JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 19. Januar 2000
Quelle und Mündung der Heilsgeschichte
Liebe Schwestern und Brüder!
1. »Dreieinigkeit, erhaben über alles Sein, alles Göttliche und alles Gute, die Du über die Gottesweisheit der Christen wachst, geleite uns zum Gipfel der geheimnisvollen Worte empor, hoch über alles Nichtwissen wie alles Lichte hinaus. Dort liegen ja der Gotteskunde Mysterien in überlichtem Dunkel geheimnisvoll verhüllten Schweigens verborgen: einfach, absolut und unwandelbar«. Mit dieser Anrufung von Dionysios Areopagita, des orientalischen Theologen (vgl. De mystica theologia, I, 1; übers. v. A. M. Ritter, Bibliothek der griechischen Literatur, hrsg. v. P. Wirth u. W. Gessel, Bd. 40], Stuttgart 1994, S. 74), schlagen wir einen beschwerlichen, aber faszinierenden Weg zur Betrachtung des Geheimnisses Gottes ein. Nachdem wir während der vergangenen Jahre über jede der drei göttlichen Personen – Sohn, Heiliger Geist und Vater – nachgedacht haben, nehmen wir uns in diesem Jubeljahr vor, mit einem einzigen Blick die gemeinsame Herrlichkeit der Drei zu umfassen, die ein einziger Gott sind: »Nicht in der Einzigkeit einer Person, sondern in den drei Personen des einen göttlichen Wesens« (Präfation von der Allerheiligsten Dreifaltigkeit). Diese Entscheidung entspricht der Vorgabe im Apostolischen Schreiben Tertio millennio adveniente, worin »die Verherrlichung der Dreifaltigkeit […], von der alles kommt und der sich alles zuwendet in Welt und Geschichte«, als Ziel der Feierlichkeiten des Großen Jubiläums genannt wird (Nr. 55).
2. In Anlehnung an ein Bild aus dem Buch der Offenbarung (vgl. 22,1), könnten wir diesen Weg mit der Reise eines Pilgers entlang der Ufer des Stromes Gottes, das heißt seiner Gegenwart und seiner Offenbarung in der Menschheitsgeschichte, vergleichen.
Als geistige Zusammenfassung dieses Weges werden wir uns heute am Anfang und am Ende jenes Stromes aufhalten, an seiner Quelle und an seiner Mündung, um sie in einem einzigen Horizont zu vereinen. Die göttliche Dreifaltigkeit steht nämlich am Ursprung des Seins und der Geschichte, und sie ist auch an ihrem letztendlichen Ziel gegenwärtig. Sie stellt Anfang und Ende der Heilsgeschichte dar. Zwischen diesen beiden Extremen, dem Garten Eden (vgl. Gen 2) und dem Baum des Lebens im himmlischen Jerusalem (vgl. Offb 22) verläuft eine lange Reihe von Ereignissen, gezeichnet von Finsternis und Licht, von Sünde und Gnade. Die Sünde hat uns von der Pracht des Paradieses Gottes entfernt; die Erlösung führt uns wieder zur Herrlichkeit eines neuen Himmels und einer neuen Erde, wo »der Tod nicht mehr sein wird, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal« (vgl. ebd., 21,4).
3. Der erste Blick auf diesen Horizont wird uns in den Anfangsversen der Hl. Schrift geboten, die auf den Zeitpunkt hinweisen, an dem die Schöpferkraft Gottes die Welt aus dem Nichts hervorgehen läßt: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde« (Gen 1,1). Dieser Blick gewinnt im Neuen Testament an Tiefe und dringt bis zum Mittelpunkt des göttlichen Lebens vor, wenn Johannes zu Beginn seines Evangeliums verkündet: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott« (Joh 1,1). Noch vor der Schöpfung, und als Grundlage dazu, läßt uns die Offenbarung das Geheimnis des einen Gottes in der Dreifaltigkeit der Personen betrachten: der Vater und sein Wort, im Heiligen Geist vereint.
Der biblische Verfasser des Kapitels über die Schöpfung konnte die Tiefe dieses Geheimnisses nicht ahnen. Umso weniger wären einfache philosophische Überlegungen in der Lage gewesen, es zu erfassen, denn die Dreifaltigkeit steht über den Möglichkeiten unseres Intellekts und kann nur durch die Offenbarung erkannt werden.
Und doch ist dieses Mysterium, das unendlich über uns hinausgeht, auch die uns nächste Wirklichkeit, denn sie steht an der Quelle unseres Seins. Denn in Gott »leben wir, bewegen wir uns und sind wir« (Apg 17,28), und das, was Augustinus von Gott sagt, findet für alle drei göttlichen Personen Anwendung: Er ist »intimior intimo meo« [innerlicher als mein Innerstes] (Confessiones, 3, 6, 11). In den Tiefen unseres Seins, wohin nicht einmal unser eigener Blick dringen kann, macht die Gnade Vater, Sohn und Heiligen Geist, den einen Gott in drei Personen, gegenwärtig. Weit davon entfernt, eine trockene, dem Verstand übergebene Wahrheit zu sein, ist das Geheimnis der Dreifaltigkeit in Wirklichkeit Leben, das in uns wohnt und uns stützt.
