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PRESSEKONFERENZ ZUR VORSTELLUNG
DER "LINEAMENTA" DER XIII. ORDENTLICHEN VOLLVERSAMMLUNG DER BISCHOFSSYNODE

»Neuevangelisierung für die Weitergabe des Glaubens«

Aula "Giovanni Paolo II" am Presseamt des Heiligen Stuhls
Freitag, 4. März 2011

S. E. Mgr Nikola Eterović
Generalsekretär der Bischofssynode 

 

  

I) Einleitung

»Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch« (Joh 20,21). Mit diesen Worten sendet Jesus Christus, der Auferstandene, Sieger über Sünde und Tod, seine Jünger in die ganze Welt, damit sie die Frohe Botschaft verkünden, nachdem er ihnen den Heiligen Geist gesandt hat zur Vergebung der Sünden. Dieser Auftrag wird auch von den Synoptikern am Schluß ihrer Evangelien wiederholt: »Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen« (Mk 16,15). »Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes« (Mt 28, 18–19). Im Namen des Auferstandenen »wird man allen Völkern, angefangen in Jerusalem, verkünden, sie sollen umkehren, damit ihre Sünden vergeben werden« (Lk 24,47). Die vom Heiligen Geist versammelte Kirche bemüht sich, diesen Auftrag auf ihrem irdischen Pilgerweg treu zu erfüllen. Gestützt auf das Geleit des verherrlichten Herrn, der sie seiner Gegenwart »bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20) versichert hat, möchte sie mit neuer Begeisterung diese Sendung auch in der gegenwärtigen Zeit fortsetzen. Aus diesem Grund hat der Heilige Vater Benedikt XVI., Bischof von Rom und Hirte der Gesamtkirche, die XIII. Ordentliche Vollversammlung der Bischofssynode einberufen, die vom 7. bis zum 28. Oktober 2012 zum Thema »Die Neuevangelisierung für die Weitergabe des christlichen Glaubens« stattfinden wird. Der Heilige Vater wollte die Einberufung dieses wichtigen kirchlichen Ereignisses in der feierlichen Konzelebration der Eucharistie zum Abschluß der Sonderversammlung der Bischofssynode für den Nahen Osten persönlich ankündigen, denn es soll Anlaß zur Prüfung des zurückgelegten Weges sein, um mit neuem Elan das dringende Werk der Evangelisierung der zeitgenössischen Welt wiederaufzunehmen.

Der Entscheidung des Papstes gingen zwei wichtige Schritte voraus. Zunächst hat der Generalsekretär der Bischofssynode nach bewährter Praxis im Namen des Heiligen Vaters die 13 Bischofssynoden der Katholischen Ostkirchen sui iuris, die 113 Bischofskonferenzen, die 25 Dikasterien der Römischen Kurie und die Union der Generaloberen gebeten, in schriftlicher Form drei Themen einzureichen, die für die Reflexion einer Synode in Betracht gezogen werden könnten, das heißt sie sollten in pastoraler Hinsicht von herausragender Bedeutung sein, die Gesamtkirche betreffen und für die Diskussion einer Synode geeignet sein. Nach Erhalt der Antworten der genannten Einrichtungen, mit denen die Bischofssynode auf institutioneller Ebene zusammenarbeitet, wurden diese dem Heiligen Vater zur Kenntnis gebracht. Zuvor waren sie vom Ordentlichen Rat des Generalsekretariats der Bischofssynode aufmerksam bewertet worden. Dieser Rat setzt sich aus 15 Mitgliedern zusammen, von denen 12 im Lauf der letzten Ordentlichen Vollversammlung, die vom 5. bis 26. Oktober 2008 stattfand, gewählt wurden, weitere drei Mitglieder wurden vom Papst ernannt. In ihren Antworten hat die Mehrheit der Bischofskonferenzen für die nächste Synodenversammlung die Frage der Weitergabe des Glaubens vorgeschlagen, ein Prozeß, der in letzter Zeit aufgrund der großen Veränderungen im sozialen, kulturellen und religiösen Bereich mit nicht wenigen Schwierigkeiten verbunden war.

Der zweite Schritt, der die endgültige Wahl des Synodenthemas beeinflußt hat, war die Entscheidung des Heiligen Vaters, den Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung einzurichten.

Dieses neue Dikasterium wurde am 21. September 2010 mit dem Motu proprio Ubiqumque et Semper von Papst Benedikt XVI. errichtet. Deshalb war es gewiß eine glückliche Entscheidung von Papst Benedikt XVI., die bereits erwähnte allgemeine pastorale Sorge in bezug auf die Weitergabe des Glaubens in den Rahmen der Reflexion über die Neuevangelisierung zu stellen, die in der ganzen Kirche, wenn auch in verschiedener Weise, nötig zu sein scheint.

