachten, die Schönheit der Heiligkeit. Die Atmosphäre der heutigen Feier ist ganz von österlicher Freude durchdrungen. »Heute« – so singen wir in der Magnificat-Antiphon – »steigt die Jungfrau Maria zum Himmel empor. Freut euch, denn mit Christus herrscht sie in Ewigkeit. Alleluja.« Diese Worte künden von einem ganz einzigartigen und außerordentlichen Ereignis, das jedoch dazu bestimmt ist, das Herz eines jeden Menschen mit Hoffnung und Freude zu erfüllen. Maria ist nämlich die Erstlingsfrucht der neuen Menschheit, das Geschöpf, in dem das Geheimnis Christi – Menschwerdung, Tod, Auferstehung, Himmelfahrt – schon volle Wirkung erfahren hat, indem er sie vom Tod freikaufte und sie mit Leib und Seele in das Reich des unsterblichen Lebens führte. Aus diesem Grund ist die Jungfrau Maria, wie das Zweite Vatikanische Konzil in Erinnerung ruft, für uns ein Zeichen der sicheren Hoffnung und des Trostes (vgl. Lumen gentium, 68). Das heutige Fest drängt uns dazu, den Blick zum Himmel zu erheben. Doch es ist kein Himmel, der aus abstrakten Ideen gemacht wäre, und ebensowenig handelt es sich um einen imaginären, von der Kunst erschaffenen Himmel, sondern es ist der Himmel der wahren Wirklichkeit, die Gott selbst ist: Gott ist der Himmel. Und er ist unser Ziel, das Ziel und die ewige Wohnstatt, von der wir herstammen und nach der wir streben.

Der hl. Germanus, Bischof von Konstantinopel im 8. Jahrhundert, wandte sich in einer Ansprache, die er am Fest Mariä Himmelfahrt gehalten hatte, mit diesen Worten an die himmlische Mutter Gottes: »Du bist jene, die durch ihr unbeflecktes Fleisch das Christenvolk mit Christus wiedervereinte… Wie jeder Dürstende zur Quelle läuft, so läuft jede Seele zu dir, Quelle der Liebe, und wie jeder Mensch darauf aus ist, zu leben und das nie untergehende Licht zu sehen, so sehnt sich jeder Christ danach, in das Licht der Allerheiligsten Dreifaltigkeit einzutreten, in das du schon eingegangen bist.« Dieselben Gefühle bewegen uns am heutigen Tage, wenn wir Maria in der Herrlichkeit Gottes betrachten. Als sie in dieser Welt eingeschlafen ist, um im Himmel aufzuwachen, ist sie in der Tat einfach zum letzten Mal Jesus, ihrem Sohn, auf seiner längsten und entscheidensten Reise gefolgt, in seinem Übergang »aus dieser Welt zum Vater« (vgl. Joh 13,1).

Ebenso wie er und zusammen mit ihm ist sie aus dieser Welt aufgebrochen, um »zum Haus des Vaters« (vgl. Joh 14,2) heimzukehren. All dies ist nicht weit weg von uns, wie es vielleicht in einem ersten Moment scheinen könnte, da wir alle Kinder Gottes, des Vaters, sind. Wir alle sind Brüder Jesu, und wir alle sind auch Kinder Mariens, unserer Mutter. Und alle streben wir nach Glück. Und das Glück, nach dem wir alle streben, ist Gott; so sind wir alle unterwegs zu diesem Glück, das wir Himmel nennen, das in Wirklichkeit Gott ist. Maria helfe uns und ermutige uns, daß es uns gelinge, jeden Augenblick unseres Daseins zu einem Schritt auf diesem Exodus, auf diesem Weg hin zu Gott, werden zu lassen. Sie helfe uns, so auch die Wirklichkeit des Himmels, die Größe Gottes, im Leben unserer Welt gegenwärtig zu machen. Ist dies nicht im Grunde die österliche Dynamik des Menschen, eines jeden Menschen, der »himmlisch« werden will, völlig glücklich, kraft der Auferstehung Christi? Und ist vielleicht nicht gerade dies der Anfang und die Vorwegnahme einer Bewegung, die jeden Menschen und den ganzen Kosmos betrifft? Sie, von der Gott sein Fleisch angenommen hatte und deren Seele auf dem Kalvarienberg von einem Schwert durchbohrt wurde, fand sich als erste und in einzigartiger Weise vor dem Geheimnis dieser Umwandlung, nach der wir alle streben, wobei auch wir vom Schwert des Leidens in dieser Welt durchdrungen werden.

