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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE DEUTSCHEN BISCHÖFE AUS DEM
SÜDWESTDEUTSCHEN RAUM
ANLÄSSLICH IHRES
«AD-LIMINA»-BESUCHES

Samstag, 19. Dezember 1992

 

Liebe Brüder im Bischofsamt!

1. Mit großer Freude begrüße ich Euch, die Oberhirten sowie die Weihbischöfe aus dem südwestdeutschen Raum sowie den Bistümern Fulda und Limburg. Meine Gedanken gehen zu allen Diözesen, für die Euch der Herr ”zu wahren und authentischen Lehrern des Glaubens“ bestellt hat.

In Eurer Person grübe ich auch Eure Priester, die Ordensleute und Laien, die mit Hingabe und nicht ohne Opfer zum Aufbau des Reiches Gottes in Eurem geliebten Land beitragen. Ihr habt nach Rom, dem Sitz des Nachfolgers Petri, Eure Sorgen und Befürchtungen, Eure Erwartungen und Hoffnungen getragen, um alle im Glauben zu stärken und damit dem Eifer für die Evangelisierung, der sie erfüllt, durch das Beispiel und die Fürbitte der Apostel Petrus und Paulus einen neuen Antrieb zu geben. Zur Stärkung dieser Bande der Einheit und Brüderlichkeit mit dem Bischof von Rom, der ”in der Liebe den Vorsitz führt“, haben auch die persönlichen Begegnungen mit einem jeden von Euch beigetragen, die nun in dieser gemeinsamen Zusammenkunft ihren Höhepunkt finden.

2. Dem Herrn Erzbischof von Freiburg danke ich für die liebenswürdigen Worte der Begrüßung und Vorstellung Eurer Gruppe. Zugleich möchte ich meine Dankbarkeit bekunden für Euer Bemühen, die Einheit und Gemeinschaft im Schoß der Kirche und innerhalb Eurer Bischofskonferenz zu erhalten und zu stärken. Ihr wisst selber um die Wichtigkeit dieses Zeugnisses der Einheit und Zusammenarbeit untereinander im Geist brüderlicher Liebe und apostolischer Solidarität, gemäß den Worten des II. Vatikanischen Konzils: ”Vor allem in der heutigen Zeit können die Bischöfe ihr Amt oft nur dann angemessen und fruchtbar ausüben, wenn sie ihr einträchtiges Wirken mit den anderen Bischöfen immer enger und straffer gestalten“.

Einheit und Zusammenarbeit sind der Schlussstein jeglicher Seelsorgsarbeit. Dieses ekklesiologische Prinzip müssen wir immer mehr befolgen, gemäß dem Aufruf des Epheserbriefes, ”die Heiligen für den Aufbau des Leibes Christi zu rüsten“. Wenn Ihr weiter wie bisher das kollegiale Wohlwollen fördert, das die Beziehungen in Eurer Konferenz und mit Euren Brüdern im Bischofsamt in der ganzen Welt kennzeichnet, werdet Ihr auch in Zukunft in der Lage sein, die nicht unerheblichen Aufgaben der gegenwärtigen Zeit zu bewältigen. Das Gebet des Herrn ”Alle sollen eins sein“ soll durch Euer Beispiel in Euren Priestern, in den Ordensgemeinschaften, Pfarreien und Familien Leben gewinnen. Wenn Ihr eins seid, könnt Ihr lebendige Hoffnung und neue Dynamik wecken und braucht Euch nicht einspannen zu lassen in ein ständiges selbstmitleidvolles Klagen, das heute leider einen Teil der Kirche in Deutschland kennzeichnet.

3. Als Lehrer des Glaubens habt Ihr oft über Themen gesprochen, die im Leben Eurer Gesellschaft aktuell sind. Die Weisungen, die Ihr zum Beispiel zum Schutz des Lebens gegeben habt, verdienen hohe Anerkennung. Es ist unmöglich, all die ausgezeichneten Initiativen zu erwähnen, die entstanden sind und unter der engagierten Leitung des Vorsitzenden Eurer Konferenz Eure Unterstützung gefunden haben. In besonderer Weise denke ich an die zahlreichen Aktionen für das Leben, bei denen Katholiken, Christen anderer Konfessionen und Menschen guten Willens, die sich nicht zu einer religiösen Gemeinschaft bekennen, gemeinsam ihre Überzeugung vom unverletzlichen Wert des menschlichen Lebens vom Augenblick der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod zum Ausdruck gebracht haben. Dies war auch aus dem Bewusstsein heraus möglich, dass der Wert des menschlichen Lebens seine Grundlage bereits in seinem Wesen und seiner natürlichen Würde hat und hier keineswegs ein speziell kirchliches Anliegen verfolgt wird, sondern eine Forderung der Humanität und der Menschenrechte.

