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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS 
ZUR ABSCHLUSSMESSE DES 
52. EUCHARISTISCHEN WELTKONGRESSES IN BUDAPEST UND IN DIE SLOWAKEI 
(12.-15. SEPTEMBER 2021)

BEGEGNUNG MIT DEN BISCHÖFEN, PRIESTERN, ORDENSLEUTEN, SEMINARISTEN UND KATECHISTEN

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS 

 St.-Martins-Kathedrale (Bratislava)
Montag, 13. September 2021

[Multimedia]

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Liebe Brüder im Bischofsamt,
liebe Priester, Ordensleute und Seminaristen,
Liebe Katechetinnen und Katecheten, liebe Schwestern und Brüder, guten Tag!

Ich grüße euch voll Freude und danke Bischof Stanislav Zvolenský für die Worte, die er an mich gerichtet hat. Danke, dass Ihr mich eingeladen habt und dass ich mich hier wie zu Hause fühlen darf. Ich komme als euer Bruder und fühle mich daher als einer von euch. Ich bin hier, um euch auf eurem Weg zu begleiten – das muss der Bischof, der Papst machen –, und mich mit euch zu euren Fragen, den Erwartungen und Hoffnungen der Kirche und dieses Landes auszutauschen. Und, wo ich vom Land spreche, ich habe gerade der Frau Präsidentin gesagt, dass die Slowakei eine Poesie ist! Teilen war der Stil der Urgemeinde. Sie waren ausdauernd und einmütig, sie waren gemeinsam auf dem Weg (vgl. Apg 1,12-14).

Das ist das Erste, was wir brauchen: eine Kirche, die gemeinsam auf dem Weg ist, die mit der brennenden Fackel des Evangeliums die Straßen des Lebens durchwandert. Die Kirche ist keine Festung; sie ist keine Machthaberin, keine hoch erhabene Burg, die auf die Welt distanziert und überheblich herabblickt. Es gibt hier in Bratislava schon eine Burg, und sie ist sehr schön! Aber die Kirche ist die Gemeinschaft, die die Menschen mit der Freude des Evangeliums zu Christus führen will, – nicht die Burg! –, sie ist der Sauerteig, der das Reich der Liebe und des Friedens im Teig der Welt aufgehen lässt. Bitte, lasst uns nicht der Versuchung des Prunks und weltlicher Größe erliegen! Die Kirche muss demütig sein, wie es Jesus war, der sich ganz entäußert hat, der arm wurde, um uns reich zu machen (vgl. 2 Kor 8,9): so ist er gekommen, um unter uns zu wohnen und unser verletztes Menschsein zu heilen.

Ja, eine demütige Kirche, die sich nicht von der Welt absondert und nicht aus der Distanz auf das Leben schaut, sondern ihm innewohnt, ist schön. Innewohnen, vergessen wir das nicht: teilen, gemeinsam gehen, die Fragen und Erwartungen der Menschen aufnehmen. Dies hilft uns, aus der Selbstbezogenheit herauszutreten. Das Zentrum der Kirche… Wer ist das Zentrum der Kirche? Das ist nicht die Kirche! Und wenn die Kirche sich selbst beschaut, endet sie wie die Frau im Evangelium: ganz verkrümmt in sich selbst und ihren Bauchnabel betrachtend (vgl. Lk 13,10-13). Das Zentrum der Kirche ist nicht sie selbst. Lassen wir die übertriebene Sorge um uns selbst, um unsere Strukturen, um das Ansehen in der Gesellschaft. Und das führt uns am Ende zu einer „Theologie der Schminke“ … Wie schminken wir uns am besten … Tauchen wir stattdessen in das reale Leben der Menschen ein – das reale Leben – und fragen wir uns: Was sind die geistlichen Bedürfnisse und Erwartungen unserer Menschen? Was erwarten sie von der Kirche? Es scheint mir wichtig, dass wir versuchen diese Fragen zu beantworten, und dabei fallen mir drei Worte ein.

Das erste lautet Freiheit. Ohne Freiheit gibt es keine wahre Menschlichkeit, denn der Mensch wurde frei geschaffen und um frei zu sein. Die dramatischen Zeiten in der Geschichte eures Landes geben eine bedeutende Lektion: als die Freiheit verwundet, verletzt und getötet wurde, wurde der Mensch herabgewürdigt und es tobten die Stürme der Gewalt, des Zwangs und der Entrechtung.

Gleichzeitig ist die Freiheit aber auch keine automatische Errungenschaft, die einfach so für immer bleibt. Nein! Die Freiheit ist stets ein Weg, manchmal ein mühevoller Weg, der immer neu beschritten werden muss. Man muss jeden Tag um die Freiheit ringen. Um wirklich frei zu sein, reicht es nicht aus, nur äußerlich oder in den Strukturen der Gesellschaft frei zu sein. Die Freiheit verlangt von uns, dass wir für unsere Entscheidungen Verantwortung übernehmen, dass wir unterscheiden und uns im Leben weiterentwickeln. Und das ist anstrengend, das macht uns Angst. Manchmal ist es bequemer, sich von konkreten Situationen nicht herausfordern zu lassen und einfach so weiterzumachen wie bisher, ohne persönlichen Einsatz, ohne das Risiko einer Entscheidung, weil es besser erscheint, sein Leben nach dem auszurichten, was andere – vielleicht die Masse oder die öffentliche Meinung oder die Dinge, die uns die Medien verkaufen – für uns entscheiden. Das geht nicht! Und heute machen wir oft die Sachen, die die Medien für uns entscheiden. So verliert man die Freiheit. Erinnern wir uns an die Geschichte des Volkes Israel: Es litt unter der Tyrannei des Pharaos, es lebte in der Sklaverei; dann wurde es vom Herrn befreit, aber um wirklich frei zu werden, nicht nur von seinen Feinden, muss es die Wüste durchqueren, muss es diesen mühsamen Weg gehen. Und dabei kam der Gedanke auf: „Früher ging es uns fast besser, wenigstens hatten wir genug zu essen...“. Das ist eine große Versuchung: lieber genug zu essen haben als die Mühe und das Risiko der Freiheit. Das ist eine der Versuchungen. Gestern habe ich mit einer ökumenischen Gruppe gesprochen. Ich erinnerte an Dostojewski mit dem „Großinquisitor“. Christus kommt unerkannt auf die Erde zurück, und der Großinquisitor tadelt ihn dafür, dass er den Menschen die Freiheit gegeben hat. Etwas Brot und ein Häppchen genügt. Ein wenig Brot und etwas dazu reicht aus. Immer diese Versuchung, die Versuchung der Fleischtöpfe. Besser ein bisschen Fleisch und Brot als die Mühe und das Risiko der Freiheit. Ich überlasse es euch, weiter darüber nachzudenken.

Manchmal ist man auch in der Kirche für diese Idee anfällig. Dann erscheint es besser, alles ist vorgegeben und man hat Gesetze, die einzuhalten sind, Sicherheit und Einförmigkeit, als dass man verantwortungsbewusst und mündig das eigene Christsein lebt, selber denkt, das eigene Gewissen befragt und sich hinterfragen lässt. Das ist der Anfang der Kasuistik, alles wird geregelt … Im geistlichen und kirchlichen Leben besteht die Versuchung, dass man einen falschen Frieden sucht, der uns beruhigt sein lässt, anstatt das Feuer des Evangeliums, das uns aufrüttelt, das uns verwandelt. Die sicheren Fleischtöpfe Ägyptens sind bequemer als die unbekannte Nahrung in der Wüste. Aber eine Kirche, die keinen Raum für das Abenteuer der Freiheit lässt, auch nicht im geistlichen Leben, läuft Gefahr, zu einem starren und abgeschlossenen Ort zu werden. Vielleicht sind einige Menschen daran gewöhnt, aber viele andere – vor allem die jüngeren Generationen – fühlen sich von einem Glaubensangebot, das ihnen keine innere Freiheit lässt, nicht angezogen, und ebenso sind sie von einer Kirche, in der alle gleich denken und blind gehorchen müssen, nicht angetan.

