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HEILIGE MESSE MIT PRIESTERWEIHEN

PREDIGT VON PAPST BENEDIKT XVI.

Petersdom
 4. Ostersonntag, 29. April 2012

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Verehrte Brüder,
liebe Weihekandidaten,
liebe Brüder und Schwestern!

Die römische Tradition, die Priesterweihen heute, am vierten Sonntag der Osterzeit, dem Sonntag »des Guten Hirten«, zu feiern, enthält einen großen Bedeutungsreichtum, der verbunden ist mit dem Ineinanderfließen des Wortes Gottes, des liturgischen Ritus und der Osterzeit, in die er eingebunden ist.

Insbesondere erhält die Gestalt des Hirten, die in der Heiligen Schrift so bedeutsam und für das Selbstverständnis des Priesters natürlich sehr wichtig ist, ihre volle Wahrheit und Deutlichkeit im Antlitz Christi, im Licht des Geheimnisses seines Todes und seiner Auferstehung. Aus diesem Reichtum könnt auch ihr, liebe Weihekandidaten, stets schöpfen, an jedem Tag eures Lebens, und so wird euer Priestertum beständig erneuert werden. Der Evangeliumsabschnitt ist in diesem Jahr die zentrale Stelle aus dem 10. Kapitel bei Johannes. Er beginnt mit dem Wort Jesu: »Ich bin der gute Hirt«, und gleich darauf folgt das erste grundlegende Merkmal: »Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe« (Joh 10,11). Wir werden hier also unmittelbar zum zentralen Punkt geführt, zum Höhepunkt der Offenbarung Gottes als Hirt seines Volkes; dieser zentrale Punkt und Höhepunkt ist Jesus – genau gesagt, Jesus, der am Kreuz stirbt und am dritten Tage aus dem Grab aufersteht, der mit seiner gesamten Menschennatur aufersteht und auf diese Weise uns, jeden Menschen, in seinen Hinübergang vom Tod zum Leben hineinnimmt.

Dieses Ereignis – das Pascha Christi –, in dem das Hirtenwerk Gottes vollkommen und endgültig verwirklicht wird, ist ein Opferereignis: Daher sind der gute Hirt und der Hohepriester eins in der Person Jesu, der sein Leben für uns hingegeben hat. Wir wollen jedoch kurz auch die ersten beiden Lesungen und den Antwortpsalm (Psalm 118) betrachten. Der Abschnitt aus der Apostelgeschichte (4,8–12) stellt uns das Zeugnis des hl. Petrus gegenüber den Führern des Volkes und den Ältesten von Jerusalem vor Augen, nach der wundersamen Heilung des Gelähmten. Petrus sagt mit großem Freimut: »Er (Jesus) ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist.« Und er fügt hinzu: »In keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen« (V. 11–12). Dann legt der Apostel im Licht des Paschageheimnisses Christi den Psalm 118 aus, in dem der Beter Gott dankt, der auf seinen Hilferuf geantwortet und ihn gerettet hat. In diesem Psalm heißt es: »Der Stein, den die Bauleute verwarfen, / er ist zum Eckstein geworden. Das hat der Herr vollbracht, / vor unseren Augen geschah dieses Wunder« (Ps 118,22–23). Jesus hat genau dies erlebt: Er wurde von den Führern seines Volkes verworfen und von Gott wieder auferweckt, zum Fundament eines neuen Tempels gemacht, eines neuen Volkes, das Gott preisen wird mit Früchten der Gerechtigkeit (vgl. Mt 21,42–43). Die erste Lesung und der Antwortpsalm, ebenfalls Psalm 118, haben also einen starken Anklang an den österlichen Kontext, und lenken durch das Bild vom verworfenen und wieder eingesetzten Stein unseren Blick auf den gestorbenen und auferstandenen Christus.

Die zweite Lesung, die dem Ersten Brief des Johannes (3,1–2) entnommen ist, berichtet uns dagegen von der Frucht des Pascha Christi: daß wir zu Kindern Gottes geworden sind. Aus den Worten des Johannes hört man noch immer das ganze Staunen über dieses Geschenk heraus: Wir heißen nicht nur Kinder Gottes, sondern »wir sind es« (V. 1). In der Tat ist die Kindschaft des Menschen Frucht des Heilswirkens Jesu: Durch seine Menschwerdung, durch seinen Tod und seine Auferstehung und durch die Gabe des Heiligen Geistes hat er den Menschen in eine neue Beziehung zu Gott hineingestellt, in seine eigene Beziehung zum Vater. Daher sagt der auferstandene Jesus: »Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott« (Joh 20,7). Es ist bereits eine völlig reale Beziehung, die jedoch noch nicht völlig offenbar geworden ist: Sie wird es am Ende sein, wenn wir – so Gott will – sein unverhülltes Antlitz sehen können (vgl. 1 Joh 3,2).

Liebe Weihekandidaten, dorthin will der gute Hirt uns führen! Dorthin ist der Priester berufen, die ihm anvertrauten Gläubigen zu führen: zum wahren Leben, zum Leben »in Fülle« (Joh 10,10). Kehren wir also zurück zum Evangelium, zum Gleichnis vom Hirten. »Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe« (Joh 10,11). Jesus betont immer wieder dieses wesentliche Merkmal des wahren Hirten, der er selbst ist: das eigene Leben hinzugeben. Er wiederholt es dreimal, und am Ende sagt er schließlich: »Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es aus freiem Willen hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen.

Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen« (Joh 10,17–18). Offensichtlich ist dies der Wesenszug, der den Hirten auszeichnet, so wie Jesus selbst ihn verkörpert, nach dem Willen des Vaters, der ihn gesandt hat. Die biblische Gestalt des Königs und Hirten, der vor allem die Aufgabe hat, das Volk Gottes zu leiten, es vereint zu halten und zu führen, diese ganze königliche Funktion wird in Jesus Christus in der Dimension des Opfers, in der Hingabe des Lebens vollkommen verwirklicht. Sie wird kurz gesagt im Geheimnis des Kreuzes verwirklicht, also im höchsten Akt der Demut und der schenkenden Liebe. Der Abt Theodor Studites sagt: »Durch das Kreuz sind wir, die Schafe Christi, in einer einzigen Herde versammelt und für die ewige Wohnstatt bestimmt« (Predigt über die Anbetung des Kreuzes: PG 99,699).

Diese Blickrichtung geben die Formeln des Ritus der Priesterweihe, die wir feiern. Von den Fragen, die die »Weiheversprechen« betreffen, lautet zum Beispiel die letzte, die den Höhepunkt und gewissermaßen eine Zusammenfassung darstellt, so: »Christus, unser Hoherpriester, hat sich unseretwillen dem Vater dargebracht. Seid ihr bereit, euch Christus, dem Herrn, von Tag zu Tag enger zu verbinden und so zum Heil der Menschen für Gott zu leben?« Denn der Priester wird auf einzigartige Weise in das Geheimnis des Opfers Christi hineingenommen, durch eine persönliche Bindung an ihn, um seine Heilssendung weiterzuführen. Diese Bindung, die durch das Weihesakrament hergestellt wird, verlangt danach, »von Tag zu Tag enger« zu werden durch die großherzige Entsprechung des Priesters selbst.

Daher, liebe Weihekandidaten, werdet ihr gleich auf diese Frage antworten, indem ihr sprecht: »Mit Gottes Hilfe bin ich bereit.« Anschließend, bei den ausdeutenden Riten, im Augenblick der Salbung mit Chrisam, sagt der Zelebrant: »Unser Herr Jesus Christus, den der Vater mit dem Heiligen Geist und mit Kraft gesalbt hat, sei immer mit Dir bei der Heiligung seines Volkes und der Darbringung des eucharistischen Opfers.« Und dann sagt er, bei der Überreichung von Brot und Wein: »Empfange die Gaben des Volkes Gottes für die Feier des Opfers. Bedenke, was Du tust, ahme nach, was Du vollziehst, und stelle Dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes.« Es ist deutlich ersichtlich, daß die tägliche Feier der heiligen Messe für den Priester nicht bedeutet, eine rituelle Funktion durchzuführen, sondern eine Sendung zu erfüllen, die das ganze Leben zutiefst durchdringt, in Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus, der in seiner Kirche das Erlösungsopfer weiterhin vollzieht.

Diese Dimension des eucharistischen Opfers ist von der seelsorglichen Dimension untrennbar und stellt ihren inneren Kern der Wahrheit und der Heilskraft dar, von dem die Wirkkraft allen Handelns abhängt. Natürlich geht es nicht nur um die Wirkkraft auf psychologischer oder sozialer Ebene, sondern um die lebenswichtige Fruchtbarkeit der Gegenwart Gottes auf der tiefsten Ebene des Menschen. Auch die Verkündigung, die Werke, die Gesten verschiedener Art, die die Kirche mit ihren zahlreiche Initiativen durchführt, würden ihre heilbringende Fruchtbarkeit verlieren, wenn die Feier des Opfers Christi vernachlässigt würde. Und diese ist den geweihten Priestern anvertraut. Der Priester ist nämlich berufen, in sich selbst das zu leben, was Jesus selbst erfahren hat, sich also völlig der Verkündigung und der Heilung des Menschen von jeglichem Übel an Leib und Geist hinzugeben und am Ende alles in der erhabenen Geste der »Hingabe des Lebens« für die Menschen zusammenzufassen: Diese Geste findet ihren sakramentalen Ausdruck in der Eucharistie, dem immerwährenden Gedächtnis des Pascha Jesu. Nur durch diese »Tür« des Paschaopfers können die Männer und Frauen aller Zeiten und Orte zum ewigen Leben gelangen; über diesen »heiligen Weg« können sie den Exodus vollziehen, der sie zum »Gelobten Land« der wahren Freiheit führt, zu den »grünen Auen« des Friedens und der Freude ohne Ende (vgl. Joh 10,7.9; Ps 77,14.20; Ps 23,2).

Liebe Weihekandidaten, dieses Wort Gottes möge euer ganzes Leben erleuchten. Und wenn die Last des Kreuzes schwerer wird, dann wißt, daß dies die kostbarste Stunde ist, für euch und für die euch anvertrauten Personen: Wenn ihr mit Glauben und mit Liebe euer »Mit Gottes Hilfe bin ich bereit« erneuert, dann werdet ihr mit Christus, dem Hohenpriester und guten Hirten, zusammenwirken, um seine Schafe zu weiden – vielleicht jenes einzige, das verloren war, über das im Himmel jedoch große Freude herrscht! Die Jungfrau Maria, »Salus Populi Romani«, wache stets über einen jeden von euch und über euren Weg. Amen.

 

 

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