II) Der synodale Prozeß

Die Lineamenta, die heute vorgestellt werden, stellen einen wichtigen Schritt auf dem Weg der Vorbereitung der XIII. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode dar. Sie wurden vom Ordentlichen Rat des Generalsekretariats der Bischofssynode unter Mithilfe einiger Experten vorbereitet. Bei ihrer Abfassung wurden die Begründungen berücksichtigt, mit denen die beteiligten Einrichtungen ihre Themenvorschläge für die Synode vorgebracht haben. Nach der Veröffentlichung des Dokumentes, mit dem der Heilige Vater den Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung eingerichtet hat, schenkte der Rat diesem wie auch den anderen Beiträgen des Heiligen Vaters zum Thema große Beachtung. Das Ziel der Lineamenta ist es, die Diskussion über das Synodenthema auf der Ebene der Weltkirche anzuregen. Daher werden die Lineamenta in acht Sprachen veröffentlicht: lateinisch, französisch, englisch, italienisch, polnisch, spanisch und deutsch. Die elektronische Version des Dokuments ist auf der Website der Bischofssynode zu finden. Zudem ist jedes Kapitel mit präzisen Fragen versehen, die die Reflexion der Ortskirchen und der jeweiligen Einrichtungen erleichtern sollen. Der Fragebogen besteht insgesamt aus 72 Fragen.

Das Generalsekretariat der Bischofssynode hat für die Verteilung des Dokumentes an die betreffenden Einrichtungen gesorgt, damit sie die Reflexion in den einzelnen Ländern (Diözesen, Pfarreien, Ordensgemeinschaften, Bewegungen, Vereinigungen, Gruppen von Gläubigen, etc.) fördern, ihre Beiträge zusammenfassen und die Antworten vor dem 1. November 2011, dem Hochfest Allerheiligen, dem Generalsekretariat der Bischofssynode zukommen lassen. Der Ordentliche Rat des Generalsekretariats der Bischofssynode wird die eingegangenen Antworten aufmerksam auswerten. Diese werden dann im Instrumentum laboris zusammengefaßt, dem Arbeitspapier der XIII. Ordentlichen Vollversammlung.

III) Struktur der Lineamenta

Die Lineamenta sind in drei Kapitel aufgeteilt, die das Synodenthema widerspiegeln: 1) Zeit der »neuen Evangelisierung«; 2) Das Evangelium Jesu Christi verkünden; 3) Zur christlichen Erfahrung hinführen. Natürlich gibt es eine Einleitung, der ein Vorwort vorausgeht. Das Dokument endet dann mit einem kurzen Schlußwort.

Im Vorwort werden einige praktische Hinweise zum synodalen Prozeß sowie zur Bedeutung der Lineamenta gegeben. Darüber hinaus unterstreicht es die theoretische Unterscheidung zwischen Evangelisierung als regulärer Aktivität der Kirche, der Erstverkündigung ad gentes an jene, die Jesus Christus noch nicht kennen, und der Neuevangelisierung, die vor allem an diejenigen gerichtet ist, die sich von der Kirche entfernt haben, an die, die zwar getauft, aber nicht ausreichend evangelisiert sind. In der kirchlichen Praxis leben die drei Kategorien oft auf demselben Territorium zusammen, weshalb die Ortskirchen diese drei Formen der Verkündigung gleichzeitig praktizieren müssen, vor allem wegen des Phänomens der Globalisierung und dem von Migration und Immigration verursachten Ortswechsel.

In der Einleitung wird hervorgehoben, daß die XIII. Synodenversammlung im Zusammenhang mit dem erneuerten Evangelisierungseinsatz zu sehen ist, den die Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen hat. Mit diesem von den Päpsten Paul VI., Johannes Paul II. und derzeit Benedikt XVI. geförderten Werk möchte die Kirche die Freude erleben, von Jesus Christus versammelte Gemeinschaft zu sein, um Gott, den Vater im Heiligen Geist, zu loben und um diese Freude den Nahen und Fernen erneut anzubieten.