Liebe Freunde, habt keine Angst, die Menschen zu einer reifen und freien Gottesbeziehung hinzuführen. Bedeutsam ist diese Beziehung. Vielleicht haben wir dann den Eindruck, dass wir nicht alles kontrollieren können, dass wir an Macht und Autorität verlieren; aber die Kirche Christi will nicht die Gewissen beherrschen und Räume besetzen, sie will eine „Quelle“ der Hoffnung im Leben der Menschen sein. Das ist ein Risiko. Das ist eine Herausforderung. Ich sage das vor allem den Hirten: Ihr übt euren Dienst in einem Land aus, in dem sich vieles schnell verändert hat und viele demokratische Prozesse in Gang gesetzt wurden, aber die Freiheit ist immer noch fragil – vor allem in den Herzen und Köpfen der Menschen. Deshalb ermutige ich euch, sie wachsen zu lassen – frei von einer starren Religiosität. Aus so etwas muss man aussteigen. Auf dass sie frei heranwachsen! Niemand soll sich erdrückt fühlen. Möge jeder die Freiheit des Evangeliums entdecken und allmählich in eine Beziehung zu Gott eintreten, mit dem Vertrauen eines Menschen, der weiß, dass er seine eigene Geschichte und seine eigenen Wunden vor ihn bringen kann, ohne Angst und ohne sich verstellen zu müssen, ohne Sorge darum, das eigene Image verteidigen zu müssen. Man kann sagen: „Ich bin ein Sünder“. Aber sage es mit Aufrichtigkeit. Nicht indem du dir auf die Brust schlägst und dann weiter glaubst, gerecht zu sein. Die Freiheit. Möge die Verkündigung des Evangeliums befreiend und niemals erdrückend sein. Und möge die Kirche ein Zeichen der Freiheit und der Gastfreundschaft sein!

Ich bin sicher, dass man von diesem nie weiß, woher es kommt. Ich erzähle euch eine Sache, die vor einiger Zeit passiert ist. Ein Brief eines Bischofs, der über einen Nuntius sprach. Er sagte: „Na, wir waren 400 Jahre unter den Türken und haben gelitten. Dann waren wir 50 Jahre unter dem Kommunismus und haben gelitten. Aber die sieben Jahre mit diesem Nuntius waren schlimmer als die beiden anderen Zeiten!“ Manchmal frage ich mich: wie viele Menschen können das Gleiche über den Bischof sagen, den sie haben, oder über den Pfarrer? Wie viele Menschen? Nein, ohne Freiheit, ohne Väterlichkeit, laufen die Dinge nicht.

Das zweite Wort – das erste war „Freiheit“ –, das zweite lautet Kreativität. Ihr seid Söhne und Töchter einer großen Tradition. Eure religiöse Erfahrung hat ihren Ursprung in der Verkündigung und im Wirken zweier leuchtender Gestalten, der Heiligen Kyrill und Methodius. Sie lehren uns, dass Evangelisierung nie bloß die Wiederholung von etwas bereits Dagewesenem ist. Die Freude des Evangeliums ist immer Christus, aber die Art und Weise, wie diese gute Nachricht ihren Weg durch Zeit und Geschichte finden kann, ist unterschiedlich. Die Wege sind ganz verschieden. Kyrill und Methodius reisten gemeinsam durch diesen Teil des europäischen Kontinents und erfanden voller Leidenschaft für die Verkündigung des Evangeliums ein neues Alphabet für die Übersetzung der Bibel, der liturgischen Texte und der christlichen Lehre. So wurden sie zu Aposteln der Inkulturation des Glaubens unter euch. Sie erfanden neue Sprachen, um das Evangelium weiterzugeben, sie waren kreativ bei der Übersetzung der christlichen Botschaft, sie waren so nah an der Geschichte der Völker, denen sie begegneten, dass sie deren Sprache sprachen und sich deren Kultur aneigneten. Braucht die Slowakei das nicht auch heute? Das frage ich mich. Ist dies nicht vielleicht die dringlichste Aufgabe der Kirche gegenüber den Völkern Europas: neue „Alphabete“ für die Verkündigung des Glaubens zu finden? Wir haben eine reiche christliche Tradition im Hintergrund, aber im Leben vieler Menschen heute bleibt sie die Erinnerung an eine Vergangenheit, die ihnen nichts mehr sagt und die ihnen für die Entscheidungen ihres Lebens keine Orientierung mehr gibt. Wenn das Gespür für Gott und die Freude am Glauben verlorengeht, nützt es nichts, sich zu beklagen, sich in einen defensiven Katholizismus zu verschanzen und die böse Welt zu verurteilen und anzuklagen. Nein, da braucht es die Kreativität des Evangeliums. Passen wir auf! Das Evangelium ist noch nicht abgeschlossen, es ist offen! Es ist in Geltung, es ist in Kraft, es geht weiter. Erinnern wir uns daran, was jene Männer taten, die einen Gelähmten zu Jesus bringen wollten und nicht durch die Eingangstür kamen. Sie öffneten ein Loch im Dach und ließen ihn von oben herab (vgl. Mk 2,1-5). Sie waren kreativ! Angesichts der Schwierigkeiten – „Wie machen wir es? … Ach, wir machen es so“–, vielleicht gegenüber einer Generation, die uns nicht glaubt, die den Sinn des Glaubens verloren hat oder die den Glauben zu einer Gewohnheit oder eine mehr oder weniger akzeptierte Kultur reduziert hat, versuchen wir eine Öffnung zu schaffen und sind wir dabei kreativ! Freiheit, Kreativität … Wie schön ist es, wenn wir es schaffen neue Wege, Möglichkeiten und Sprachen zur Verkündigung des Evangeliums zu finden! Und wir können mit der menschlichen Kreativität helfen. Jeder von uns hat diese Möglichkeit, doch der große Kreative ist der Heilige Geist“! Er ist es, der uns antreibt, kreativ zu sein! Wenn es uns mit unserer Verkündigung und unserer Seelsorge nicht mehr gelingt, auf dem gewöhnlichen Weg einzutreten, dann lasst uns versuchen, andere Räume zu öffnen, dann lasst uns andere Wege ausprobieren.