Menschliches Leben ist grundsätzlich unverfügbar; und da das ungeborene Kind vom Augenblick der Empfängnis an Mensch ist und nicht erst später zum Menschen wird, kann es nicht für eine bestimmte Frist zur Disposition gestellt werden. Fristen stellen letztlich den Anspruch der Rechtsordnung in Frage, die zum Schutz des ungeborenen Lebens beitragen muss.

Eure Verfassung beginnt mit der grundlegenden Erkenntnis und dem Bekenntnis: ”Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Doch gibt es immer wieder Situationen, in denen diese Erkenntnis nicht mehr selbstverständlich zu sein scheint. Ihr habt Euch in der turbulenten Debatte zum Schutz des ungeborenen Lebens nicht beirren lassen und wart Euch dessen bewusst, dass es in dieser Frage keine modernen oder altmodischen Argumente gibt, sondern nur richtige und falsche Überlegungen. Der Maßstab für solche Überlegungen muss stets das Lebensrecht des anderen Menschen sein, auch des noch nicht sichtbaren, kleinen und stummen. Das Recht auf Leben in seiner ganzen von Gott zugesagten Fülle kann niemals dem oft Schwächeren verweigert werden zugunsten der Verwirklichung dieses Rechtes durch einen anderen. Die eschatologische Zusage Jesu, der gekommen ist, ”damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“, gilt zweifellos für jede Form von Leben.

Mit Genugtuung habe ich auch von Euren Bemühungen Kenntnis genommen, den in Bedrängnis geratenen Frauen beizustehen auch dann, wenn sie sich gegen das beginnende Leben entschieden haben sollten. Die Kirche handelt im Sinne der Frauen, wenn sie hilft, Abtreibungen zu verhindern. Und die Kirche setzt sich für die Frauen ein, wenn sie sich für ein kinderfreundliches Klima in Eurer Gesellschaft engagiert.

4. An dieser Stelle möchte ich noch von einer anderen Herausforderung sprechen, die auf uns Christen in Europa in den nächsten Jahren zukommen wird und die die Würde des Menschen zutiefst berührt. Wir erleben, dass immer mehr Menschen mit dem Tod nichts anzufangen wissen, ja ihr Leben so gestalten, dass die letzte Frage verdrängt wird. Unsere modernen säkularisierten Gesellschaften laufen Gefahr, Leiden, Sterben und Tod aus dem persönlichen Lebensbereich regelrecht auszublenden. Da aber im Leben nichts sicherer ist als der Tod, beobachten wir als Folge dieses Verdrängungsprozesses viel Hilflosigkeit und Verzweiflung angesichts des Todes. Das problematische Sprechen von Sterbehilfe gewinnt in diesem Zusammenhang vielfach eine ganz neue Bedeutung. In Europa scheint die Vorstellung immer mehr Anhänger zu finden, dass es menschlich erlaubt sein könne, dem eigenen Leben und dem Leben eines anderen Menschen bewusst ein Ende zu setzen. Der Begriff der Euthanasie hat längst bei vielen jenen schrecklichen Klang verloren, den ihm die grausamen Geschehnisse im dunkelsten und betrüblichsten Kapitel der Geschichte Eures Landes verliehen hatten. Selbstmord und Mord werden heute bereits wieder durch Bezeichnungen wie Freitod und Sterbehilfe verharmlost.

Einige wenige Katholiken haben in Eurem Land erkannt, dass hier eine wichtige und wertvolle Aufgabe auf die Christen zukommt, nämlich eine Sterbebegleitung, die dem Menschen auch in der letzten Lebensphase seine Würde gewährleistet. Ein Leben ohne Gott und folglich ohne Bezug zur Ewigkeit muss im Angesicht des Todes kapitulieren. Als Christen hingegen wissen wir, dass der Tod einen Sinn hat und eben nicht das Ende ist, da ”wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel“ haben.

