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APOSTOLISCHES SCHREIBEN
SESCENTESIMA ANNIVERSARIA
VON PAPST JOHANNES PAUL II.
ZUR SECHSHUNDERTJAHRFEIER
DER "TAUFE" LITAUENS

 

An den verehrten Mitbruder Liudas Povilonis,
Apostolischer Administrator
von Kaunas und Vilkaviškis und
Präsident der Litauischen Bischofskonferenz,
und an alle anderen Bischöfe Litauens.

1. Das sechshundertjährige Jubiläum der »Taufe« Eures Volkes, das Ihr in diesem Gnadenjahr feierlich begeht, ist für Euch und für Eure Gläubigen eine Gelegenheit zur Vertiefung des Glaubens, zum Gebet und zur geistigen Erneuerung, der sich die ganze Kirche in inniger brüderlicher Verbundenheit anschließt.

Wie ich bei verschiedenen Anlässen - und noch kürzlich in der Homilie der hl. Messe vom vergangenen 1. Januar - in Erinnerung gerufen habe, gedenkt die gesamte Kirche mit Euch dieses so bedeutungsvollen Jubiläums und dankt Gott zusammen mit Euch »für sein unfaßbares Geschenk« (2 Kor 9, 15). Die Kirche von Rom und alle Schwesterkirchen der Welt vereinen sich mit dem inständigen Dankgebet, das Ihr für das unschätzbare Gnadengeschenk der »Taufe«, für die Aufnahme, die sie bei den Menschen Eures Volkes fand, und für die Wohltaten, die sie ihnen brachte, sowie für die Kraft und den Eifer, mit denen Eure Väter diese »Taufe« in den Ereignissen einer sechshundertjährigen Geschichte bewahrten und entwickelten, dem Herrn darbringt.

Die Universalkirche ist sich des großen geistlichen Reichtums dankbar bewußt, den die katholische Gemeinde Litauens in die kirchliche Gemeinschaft eingebracht hat und immer noch einbringt, und erkennt in ihrem jahrhundertelangen Zeugnis der Treue zu Christus das Wirken des Heiligen Geistes, der »durch die Kraft des Evangeliums die Kirche allezeit sich verjüngen läßt, sie immerfort erneuert und zur vollkommenen Vereinigung mit ihrem Bräutigam geleitet« (cfr. Lumen Gentium, 4).

Wie Ihr wißt, werde ich, um diese weltweite Gemeinschaft mit Euch zu bekunden, am kommenden 28. Juni gleichzeitig mit der nationalen Feier in Vilnius einer feierlichen Konzelebration am Grab des Apostels Petrus vorstehen, bei der ich die Freude habe, einen großen Sohn und Hirten Eures Volkes seligzusprechen: den Erzbischof Jurgis Matulaitis. Mir zur Seite werden dabei Vertreter der Bischöfe des europäischen Kontinents sein: Ihre Anwesenheit wird unsere geistige Nähe zur Kirche in Litauen auch sichtbar ausdrücken.

2. . Die Bekehrung der litauischen Stämme zum Christentum geschah einige Jahrhunderte nach jener der benachbarten Völker des alten Europas. Eingekeilt zwischen den Osten, von wo die slawischen Völker herandrängten, und den Westen, von wo die mächtigen Deutschordensritter kamen, hatten Eure Vorfahren bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts die Strukturen eines selbständigen Staates gefestigt und waren hartnäckig darum bemüht, ihre Unabhängigkeit und Freiheit zu verteidigen. Diese besonderen politischen und geographischen Umstände erklären, warum sich die Litauer so lange gesträubt haben, das Kreuz aus den Händen derer anzunehmen, die ihnen mit dem Schwert in der Hand nahten und sie zu unterwerfen drohten.