Die neue Eva ist dem neuen Adam im Leiden, in der Passion, und so auch in der endgültigen Freude gefolgt. Christus ist die Erstlingsfrucht, aber sein auferstandenes Fleisch ist nicht zu trennen von dem seiner irdischen Mutter, von Maria, und in ihr ist die ganze Menschheit in die Aufnahme zu Gott hineingenommen, und mit ihr die ganze Schöpfung, deren Seufzen, deren Leiden, wie der hl. Paulus sagt, die Geburtswehen der neuen Menschheit sind. So entstehen der neue Himmel und die neue Erde, in denen es keine Tränen, keine Klage mehr geben wird, da kein Tod mehr sein wird (vgl. Offb 21,1–4).

Welch großes Geheimnis der Liebe wird uns da heute erneut zur Betrachtung vorgestellt! Christus hat den Tod mit der Allmacht seiner Liebe besiegt. Nur die Liebe ist allmächtig. Diese Liebe hat Christus dazu gedrängt, für uns zu sterben und so den Tod zu besiegen. Ja, nur die Liebe läßt in das Reich des Lebens eintreten! Und Maria ist dem Sohne folgend eingetreten, vereinigt mit seiner Herrlichkeit, nachdem sie mit seinem Leiden verbunden war. Sie ist mit unaufhaltsamer Stärke eingetreten und hält nun nach sich den Weg für uns alle offen. Und dafür rufen wir sie heute an: »Tor des Himmels«, »Königin der Engel« und »Zuflucht der Sünder«. Gewiß sind es keine Vernunftschlüsse, die uns diese so erhabenen Wirklichkeiten verstehen lassen, sondern der einfache, aufrechte Glaube und die Stille des Gebets, das uns mit jenem Geheimnis in Berührung bringt, das uns unendlich übersteigt. Das Gebet hilft uns, mit Gott zu sprechen und zu spüren, wie der Herr zu unserem Herzen spricht.

Bitten wir Maria, sie möge uns auch heute ihren Glauben schenken, jenen Glauben, der uns schon in dieser Dimension zwischen Endlichem und Unendlichem leben läßt, jenen Glauben, der auch das Gefühl für die Zeit und das Vergehen unseres Dasein verwandelt, jenen Glauben, in dem wir innig spüren, daß unser Leben nicht von der Vergangenheit aufgesogen ist, sondern von einer Zukunft angezogen wird, von Gott, wohinein Christus uns vorangegangen ist, und hinter ihm Maria.

Indem wir auf die in den Himmel Aufgenommene blicken, begreifen wir besser, daß unser alltägliches Leben trotz der Prüfungen und Schwierigkeiten, von denen es gezeichnet ist, wie ein Fluß zum göttlichen Ozean strömt, hin zur Fülle der Freude und des Friedens. Wir begreifen, daß unser Sterben nicht das Ende ist, sondern der Einlaß in das Leben, das keinen Tod kennt. Unser Untergehen am Horizont dieser Welt ist ein Auferstehen in der Morgenröte der neuen Welt, des ewigen Tages.

»Maria, während du uns in der Mühsal unseres täglichen Lebens und Sterbens begleitest, halte uns stets ausgerichtet auf die wahre Heimat der Seligkeit. Hilf uns, so zu tun, wie du getan hast.«

Liebe Brüder und Schwestern, liebe Freunde, die ihr am heutigen Vormittag an dieser Feier teilnehmt, gemeinsam wollen wir so zu Maria beten. Angesichts des traurigen Schauspiels so vieler falscher Freude und zugleich von so viel kummervollem Schmerz, der sich in der Welt ausbreitet, müssen wir von ihr lernen, Zeichen der Hoffnung und des Trostes zu werden; wir müssen mit unserem Leben die Auferstehung Christi verkünden.

»Hilf uns du, Mutter, glänzendes Tor des Himmels, Mutter der Barmherzigkeit, Quelle, aus der unser Leben und unsere Freude entsprungen ist, Jesus Christus. Amen.

  

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