Mein Dank und unser aller Ermutigung gilt jenen Christen, die den alten und zugleich hochaktuellen Gedanken der Hospizbewegung wiederbeleben. Wichtiger als der Bau oder Erwerb eines weiteren Krankenhauses in katholischer Trägerschaft, in dem gute Ärzte mit modernsten Geräten operieren können, und wichtiger als etwa die erneute Renovierung eines Tagungshauses wird künftig die Förderung von Institutionen sein, die sich für die katholische Sterbebegleitung einsetzen. Hier sind Christen als Hoffnungsträger gefragt. Dies wird für uns als Kirche eine weitere Bewährungsprobe sein, weil es wiederum um die Unantastbarkeit der menschlichen Würde geht. Mehr als in manchem anderen Bereich können wir hier zeigen, worauf es letztlich ankommt: Leben lernen für den Tod und sterben lernen für das Leben. Wenn es Euch gelingt, in Deutschland rechtzeitig weitere Hospize als Inseln der Humanität einzurichten, werdet Ihr verhindern, dass sich jene durchsetzen, die nur vorgeben, sterbenden Menschen zu helfen, in Wahrheit aber vor dieser Herausforderung kapitulieren, indem sie mit Todespillen Hilfe beim Sterben in Hilfe zum Sterben pervertieren. Der sterbende Mensch will keine Tablette, um dann alleingelassen zu werden, sondern echte Hoffnung, menschliche Nähe und eine haltende Hand. Ermuntert Eure Gläubigen, diese wirklich christliche Aufgabe wahrzunehmen. Denn die Würde des Menschen ist unantastbar.

5. Es wäre ein alarmierendes Symptom, wenn in einer Gesellschaft die Sensibilität dafür verloren ginge, dass die Berufung auf das Gewissen kein Freibrief zum Töten eines anderen Menschen sein darf, weder des im Mutterleib wachsenden noch des alten und schwerkranken Menschen, deren Existenz die ausschließlich an eigenen Interessen orientierte Lebensgestaltung anderer einschränkt. Nur ein Volk von Egoisten könnte verdrängen, dass das Gewissen, das seinen Namen verdient, stets dazu auffordert, Töten zu verhindern.

Die Berufung auf das Gewissen geschieht heute oft ohne ein Minimum an Reflexion über seine eigentliche Funktion. Das II. Vatikanische Konzil betont: ”Nicht selten jedoch geschieht es, dass das Gewissen aus unüberwindlicher Unkenntnis irrt, ohne dass es dadurch seine Würde verliert. Das kann man aber nicht sagen, wenn der Mensch sich zuwenig darum bemüht, nach dem Wahren und Guten zu suchen, und das Gewissen durch Gewöhnung an die Sünde allmählich fast blind wird“. Das Argument der Würde des Gewissens darf nicht gegen die Bedeutung sittlicher Wahrheit im Handlungsvollzug ausgespielt werden, so als habe das eine mit dem anderen nichts zu tun. Dies wäre letztlich nichts anderes als ein Pharisäismus der Gewissensfreiheit. Wenn sich das Gewissen nicht mehr an allgemein gültigen Werten und am Transzendenten orientiert, fällt es schwer, das Bewusstsein von Sünde und Schuld im Menschen wachzuhalten.

Mit dem mangelnden Sündenbewusstsein geht ein Nachlassen der sakramentalen Bußpraxis einher. Die Erneuerung und Umkehr im sakramentalen Aspekt der Einzelbeichte muss ein zentrales Anliegen der Pastoral bleiben. Deswegen bitte ich Euch eindringlich, Euren Priestern zu helfen, ihrem Dienst als Beichtväter immer mehr Bedeutung und Wertschätzung beizumessen. Zugleich danke ich Euch für alles, was Ihr unternehmt, um die Bedeutung und Wichtigkeit der kirchlichen Disziplin in einem Bereich darzulegen, der eng mit dem Werk der Versöhnung verknüpft ist. Versucht Eure Gläubigen von den großen Vorteilen zu überzeugen, die sich aus der persönlichen Beichte ergeben. Die Beichte ist mehr und besser als jede menschliche Ermutigung, jede psychologische Technik oder jeder dialektische oder soziologische Ausweg.

6. Der Mobilitätszuwachs der Menschen in der modernen Gesellschaft stellt auch an die Kirche die Frage nach möglichen neuen Organisationsformen und -modellen. Die Aufgaben der Sonderseelsorge rücken mehr in den Vordergrund. Gläubige suchen und finden ihre Beheimatung in kleinen, überschaubaren Gruppen, wo sie über ihren Glauben und ihr Leben mit anderen sprechen können.

Dennoch kann auf die territoriale Pfarrgemeinde nicht verzichtet werden. In ihr wird für die Weitergabe des Glaubens auf verschiedenen Ebenen gesorgt. Sie ist als augenscheinliches Beispiel für das gemeinschaftliche Apostolat gleichsam die Zelle des ganzen Bistums und fügt in das Ganze der Kirche ein, ”was immer sie in ihrem Raum an menschlichen Unterschiedlichkeiten vorfindet“. Achtet darauf, dass die Pfarrgemeinde lebendig bleibt und einen festen Ansprechpartner für die Gläubigen hat. Trotz der Probleme, die sich aus dem Priestermangel ergeben, sollten gewachsene Strukturen möglichst nicht zerstört werden und kleinere Gemeinden nicht durch Zentralisierung geistlich ausgehungert werden.

Bei den vielen positiven Ansätzen, die neue Bewegungen und Gemeinschaften ins kirchliche Leben einbringen, bitte ich Euch, darauf zu achten, dass sich diese in der sonntäglichen Eucharistiefeier mit dem Volk Gottes zusammenfinden. Die Sonntagsmesse als Feier des Volkes Gottes ist für die Kirche konstitutiv und soll die verschiedenen Gruppen zusammenführen, die dieses Volk Gottes bilden. Außerdem wäre es bei der wachsenden Personalnot unverständlich, wenn Gruppen oder Gruppierungen jedweder Art eine eigene sonntägliche Eucharistiefeier beanspruchen würden.

7. Angesichts dieser Situation kommt den Laien und ihrer Mitverantwortung in der Pfarrgemeinde und im kirchlichen Leben eine erhöhte Bedeutung zu. Das II. Vatikanische Konzil hat die Teilnahme der Laien an der Sendung der Kirche beschrieben: ”Die Laien, die am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi teilhaben, verwirklichen in der Kirche und in der Welt ihren Anteil an der Sendung des gesamten Volkes Gottes“. Ermutigt deshalb die Gläubigen, sich in ihrem Wirken von diesem Selbstbewusstsein tragen zu lassen. Es besteht keinerlei Grund zum Kleinmut und zu einem ständigen Sich-Entschuldigen den Anders- und Nichtgläubigen gegenüber im Sinne einer Selbstrechtfertigung. Von Selbstbewusstsein muss das Apostolat der Laien geprägt sein, wenn das Konzil von ihnen sagt: ”Durch ihr Bemühen um die Evangelisierung und Heiligung der Menschen und um die Durchdringung und Vervollkommnung der zeitlichen Ordnung mit dem Geist des Evangeliums üben sie tatsächlich ein Apostolat aus. So legt ihr Tun in dieser Ordnung offen für Christus Zeugnis ab und dient dem Heil der Menschen“.

In der Gemeinschaft der Kirche muss jeder Gläubige seinen Platz ausfüllen und seine Sendung im jeweiligen Bereich der Evangelisierung sehen. Allen Christen sind Charismen geschenkt worden; wir müssen sie nur anerkennen und dankbar annehmen; allerdings müssen die Charismen immer die Rückbindung an die Hierarchie besitzen.

8. Bei Eurem Bemühen, den Menschen Glaubensinhalte zu vermitteln, ist den sozialen Kommunikationsmitteln besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Denn sie ermöglichen, dass die christliche Botschaft Millionen von Personen gleichzeitig erreicht.

Die sachgerechte Verwendung der Medien stellt für die Kirche eine ständige Aufgabe dar, denn durch sie kann die Botschaft des Evangeliums alle Menschen erreichen, ”so dass sie immer den einzelnen innerlich zu treffen vermag, sich in das Herz eines jeden einsenkt, als wäre er allein in seiner ganzen persönlichen Einmaligkeit, und ganz persönliche Zustimmung und Einsatzbereitschaft weckt“.

Wie ich in der Enzyklika ”Redemptoris missio“ bereits festgestellt habe, spielen ”die Medien der sozialen Kommunikation eine derart wichtige Rolle, dass sie für viele zum Hauptinstrument der Information und Bildung, der Führung und Beratung für individuelles, familiäres und soziales Verhalten geworden sind“. Daher besteht die Notwendigkeit, dass sich die Pastoralträger mit den sozialen Kommunikationsmitteln vertraut machen und sie entsprechend einsetzen, so dass die christlichen Werte und die christliche Botschaft nicht nur in jenen Sendezeiten zur Geltung kommen, die religiösen Themen vorbehalten sind, sondern auch in Sendungen, die der Information, der Vermittlung von Wissenschaft und Kunst sowie der Unterhaltung dienen. Die im Bereich der Medien Verantwortlichen sollen darauf achten, jede Form der Manipulation der Wahrheit und der ethischen Werte zu vermeiden; zu viele Einzelinteressen beziehungsweise auch fragliche kulturelle oder künstlerische Ausdrucksformen verändern die Skala dieser Werte und verletzen leicht das innerste Empfinden der Person. Die Bürger hingegen haben das Recht, in ihren moralischen und religiösen Überzeugungen von den Medien geachtet zu werden, da diese im Dienst des Gemeinwohls stehen. Der immer stärker werdende Stellenwert der sozialen Kommunikationsmittel im alltäglichen Leben dehnt seine Einflussnahme auch auf die Mentalität und die Struktur der Gesellschaft sowie der Kirchen und Religionsgemeinschaften aus. Die Pastoralinstruktion ”Aetatis novae“ des Päpstlichen Rates für die Sozialen Kommunikationsmittel widmet sich detailliert diesem Thema: Wir müssen uns aktiv mit den weltlichen Medien befassen und die im Medienwesen Arbeitenden unterstützen.

9. Ein besonderes Wort des Dankes richte ich an Eure Gläubigen: Sie unterstützen bereits seit Jahrzehnten in vorbildlicher Weise die Anliegen der Mission, der Entwicklungshilfe und der Notleidenden in Eurem eigenen Land sowie in den östlichen und südöstlichen Nachbarländern. Eure Katholiken haben vielen Menschen Hilfe und Zuversicht im Leben vermittelt. Verfolgte, Einwanderer und Notleidende aus aller Welt wurden bei Euch aufgenommen. Die deutschen Katholiken haben ein exemplarisches Zeichen der Solidarität gesetzt und werden auch künftig zur tätigen Nächstenliebe und zur Sorge für ihre Glaubensbrüder und -schwestern in Not bereit sein. Neben der hervorragenden Arbeit des Deutschen Caritasverbandes möchte ich vor allem die Hilfswerke Missio Aachen und München sowie - neben vielen Einzelinitiativen - Misereor und Adveniat erwähnen, deren Arbeit auch in Zukunft Eure Aufmerksamkeit und Begleitung erfordern wird.

Jedes Hilfswerk hat sein angestammtes Arbeitsfeld, innerhalb dessen nicht nur zu Spendenaktionen aufgerufen wird, sondern auch bewusstseinsbildend in die Kirche und in die Gesamtgesellschaft hineingewirkt wird. Dabei weisen die drei Werke trotz ihrer formalen Trennung zahlreiche inhaltliche und organisatorische Berührungspunkte auf, weil sich pastorale und sozio-ökonomische Arbeit im Kampf gegen geistig-seelische und materielle Armut ergänzen können oder auch müssen. Dabei darf jedoch bei all der notwendigen sozio-ökonomischen Hilfe für die armen Länder auf den missionarischen Einsatz der Kirche nicht verzichtet werden. In beiden Bereichen sind die Gläubigen zum Zeugnis aufgerufen: Entwicklungsarbeit ist ebenso Zeugnis wie kirchliche Solidarität in der Entwicklungsarbeit. Der besonderen Fürsorge der Caritas, aber auch Eurer allgemeinen pastoralen Sorge vertraue ich die - wie in vielen europäischen Ländern - in den letzten Jahren angestiegene Zahl der drogen- und alkoholabhängig gewordenen Mitmenschen an. Besonders junge Menschen sind immer stärker gefährdet. Versucht die Jugendarbeit zu verstärken, um ihnen in der Gruppe Beheimatung zu vermitteln und ”Beschäftigung“ in ihrer Freizeit anzubieten; das Empfinden innerer Leere und Sinnlosigkeit darf nicht der künstlichen Betäubung überlassen werden, es verlangt nach menschlich und inhaltlich aufbauender und in die gesellschaftliche Wirklichkeit integrierender Jugend- und Sozialarbeit sowie nach einfühlsamen pastoralen Bemühungen um diejenigen, die sich ausgegrenzt und unverstanden fühlen.

10. Dankbar begrüße ich auch die offenbar sehr konkrete Planung einer Solidaritätsaktion der Deutschen Bischofskonferenz zugunsten der Menschen und Kirchen in Mittel- und Osteuropa. Diese Initiative nimmt Gestalt an in Koordination und Kooperation mit schon bestehenden Institutionen in Eurem Land und in Europa. Die Menschen in den vom Kommunismus befreiten Ländern bedürfen der finanziellen Hilfe, aber noch mehr der menschlichen Begegnung und des Austausches der sehr unterschiedlichen Erfahrungen in den vier Jahrzehnten gewaltsamer Trennung des Kontinentes.

Ihr versteht ein solches Werk als Konkretisierung der dringend notwendigen Neuevangelisierung Europas. In der Tat, Evangelisierung, die im Sinne des Apostolischen Schreibens “ Evangelii Nuntiandi ” die Umgestaltung in Jesus Christus meint, gilt dem ganzen Menschen, und zwar in all seinen gesellschaftlichen, kulturellen, intellektuellen und sozialen Bezügen. Und sie wird auch die Strukturen berühren. Darum kann ein solches Werk wesentlich dazu beitragen, dass die Kirche und die Christen ihre Rolle in der sich abzeichnenden neuen Gestalt Europas finden.

Mir ist bewusst, dass die Bundesrepublik Deutschland die innere Vereinigung nur schrittweise verwirklichen kann. Um so mehr begrüße ich Eure Initiative, sich der umfassenden Herausforderung des europäischen Einigungsprozesses, gemeinsam mit den Katholiken in allen Ländern Europas, zu stellen. Dabei bin ich sicher, dass Ihr wie bisher die Aufgaben in dem noch umfassenderen Einigungsprozess auf dem Weg zur einen Welt nicht aus dem Auge verlieren werdet. Es wird gewiss nicht die geringste Aufgabe einer solchen Solidaritätsaktion der Katholiken sein, ein Zeichen zu setzen, damit die verschiedenen Einigungsorgane in der gegenwärtigen Welt nie gegeneinander ausgespielt werden können, weil christliche Solidarität unteilbar ist. Dies alles bedeutet eine Herausforderung, der wir uns selbstverständlich und zusammen mit allen christlichen Kirchen und Gemeinschaften sowie mit allen Menschen guten Willens zu stellen haben.

11. Ihr habt Euch in den letzten Jahren in vorbildlicher Weise für Flüchtlinge und für den Schutz politisch Verfolgter eingesetzt. Im Zusammenhang mit schrecklichen Ausschreitungen gegen Asylbewerber und Ausländer wurde in letzter Zeit viel über das Asylrecht diskutiert. Trotz der Klagen, in Deutschland wachse die Ausländerfeindlichkeit, bleibt festzustellen, dass Freundlichkeit gegenüber Fremden und Hilfsbereitschaft unter den Menschen in Eurem Land nach wie vor groß sind. Den vielen, die Fremden in vorbildhafter Weise Hilfe zuteil werden lieben und lassen, gilt mein ausdrücklicher Dank.

In diesen Tagen und Wochen steht auch Ihr, liebe Mitbrüder, unter einem besonderen Erwartungsdruck. Es ist die Spannung zwischen grundsätzlicher christlicher Haltung und aktuellen politischen Herausforderungen. Einerseits wird von Euch gefordert, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Nächstenliebe verpflichtend ist und bleibt, andererseits dürfen aber Eure Worte die Notwendigkeit einer baldigen Lösung des Asylantenproblems nicht außer acht lassen. Ihr habt, zusammen mit dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, auch darauf aufmerksam gemacht.

Deutschland hat in diesen Jahren mehr Ausländer aufgenommen als irgendein anderes Land in Europa. Die Hilfen, die den Armen und Bedrängten zuteil wurden, sind vorbildlich. Allerdings muss die Kirche auch die Tatsache ernstnehmen, dass immer mehr Menschen das Gefühl haben, der Zustrom von Asylbewerbern führe zu einer Überforderung, die zur Folge hat, dass Hilfsbereitschaft in Abschottung umschlagen könne. Macht Euren Gläubigen bewusst, dass innere und äußere Ausgrenzung und Abschottung keine Lösung darstellen können, sondern zu Unsicherheit führen und sogar in Aggression und Protest umschlagen. Die unveräußerliche Menschenwürde eines jeden einzelnen muss in Zusammenarbeit mit allen Menschen guten Willens, die in Politik und Gesellschaft Verantwortung tragen, zwischen dem ethisch Gebotenen und dem tatsächlich Machbaren garantiert werden.

Dies verlangt von Euch viel Mut und Engagement. Es besteht die Gefahr, dass das Gebot unseres christlichen Glaubens, Fremde aufzunehmen und Gastfreundschaft zu gewähren, bei überzogenen Asylvorstellungen nicht mehr eingehalten werden kann. Die Kirche muss vielmehr in allen Teilen der Welt Gerechtigkeit und Frieden fordern, Voraussetzungen, die helfen, das Asylproblem zu lösen. Im übrigen wäre der Menschenwürde noch zutreffender Genüge getan, wenn Ihr und Euer Land fortfahren würdet, wie bisher in großzügiger Weise Hilfen für die Länder in Not zur Verfügung zu stellen, so dass wenigstens die Menschen, die nicht aus Kriegsgebieten flüchten müssen, in ihrer Heimat verbleiben können und nicht gezwungen sind, alles im Stich zu lassen.

Helft konstruktiv mit, Voraussetzungen zu schaffen, dass das wertvolle Gut des Asylrechts in Deutschland durch eine praktikable Lösung und Präzisierung erhalten werden kann, und helft eine Gesinnungsethik zu vermeiden, die als Theorie keinen Bezug zum wirklichen Leben hat. Damit leistet Ihr einen Dienst, weil Ihr mithelft, ungesunde und menschenverachtende Verirrungen gerade junger Menschen zu verhindern. Als Kirche kennen wir keine Ausländer; Ihr müsst aber andererseits dazu beitragen, dass das deutsche Volk nach Jahren der gewaltsamen Teilung und der nicht ohne Schwierigkeiten verlaufenen Einigung in Frieden seine volle Identität noch findet.

12. Schließen möchte ich diese Begegnung, liebe Brüder, indem ich Euch erneut meinen Dank und meine Wertschätzung ausspreche. Wenn Ihr in Eure Diözesen zurückkehrt, grüßt bitte herzlich Eure Priester, Diakone, Ordensleute und Gläubigen. Wir stehen am Ende der Adventszeit, kurz vor dem Weihnachtsfest. Gott kommt, weil er will, ”dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“. Er kommt, weil er aus Liebe die Welt und die Menschen geschaffen und mit ihnen die Gnadenordnung gefestigt hat.

Wundern wir uns nicht, dass der Herr in der Heiligen Nacht keinen Platz in den Häusern von Betlehem fand und in einem Stall geboren wurde, in einer Grotte, die den Tieren zum Schutz diente. Um so wichtiger ist aber, dass er gekommen ist.

Euch und allen Eurer Hirtensorge Anvertrauten sowie allen Bürgern Eures geschätzten Landes spreche ich meine besten Wünsche für das Weihnachtsfest und das Neue Jahr aus und erteile Euch und allen Gläubigen von Herzen meinen Apostolischen Segen.

 

© Copyright 1992 - Libreria Editrice Vaticana

 



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