Zugleich sollen mit der Neuevangelisierung Antworten gefunden werden auf die großen Herausforderungen in einer sich schnell verändernden Welt. Diesbezüglich werden theologische und kirchliche Begründungen für eine Neuevangelisierung gegeben. Die theologischen Gründe entspringen dem Geheimnis des einen und dreifaltigen Gottes. »Die Kirche, welche den Glauben verkündet und weitergibt, ahmt das Handeln Gottes selbst nach, der sich der Menschheit mitteilt, indem er seinen Sohn schenkt, in der Gemeinschaft der Trinität lebt und den Heiligen Geist sendet, um mit der Menschheit zu kommunizieren« (Lineamenta, 2). Die Evangelisierung soll ein Echo dieser göttlichen Kommunikation sein. Deshalb muß sich die Kirche, gegründet zur Verbreitung des Evangeliums, durch das Wirken des Heiligen Geistes formen lassen, um dem gekreuzigten und auferstandenen Christus gleichgestaltet zu werden. Auf diese Weise entdeckt sie ihre mütterliche Sendung als Ecclesia mater wieder, die dem Herrn Töchter und Söhne gebiert, das heißt sie entdeckt ihre Pflicht zu evangelisieren.

In ekklesiologischer Hinsicht ist zu betonen, daß die Evangelisierung zum Wesen der Kirche gehört und ihre gesamte Tätigkeit betrifft. Deshalb ist die Verkündigung des Evangeliums nicht eine Frage von Kommunikationsstrategien oder der Auswahl von bevorzugten Empfängern der Botschaft, etwa den Jugendlichen. Sie betrifft die Fähigkeit der Kirche, sich als »wirkliche Gemeinschaft zu formen, in echter Brüderlichkeit, als Leib, nicht wie eine Maschine oder eine Firma« (Lineamenta, 2). Denn die ganze Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch. Sie existiert, um zu evangelisieren. Um diese Aufgabe in angemessener Weise zu erfüllen, beginnt die Kirche damit, sich selbst zu evangelisieren. Sie erkennt sich nicht nur als Handelnde in der Evangelisierung, sondern auch als deren Frucht, in der Überzeugung, daß der Hauptakteur Gott ist, der die Kirche in der Geschichte führt durch den Geist seines eingeborenen Sohnes Jesus Christus. Deshalb erfordert die Evangelisierung die Gabe der Unterscheidung.

Die Kirche als ganze ist dazu gerufen zu hören, zu verstehen, ihren Evangelisierungsauftrag zu prüfen und neu zu beleben insbesondere angesichts der großen Veränderungen der zeitgenössischen Welt. Ein solches Werk unternimmt sie nicht unvorbereitet. Es mag genügen, an die Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi und Catechesi tradendae zu erinnern, Resultat der Synodenversammlungen von 1974 bzw. 1977, die diese Themen behandelt und der Kirche immer noch gültige Wege und Modalitäten aufgezeigt haben.

IV) Kapitel 1: Zeit der »neuen Evangelisierung«

Im ersten Kapitel wird die Entstehung des Begriffs »Neuevangelisierung« und seine Verbreitung im Lauf der Pontifikate des Dieners Gottes Johannes Paul II. und Papst Benedikts XVI. beschrieben. Zum ersten Mal hat Johannes Paul II. den Ausdruck am 9. Juni 1979 in seiner Predigt in der Heilig-Kreuz-Kirche in Mogila (Polen) gebraucht: »Eine neue Evangelisierung hat begonnen,  so als ob es sich um eine zweite Verkündigung handeln würde, auch wenn sie in Wirklichkeit die gleiche ist wie die erste« (Lineamenta, 5). Der Ausdruck hat sich dann in der Ansprache an die Teilnehmer der XIX. Versammlung der CELAM durchgesetzt, die Johannes Paul II. am 9. März 1983 in Port-au-Prince, Haiti, gehalten hat. Er unterstrich, daß es sich nicht um eine Re-Evangelisierung handelt, sondern um eine »Neu-Evangelisierung. Neu in ihrem Eifer, in ihren Methoden und in ihrer Ausdrucksweise« (vgl. Lineamenta, 5). Die Wurzel dieses Begriffes findet sich im Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi des Dieners Gottes Paul VI., das in den Lineamenta mehrmals zitiert wird. Auch wenn der Ausdruck an sich nicht direkt vorkommt, ist in Evangelii nuntiandi die Rede von »neuen Zeiten der Evangelisierung« (Nr. 2), einem »neuen Anstoß« (Nr. 2; 5), während Abschnitt Nr. 24 den Titel trägt: »Anstoß zu neuem Apostolat«. Diese Übereinstimmungen sind auch durch die Tatsache zu erklären, daß Karol Wojtyla als Erzbischof von Krakau zum Berichterstatter für den Abschluß der Synode von 1974 zum Thema »Evangelisierung in der modernen Welt« ernannt wurde.