Hier mache ich einen Einschub. Das Predigen. Jemand hat mir gesagt, dass ich mich in „Evangelii gaudium“ zu sehr über die Predigt ausgelassen habe, weil sie eines der Probleme dieser Zeit ist. Ja, die Predigt ist kein Sakrament, wie einige Protestanten behaupten, sondern sie ist ein Sakramentale! Sie ist keine Fastenpredigt, nein, sie ist etwas Anderes. Sie ist im Herz der Eucharistie. Und denken wir an die Gläubigen, die Predigten von vierzig Minuten, von fünfzig Minuten, anhören müssen, über Argumente, die sie nicht verstehen, die sie nicht berühren … Liebe Priester und Bischöfe, bitte denkt darüber nach, wie ihr die Predigt vorbereitet, wie sie zu machen ist, damit ein Kontakt zu den Menschen besteht und sie vom biblischen Text Inspiration beziehen. Eine Predigt sollte normalerweise keine zehn Minuten überschreiten, weil die Menschen nach acht Minuten die Aufmerksamkeit verlieren unter der Voraussetzung, dass sie sehr interessant ist. Doch die Zeit sollte 10-15 Minuten betragen, nicht mehr. Ein Professor, den ich im Fach Homiletik gehabt habe, sagte, dass eine Predigt eine innere Kohärenz haben muss: eine Idee, ein Bild und ein Affekt. Das Volk muss weggehen mit einer Idee, einem Bild und etwas, was das Herz bewegt hat. So einfach ist die Botschaft des Evangeliums. So predigte Jesus; er sprach über die Vögel, er sprach über die Felder, er nahm etwas Anderes … die konkreten Dinge, doch das Volk verstand. Entschuldigt, wenn ich auf diesen Punkt zurückkomme, aber er beschäftigt mich … [Applaus] Jetzt erlaube ich mir eine boshafte Bemerkung: der Applaus ging von den Ordensschwestern aus, die Opfer unserer Predigten sind!

Kyrill und Methodius haben diese neue Kreativität eröffnet, sie haben dies getan und sie sagen uns: Das Evangelium kann nicht wachsen, wenn es nicht in der Kultur eines Volkes verwurzelt ist, das heißt, in seinen Symbolen, in seinen Fragen, in seinen Worten, in seiner Art zu sein. Die beiden Brüder wurden, wie ihr wisst, stark behindert und verfolgt. Sie wurden der Häresie bezichtigt, weil sie es wagten, die Sprache des Glaubens zu übersetzen. Solch eine Ideologie entsteht aus der Versuchung, alles einförmig zu machen. Hinter dem Einförmig-Machen-Wollen steht eine Ideologie. Aber die Evangelisierung ist ein Prozess der Inkulturation. Sie ist ein fruchtbarer Samen des Neuen, sie ist die Neuheit des Geistes, der alles erneuert. Der Bauer sät – sagt Jesus –, dann geht er nach Haus und schläft. Er steht nicht auf, um zu sehen, ob es wächst, ob es austreibt … Gott lässt es wachsen. Wir sollen in diesem Sinne das Leben nicht zu sehr kontrollieren: lassen wir das Leben wachsen, wie es Kyrill und Methodius gemacht haben. Unsere Aufgabe ist es, gut zu säen und zu hüten, wie es Väter tun, das ja. Der Bauer hütet, aber er geht nicht alle Tage schauen, ob es wächst. Wenn er das macht, tötet er die Pflanze.

Freiheit, Kreativität und schließlich der Dialog. Eine Kirche, die die Menschen zu einer inneren und verantwortlichen Freiheit hinführt, die es versteht, kreativ zu sein, indem sie sich hineinbegibt in Geschichte und Kultur, ist auch eine Kirche, die es versteht, in Dialog zu treten mit der Welt, mit denen, die sich zu Christus bekennen, ohne dass sie „zu uns gehören“, mit dem, der sich schwertut auf seiner religiösen Suche, auch mit dem, der nicht glaubt. Sie wählt sich nicht ein Grüppchen aus, nein, sie führt einen Dialog mit allen: mit den Glaubenden, mit denen, die die heiligmäßig leben, mit den Lauen und mit den Nicht-Glaubenden. Sie spricht mit allen. Es ist eine Kirche, die nach dem Beispiel von Kyrill und Methodius Ost und West, unterschiedliche Traditionen und Mentalitäten vereint und zusammenhält. Sie ist eine Gemeinschaft, die durch die Verkündigung des Evangeliums der Liebe die Gemeinschaft, die Freundschaft und den Dialog zwischen den Gläubigen, zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen und zwischen den Völkern gedeihen lässt.

Einheit, Gemeinschaft und Dialog sind immer zerbrechlich, vor allem dann, wenn eine schmerzhafte Geschichte Narben hinterlassen hat. Die Erinnerung an Wunden kann zu Ressentiments, Misstrauen oder gar Verachtung führen und uns dazu verleiten, Zäune vor denjenigen zu errichten, die anders sind als wir. Wunden können jedoch auch Öffnungen sein, die ähnlich den Wunden des Herrn Gottes Barmherzigkeit durchdringen lassen, seine lebensverändernde Gnade, die uns zu Menschen macht, die Frieden stiften und versöhnen. Ich weiß, dass es bei euch ein Sprichwort gibt: „Gib dem, der einen Stein nach dir wirft, ein Brot“. Das inspiriert uns. Das entspricht sehr dem Evangelium! Es ist die Aufforderung Jesu, den Teufelskreis der Gewalt zu durchbrechen und denen, die uns schlagen, die andere Wange hinzuhalten, und so das Böse mit dem Guten zu besiegen (vgl. Röm 12,21). Ein Detail der Biographie von Kardinal Korec hat mich sehr berührt. Er war ein Jesuitenkardinal und wurde vom Regime verfolgt, inhaftiert und zu harter Arbeit gezwungen, bis er krank wurde. Als er anlässlich des Jubiläumsjahres 2000 nach Rom kam, ging er in die Katakomben und zündete ein Licht für seine Verfolger an, um für sie Barmherzigkeit zu erbitten. Das ist Evangelium! Das ist Evangelium! Eine solche Haltung wächst im Leben und in der Geschichte durch demütige Liebe, durch geduldige Liebe.

Meine Lieben, ich danke Gott dafür, hier bei euch sein zu dürfen, und ich danke euch von Herzen für das, was ihr tut und was ihr seid – und was ihr tun werdet, wenn ihr euch von dieser Predigt inspirieren lasst. Sie ist auch ein Samen, den ich gerade aussäe … Schauen wir, ob die Pflanzen wachsen! Ich wünsche euch, dass ihr euren Weg in der Freiheit des Evangeliums, in der Kreativität des Glaubens und im Dialog fortsetzt, der der Barmherzigkeit Gottes entspringt, der uns zu Brüdern und Schwestern gemacht hat und uns aufruft, Frieden und Eintracht zu stiften. Ich segne euch von Herzen. Und bitte betet für mich. Danke!



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