Um sich gerade diesen Pressionen von außen zu entziehen, entschloß sich der Großherzog Mindaugas, den katholischen Glauben anzunehmen und sich unter den besonderen Schutz dieses Heiligen Stuhles zu stellen, wobei er von Papst Innozenz IV. die Königskrone erhielt. Der Papst errichtete gleichzeitig die erste litauische Diözese und verfügte, daß diese einzig dem Heiligen Stuhl unterstellt sei. Aber die Bekehrung des Mindaugas, die nicht angemessen vorbereitet war, traf auf Widerstände im Volk, das dem Beispiel des Großherzogs nicht folgte. Noch vor dem Jahr 1260 mußte sich der Bischof zurückziehen, und 1263 setzte der tragische Tod des Mindaugas jenem kurzen Frühling ein Ende.

3. Man mußte noch über ein Jahrhundert warten, bis der leuchtende Tag der »Taufe« erstrahlte. Er war Werk und Verdienst eines herausragenden Sohnes Litauens, des Großherzogs Jogaila, der im Jahre 1386 zustimmte, zusammen mit seinen Untergebenen im katholischen Glauben getauft zu werden, wobei er die Krone Polens erhielt und die Königin Hedwig heiratete, die strahlende Figur einer christlichen Frau, die noch heute in Krakau als Selige verehrt wird. Im Verlauf der vier folgenden Jahrhunderte ist die Geschichte Litauens von einer einzigartigen Gemeinsamkeit der politischen wie religiösen Geschicke mit Polen geprägt.

Im Jahre 1387 kehrte der König, der den Namen Ladislaus II. angenommen hatte, nach Vilnius, der Hauptstadt des Großherzogtums, zurück und leitete die Bekehrung des Volkes ein, das in großer Zahl die Taufe empfing, und das auch wegen der persönlichen Frömmigkeit des Herrschers. In jenem Jahr wurde die Diözese von Vilnius gegründet und zu ihrem ersten Bischof der Franziskaner Andreas ernannt, der bereits Missionar unter Euren Stämmen gewesen war.

Im Jahre 1413 widmete sich Jogaila zusammen mit seinem Vetter, dem Großherzog Vytautas, der Evangelisation der litauischen Bevölkerung von Samogitia. Einige Jahre später bestimmte das Konzil von Konstanz für jene Gegend eigene Legaten, um die Diözese von Medininkai zu errichten, deren ersten Bischof Matthias zu weihen und die Bekehrung der Bevölkerung zu vertiefen.

König Jogaila, ein Mann von reinem und edlem Herzen, führte ein durch christliche Tugenden beispielhaftes Leben, indem er Werke der Frömmigkeit und Barmherzigkeit tat und sich mit lebendigem Eifer um das Geschick der Kirche kümmerte. Er erließ weise Anordnungen, um die freie Ausbreitung und Einwurzelung des christlichen Glaubens in allen Gegenden des Großherzogtums zu fördern.

4. Die »Taufe« fügte Eure Nation in die große Familie der christlichen Völker Europas ein, in jene »christianitas«, die die Geschicke des Kontinents tief geprägt hat und sein wertvollstes gemeinsames Erbe und das Fundament zur Errichtung einer Zukunft des Friedens, des echten Fortschritts und der wahren Freiheit darstellt. Litauen schloß sich so auch der großen kulturellen Umgestaltung an, die in jenem Jahrhundert in Europa begann und die von christlichen Prinzipien durchdrungen und offen war für die Erfordernisse eines neuen Humanismus, der im Glauben seine besten Motivationen und den Antrieb zur Förderung jener großen Werte fand, die die Geschichte Europas berühmt und seine Anwesenheit unter den anderen Kontinenten fruchtbar gemacht haben (Vgl. den Europa-Akt von Santiago de Compostela, in Insegnamenti di Giovanni Paolo II, 5, 3 (1982) 1260).