Der Begriff der Neuevangelisierung findet sich unzählige Male in den Dokumenten seines Pontifikats und die Lineamenta zitieren die wichtigsten, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Die Lineamenta möchten eine Diskussion über die Bedeutung dieses Begriffes selbst anregen. Dieser ist zum Beispiel häufig in den Nachsynodalen Apostolischen Schreiben der Sonderversammlungen für die einzelnen Kontinente zur Vorbereitung des Heiligen Jahres 2000 vertreten. Tatsächlich hat man unter Neuevangelisierung häufig deren dynamischen Aspekt verstanden, er wurde verwendet, »um das Bemühen um Erneuerung zu beschreiben, das die Kirche vollbringen muß, um in angemessener Weise den Herausforderungen begegnen zu können, welche der heutige sozio-kulturelle Kontext … für den christlichen Glauben … stellt« (Lineamenta, 5). Diese Herausforderungen werden in sechs Szenarien beschrieben, die in den letzten Jahrzehnten die Aufmerksamkeit der Kirche und ihre angemessene Antwort erfordern, damit auch sie Orte des Zeugnisses der Christen werden, die gerufen sind, sie durch die Verkündigung des Evangeliums zu verändern.

1) Das Szenarium der Säkularisierung steht an erster Stelle, es wird am ausführlichsten behandelt. Vor allem betrifft es die westliche Welt, breitet sich aber von dort über die ganze Welt aus.

Auch wenn die Säkularisierung zuweilen antichristliche und antireligiöse Töne anschlägt, spricht sie meist in leisen Tönen, die in das alltägliche Leben der Menschen eingedrungen sind und eine Mentalität entwickelt haben, in der Gott de facto abwesend ist. Es handelt sich um die Kultur des Relativismus mit ihren schwerwiegenden anthropologischen Implikationen, die auch auf das Leben der Kirche Einfluß haben.

Andererseits gibt es neben der Säkularisierung in der Welt ein Wiedererwachen des Religiösen. Leider werden viele positive Aspekte der Suche nach Gott und der Wiederentdeckung des Heiligen in verschiedenen Religionen »durch Phänomene des Fundamentalismus verdunkelt, der nicht selten die Religion manipuliert, um Gewalt und sogar den Terrorismus zu rechtfertigen« (Lineamenta, 6).

2) Das zweite Szenarium, auf das hingewiesen wird, ist das Phänomen der Migration, das »dabei ist, die ethnische Geographie unserer Städte, unserer Nationen und unserer Kontinente zu verändern« (Lineamenta, 6). Es hat verschiedene Ursachen und hängt mit dem Phänomen der Globalisierung zusammen, die positive, aber auch problematische Aspekte hat und daher ein hohes Maß an Urteilsvermögen erfordert.

3) Die Kommunikationsmittel und die digitale Revolution stellen eine der großen Herausforderungen für die Kirche dar. Die mediale und digitale Kultur bringt viele Vorteile mit sich, aber auch Risiken, die schließlich zu dem führen könnten, was als »Kultur des Augenblicks, des Unmittelbaren, des Scheins« bezeichnet wird oder auch als »eine Gesellschaft, die zur Erinnerung und zur Zukunft unfähig ist« (Lineamenta, 6).

4) Auf die Evangelisierung der Kirche hat auch das ökonomische Szenarium einen Einfluß, die Wirtschaftskrise, »das wachsende Ungleichgewicht zwischen dem Norden und dem Süden der Welt im Hinblick auf den Zugang zu den Ressourcen und ihre Verteilung sowie die Zerstörung der Schöpfung« (Lineamenta, 6).

5) Die wissenschaftliche und technologische Forschung ist ein weiteres Szenarium, das die Evangelisierungstätigkeit der Kirche herausfordert. Es besteht die Gefahr, daß Wissenschaft und Technik die neuen Idole der Gegenwart werden, eine neue Religion, die »neue Formen der Gnosis« unterstützt, »für die die Technik zu einer Form der Weisheit wird, auf der Suche nach einer magischen Organisation des Lebens, die als Wissen und Sinn fungiert« (Lineamenta, 6). Darüber hinaus sind wir Zeugen des Entstehens neuer Kulte, die die religiösen Praktiken an therapeutischen Zielen ausrichten, die Wohlstand und unmittelbare Befriedigung verheißen.

6) Man muß auch das politische Szenarium in Betracht ziehen, die epochalen Umwälzungen der letzten Jahrzehnte: der Zusammenbruch der kommunistischen Ideologie und das Ende der Teilung der westlichen Welt in zwei Blöcke. Das hat die Religionsfreiheit und die Reorganisation der Ortskirchen möglich gemacht. Zudem entwickelt sich zur Zeit eine neue Weltsituation mit dem Auftreten neuer Akteure im wirtschaftlichen, politischen und religiösen Bereich, so in der asiatischen und islamischen Welt.

Angesichts dieser neuen Szenarien sind die Christen nicht nur gerufen, jene kritische Haltung der Unterscheidung der Geister einzunehmen, sondern auch dazu, die Gottesfrage in sie hineinzutragen, indem sie diese Bereiche mit dem Licht des Evangeliums erleuchten und dort Zeugnis geben.

In diesem neuen Kontext sind sie gerufen, den hohen Werten des Friedens, der Gerechtigkeit, des Fortschritts, der Befreiung der Völker, der Achtung der Menschen- und Völkerrechte, vor allem die Rechte der Minderheiten, wie auch der Bewahrung der Schöpfung und der Zukunft unseres Planeten die Würze des Evangeliums zu verleihen. Es geht um die christliche »martyria« in der Welt von heute. Diese Aufgabe bietet große Möglichkeiten für den ökumenischen Dialog mit den Gläubigen anderer Kirchen oder kirchlicher Gemeinschaften. Deshalb sollte die Neuevangelisierung auf das Bedürfnis nach Spiritualität antworten, das auch in der heutigen Welt verstärkt zutage tritt. In diesem Zusammenhang kann der interreligiöse Dialog mit nicht-christlichen Religionen, vor allem den großen östlichen Traditionen, eine große Hilfe sein.

Diesen Herausforderungen entsprechend müßte die Kirche neue Ausdrucksformen der Evangelisierung finden, die dem heutigen sich stark verändernden sozialen und kulturellen Kontext entsprechen. Ihr missionarisches Wesen aufrechterhaltend, soll die Kirche auch in Situationen der Minderheit oder der Diskriminierung ihre Dimension als »Volkskirche« oder »Hauskirche« beibehalten. Sie ist dazu gerufen, ihren Horizont zu erweitern, ihre Grenzen zu überschreiten, da die Neuevangelisierung »das Gegenteil der Selbstgenügsamkeit ist, des Sich-Zurückziehens auf sich selbst, der Mentalität des status quo und einer pastoralen Konzeption, die es für ausreichend erachtet, daß alles so weiterläuft, wie man es bisher gemacht hat« (Lineamenta, 10).

V) Kapitel 2: Das Evangelium Jesu Christi verkünden

Das Ziel der Evangelisierung – und noch mehr der Neuevangelisierung – ist die Verkündigung des Evangeliums und die Weitergabe des Glaubens. Das Evangelium ist dabei nicht als Buch oder Lehre zu verstehen, sondern vielmehr als Person: Jesus Christus, das endgültige Wort Gottes, das Mensch geworden ist. Die Christen sind eingeladen, eine persönliche Beziehung zu Jesus, dem Herrn in der Gemeinschaft der Gläubigen, in der Kirche zu pflegen. Er führt uns durch den Heiligen Geist zum Vater. »Das Ziel der Weitergabe des Glaubens ist daher die Verwirklichung dieser Begegnung mit Jesus Christus im Heiligen Geist, um dazu zu gelangen, die Erfahrung seines und unseres Vaters zu machen« (Lineamenta, 11).

Die Kirche gibt den Glauben weiter, den sie selbst lebt und der ihre Verkündigung, ihr Zeugnis und ihre Nächstenliebe prägt. Die Weitergabe des Glaubens als Begegnung der Gläubigen mit Jesus Christus wird unter Führung des Heiligen Geistes verwirklicht durch die Heilige Schrift und die lebendige Überlieferung der Kirche. Die Kirche, die beständig erneuert wird durch den Heiligen Geist, ist der Leib Christi, dessen höchster Ausdruck die Feier des Sakraments der Eucharistie ist. Diesen Fundamenten der Kirche, der Eucharistie und dem Wort Gottes, waren die letzten beiden Ordentlichen Vollversammlungen der Bischofssynode 2005 bzw. 2008 gewidmet.

