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EUCHARISTIEFEIER AM PALMSONNTAG
UND PASSION DES HERRN

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Petersplatz
XXI. Weltjugendtag
Sonntag, 9. April 2006

 

Liebe Brüder und Schwestern!

Seit 20 Jahren ist dank Papst Johannes Paul II. der Palmsonntag auf besondere Weise der Tag der Jugend geworden – der Tag, an dem die Jugendlichen auf der ganzen Welt Christus entgegengehen und ihn in ihre Städte und Dörfer begleiten wollen, damit er mitten unter uns sein und in der Welt seinen Frieden aufrichten kann. Wenn wir Jesus begegnen und dann mit ihm zusammen seinen Weg gehen wollen, müssen wir uns jedoch fragen: Was ist das für ein Weg, auf dem er uns führen will? Was erwarten wir von ihm? Was erwartet er von uns?

Um zu verstehen, was am Palmsonntag geschehen ist, und um zu erkennen, was er über jene Stunde hinaus für alle Zeiten bedeutet, erweist sich ein Detail als wichtig, das auch für seine Jünger der Schlüssel zum Verständnis dieses Ereignisses wurde, als sie nach Ostern jene Tage, die von Aufregung gekennzeichnet waren, mit einem neuen Blick noch einmal an sich vorüberziehen ließen. Jesus zieht in die Heilige Stadt ein, auf einem Esel reitend, das heißt auf dem Tier der einfachen, gewöhnlichen Leute vom Land, und noch dazu auf einem Esel, der ihm nicht einmal gehört, sondern den er sich für diese Gelegenheit ausleiht. Er kommt nicht in einer prunkvollen Königskutsche, nicht zu Pferd wie die Großen der Welt, sondern auf einem geliehenen Esel. Johannes berichtet uns, daß die Jünger das im ersten Augenblick nicht verstanden haben. Erst nach Ostern bemerkten sie, daß Jesus, indem er so handelte, die Ankündigungen der Propheten erfüllte; sie verstanden nun, daß sein Tun sich aus dem Wort Gottes herleitete und daß er es zu seiner Erfüllung brachte. Sie erinnerten sich, sagt Johannes, daß beim Propheten Sacharja zu lesen ist: »Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Siehe, dein König kommt; er sitzt auf dem Fohlen einer Eselin« (Joh 12,15; vgl. Sach 9,9). Um die Bedeutung der Prophezeiung und damit des Handelns Jesu zu verstehen, müssen wir den ganzen Text im Buch des Propheten Sacharja hören, der so fortfährt: »Ich vernichte die Streitwagen aus Efraim und die Rosse aus Jerusalem, vernichtet wird der Kriegsbogen. Er verkündet für die Völker den Frieden; seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer und vom Eufrat bis an die Enden der Erde« (Sach 9,10). Damit sagt der Prophet drei Dinge über den künftigen König.

Als erstes sagt er, daß er der König der Armen sein wird, ein Armer unter den Armen und für die Armen. Die Armut wird in diesem Fall im Sinn der anawim Israels verstanden, jener gläubigen und demütigen Seelen, die wir in der Nähe Jesu antreffen – aus der Perspektive der ersten Seligpreisung der Bergpredigt. Man kann zwar in materieller Hinsicht arm sein, aber ein Herz haben, das von dem begehrlichen Verlangen nach materiellem Reichtum erfüllt ist und nach Macht, die auf dem Reichtum beruht. Gerade die Tatsache, daß ein solcher Mensch in Neid und Habgier lebt, zeigt, daß er in seinem Herzen zu den Reichen gehört. Er wünscht sich, die Verteilung der Güter umzustürzen, aber nur um selbst in die Stellung der ehemaligen Reichen zu gelangen. Die Armut im Sinne Jesu – und im Sinne der Propheten – setzt vor allem die innere Freiheit von der Gier nach Besitz und Macht voraus. Es geht um eine größere Wirklichkeit als bloß um eine Umverteilung der Güter, die doch im materiellen Bereich stehen bliebe, ja, die Herzen noch härter machen würde. Es geht vor allem um die Reinigung des Herzens, dank der man den Besitz als Verantwortung, als Aufgabe gegenüber den anderen anerkennt, indem man sich unter Gottes Blick stellt und sich von Christus führen läßt, der reich war und um unsertwegen arm geworden ist (vgl. 2 Kor 8,9). Die innere Freiheit ist die Voraussetzung für die Überwindung der Korruption und der Habgier, die bereits die Welt verwüsten; eine derartige Freiheit kann nur gefunden werden, wenn Gott unser Reichtum wird; sie kann nur im geduldigen täglichen Verzicht gefunden werden, durch den sie sich als wahre Freiheit entfaltet. Dem König, der uns den Weg zu diesem Ziel weist – Jesus –, jubeln wir am Palmsonntag zu; ihn bitten wir, uns mit auf seinen Weg zu nehmen.