Durch diese Einbeziehung gelangte Litauen zu einer neuen und vielversprechenden Blüte an geistigen Energien, die sich in steigendem Maße in den verschiedenen Formen von Kultur, Kunst und Gesellschaftsordnung ausdrücken sollten. Euer Land füllte sich mehr und mehr mit Kirchen und Konventen, die zugleich Zentren waren, von denen Glaube und Kultur ausstrahlten. Im Laufe der Jahrhunderte und dem geschichtlichen Wandel entsprechend kamen so zum Werk der Evangelisierung vorausschauende Initiativen im Bereich von Erziehung und Volksbildung hinzu; an die Seite der Ordenshäuser traten Schulen, und das Glaubensleben entfaltete sich in täglichen Werken der Liebe, in tausend Formen von sozialer Unterstützung und Förderung.

Ich möchte hier an die Bedeutung erinnern, die in diesem Zusammenhang das Wirken der Ordensgemeinschaften gehabt hat: der Dominikaner und Franziskaner, die als erste zu Euren Stämmen gekommen sind, und dann der Benediktiner, der Franziskaner der neuen Observanz (im Volk Bernhardiner genannt, nach dem hl. Bernhardin von Siena) und der Basilianer.

5. Andere Orden und Kongregationen gaben nach dem Konzil von Trient dem kirchlichen Leben in Litauen neue Kraft, nachdem es infolge der protestantischen Reformation eine Periode der Schwäche durchgemacht und zahlreiche Abfälle erlitten hatte. Eigens erwähnt werden muß das Wirken der Gesellschaft Jesu, die sich um die Verwirklichung der tridentinischen Reform besonders verdient gemacht hat. Im Jahre 1570 eröffneten die Jesuiten in Vilnius ein berühmtes Kolleg, das neun Jahre später die erste Universität der Nation wurde, eine wahre Talentschmiede für Priester und Menschen der Kultur.

Der tröstliche Aufschwung der katholischen Kirche war begleitet von einem Anstieg der Priester- und Ordensberufe. Man förderte Initiativen zum Besten des Volkes, wie Bibliotheken, Druck von religiösen Büchern, Konvikte für arme Schüler und Studenten, Volksapotheken, Vereine und Bruderschaften, Schulen für Künste und Handwerk. Aber vor allem wurde eine umfassende und intensive apostolische Tätigkeit unter den Ärmsten, der Landbevölkerung, begonnen, wo besonders schmerzliche Situationen von Abhängigkeit und Elend fortbestanden und wo man dringender verspürte, wie notwendig die befreiende Botschaft christlicher Liebe war.

6. Diesem unermüdlichen pastoralen Wirken entsprach glücklicherweise die hochherzige Bereitschaft des litauischen Volkes. Das Christentum war so für die Nation wahrhaftig wie der Sauerteig im Evangelium, es prägte das tägliche Leben, trieb dort starke Wurzeln und wurde sozusagen seine Seele.

Das Volk ließ sich vom Glauben durchdringen und bezeugte ihn kraftvoll und deutlich auch in den schwierigsten Augenblicken seiner Geschichte, in den Stunden von Leid und Opfer.

Ich möchte hier an einige der eindrucksvollsten Formen dieses Glaubens, erprobt wie Gold im Schmelztiegel (vgl. 1 Petr 1, 7), erinnern. An erster Stelle erwähne ich die jahrhundertealte innige Verehrung der Gläubigen für das Leiden Christi, bezeugt durch unzählige Kreuze am Straßenrand, durch die häufige Darstellung des leidenden Jesus als typische Formen der Volkskunst, durch die als »Kalvarija« bezeichneten Stätten mit ihren Kreuzwegstationen, wodurch Euer Land zu Recht den Titel »Land der Kreuze« erhalten hat.

Und wie könnte man in dieser erwartungsvollen Vigil der Eröffnung des Marianischen Jahres die große Liebe der litauischen Gläubigen zur Muttergottes vergessen? Die heiligste Jungfrau und Mutter der Barmherzigkeit wird in besonderer Weise am Osttor von Vilnius wie auch an anderen vielbesuchten Wallfahrtsorten - wie Šiluva, Žemaičių, Kalvarija, Krekenava, Pivašiūnai - verehrt. Seit Jahrhunderten bis heute ziehen die Gläubigen aller Diözesen mit großem Eifer und oft auch unter Opfern als Pilger zu diesen Stätten des Glaubens und der Frömmigkeit. Sie vertrauen sich derjenigen an, die Christus uns am Kreuz in einem höchsten Akt der Liebe als Mutter und Mittlerin der Gnade geschenkt hat.

