Index   Back Top Print

[ AR  - DE  - EN  - ES  - FR  - IT  - PL  - PT ]

FEST DER BEKEHRUNG DES HEILIGEN PAULUS

ZWEITE VESPER  
ABSCHLUSS DER GEBETSWOCHE FÜR DIE EINHEIT DER CHRISTEN 

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS

Basilika St. Paul vor den Mauern
Montag, 25. Januar 20
21

[Multimedia]


 

[Die von Papst Franziskus für diesen Anlass vorbereitete Predigt wurde von Kard. Kurt Koch verlesen]

»Bleibt in meiner Liebe« (Joh 15,9). Jesus verbindet diese Aufforderung mit dem Bild des Weinstocks und der Reben, dem letzten, das er uns in den Evangelien vorstellt. Der Herr selbst ist der Weinstock, der »wahre Weinstock« (V. 1), der die Erwartungen nicht enttäuscht, sondern in der Liebe treu bleibt und uns trotz unserer Sünden und Spaltungen niemals fallen lässt. In diesen Weinstock, der er ist, sind wir Getaufte alle als Reben eingepfropft: Dies bedeutet, dass wir nur wachsen und Frucht bringen können, wenn wir mit Jesus vereint sind. Heute Abend schauen wir auf diese unverzichtbare Einheit, die mehrere Ebenen hat. Wenn wir an den Weinstock denken, könnten wir uns vorstellen, wie sich die Einheit aus drei konzentrischen Ringen wie bei einem Baumstamm zusammensetzt.

Der erste Kreis, der innerste, ist das Bleiben in Jesus. Von hier beginnt der Weg eines jeden zur Einheit hin. In der heutigen schnelllebigen und vielschichtigen Realität ist es einfach, den Faden zu verlieren, da man nach allen Seiten hin gezogen wird. Viele fühlen sich innerlich zersplittert, unfähig einen festen Bezugspunkt zu finden, sich in den veränderlichen Lebensumständen mit Bestand aufzustellen. Jesus zeigt uns, dass das Geheimnis der Beständigkeit darin liegt, in ihm zu bleiben. In dem Text, den wir gehört haben, wiederholt er diese Vorstellung sogar siebenmal (vgl. Vv. 4-7.9-10). Denn er weiß, dass wir „getrennt von ihm nichts vollbringen können“ (vgl. V. 5). Er hat uns auch gezeigt, wie wir dies tun können, indem er uns das Beispiel gab: Jeden Tag zog er sich in die Einöde zurück, um zu beten. Wir brauchen das Gebet wie das Wasser zum Leben. Das persönliche Gebet, das Verweilen bei Jesus, die Anbetung sind wesentlich, um in ihm zu bleiben. Es ist der Weg, um in das Herz des Herrn all das zu legen, was unser Herz erfüllt, Hoffnungen und Ängste, Freuden und Leiden. Aber vor allem erfahren wir, wenn wir im Gebet auf Jesus als Mittelpunkt ausgerichtet sind, seine Liebe. Und unsere Existenz zieht daraus Leben, so wie die Rebe aus dem Stamm den Lebenssaft erhält. Dies ist die erste Einheit, unsere persönliche Integrität, ein Werk der Gnade, die wir empfangen, wenn wir in Jesus bleiben.

Der zweite Kreis ist der der Einheit mit den Christen. Wir sind Reben desselben Weinstocks, wir sind kommunizierende Röhren: das Gute und das Böse, das jeder tut, wirkt sich auf die anderen aus. Im geistlichen Leben herrscht sodann eine Art „Gesetz der Dynamik“: In dem Maße, in dem wir in Gott bleiben, nähern wir uns den anderen, und in dem Maße, in dem wir uns den anderen nähern, bleiben wir in Gott. Dies bedeutet, dass, wenn wir in Geist und Wahrheit zu Gott beten, daraus die Anforderung entspringt, die anderen zu lieben und andererseits gilt: „Wenn wir einander lieben, bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollendet“ (1 Joh 4,12). Das Gebet kann nur zur Liebe führen, ansonsten ist es ein oberflächliches Vollziehen eines Rituals. Es ist nämlich unmöglich, Jesus ohne seinen Leib zu begegnen, der aus vielen Gliedern zusammengesetzt ist, die so zahlreich sind, wie es Getaufte gibt. Wenn unsere Anbetung echt ist, werden wir in der Liebe zu all denen wachsen, die Jesus nachfolgen, unabhängig von der christlichen Gemeinschaft, der sie angehören, weil sie, auch wenn sie nicht zu „den unsrigen“ gehören, sein sind.