4. Von diesem dreifaltigen Leben, das der Schöpfung vorausgeht und sie gründet, nehmen unsere Betrachtungen in diesem Jubeljahr ihren Ausgang. Geheimnis der Ursprünge, aus denen alles hervorgeht, erscheint uns Gott als derjenige, der die Fülle des Seins ist und uns das Sein vermittelt, als Licht, »das jeden Menschen erleuchtet« (Joh 1,9), als Lebendiger und Lebensspender. Er erscheint uns vor allem als Liebe, laut der schönen Definition im ersten Johannesbrief (vgl. 1 Joh 4,8). Er ist Liebe in seinem innersten Leben, wo die Dynamik der Dreifaltigkeit Ausdruck jener ewigen Liebe ist, mit der der Vater den Sohn zeugt und beide sich im Heiligen Geist einander schenken. Er ist Liebe in der Beziehung zur Welt, denn die freie Entscheidung, diese Welt aus dem Nichts hervorgehen zu lassen, ergibt sich aus dieser unendlichen Liebe, die in die Sphäre der Schöpfung ausstrahlt. Wenn die Augen unseres Herzens, von der Offenbarung erleuchtet, rein und durchdringend genug geworden sind, werden sie zur Begegnung im Glauben mit diesem Geheimnis fähig, in dem alles, was ist, seine Wurzel und Grundlage hat.
5. Wie schon zu Beginn angedeutet, steht das Geheimnis der Dreifaltigkeit auch vor uns als das Ziel, auf das die Geschichte zustrebt, als die Heimat, nach der wir uns sehnen. Unsere Betrachtung über die Dreifaltigkeit wird die verschiedenen Bereiche von Schöpfung und Geschichte untersuchen und auf dieses Ziel schauen, das in der Offenbarung sehr eindrucksvoll als Siegel der Geschichte dargestellt wird.
Das ist der zweite und letzte Teil des Stromes Gottes, von dem wir vorhin sprachen. Im himmlischen Jerusalem treffen Ursprung und Ende wieder zusammen. Es erscheint nämlich Gott-Vater auf seinem Thron und sagt: »Seht, ich mache alles neu« (Offb 21,5). Neben ihm ist das Lamm, das heißt Christus, auf seinem Thron, mit seinem Licht und mit dem Lebensbuch, in dem die Erlösten eingetragen sind (vgl. ebd., 21,23.27; 22,1.3). Und zum Schluß, in einem sanften und innigen Dialog, betet der Geist in uns, und mit der Kirche, der Braut des Lammes, sagt er: »Komm, Herr Jesus!« (vgl. ebd., 22,17.20).
Kehren wir also zum Abschluß dieses ersten, kleinen Ansatzes unserer großen Pilgerfahrt ins Geheimnis Gottes zum Gebet des Dionysios Areopagita zurück, der uns an die Notwendigkeit der Kontemplation erinnert: »Inmitten undurchdringlichen Dunkels übertreffen sie noch an Glanz, was bereits größere Leuchtkraft besitzt […]; inmitten des gänzlich Unbegreifbaren und Unsichtbaren machen sie die dafür blinden Geister jenes Glanzes übervoll, der an Schönheit alles in den Schatten stellt« (vgl. De mystica theologia, I, 1; aaO.).
Womit kann man den Christen vergleichen, der das Große Jubiläum feiert? Mir kommt ein Bild der Geheimen Offenbarung in den Sinn, das von einem Strom lebendigen Wassers erzählt (vgl. Offb 22,1). So gleicht der Christ im Heiligen Jahr einem Pilger, der an einem Fluß entlangwandert. Dabei darf er entdecken, daß der dreifaltige Gott in der Geschichte der Menschen gegenwärtig ist und sich offenbart.
Heute wollen wir auf die Quelle und die Mündung dieses Stromes schauen. Zwischen dem Garten in Eden und dem Baum des Lebens im himmlischen Jerusalem spannt sich die Geschichte auf: zwischen Nacht und Tag, zwischen Sünde und Gnade. Das Licht der Gnade hat mehr Recht als die Finsternis der Sünde. Gott schreibt auch auf krummen menschlichen Zeilen seine Heilsgeschichte.
Gott, der die Liebe ist, macht Geschichte. Wie Vater, Sohn und Heiliger Geist eine Liebesgemeinschaft sind, so strahlt das Geheimnis der Liebe in die Geschichte hinein: Von der Schöpfung bis zur Vollendung der Welt schreibt Gott mit dem Menschen eine Art "Liebesgeschichte". Lassen wir uns in den Strom der dreifaltigen Liebe hineinziehen!
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Mit diesen Gedanken grüße ich alle deutschsprachigen Besucher, die Ihr im Heiligen Jahr nach Rom gepilgert seid. Möge die Wallfahrt an die Apostelgräber die Liebe zu Gott in Euren Herzen neu entfachen! Dazu erteile ich Euch, Euren Angehörigen daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, gern den Apostolischen Segen.
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