Ich möchte schließlich der litauischen katholischen Gemeinschaft gegenüber noch ein weiteres deutliches Zeichen unverbrüchlicher Treue zu Christus und kirchlicher Lebendigkeit hervorheben: die starke Liebe und große Verehrung, mit der sie stets mit dem Stuhl Petri vereint geblieben ist; des Apostels, dem der Herr das Amt übertragen hat, die Brüder zu stärken und sie in der Gemeinschaft der Kirche geeint zu halten, indem er ihn zum Fels des geistigen Tempels machte, gegen den die Mächte der Unterwelt nichts vermögen.

7. Die Kirche war so tief mit der nationalen Wirklichkeit verbunden, ich möchte sogar sagen, eins mit ihr, daß Eure Väter sich in jeder Epoche, vor allem aber bei auftretenden Prüfungen, in den dunklen und leidvollen Stunden, die noch in jüngster Zeit die Geschicke Eures Landes gekennzeichnet haben, eng um sie geschart haben.

In der Kirche, in ihrer Lehre, in ihrem verkündenden und erlösenden Wirken, in ihrem Dienst an der Einheit und Wahrheit hat Euer Volk immer den Sinn der eigenen Geschichte, seine besondere Identität, den Grund zu leben und zu hoffen gefunden. Ich wiederhole hier gern, was ich zu einer Gruppe von Letten gesagt habe, die zur Achthundertjahrfeier der Christianisierung eines Euch nahen Landes, von Livland nämlich, nach Rom gekommen waren: »Dort, wo das Wort Gottes, sei es auch unter Schwierigkeiten jeglicher Art, in das tiefe Bewußtsein eines Volkes eindringt und von ihm angenommen wird, bestimmt dieses für immer das Bewußtsein, das dieses Volk von sich und seiner Geschichte hat. Im Hören des Wortes Gottes erkennt das Volk seine wahre Identität« (L'Osservatore Romano, 27. Juni 1986, S. 5. ).

Um so bedeutender erscheint der Umstand, daß für die Litauer neben der Kirche das andere Bollwerk der Verteidigung die Familie gewesen ist: ja, die christliche Familie, wahre »Hauskirche« (Lumen Gentium, 11), fest verankert in den Werten des Glaubens, der in der Liebe, im Opfer, in gegenseitiger Hingabe lebt. In Eurem Vaterland hat die christliche Familie es immer verstanden, ihrer Berufung treu zu bleiben, nämlich das kostbare Geschenk der »Taufe« zu empfangen, zu bewahren und an die Nachkommen weiterzuvermitteln, wodurch sie nach einem schönen Wort des II. Vatikanischen Konzils eine »Schule reich entfalteter Humanität« (Gaudium et Spes, 52) geworden ist.

Die Kirche und die Familie haben, wenn auch unter vielen Schwierigkeiten und Hindernissen, den Glauben und die Kultur lebendig erhalten. Es ist ihnen zuzuschreiben, wenn die Nation die eigene Identität und das Selbstbewußtsein nicht verloren hat. Und auch heute noch, da die Zeiten in vieler Hinsicht nicht mehr günstig wie in der Vergangenheit sind, bleiben Kirche und Familie die Hüter dieses heiligen und unantastbaren Schatzes, des Heiligtums der großen menschlichen und christlichen Werte: die Freiheit des Gewissens, die Würde der Person, das Erbe der Väter, die kulturelle Tradition und die Fülle sittlicher Kraft, die sie enthalten und in der die Hoffnung für die Zukunft liegt.