Wir stellen jedoch fest, dass die Geschwister zu lieben nicht einfach ist, weil sofort ihre Fehler und Mängel in Erscheinung treten und uns die Wunden aus der Vergangenheit wieder in den Sinn kommen. Hier kommt uns die Handlungsweise des Vaters zu Hilfe, der als erfahrener Winzer (vgl. Joh 15,1) genau weiß, was zu tun ist: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt“ (Joh15,2). Der Vater schneidet und stutzt zurecht. Warum? Um zu lieben, müssen wir uns dessen entledigen, was uns vom Weg abbringt, uns auf uns selbst fixiert sein lässt und uns so hindert, Frucht zu bringen. Bitten wir daher den Vater, die Vorurteile über die anderen und die weltlichen Anhänglichkeiten zurückzuschneiden, die die volle Einheit mit all seinen Kindern verhindern. Wenn wir auf diese Weise durch die Liebe gereinigt sind, werden wir die irdischen Hindernisse und die einstigen Blockaden zurücktreten lassen können, die uns heute vom Evangelium ablenken.

Der dritte Kreis der Einheit, der weiteste, ist die gesamte Menschheit. Wir können in diesem Bereich über das Wirken des Heiligen Geistes nachdenken. In Christus, dem Weinstock, ist er der Lebenssaft, der alle Teile erreicht. Aber der Geist weht, wo er will, und überall will er zur Einheit zurückführen. Er führt uns dazu, nicht nur die zu lieben, die uns mögen und so denken wie wir, sondern alle, so wie Jesus es uns gelehrt hat. Er macht uns fähig, den Feinden und das erlittene Unrecht zu vergeben. Er treibt uns an, in der Liebe aktiv und kreativ zu sein. Er erinnert uns, dass der Nächste nicht nur derjenige ist, mit dem wir unsere Werte und Vorstellungen teilen, sondern dass wir gerufen sind, zum Nächsten aller zu werden, gute Samariter einer verwundbaren, armen und leidenden Menschheit zu werden, einer heute besonders leidenden Menschheit, die auf den Straßen der Welt darniederliegt und die Gott voll Erbarmen wieder aufrichten will. Der Heilige Geist, Urheber der Gnade, möge uns helfen, in der Selbstlosigkeit zu leben, auch denjenigen zu lieben, der es nicht erwidert, denn in der reinen und uneigennützigen Liebe bringt das Evangelium Frucht. Von den Früchten erkennt man den Baum: von der ohne Gegenleistung erbrachten Liebe erkennt man, dass wir dem Weinstock Jesu angehören.

Der Heilige Geist lehrt uns so die Konkretheit der Liebe zu allen Brüdern und Schwestern, mit denen wir die gleiche Menschheit teilen, jene Menschheit, die Christus auf unzertrennliche Weise an sich gebunden hat, da er uns sagte, dass wir ihn immer in den Ärmsten und Bedürftigen finden werden (vgl. Mt 25,31-45). Wenn wir ihnen gemeinsam dienen, werden wir uns als Geschwister wiederentdecken und in der Einheit wachsen. Der Geist, der das Angesicht der Erde erneuert, mahnt uns, uns auch um das gemeinsame Haus zu sorgen, mutige Entscheidungen über die Art und Weise unseres Lebens und Konsumverhaltens zu treffen, denn das Gegenteil von Fruchtbringen ist die Ausbeutung. Es ist unwürdig, die kostbaren Ressourcen zu verschwenden, derer viele beraubt sind.

Derselbe Geist, der den ökumenischen Weg angestoßen hat, ist es, der uns heute Abend zum Gebet zusammenführt. Und während wir die Einheit erfahren, die aus der Hinwendung zu Gott mit einer einzigen Stimme entsteht, möchte ich all denen danken, die in dieser Woche für die Einheit der Christen gebetet haben und darin fortfahren. Ich richte meine brüderlichen Grüße an die Vertreter der hier versammelten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften: an die jungen orthodoxen und orientalisch-orthodoxen Christen, die mit der Unterstützung des Rates zur Förderung der Einheit der Christen in Rom studieren; an die Professoren und Studenten des Ecumenical Institute at Bossey, die wie in den vergangenen Jahren hätten nach Rom kommen sollen, aber leider aufgrund der Pandemie verhindert waren und uns durch die Medien folgen.

Liebe Brüder und Schwestern, bleiben wir vereint in Christus: Der Heilige Geist, der in unsere Herzen ausgegossen ist, möge uns wahrnehmen lassen, dass wir Kinder des Vaters sind, Brüder und Schwestern untereinander, Brüder und Schwestern in der einzigen Menschheitsfamilie. Die Allerheiligste Dreifaltigkeit, Gemeinschaft der Liebe, möge uns in der Einheit wachsen lassen.

 



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana