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BESUCH DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE IN ROM

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

Sonntag, 15. November 2015

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Antworten des Heiligen Vaters auf die während der Begegnung vorgetragenen Fragen:

1) Ich heiße Julius. Ich bin neun Jahre alt, und ich nehme sehr gerne an den Kindergottesdiensten in dieser Gemeinde teil. Ich bin fasziniert von den Geschichten von Jesus, und mir gefällt auch, wie er sich verhält. Meine Frage ist: Was gefällt dir am meisten daran, Papst zu sein?

Die Antwort ist einfach. Was mir gefällt … Wenn ich dich frage, was dir vom Essen am meisten schmeckt, wirst du sagen die Torte, die Nachspeise. Oder nicht? Man muss aber alles essen. Das, was mir, ehrlich gesagt, gefällt, ist Pfarrer sein, Hirte sein. Ich mag nicht gern die Büroarbeiten machen. Diese Arbeiten gefallen mir nicht. Ich gebe nicht gern protokollarische Interviews – dieses hier ist nicht protokollarisch, sondern familiär –, aber ich muss sie machen. Was gefällt mir daher am meisten? Pfarrer sein. Eine Zeit lang, als ich Rektor der Theologischen Fakultät war, war ich Pfarrer der Pfarrei neben der Fakultät, und, weißt du, gerne lehrte ich die Kinder den Katechismus und feierte die Kindermesse am Sonntag. Es waren ungefähr 250 Kinder; es war schwer, dass sie alle ruhig blieben, wirklich schwer. Das Gespräch mit den Kindern … das mag ich. Du bist ein Junge, und vielleicht verstehst du mich. Ihr Kinder seid konkret, ihr macht keine leeren theoretischen Fragen: „Warum ist das so? Warum ….?“ Nun, ich bin gerne Pfarrer, und wenn ich Pfarrer bin, ist das, was mir am meisten gefällt, das mit den Kindern sein, mit ihnen zu sprechen, und man lernt viel, ja man lernt viel dabei. Ich bin gerne Papst im Stil eines Pfarrers. Der Dienst. Mir gefällt es, d.h. im Sinn dass ich mich dabei gut fühle, wenn ich die Kranken besuche, wenn ich mit Menschen spreche, die ein wenig verzweifelt, traurig sind. Ich liebe es sehr, das Gefängnis zu besuchen, aber nicht dass sie mich hinter Gitter bringen! Denn mit den Häftlingen zu sprechen … – du verstehst vielleicht, was ich dir sage – denn jedes Mal, wenn ich das Gefängnis betrete, frage ich mich: „Warum sie und nicht ich?“ Und dort spüre ich das Heil Jesu Christi, die Liebe Jesu Christi für mich. Denn er ist es, der mich gerettet hat. Ich bin nicht weniger Sünder als sie, aber der Herr hat mich an der Hand genommen. Auch das spüre ich. Und wenn ich ins Gefängnis gehe, bin ich glücklich. Papst sein heißt Bischof sein, Pfarrer sein, Hirte sein. Wenn ein Papst nicht Bischof ist, wenn ein Papst nicht Pfarrer ist, nicht Hirte ist, dann mag er ein sehr intelligenter Mensch sein, sehr wichtig sein, großen Einfluss in der Gesellschaft haben, aber ich denke – so denke ich! –, in seinem Herzen ist er nicht glücklich. Ich weiß nicht, ob ich beantwortet habe, was du wissen wolltest.

2) Ich heiße Anke de Bernardinis, und wie viele Menschen unserer Gemeinde bin ich mit einem Italiener verheiratet, einem römisch-katholischen Christen. Seit vielen Jahren leben wir glücklich miteinander und teilen Freud und Leid. Daher schmerzt es uns sehr, dass wir im Glauben getrennt sind und am Abendmahl des Herrn nicht gemeinsam teilnehmen können. Was können wir tun, um endlich die Gemeinschaft in diesem Punkt zu erlangen?