8. Die sechshundert Jahre christlichen Lebens in Litauen bieten unzählige Zeugnisse für das ununterbrochene Wirken des Heiligen Geistes, der Eure Kirche mit seinen Früchten (vgl. Gal 5, 22) reich ausgestattet hat, indem er Scharen von Männern und Frauen hervorgebracht hat, die würdig sind, als wahre Jünger Christi anerkannt zu werden. Ich möchte zusammen mit Euch einiger dieser Söhne Litauens gedenken, die im Herzen des Volkes ein unauslöschliches Zeichen ihrer Tugend und ihres apostolischen Eifers hinterlassen haben.

Unsere Gedanken und unser Fürbittgebet wenden sich an erster Stelle an den hl. Kasimir, den Papst Urban VIII. schon im Jahre 1636 zum Patron Litauens erklärt hat. Vor drei Jahren habt Ihr den 500. Jahrestag seines Todes feierlich begangen. Jene Jubiläumsfeiern, an denen ich zusammen mit der ganzen Kirche habe intensiv teilnehmen wollen, waren eine Stunde der Gnade für Eure kirchliche Gemeinschaft.

Als Sproß des ruhmreichen Geschlechtes der Jagellonen war Prinz Kasimir in einzigartiger Weise mit Tugenden ausgestattet und »früh vollendet« (Weish 4, 13). Nach weniger als einem Jahrhundert war er die reife Frucht der »Taufe« seines Volkes. Er wurde in Vilnius, im Herzen der Nation, begraben, die seit fünf Jahrhunderten mit unverminderter Verehrung seine Reliquien hütet. Bezeichnenderweise werden an seinem Grab die Jubiläumsfeiern ihren Höhepunkt finden.

Als leuchtendes Beispiel von Reinheit und Liebe, von Demut und Bruderdienst hat Kasimir der Liebe Christi nichts vorgezogen und sich von seinen Zeitgenossen den vielsagenden Titel eines »Verteidigers der Armen« verdient. Papst Pius XII. hat ihn zum besonderen Patron der litauischen Jugend erklären und sein »edles und gültiges Vorbild« den Generationen vor Augen stellen wollen, die unter so vielen Widerständen und Gefahren heranwachsen (Vgl. AAS 42 (1950), S. 380-382.).

9. Ferner erinnere ich an den Bischof von Samogitia, Merkelis Giedraitis, einen wahren Apostel der tridentinischen Reform, den mein verehrter Vorgänger Johannes XXIII. bei der 350-Jahrfeier seines Todes vor allem den Hirten der litauischen Kirche als Vorbild empfohlen hat  (Vgl. AAS 52 (1960), II, S. 40-43).

Als Mann, der sich durch priesterliche Frömmigkeit und Tugend, durch Kraft und Weisheit auszeichnete, zeigte Bischof Giedraitis in seinem intensiven Apostolat, »was es bedeutet, für den katholischen Glauben zu kämpfen und ihn mit allen seinen Kräften zu verteidigen« (Ebd., S. 43).

Entsprechend der Unterweisung des Apostels Paulus an Timotheus »kämpfte er den guten Kampf, gläubig und mit reinem Gewissen, während schon manche die Stimme ihres Gewissens mißachtet und im Glauben Schiffbruch erlitten haben« (1 Tina 1, 18-19). Angesichts der sich ausbreitenden Häresie und des Fortbestehens alter heidnischer Bräuche in gewissen Gegenden machte sich Bischof Giedraitis zum Vorkämpfer einer echten geistigen Wiedergeburt, indem er sich um die Ausbildung des Klerus sorgte, neue Kirchen errichtete und sich auch persönlich in der katechetischen Unterweisung des Volkes einsetzte, die er in seiner Muttersprache erteilte.

