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PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Petersplatz
Mittwoch, 2. September 2015

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Katechese. Die Familie - 25. Die Evangelisierung

Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

In diesem letzten Teil der Katechesen über die Familie öffnen wir den Blick dafür, wie sie die Verantwortung lebt, den Glauben mitzuteilen, den Glauben weiterzugeben, sowohl in ihrem Innern als auch nach außen. Im ersten Augenblick kommen uns vielleicht einige Worte des Evangeliums in den Sinn, die die familiären Bindungen und die Nachfolge Jesu zueinander in Gegensatz zu stellen scheinen. Zum Beispiel jene harten Worte, die wir alle kennen und gehört haben: »Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht würdig « (Mt 10,37-38).

Natürlich will Jesus damit nicht das vierte Gebot aufheben, das erste große Gebot gegenüber den Menschen. Die ersten drei stehen in Bezug zu Gott, dieses in Bezug zu den Menschen. Und wir dürfen auch nicht denken, dass der Herr, nachdem er sein Wunder für die Brautleute in Kana vollbracht, den Ehebund zwischen Mann und Frau geheiligt, nachdem er Söhne und Töchter dem Familienleben zurückgegeben hat, von uns verlangt, gegenüber diesen Bindungen gefühllos zu sein! Das ist nicht die richtige Erklärung.

Im Gegenteil, wenn Jesus den Vorrang des Glaubens an Gott betont, findet er keinen bedeutsameren Vergleich als die Zuneigung in der Familie. Und andererseits werden die familiären Bindungen gerade in der Erfahrung des Glaubens und der Liebe Gottes auch verwandelt: Sie werden mit einem größeren Sinn »erfüllt« und fähig, über sich selbst hinauszuweisen, um eine größere Vaterschaft und Mutterschaft zu bewirken und als Brüder und Schwestern auch jene anzunehmen, die von jeder Bindung ausgeschlossen sind. Einmal antwortete Jesus denen, die zu ihm sagten, dass seine Mutter und seine Brüder draußen seien und nach ihm fragten, indem er auf seine Jünger blickte: »Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter« (Mk 3,34-35).

Die Weisheit der Zuneigungen, die nicht gekauft und nicht verkauft werden können, ist die beste Gabe des familiären Geistes. Gerade in der Familie lernen wir, in jener Atmosphäre der Weisheit der Zuneigungen zu wachsen. Ihre »Grammatik« wird dort erlernt, sonst ist es sehr schwierig, sie zu erlernen. Und gerade das ist die Sprache, durch die Gott sich allen zu verstehen gibt.

Die Einladung, die familiären Bindungen in den Bereich des Gehorsams gegenüber dem Glauben und des Bundes mit dem Herrn zu stellen, beschneidet diese nicht. Im Gegenteil: Sie schützt sie, befreit sie vom Egoismus, bewahrt sie vor dem Verfall, rettet sie für das unvergängliche Leben. Das Vorhandensein eines familiären Stils in den mitmenschlichen Beziehungen ist ein Segen für die Völker: Es bringt wieder Hoffnung auf die Erde. Wenn die familiären Zuneigungen sich zum Zeugnis für das Evangelium verwandeln lassen, werden sie fähig zu unvorstellbaren Dingen, die die Werke Gottes greifbar machen: jene Werke, die Gott in der Geschichte vollbringt – wie jene, die Jesus vollbracht hat für die Männer, die Frauen, die Kinder, denen er begegnet ist. Ein einziges Lächeln, der Verzweiflung eines verlassenen Kindes, das wieder zu leben beginnt, auf wunderbare Weise entlockt, erklärt uns das Handeln Gottes in der Welt mehr als tausend theologische Abhandlungen.

Ein einziger Mann und eine einzige Frau, die in der Lage sind, für ein Kind anderer Menschen – und nicht nur für das eigene – Risiken einzugehen und Opfer auf sich zu nehmen, erklären uns  Dinge der Liebe, die viele Wissenschaftler nicht mehr begreifen. Und wo diese familiären Zuneigungen vorhanden sind, entstehen diese Gesten, die beredter sind als alle Worte, aus dem Herzen heraus. Die Geste der Liebe… Das bringt uns zum Nachdenken. Die Familie, die auf den Ruf Gottes antwortet, übergibt die Regie der Welt wieder dem Bund des Mannes und der Frau mit Gott. Denkt daran, dieses Zeugnis heute zu entwickeln. Stellen wir uns vor, dass das Steuerrad der Geschichte (der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Politik) – endlich! – wieder dem Bund von Mann und Frau übergeben wird, damit diese sie mit einem auf die kommende Generation gerichteten Blick lenken können. Die Themen der Erde und des Hauses, der Wirtschaft und der Arbeit würden eine ganz andere Musik spielen!

Wenn wir – von der Kirche ausgehend – der Familie, die das Wort Gottes hört und danach handelt, wieder die Vorrangstellung geben, werden wir gleichsam zum guten Wein der Hochzeit von Kana, werden wir aufgehen wie der Sauerteig Gottes! In der Tat ist der Bund der Familie mit Gott heute berufen, dem Vordringen der gemeinschaftlichen Wüsten der modernen Stadt entgegenzuwirken. Unsere Städte sind jedoch aus Mangel an Liebe, aus Mangel an Lächeln zu Wüsten geworden. Es gibt viele Vergnügungen, viele Dinge, die die Zeit vertreiben, die Spaß machen sollen, aber die Liebe fehlt. Das Lächeln einer Familie ist in der Lage, dieses Vordringen der Wüste in unseren Städten zu besiegen. Und das ist der Sieg der Liebe der Familie. Keine wirtschaftlichen und politischen Maßnahmen können diesen Beitrag der Familien ersetzen. Das Projekt von Babel baut Wolkenkratzer ohne Leben. Der Geist Gottes dagegen macht die Wüste zum Garten (vgl. Jes 32,15). Wir müssen aus den Türmen und aus den gepanzerten Räumen der Eliten herauskommen, um wieder in den Häusern und den offenen Räumen der zahllosen Menschen, die offen sind für die Liebe der Familie, ein- und auszugehen.

Die Gemeinschaft der Charismen – jene, die vom Sakrament der Ehe geschenkt sind, und jene, die der Weihe für das Reich Gottes gewährt werden – ist dazu bestimmt, die Kirche in einen völlig familiären Ort zu verwandeln, für die Begegnung mit Gott. Gehen wir voran auf diesem Weg, verlieren wir nicht die Hoffnung. Wo eine liebevolle Familie ist, dort kann diese Familie durch ihr Zeugnis der Liebe das Herz einer ganzen Stadt erwärmen. Betet für mich, beten wir füreinander, damit wir fähig werden, das Kommen Gottes zu erkennen und zu unterstützen. Der Heilige Geist wird frohe Unruhe in die christlichen Familien bringen, und die Stadt des Menschen wird aus der Depression herauskommen!

* * *

Herzlich heiße ich die Brüder und Schwestern deutscher Sprache willkommen. Insbesondere grüße ich die Pilger der Diözese Innsbruck, die gemeinsam mit Bischof Manfred Scheuer anlässlich des 50-jährigen Diözesanjubiläums nach Rom gekommen sind, sowie die Benediktiner des Stiftes Kremsmünster zusammen mit den Gläubigen aus den Stiftspfarren. Die Begegnung mit dem Papst und die Erfahrung der Weltkirche auf eurer Wallfahrt mögen euch im Glauben und im Einsatz für das Evangelium bestärken. Von Herzen segne ich euch und eure Lieben.

 



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