Danke, Frau de Bernardinis. Auf die Frage über das gemeinsame Abendmahl des Herrn zu antworten, ist nicht einfach für mich, vor allem vor einem Theologen wie Kardinal Kasper. Da „fürchte“ ich mich! Ich denke: Der Herr hat uns gesagt, als er diesen Auftrag gab: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Und wenn wir das Abendmahl des Herrn teilen, erinnern wir daran und ahmen wir nach, tun wir das Gleiche, was Jesus der Herr getan hat. Und das Mahl des Herrn wird es geben, das Hochzeitsmahl am Ende wird es geben, aber dieses wird das letzte sein. Unterwegs hingegen, frage ich mich – und ich weiß nicht, wie antworten, aber ich mache mir Ihre Frage zu Eigen – da frage ich mich: das Abendmahl des Herrn zu teilen ist das Ende eines Weges oder die Stärkung auf dem Weg, um gemeinsam voranzuschreiten? Ich überlasse die Frage den Theologen, denen, die es verstehen. Es stimmt, dass in einem gewissen Sinn teilen heißt, dass keine Unterschiede zwischen uns bestehen, dass wir die gleiche Lehre haben – ich unterstreiche das Wort, ein schwer zu verstehendes Wort –, doch frage ich mich: Aber haben wir nicht die gleiche Taufe? Und wenn wir die gleiche Taufe haben, müssen wir gemeinsam gehen. Sie sind ein Zeugnis eines auch tiefgründigen Weges, da es ein ehelicher Weg ist, ein Weg eben von Familie, menschlicher Liebe und geteiltem Glauben. Wir haben die gleiche Taufe. Wenn Sie sich als Sünderin fühlen – auch ich fühle mich sehr als Sünder –, wenn Ihr Gatte sich als Sünder fühlt, dann gehen Sie vor den Herrn und bitten um Vergebung; Ihr Gatte tut das Gleiche und geht zum Priester und bittet um die Lossprechung. Es sind Heilmittel, um die Taufe lebendig zu erhalten. Wenn Sie gemeinsam beten, dann wächst diese Taufe, wird sie stärker. Wenn Sie Ihre Kinder lehren, wer Jesus ist, warum Jesus gekommen ist, was Jesus uns getan hat, so tun Sie das Gleiche, mit lutherischer wie auch mit katholischer Sprache, doch ist es das Gleiche. Die Frage: „Und das Abendmahl?“ Es gibt Fragen, auf die man – nur wenn man ehrlich zu sich selbst ist und mit den wenigen theologischen „Lichtern“, die ich habe – ebenso antworten muss, Sie sehen es. „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“, hat der Herr gesagt, „tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Und das ist eine Stärkung auf dem Weg, die uns voranzuschreiten hilft. Ich pflegte eine große Freundschaft mit einem Bischof der Episkopalkirche, 48 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, der diese große Unruhe hatte: die Frau katholisch, die Kinder katholisch, er Bischof. Sonntags begleitete er seine Frau und seine Kinder zur Messe, und dann ging er den Gottesdienst in seiner Gemeinde feiern. Es war ein Schritt der Teilnahme am Abendmahl des Herrn. Dann ging er weiter, der Herr hat ihn gerufen, einen gerechten Mann. Auf Ihre Frage antworte ich nur mit einer Frage: Wie kann ich es mit meinem Mann machen, damit das Abendmahl des Herrn mich auf meinem Weg begleitet? Es ist ein Problem, auf das jeder antworten muss. Ein befreundeter Pastor sagte mir jedoch: „Wir glauben, dass hier der Herr gegenwärtig ist“. Er ist gegenwärtig. Ihr glaubt, dass der Herr gegenwärtig ist. Was ist der Unterschied?“ – „Nun, es sind die Erklärungen, die Deutungen …“ Das Leben ist größer als Erklärungen und Deutungen. Nehmt immer auf die Taufe Bezug: „Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr“, sagt uns Paulus, und von daher zieht die Schlussfolgerungen. Ich werde nie wagen, Erlaubnis zu geben, dies zu tun, denn es ist nicht meine Kompetenz. Eine Taufe, ein Herr, ein Glaube. Sprecht mit dem Herrn und geht voran. Ich wage nicht mehr zu sagen.

3) Ich heiße Gertud Wiedmer und komme aus der Schweiz. Ich bin die Kassenverwalterin unserer Gemeinde und engagiere mich sehr in unserem Projekt für die Flüchtlinge. Es trägt den Namen „Teddybär“ und damit unterstützen wir zirka 80 junge Mütter mit ihren kleinen Kindern, die aus Nordafrika nach Rom gekommen sind. Wir sehen das Elend. Wir versuchen, Hilfestellung zu leisten. Doch wissen wir auch, dass unsere Möglichkeiten ein Ende haben. Was können wir als Christen tun, damit die Menschen nicht resignieren oder nicht neue Mauern errichten?

Sie als Schweizerin, als Kassenverwalterin haben alle Macht in Ihrer Hand! Ein Dienst … Das Elend … Sie haben dieses Wort gesagt: Elend. Es fallen mir zwei Dinge zu sagen ein. Erstens, die Mauern. Der Mensch ist vom ersten Augenblick an – wenn wir die Schrift lesen – ein großer Erbauer von Mauern, die von Gott trennen. Auf den ersten Seiten der Genesis sehen wir das. Und hinter den menschlichen Mauern steckt viel Fantasie, die Fantasie, wie Gott zu werden. Für mich ist der Mythos, um es mit den Fachausdrücken zu sagen, oder die Erzählung vom Turmbau zu Babel genau die Haltung der Männer und Frauen, die Mauern errichten, denn eine Mauer zu errichten heißt: „Wir sind die Mächtigen, ihr seid draußen.“ Aber in diesem „Wir sind die Mächtigen und ihr seid draußen“ liegt der Hochmut der Macht und die Haltung, die auf den ersten Seiten der Genesis vorgeschlagen wird: „Ihr werdet wie Gott“ (Gen 3,5). Eine Mauer zu bauen, um auszuschließen, geht in diese Richtung. Die Versuchung: „Wenn ihr von dieser Frucht esst, werdet ihr wie Gott.“ Bezüglich des Turmbaus zu Babel – vielleicht habt ihr mich das schon sagen hören, da ich es wiederhole, aber es ist sehr anschaulich – gibt es einen Midrasch, der um 1200, zur Zeit von Thomas von Aquin, vom Maimonides, mehr oder weniger zu dieser Zeit von einem jüdischen Rabbiner geschrieben wurde, der den Seinen in der Synagoge den Turmbau zu Babel erklärte, wo sich die Macht des Menschen spüren ließ. Es war sehr schwierig, sehr kostspielig, denn man musste Lehm machen, und nicht immer war Wasser in der Nähe, Stroh suchen, die Masse anmachen und dann zuschneiden, die Ziegel trocknen, trocknen lassen, sie dann im Ofen brennen, und am Ende stieg man hinauf und die Arbeiter nahmen sie … Wenn einer dieser Ziegel hinunterfiel, war es eine Katastrophe, den sie waren ein Vermögen, sie waren teuer, sie kosteten. Wenn hingegen ein Arbeiter hinunterfiel, passierte nichts! Die Mauer schließt immer aus, sie bevorzugt die Macht – in diesem Fall die Macht des Geldes, da der Ziegel kostete oder der Turm, der bis in den Himmel reichen wollte – und so schließt die Mauer immer die Menschheit aus. Die Mauer ist das Denkmal für den Ausschluss. Wie oft werden auch in uns, in unserem inneren Leben, der Reichtum, die Eitelkeit, der Stolz eine Mauer vor dem Herrn und entfernen uns vom Herrn. Mauern bauen. Das Wort, das mir jetzt einfällt, ein wenig spontan, ist jenes von Jesus: Was tun, um keine Mauern zu bauen? Dienst. Übernehmt die Rolle des Letzten. Wasche die Füße. Er hat dir das Beispiel gegeben. Dienst an den anderen, Dienst an den Brüdern, an den Schwestern, Dienst an den am meisten Bedürftigen. Mit diesem Werk der Unterstützung von 80 jungen Müttern baut ihr keine Mauern, sondern dient ihr. Der menschliche Egoismus möchte sich verteidigen; die eigene Macht verteidigen, den eigenen Egoismus verteidigen, aber durch dieses Verteidigen entfernt man sich von der Quelle des wahren Reichtums. Am Ende sind die Mauern gleichsam ein Selbstmord, sie schließen dich ein. Es ist eine hässliche Sache, ein verschlossenes Herz zu haben. Auch der Name des Herrn wird gebraucht, um die Herzen zu verschließen. Sie haben mich gefragt: „Wir versuchen, Hilfe zu bieten. Doch wissen wir auch, dass unsere Möglichkeiten ein Ende haben. Was können wir als Christen tun, damit die Menschen nicht resignieren oder nicht neue Mauern errichten?“ Klar reden, beten – das Gebet ist nämlich stark – und dienen, ja, und dienen. Eines Tages wurde Mutter Teresa von Kalkutta gefragt: „Aber all diese Mühe, die Sie tun, nur um diese Menschen, die drei, vier Tage vor ihrem Tod stehen, in Würde sterben zu lassen, was ist das?“ Es ist ein Tropfen Wasser im Meer, aber danach ist das Meer nicht mehr das gleiche. Durch das Dienen stürzen immer die Mauern von allein ein; doch unser Egoismus, unser Wunsch nach Macht sucht sie zu errichten. Ich weiß es nicht, das kommt mir in den Sinn zu sagen. Danke.


Predigt des Heiligen Vaters:

Jesus hat während seines Lebens so oft eine Wahl getroffen. Das, was wir heute gehört haben, wird die letzte dieser Entscheidungen sein. Jesus hat viele Male eine Wahl getroffen: Die ersten Jünger hat er ausgewählt; die Kranken, die er heilte; die Menschenmenge, die ihm folgte … – sie folgte ihm, um ihn zu hören, weil er wie einer sprach, der Vollmacht hat, nicht wie ihre Schriftgelehrten, die sich aufplusterten. Wir können ja nachlesen, wer diese Leute waren: zwei Kapitel zuvor, im 23. Kapitel des Matthäusevangeliums. Nein – an ihm sahen sie, dass er echt war; und das Volk folgte ihm. Jesus traf seine Auswahl stets mit Liebe, ebenso wie er das bei seinen Zurechtweisungen tat. Wenn die Jünger in ihren Methoden einen Fehler gemacht hatten: „Sollen wir Feuer vom Himmel fallen lassen? …“ – „Ihr wisst nicht, was für ein Geist aus euch spricht“ (vgl. Lk 9,54f). Oder als die Mutter von Jakobus und Johannes zum Herrn ging, um ihn zu fragen: „Herr, ich will dich um den Gefallen bitten, dass meine beiden Söhne in deinem Reich rechts und links neben dir sitzen dürfen …“ (vgl. Mt 20,21). Jesus korrigierte diese Dinge: Immer leitete er, begleitete er. Aber auch nach der Auferstehung rührt es das Herz, Jesus zu erleben, wie er die richtigen Momente wählt, die Menschen auswählt und sie nicht erschreckt. Denken wir an die Wanderung nach Emmaus, wie er [die beiden Jünger] begleitete. Sie sollten nach Jerusalem gehen, aber sie sind vor Angst aus Jerusalem geflohen. Und er geht mit ihnen, er begleitet sie. Und dann gibt er sich zu erkennen und gewinnt sie zurück. Das ist eine Wahl Jesu. Und dann die große Wahl, die mich immer bewegt, als er das Hochzeitsmahl des Sohnes vorbereitet und sagt: „Geht schnell an die Straßenkreuzungen und holt die Blinden, die Tauben und die Lahmen herbei …“ (vgl. Mt 22, 9; Lk 14,21). Die Guten und die Bösen! Jesus trifft immer eine Wahl. Und dann die Wahl des verlorenen Schafs. Er macht keine Finanzkalkulation: „Davon habe ich 99, ich habe einen Verlust von einer …“. Nein. Doch seine letzte Auswahl wird jene endgültige sein. Und welche Fragen wird er an jenem Tag stellen? „Bist du zur Messe gekommen? Hast du eine gute Katechese gemacht?“. Nein, die Fragen werden von den Armen handeln; denn die Armut steht im Zentrum des Evangeliums. Er, der reich war, ist arm geworden, um uns mit seiner Armut reich zu machen. Er hielt nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich. Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz (vgl. Phil 2,6-8). Es ist die Wahl des Dienstes. Jesus ist Gott? Das ist wahr. Er ist der Herr. Das ist wahr. Aber er ist der Diener, diese Wahl trifft er. Und du? Hast du dein Leben für dich selbst benutzt oder, um zu dienen? Um dich vor den anderen durch Mauern zu verteidigen oder um sie mit Liebe anzunehmen? Das wird die letzte Entscheidung Jesu sein. Diese Seite des Evangeliums sagt uns so viel über den Herrn! Nun kann ich mir die Frage stellen: Wir, Lutheraner und Katholiken, auf welcher Seite werden wir stehen, rechts oder links? Es gab schlimme Zeiten zwischen uns … Denkt an die Verfolgungen … unter uns! Mit der gleichen Taufe! Denkt an die vielen Menschen, die bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Wir müssen einander um Verzeihung bitten für diesen Skandal der Teilung, weil wir alle, Lutheraner und Katholiken, unter diese Wahl fallen – nicht unter andere – diese Wahl des Dienstes, wie er es uns vorgelebt hat: als Diener, als Knecht des Herrn.

Mir gefällt es – und hiermit will ich schließen –, wenn ich den Herrn als Diener, der dient, betrachte, dann gefällt es mir, ihn zu bitten, dass er der Diener der Einheit sei, der uns helfe, gemeinsam voranzuschreiten. Heute haben wir gemeinsam gebetet. Gemeinsam beten, gemeinsam für die Armen und für die Bedürftigen arbeiten; sich gegenseitig lieben, mit der wahren Liebe von Geschwistern. „Aber, Pater, wir sind doch verschieden, weil unsere Dogmatikbücher eine Sache sagen und eure eine andere“. Ein großes Mitglied von euch hat einmal davon gesprochen, dass es Zeit sei für die versöhnte Verschiedenheit. Bitten wir heute um diese Gnade, die Gnade dieser versöhnten Verschiedenheit im Herrn, also im Knecht Jahwes, jenes Gottes, der zu uns gekommen ist, nicht um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen (vgl. Mk 10,42).

Ich danke euch sehr für diese brüderliche Gastfreundschaft. Danke.


Vorbereitete Ansprache des Heiligen Vaters:

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

die heutige Begegnung erlaubt uns, gemeinsam eine Zeit des geschwisterlichen Gebetes zu verbringen, und sie gibt uns auch die Gelegenheit, über unsere Beziehungen und über die Situation der Ökumene im Allgemeinen nachzudenken. Vor allem dürfen wir dem Herrn für die zahlreichen Schritte danken, die wir auf die Einheit hin gemacht haben, auch wenn uns bewusst ist, dass der vor uns liegende Weg noch lang ist.

Die ökumenische Bewegung ist heute ein grundlegendes Element im Leben unserer Gemeinschaften geworden. Viele Menschen verschiedener Generationen haben sich die Fortschritte auf dem Gebiet der Ökumene zum Ziel gesetzt, für das es sich beständig einzusetzen lohnt. Viele Männer und Frauen sind zur Zusammenarbeit bereit, um gemeinsam die Trennungen zu überwinden, die immer noch zwischen uns Christen bestehen. Auf lokaler, regionaler und globaler Ebene erlebt man eine sehr lebendige Ökumene. Auch außerhalb unserer Gemeinschaften suchen die Menschen von heute einen auf authentische Weise gelebten Glauben. Und diese Suche ist auch das Hauptmotiv für den ökumenischen Fortschritt.

Wenn die Ökumene eine Zukunft haben will, dann muss sie von den Sorgen und Problemen der Menschen heute ausgehen. An erster Stelle geht es darum, uns gegenseitig als Gemeinschaften von Gläubigen anzuerkennen, die das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit suchen, und dies in der Gewissheit, dass uns dann das Übrige dazugegeben wird (vgl. Mt 6,33). Auf diesem gemeinsamen Weg können wir uns gegenseitig kennen lernen, uns unterstützen, ermutigen und die Geschenke eines gelebten Glaubens als Reichtum und Kraftquelle erfahren.

Das Evangelium, das wir gehört haben, hat uns noch einmal das Gleichnis vom Jüngsten Gericht vorgelegt (vgl. Mt 25,31-46). Das erinnert uns daran, dass wir beurteilt werden – beziehungsweise es schon sind – aufgrund unserer konkreten Nähe zu unserem Bruder in seiner realen Situation und in seiner Verfassung. Das setzt eine Fähigkeit zur Aufmerksamkeit, zum Mitleid, zum Teilen und zum Dienen voraus.