Denselben Spuren folgte im vergangenen Jahrhundert auch sein Nachfolger in der Diözese Samogitia, Mons. Motiejus Valančius. Seine bischöfliche Leitung fiel zusammen mit traurigen und dunklen Zeiten für die Nation, die ihre eigene zivile und religiöse Identität bedroht sah. In diesen schwierigen Augenblicken war Bischof Valančius nicht nur ein eifriger und umsichtiger Hirte der Herde Gottes, sondern wurde zum wahren moralischen Führer seines Volkes. Bekannt sind seine kraftvollen Aufrufe an die Priester und christlichen Eltern, daß sie sich ihrer Verantwortung bewußt würden, den jungen Generationen zusammen mit dem Glauben der Väter auch den ganzen Reichtum der kulturellen und religiösen Tradition der Nation zu übermitteln.

Gleichzeitig bemühte sich Mons. Valančius um eine ebenso schwierige wie verdienstvolle Wiederherstellung des religiösen Lebens im Volke durch Katechese und Unterricht, die er heimlich und unter großem Risiko organisierte. An der Seite ihrer Mütter lernten die Kinder damals mit Texten des Katechismus auch lesen und schreiben. Die Weisheit und Hochherzigkeit von Mons. Valančius, die von Euren Vätern großzügig und mutig beantwortet wurden, erlaubten es, daß auch in schwierigen Zeiten der Same des Wortes Gottes nicht verloren ging und die Nation um diesen Kern ihre Einheit formen konnte.

10. Am kommenden 28. Juni werde ich die Freude haben, einen anderen sehr würdigen Sohn der litauischen Kirche und Nation zur Ehre der Altäre zu erheben, den Diener Gottes Mons. Jurgis Matulaitis, der erst vor sechzig Jahren gestorben ist. Als wahrer »Knecht und Apostel Jesu Christi« (2 Petr 1, 1) war er Oberhirte von Vilnius, weitschauend und eifrig besorgt um alle seine Kinder, auch die fernstehenden. Treu seinem bischöflichen Wahlspruch: »Besiege das Böse durch das Gute«, stellte er sich in seinem Bischofsamt zahlreichen und großen Schwierigkeiten, wobei er sich »für alle zum Sklaven gemacht hat, um möglichst viele zu gewinnen« (1 Kor 9, 19), und sich einzig für das Wohl der Kirche und das Heil der Seelen eingesetzt hat.

Mit seinem fruchtbaren kirchlichen Dienst bleiben vielfältige pastorale Initiativen verbunden, von denen ich die Werke des Laienapostolats und die Verbreitung der Soziallehre der Kirche erwähnen möchte, durch die er seine Gläubigen zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung führen wollte, alles in Christus zu erneuern. Ihm schulden sie ferner die Erneuerung seiner Kongregation der Kleriker Mariens und die Gründung der Kongregationen der Schwestern von der Unbefleckten Empfängnis und der Mägde Jesu von der Eucharistie.

Von Papst Pius IX. zum Apostolischen Visitator von Litauen ernannt, wirkte der Diener Gottes mit Umsicht und Eifer, so daß es für den Papst möglich wurde, mit der Apostolischen Konstitution »Lituanorum gente« vom 4. April 1926 die litauische Kirchenprovinz zu errichten. Das katholische Leben erfuhr eine bemerkenswerte Blüte in den verschiedenen Bereichen der Katechese, der Priester- und Ordensberufe, der katholischen Aktion, der verschiedenen vom Evangelium geprägten kulturellen Ausdrucksformen.

Der gute Samen, der von Mons. Matulaitis mit großer Freigiebigkeit ausgestreut worden war, brachte hundertfältige Früchte hervor, und die Kirche erlebte einen neuen Frühling. Doch auch er selbst wollte zum Samen werden, der in der Erde stirbt, um nicht allein zu bleiben und viele Frucht zu bringen (vgl. Joh 12, 21), wie es die bewegende Anrufung bezeugt, die er uns gleichsam als Testament in seinem geistlichen Tagebuch hinterlassen hat und die ich heute mit Euch wiederholen möchte: »Mach, o Jesus, daß ich mich für deine Kirche aufopfere, für das Heil der von deinem Blut erlösten Seelen, um mit dir zu leben, mit dir zu arbeiten, mit dir zu leiden und, wie ich hoffe, auch mit dir zu sterben und zu herrschen« (Tagebuch, 17. August 1911).

11. . Schließlich möchte ich es nicht unter lassen, die große Schar von Söhnen und Töchtern Eures Landes zu erwähnen, die in diesen sechs Jahrhunderten mit Freimut den in der »Taufe« empfangenen Glauben bekannt haben und die keine Prüfung, auch nicht die härteste, von der Liebe Christi hat trennen können (vgl. Röm 8, 35). Es sind Bischöfe, Priester, Ordensmänner und -frauen, Katecheten, einfache Gläubige, die Demütigungen, Diskriminationen, Leiden und mitunter Verfolgung bis hin zum Exil, Gefängnis, Verschleppung und sogar den Tod erduldet haben in der Freude, »daß sie gewürdigt worden waren, für seinen Namen Schmach zu erleiden« (Apg 5, 41).

Sie bezeugen die Gnade, die der Herr seiner Kirche verheißen hat, »damit sie in der Schwachheit des Fleisches — auf ihrem Weg durch Prüfungen und Trübsal — nicht abfalle von der vollkommenen Treue, sondern die würdige Braut ihres Herrn verbleibe und unter der Wirksamkeit des Heiligen Geistes nicht aufhöre, sich selbst zu erneuern, bis sie durch das Kreuz zum Lichte gelangt, das keinen Untergang kennt« (Vgl. Lumen Gentium», 9). Durch sie hat der Geist zu Eurer Gemeinschaft und zur ganzen heiligen katholischen Kirche gesprochen und spricht er noch heute. Ihr Kreuz, in Einheit mit dem erlösenden Leiden Christi getragen, ist so zum Werkzeug der Gnade und der Heiligung geworden.

Das ist eine erlesene Schar von Bekennern und Märtyrern, für die Ihr heute dem Herrn dankt, wobei Ihr zu Recht darüber froh und stolz seid. Ich rufe Euch auf, ihr leuchtendes Vorbild zusammen mit Euren Gläubigen aufzugreifen: für ein immer überzeugteres und konsequenteres Glaubensleben, für ein immer einsatzbereiteres Apostolat, das Frucht bringt in Werken der Liebe, für eine willige und bewußte Zustimmung zum Willen Gottes, der sich in der Berufung eines jeden zeigt.

Ich möchte mich vor allem an Eure jungen Menschen wenden: Sie tragen ja das Schicksal der Nation in Händen, das sie in das neue Jahrtausend der christlichen Zeitepoche hinüberbringen sollen. Jugendliche des gläubigen und hochherzigen Litauen! Versteht es, das Erbe Eurer Väter mit Freude und Zuversicht zu übernehmen! Nehmt in Eure Herzen auf das bisweilen heroische Zeugnis, das sie Euch hinterlassen haben, ein Zeugnis der Liebe zu Christus und zu seiner Kirche! Macht Euch diesen unermeßlichen Schatz zu eigen und seid seiner würdig! Er werde in Euch zum Keim einer großen Hoffnung.

12. Liebe Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, Ihr Ordensmänner und -frauen und alle Brüder und Schwestern einer weit entfernten und mir dennoch nahen und besonders lieben Kirche, Söhne und Töchter einer hohen Nation! Ich, Bischof von Rom und oberster Hirte der Universalkirche, knie mit Euch bei den Reliquien des hl. Kasimir nieder, mit Euch danke ich Gott, dem Geber alles Guten, für das Geschenk  Eurer »Taufe« und bete für Euch, »daß er Euch Eurer Berufung würdig mache und in seiner Macht allen Willen zum Guten und jedes Werk zum Glauben vollende. So soll der Name Jesu, unseres Herrn, in Euch verherrlicht werden und Ihr in ihm« (2 Thess 1, 11 f.).