Die Weitergabe des Glaubens erfolgt durch das Gebet, das Glaube im Vollzug ist. Die Liturgie mit ihrer unersetzlichen pädagogischen Funktion ist dessen privilegierter Ort, wo »das erziehende Subjekt Gott selbst ist und der wahre Erzieher zum Gebet der Heilige Geist« (Lineamenta, 14). Über die Weitergabe des Glaubens hat die Kirche schon im Rahmen der Synode zum Thema »Die Katechese in unserer Zeit« nachgedacht, die 1977 stattgefunden hat. Die Ergebnisse der Synodenarbeiten sind im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Catechesi tradendae vorgestellt worden, dem 1979 veröffentlichen Dokument, das in den Lineamenta häufig zitiert wird. Außerdem beziehen sich die Lineamenta stark auf das Allgemeine Direktorium für die Katechese, das die Kongregation für den Klerus 1997 veröffentlicht hat. Sie greifen dessen Hauptthemen auf und versuchen, sie auf die aktuellen sozialen und kirchlichen Situationen zu übertragen. Das Apostolische Schreiben Catechesi tradendae hat den Ausdruck »Pädagogik des Glaubens« eingeführt, die die beiden grundlegenden Mittel für die Weitergabe des Glaubens umfaßt: die Katechese und das Katechumenat. Unter Katechese ist der Prozeß der »Weitergabe des Evangeliums« zu verstehen, so wie es die christliche Gemeinschaft empfangen hat, es versteht, es feiert, es lebt, es mitteilt« (Lineamenta, 14). »Das Taufkatechumenat, nämlich die spezifische Bildung, durch die der zum Glauben gekommene Erwachsene während der Ostervigil zum Glaubensbekenntnis geführt wird« (Allgemeines Direktorium für die Katechese, 59; vgl. Lineamenta, 14), muß die anderen Formen der Katechese inspirieren, sowohl was ihre Ziele angeht als auch ihre Dynamik.

In den vergangenen Jahrzehnten haben die Ortskirchen in diesem Bereich viel geleistet. Es mag ausreichen, an die hohe Zahl der Christen, Priester, Ordensleute, Laien, Katecheten, Familien und Gemeinschaften, Gruppen und kirchlichen Bewegungen zu denken, die sich spontan und unentgeltlich in der Verkündigung und der Weitergabe des Glaubens engagiert haben. Dennoch »bergen das kulturelle Klima und die Situation der Ermüdung, in welcher sich viele christliche Gemeinschaften befinden, das Risiko in sich, die Fähigkeit der Verkündigung, des Zeugnisses und der Erziehung zum Glauben in unseren Ortskirchen zu schwächen« (Lineamenta, 15).

Eine derartige Situation erfordert neuen Elan, einen neuen Eifer, Gabe des Heiligen Geistes, um mit Freude und Begeisterung erneut die Frohe Botschaft zu verkünden. Es handelt sich dabei um eine Aufgabe der ganzen Kirche und aller ihrer Glieder. Sie wird angesichts der Herausforderungen der heutigen Gesellschaft noch dringlicher. Die Christen sind auch heute aufgerufen, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15).

Dies sollen sie in einem neuen gemeinschaftlichen und persönlichen Stil tun, indem sie ihre Antwort so geben: »›bescheiden und ehrfürchtig‹ und mit reinem Gewissen (1 Petr 3,16), mit jener milden Stärke, die aus der Einheit mit Christus im Geist kommt und mit der Entschiedenheit dessen, der weiß, daß sein Ziel die Begegnung mit Gott, dem Vater, in seinem Reich ist« (Lineamenta, 16). Das christliche Zeugnis muß privat und öffentlich sein, Gedanken und Taten umfassen, das Leben innerhalb der christlichen Gemeinschaften ebenso wie den missionarischen Elan, die erzieherische Tätigkeit, die karitativen Aktivitäten und die Präsenz in der zeitgenössischen Gesellschaft, um dieser die Gabe der christlichen Hoffnung zu vermitteln. »Das Ziel des ganzen Prozesses der Weitergabe des Glaubens ist der Aufbau der Kirche als einer Gemeinschaft der Zeugen des Evangeliums« (Lineamenta, 17).

Um dies dem Willen Jesu entsprechend tun zu können, muß die Kirche selbst evangelisiert werden, »wenn sie ihre Lebendigkeit, ihren Schwung und ihre Stärke bewahren will, um das Evangelium zu verkünden« (Evangelii nuntiandii, 15; Lineamenta, 17). Die Lineamenta möchten den Ortskirchen helfen, über die positiven Aspekte, aber auch über die erwähnten Herausforderungen und Schwierigkeiten in der Weitergabe des Glaubens nachzudenken.

VI) Kapitel 3: Zur christlichen Erfahrung hinführen

Das dritte Kapitel legt eine Reflexion über die Mittel der Kirche vor, um in den Glauben einzuführen, und insbesondere über die christliche Initiation: Taufe, Firmung und Eucharistie. Sie werden gesehen als »Etappen eines Weges, der in einem organischen Vorgang der Einführung in den Glauben das erwachsene christliche Leben hervorbringt« (Lineamenta, 18). Das Nachdenken über die christliche Initiation hat in den letzten Jahrzehnten vielversprechende Fortschritte gemacht, es hat aber auch eine Diskussion eröffnet über einige zu vertiefende Fragen. Dank des Beitrags der jungen Kirchen geht man bei diesem Einführungsprozeß in den Glauben oft vom Modellfall des Erwachsenen aus und nicht vom Kind. Außerdem wurde dem Sakrament der Taufe wieder mehr Bedeutung verliehen, indem man die Struktur des alten Katechumenats wieder aufgenommen hat, um eine Feier des Sakraments zu unterstützen, die bewußter und damit geeigneter ist, das christliche Leben der Neugetauften zu gewährleisten. Im Fall der Taufe von Kindern ist man bemüht, die Eltern und die Gemeinde stärker einzubeziehen. Man greift ebenso auf die Mystagogie zurück, um Wege der Initiation zu entwerfen, die auch nach der Spendung der Sakramente fortgeführt werden.

Die Praxis der kirchlichen Gemeinschaften hat aber auch verschiedene Fragen aufgeworfen, von denen die Lineamenta die folgenden erwähnen: Bei der Revision der Spendung der Sakramente der christlichen Initiation stellte sich das Problem der Reihenfolge der Sakramente, vor allem hinsichtlich der Firmung. Diesbezüglich gibt es in der Kirche verschiedenen Traditionen und Riten. Was die Reihenfolge der Sakramente der Initiation eines Erwachsenen angeht, stimmen die Traditionen des Ostens mit der des Westens überein. Ein Unterschied besteht in der Spendung der Firmung an Jugendliche. Eine allgemein akzeptierte Ordnung für das Sakrament der Firmung zu finden bleibt eine Herausforderung für die Kirche, über die nachgedacht werden muß. Im übrigen hat Papst Benedikt XVI. diese Frage bereits im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Sacramentum caritatis (Nr. 18) erwähnt.

Darüber hinaus muß der mystagogischen Dimension der christlichen Initiation wieder Inhalt und Energie verliehen werden. Es reicht nicht aus, die Erziehung zum Glauben eventuell an den Religionsunterricht in den Schulen zu delegieren, da es die der Kirche eigene Sendung ist, das Evangelium zu verkünden und vor allem bei den Kindern und Jugendlichen durch Katechumenat und Katechese den Glauben zu wecken.

Angesichts der derzeitigen Herausforderungen soll die Neuevangelisierung es den Gläubigen ermöglichen, ihre Ängste zu überwinden und größeres Vertrauen in den Heiligen Geist zu haben, der die Kirche in der Geschichte führt. So können sie mit größerer Klarheit die Orte ausfindig machen und die angemessensten Arten und Weisen erkennen, um die Gottesfrage ins Zentrum des Lebens des heutigen Menschen zu stellen und dabei seine Erwartungen und Ängste aufzugreifen.

Bei diesem Werk ist eine Katechese unerläßlich, die denjenigen gilt, die bereits die Erstverkündigung des Evangeliums erhalten haben und an Gott glauben, der sich in Jesus Christus offenbart hat. Die Katechese läßt diese Umkehr heranreifen und erzieht den Gläubigen zum Glauben, indem sie ihn in die Kirche, die Gemeinschaft der Gläubigen, eingliedert.

Die Einführung in den Glauben ist eng verbunden mit der Bildung und Erziehung, die die Kirche als Dienst am Menschen und der Welt leistet. In der heutigen Gesellschaft stellt sich jede Art von Erziehung als recht schwierig heraus, so daß Papst Benedikt XVI. sogar von einem »Erziehungsnotstand« gesprochen hat. Es kostet immer größere Mühe, den jungen Generationen die Grundwerte und ein richtiges Verhalten zu vermitteln. Diese Erfahrung machen vor allem die Eltern, aber auch die Bildungs- und Erziehungseinrichtungen, vor allem die Schule. Diese Schwierigkeit ist eine Folge des weit verbreiteten Relativismus, durch den das Licht der Wahrheit fehlt. In einem solchen Kontext entwickelt sich das Engagement der Kirche in der Erziehung zum Glauben zu einem wertvollen Beitrag, um die Gesellschaft aus der Erziehungskrise herauszuführen.

Die Kirche kann sich diesbezüglich auf eine lange Tradition stützen: Schulen, Erziehungseinrichtungen, pädagogische Ressourcen, besonders ausgebildetes Personal, verschiedene Männer- oder Frauenorden, die in der Lage sind, eine bedeutsame Präsenz in der Welt der Schule und Erziehung anzubieten. Nach einer angemessenen Beurteilung dieser Wirklichkeit, die durch die sozialen und kulturellen Veränderungen ebenfalls einem bedeutsamen Wandel unterworfen ist, kann die Kirche der Gesellschaft ihre Tradition der Erziehung als Gabe anbieten, indem sie ihren Platz im öffentlichen Raum findet und dort die Gottesfrage wieder stellt, Grundlage jeder christlichen Erziehung.

Mit einem von Papst Benedikt XVI. verwendeten Ausdruck könnte man sagen, daß das Erziehungsziel der Kirche die sogenannte »Ökologie des Menschen« (vgl. Caritas in veritate 51; Lineamenta, 21) ist, die eine Einheit bildet mit der Humanökologie und der Umweltökologie. Die Neuevangelisierung ist also auch gerufen, sich mit dem kulturellen und erzieherischen Engagement der Kirche zu befassen. In jedem Fall benötigt sie dringender Zeugen als Gelehrte. »Kein Projekt der ›Neuevangelisierung‹, kein Projekt der Verkündigung und der Weitergabe des Glaubens kann von diesem Erfordernis absehen: Männer und Frauen, die mit ihrer Lebensführung dem Einsatz in der Evangelisierung Kraft geben« (Lineamenta, 22). Der gegenwärtige Erziehungsnotstand läßt den Bedarf an Erziehern wachsen, die es verstehen, glaubwürdige Zeugen jener Werte zu sein, auf die man das persönliche Leben bauen kann sowie das Projekt der menschlichen Gesellschaft, für die sich ein Einsatz lohnt. In den Lineamenta werden einige berühmte Zeugen aus der Kirchengeschichte genannt, die sich im Bereich der Erziehung ausgezeichnet haben: zunächst der hl. Paulus, dann der hl. Patrick, der hl. Bonifatius, der hl. Franz Xaver, die hll. Cyrill und Methodius, der hl. Turibius von Mongrovejo, der hl. Damian de Veuster, die sel. Mutter Teresa von Kalkutta. Gottlob könnte man diesen Namen noch zahlreiche andere hinzufügen. Ihr Vorbild dient dazu, zu unterstreichen, daß die Neuevangelisierung vor allem eine geistliche Aufgabe von Christen ist, die nach Heiligkeit streben. Dieser Weg setzt die Gnade Gottes voraus und erfordert Erziehung, Anstrengung, Ausdauer und Gebet. Zeugen in diesem Sinne werden eine Sprache zu gebrauchen wissen, die auch der heutige Mensch versteht, indem sie den Glauben vor allem mit dem Beispiel eines vollkommen Gott und dem Nächsten gewidmeten Lebens verkündigen.

VII) Schluß

Im Schlußteil greifen die Lineamenta einige Aspekte der Neuevangelisierung auf, ohne den Anspruch auf eine präzise oder erschöpfende Definition erheben zu wollen, sondern um die Reflexion über dieses Thema zu erleichtern. Es wird bekräftigt, daß das Fundament der Neuevangelisierung der Heilige Geist ist, den der auferstandene Herr an Pfingsten auf die Apostel herabgesandt hat. Mitten unter ihnen war im Obergemach in Jerusalem auch Maria anwesend, die Mutter Jesu und unsere Mutter. »Voll der Gnade« ist sie Bild der Kirche, die Mutter, die das Werk der Evangelisierung in deren 2000jähriger Geschichte begleitet. Die Neuevangelisierung sollte ein neues Zönakel werden, ein Ort, an dem die Kirche durch die Gnade des Heiligen Geistes nicht ein neues Evangelium findet, sondern »eine entsprechende Antwort auf die Zeichen der Zeit, auf die Bedürfnisse der Menschen und der Völker von heute, auf die neuen Szenarien, welche die Kultur kennzeichnen, in der wir unsere Identität zum Ausdruck bringen und den Sinn unseres Lebens suchen« (Lineamenta, 23).

Die Neuevangelisierung sollte in den Christen die Begeisterung des Anfangs wieder wecken, eine neue missionarische Leidenschaft, die das ganze Volk Gottes einbezieht, »ein neuer apostolischer Aufbruch, der als tägliche Verpflichtung der christlichen Gemeinden und Gruppen gelebt werden soll« (Johannes Paul II., Novo Millennio ineunte, 40; Lineamenta, 24).

Bitten wir den Herrn durch die allerseligste Jungfrau Maria, Stern der Neuevangelisierung, darum, daß die kommende Synodenversammlung der Kirche helfen möge, mit erneuter Kraft das Werk der Evangelisierung wieder aufzunehmen, indem sie den Nahen und Fernen freudig das Evangelium Jesu Christi verkündet, »Kraft Gottes, die jeden rettet, der glaubt« (Röm 1,16).

 

 

        

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