Es ist eine Weise, Kirche zu sein, wie es das Zweite Vatikanische Konzil in den Anfangsworten der Pastoralkonstitution Gaudium et spes ausdrückt: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi“ (Nr. 1). Das ist auch ökumenische Berufung und Auftrag von Katholiken und Lutheranern und aller anderer Christen: ein gemeinsamer Einsatz im Dienst der Nächstenliebe, vor allem für die Kleinsten und die Ärmsten, der unsere Zugehörigkeit zu Christus glaubwürdig macht. Andernfalls wird diese Zugehörigkeit von den Teilungen und den Konflikten zwischen den Kirchen und zwischen den Gläubigen gefährdet. Wir können gemeinsam die Freude und die Mühe der Diakonia der Nächstenliebe in einer intensiveren ökumenischen Zusammenarbeit übernehmen. Wir können das für die Kinder und die am meisten benachteiligten alten Menschen tun, für die Flüchtlinge, für alle, die Fürsorge und Halt brauchen.

Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt für unseren Weg der Einheit ist die Wiederentdeckung des gesamten Reichtums des gemeinsamen Gebetes, der liturgischen Texte und der verschiedenen Formen des Gottesdienstes. Die ökumenischen Wortgottesdienste, wie zum Beispiel die ökumenische Feier des Stundengebetes. Zur geistlichen Ökumene gehört in besonderer Weise auch das gemeinsame Lesen der Bibel. Ich erinnere ausdrücklich an die Gebetswoche für die Einheit der Christen, den ökumenischen Weltgebetstag für die Bewahrung der Schöpfung jeweils am 1. September jeden Jahres und an andere Momente, die eure Gemeinde schon eifrig mit verschiedenen ökumenischen Partnern organisiert.

Darüber hinaus sind wir im Licht der einen Taufe – Lutheraner wie Katholiken – dazu gerufen, den theologischen Dialog fortzusetzen. Nach fünfzig Jahren ökumenischen Dialogs zeigen uns die erreichten Bemühungen, dass all das, was uns verbindet, schon viel mehr ist als das, was uns noch trennt. Wir sind ständig auf der Suche nach einem tieferen Kenntnis der göttlichen Wahrheit. Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt uns, dass wir in unseren Anstrengungen durchhalten müssen, um gemeinsam neue Aspekte der göttlichen Offenbarung zu entdecken und für sie gemeinsam Zeugnis abzulegen, ganz nach dem Willen des Herrn. Mit dieser Zuversicht in den Dialog können wir dann besonders die Themen Kirche, Eucharistie und Amt angehen.

Mir scheint es auch grundlegend zu sein, dass die katholische Kirche mutig eine aufmerksame und ehrliche Neubewertung der Absichten der Reformation und der Person Martin Luthers unternimmt, und zwar vor dem Hintergrund der „Ecclesia semper reformanda“, der immer zu erneuernden Kirche, auf der großen Spur, welche das Konzil gelegt hat, wie auch so vieler Männer und Frauen, die vom Licht und der Kraft des Heiligen Geistes beseelt sind. Das jüngste Dokument der lutherisch-katholischen Kommission für die Einheit, „Vom Konflikt zur Gemeinschaft – Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017“ hat sich diese Reflexion auf vielversprechende Weise vorgenommen und sie umgesetzt.

So ruht die Ökumene zwischen Katholiken und Lutheranern, die eine Grundbedingung ist für ein überzeugendes Zeugnis unseres Glaubens an Christus vor allen Menschen unserer Zeit, auf diesen Säulen: dem gemeinsamen Gebet, dem diakonischen Teilen mit den Armen und dem theologischen Dialog.

Bald beginnt das Heilige Jahr der Barmherzigkeit. Ich lade Sie ein, uns auf diesem Weg zu begleiten, in ökumenischer Gemeinschaft, in Rom und in allen Kirchen und örtlichen Gemeinschaften, so dass dieses Jahr für alle ein Moment der Wiederentdeckung dieser Barmherzigkeit Gottes und der Schönheit der brüderlichen Liebe wird.

Der Herr segne euch und behüte euch in seinem Frieden.

 



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