Im Namen der ganzen Kirche vertraue ich Gott das Glaubenserbe Eurer Nation an und bitte ihn: Bewahre und segne das Werk, das du in diesen sechs Jahrhunderten vollbracht hast!

Allmächtiger Vater, sei diesen deinen Söhnen und Töchtern gnädig, die du aus der Finsternis in den Glanz deiner Wahrheit geführt hast. Gieße ihren Herzen deinen Geist ein, Geist der Wahrheit und Beistand, damit sie in ihrem Volk die Früchte der Auferstehung deines Sohnes gegenwärtigsetzen können.

Gib den Hirten dieses Volkes, das dir gehört, Frömmigkeit und Weisheit, damit sie ihre Herde zu den Weiden des Lebens führen können. Gib, allmächtiger Gott, daß sie ihren heiligen Dienst in Freude und voller Freiheit auszuüben vermögen.

Gieße dein Licht und deine Kraft in die Herzen derer ein, die du berufen hast, sich dir zu weihen, damit sie standhaft bleiben und sich vorbehaltlos zu schenken vermögen. Vervielfache die Zahl derer, die die Berufung zum Priestertum und zum Ordensleben annehmen, stärke ihren hochherzigen Vorsatz und gib, daß sie ohne Hindernisse auf dem Weg deines göttlichen Dienstes voranschreiten können.

Herr, wende deinen Blick den Familien zu, die in deiner Liebe geeint leben. Gib, daß sie mit Freude und Verantwortung das Geschenk des Lebens annehmen und mit deiner Gnade in der gegenseitigen Liebe wachsen können. Gib, daß die Eltern ihren Kindern das Geschenk des Glaubens zusammen mit dem konkreten Zeugnis eines authentischen christlichen Lebens zu bieten vermögen.

Gott, wende den Blick deiner Liebe den Jugendlichen Litauens zu. Sie tragen eine große Hoffnung im Herzen: Mache sie stark und rein, damit sie vertrauensvoll ihre Zukunft aufbauen können. Gib, daß sie das Glaubensgeschenk ihrer Väter in Freiheit empfangen können; gib, daß sie es mit Dankbarkeit aufnehmen und hochherzig entfalten.

Du bist der Herr der Völker und der Vater der Menschheit. Ich erbitte deinen Segen für diese deine Familie in Litauen: Möge sie in Übereinstimmung mit ihrem Gewissen der Stimme deines Rufes auf den seit sechshundert Jahren bis heute gewiesenen Wegen folgen können. Ihre Teilhabe an deinem Reich der Heiligkeit und des Lebens möge von niemandem im Gegensatz zum Wohl des irdischen Vaterlandes gesehen werden. Möge sie dir immer und überall die geschuldete Ehre erweisen und frei und unbeschwert Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe bezeugen können.

Herr, segne dieses Volk, zeige ihm dein Angesicht und schenke ihm deinen Frieden!

Im Geist des Vertrauens wende ich mich jetzt an dich, geliebte Mutter Christi und unsere Mutter, und vereine dabei meine Stimme mit der deiner litauischen Kinder, die dich voller Zuversicht um deine Fürsprache anflehen. Mutter der Barmherzigkeit, zu dir eilt dieses Volk und stellt sich unter deinen Schutz: Weise seine Bitten in der Not nicht zurück, bewahre es vor Gefahren, führe es zu deinem Sohn.

0 Mutter, du bist das Gedächtnis der Kirche. Du bewahrst in deinem Herzen das Geschick der Menschen und Völker. Dir empfehle ich das Gedenken der sechs Jahrhunderte christlichen Lebens der Brüder und Schwestern Litauens und bitte dich, ihnen zu helfen, weiterhin und immerdar treu zu Christus und seiner Kirche zu stehen.

Euch, verehrte liebe Mitbrüder, Euren Gläubigen, allen Litauern überall in der Welt erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.

Gegeben zu Rom, bei St. Peter, am 5. Juni 1987.

 

IOANNES PAULUS PP. II

 

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