Als zweites zeigt uns der Prophet, daß dieser König ein König des Friedens sein wird: Er wird die Streitwagen und Schlachtrösser verschwinden lassen, er wird die Bögen zerbrechen und den Frieden verkünden. In der Gestalt Jesu wird das im Zeichen des Kreuzes Wirklichkeit. Das Kreuz ist der zerbrochene Bogen, in gewisser Weise der neue, wahre Regenbogen Gottes, der den Himmel und die Erde miteinander verbindet und eine Brücke über die Abgründe und zwischen den Kontinenten schlägt. Die neue Waffe, die uns Jesus in die Hände gibt, ist das Kreuz – Zeichen der Versöhnung, der Vergebung, Zeichen der Liebe, die stärker ist als der Tod. Jedesmal, wenn wir uns bekreuzigen, müssen wir uns daran erinnern, der Ungerechtigkeit nicht andere Ungerechtigkeit, der Gewalt nicht andere Gewalt entgegenzusetzen; wir müssen uns daran erinnern, daß wir das Böse nur durch das Gute besiegen können und niemals durch Vergeltung des Bösen mit Bösem.

Die dritte Aussage des Propheten ist die Ankündigung der Universalität. Sacharja sagt, das Reich des Königs des Friedens »reicht von Meer zu Meer … bis an die Enden der Erde«. Die alte, an Abraham und die Väter ergangene Verheißung des Landes wird hier durch eine neue Vision ersetzt: Der Raum des messianischen Königs ist nicht mehr ein bestimmtes Land, das sich notwendigerweise von den anderen trennen und dann unvermeidlich auch gegen andere Länder Stellung beziehen würde. Sein Land ist die Erde, die ganze Welt. Indem er jede Abgrenzung überwindet, schafft er in der Mannigfaltigkeit der Kulturen Einheit. Wenn wir mit dem Blick die Wolken der Geschichte durchdringen, die den Propheten von Jesus trennten, sehen wir in dieser Prophezeiung wie von ferne das Netz der »eucharistischen Gemeinschaften« auftauchen, das die Erde, die ganze Welt umfängt – ein Netz von Gemeinschaften, die das »Reich des Friedens« Jesu von Meer zu Meer bis an die Enden der Erde bilden. Er kommt überall, in alle Kulturen und in alle Teile der Welt, in die ärmlichen Hütten und notleidenden ländlichen Gebiete ebenso wie in die Pracht der Kathedralen. Überall ist er derselbe, der einzige, und so sind auch alle, die sich in der Gemeinschaft mit ihm zum Gebet versammeln, miteinander in einem einzigen Leib vereint. Christus herrscht, indem er sich selbst zu unserem Brot macht und sich uns schenkt. Auf diese Weise errichtet er sein Reich.

Dieser Zusammenhang wird in dem anderen alttestamentlichen Wort, das die Liturgie des Palmsonntags und seine besondere Atmosphäre charakterisiert und erklärt, ganz deutlich. Die Menge jubelt Jesus zu: »Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn!« (Mk 11,9; Ps 118,26f). Dieses Wort ist Teil des Ritus des Laubhüttenfestes, bei dem sich die Gläubigen mit Palm-, Myrten- und Weidenzweigen in den Händen im Kreis um den Altar herumbewegen. Jetzt erhebt das Volk, mit Palmzweigen in der Hand, diesen Ruf zu Jesus, in dem es denjenigen sieht, der im Namen des Herrn kommt: Dieser Ausdruck »er, der kommt im Namen des Herrn«, war nämlich seit langem zur Bezeichnung des Messias geworden. In Jesus erkennen sie den, der wirklich im Namen des Herrn kommt und die Gegenwart Gottes mitten unter sie bringt. Dieser Hoffnungsruf Israels, diese jubelnde Akklamation Jesu bei seinem Einzug in Jerusalem ist in der Kirche mit gutem Grund zur Akklamation desjenigen geworden, der uns in der Eucharistie auf neue Weise entgegenkommt. Mit dem Ruf »Hosanna!« grüßen wir den, der in Fleisch und Blut die Herrlichkeit Gottes auf die Erde gebracht hat. Wir grüßen den, der gekommen ist und dennoch immer derjenige bleibt, der kommen soll. Wir grüßen den, der in der Eucharistie immer wieder im Namen des Herrn zu uns kommt und so im Frieden Gottes die Grenzen der Erde verbindet. Diese Erfahrung der Universalität gehört wesentlich zur Eucharistie. Da der Herr kommt, treten wir aus unseren exklusiven Parteilichkeiten heraus und in die große Gemeinschaft all derer ein, die dieses heilige Sakrament feiern. Wir treten in sein Reich des Friedens ein und grüßen in Ihm in gewisser Weise auch alle unsere Brüder und Schwestern, zu denen er kommt, um in dieser zerrissenen Welt wirklich ein Reich des Friedens entstehen zu lassen.

Alle drei vom Propheten verkündeten Wesensmerkmale – Armut, Friede, Universalität – werden im Zeichen des Kreuzes zusammengefaßt. Deshalb ist das Kreuz mit gutem Grund zum Mittelpunkt der Weltjugendtage geworden. Es gab eine Zeit – und sie ist noch nicht vollkommen überwunden –, in der das Christentum gerade wegen des Kreuzes abgelehnt wurde. Das Kreuz spricht von Opfer, sagte man, das Kreuz ist Zeichen der Verneinung des Lebens. Wir hingegen wollen das ganze Leben, ohne Einschränkungen und ohne Verzichte. Wir wollen leben, nichts als leben. Wir lassen uns nicht von Geboten und Verboten einschränken. Wir wollen Reichtum und Fülle – so sagte man und so sagt man noch immer. Das alles klingt überzeugend und verführerisch; es ist die Sprache der Schlange, die zu uns sagt: »Laßt euch nicht verängstigen! Eßt ruhig von allen Bäumen des Gartens! «. Der Palmsonntag jedoch sagt uns, daß das wahre, große »Ja« gerade das Kreuz ist, daß gerade das Kreuz der wahre Baum des Lebens ist. Wir finden das Leben nicht dadurch, daß wir uns seiner bemächtigen, sondern indem wir es schenken. Die Liebe ist ein Sich-selbst-Verschenken, und deshalb ist sie der Weg des wahren Lebens, der durch das Kreuz symbolisiert wird. Heute wird das Kreuz, das zuletzt im Mittelpunkt des Weltjugendtags in Köln stand, einer eigenen Delegation übergeben, um seinen Weg nach Sydney zu beginnen, wo sich die Jugend der Welt im Jahr 2008 erneut um Christus sammeln will, um zusammen mit ihm das Reich des Friedens zu errichten. Von Köln nach Sydney – ein Weg durch die Kontinente und Kulturen, ein Weg durch eine zerrissene und von Gewalt gequälte Welt! Symbolisch wird dieser Weg von dem Propheten angezeigt, der Weg von Meer zu Meer, vom Strom bis an die Grenzen der Erde. Es ist der Weg dessen, der uns im Zeichen des Kreuzes den Frieden schenkt und uns zu Vermittlern der Versöhnung und seines Friedens werden läßt. Ich danke den Jugendlichen, die dieses Kreuz, in dem wir das Geheimnis Jesu gleichsam berühren können, jetzt durch die Straßen der Welt tragen werden. Bitten wir Jesus darum, daß er zugleich uns berühre und unsere Herzen öffne, damit wir, indem wir seinem Kreuz folgen, Boten seiner Liebe und seines Friedens werden. Amen.

 

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