JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 16. Februar 2000
Geistliche Pilgerreise zu Stätten der Heilsgeschichte
Liebe Schwestern und Brüder!
1. Nach der Öffnung der Heiligen Pforte in den vier römischen Basiliken schreiten wir nun rasch auf dem von der Kirche für das Jubiläumsjahr vorgeschlagenen Weg der Umkehr und Versöhnung voran. Wie allgemein bekannt, ist die Wallfahrt einer der bedeutendsten und tiefsten geistlichen Aspekte des Heiligen Jahrs, denn sie steht für den Zustand jedes Menschenwesens als »homo viator«. Wie ich in der Verkündigungsbulle für das Große Jubiläum betonte, ist sie »eine Übung tätiger Askese, der Reue über die menschlichen Schwächen […] und der inneren Vorbereitung auf die Erneuerung des Herzens« (vgl. Incarnationis mysterium, 7).
Diese innere Bedeutung der Wallfahrt wird weiter vertieft und vervollständigt vom Inhalt des Glaubens und der Spiritualität, die von jenen heiligen Stätten strömt, die nach alter Tradition Ziel von persönlichen und gemeinschaftlichen Pilgerreisen sind. Der Raum – wie die Zeit – ist nämlich vom besonderen, heilbringenden Eingreifen Gottes gezeichnet, und aufgrund dieser Tatsache können manche Orte einen speziellen Kontakt zum Göttlichen fördern (vgl. Brief über die Pilgerfahrt zu den Stätten, die mit der Heilsgeschichte verbunden sind; an alle, die sich einstimmen, im Glauben das Große Jubiläum zu feiern, vom 29.6.1999, Nr. 2; in O.R. dt., Nr. 28, 1999, S. 7).
2. Im Bewußtsein um diese grundlegende geistliche Bedeutung der Wallfahrt habe ich mich entschlossen, mit Bezug auf die Feierlichkeiten zum Heiligen Jahr jenes Land zu besuchen, das vom Einwirken Gottes in die Heilsgeschichte ganz einzigartig geprägt ist. So Gott will, habe ich also vor, in den nächsten Wochen eine Pilgerreise an verschiedene Stätten zu unternehmen, die eine besondere Verbindung zur Menschwerdung des Wortes Gottes aufweisen.
Ich hätte gewünscht, zuallererst Ur in Chaldäa zu besuchen (vgl. Brief über die Pilgerfahrt, 5); heute heißt es Tal al Muqayyar und liegt im südlichen Irak. Es ist der Herkunftsort Abrahams, der später mit seiner Familie nach Haran zog (vgl. Gen 11,31); dort, so berichtet uns die Bibel, erreichte ihn das Wort Gottes. Er forderte ihn auf, sein Land zu verlassen und in das Land zu ziehen, das der Herr ihm zeigen würde (vgl. Gen 12,1–3).
Durch diese Aufforderung wurde Abraham zum Werkzeug eines Heilsplans, der sich auf das künftige Volk des Bundes, ja auf alle Völker der Welt erstrecken sollte. Er gehorchte und machte sich auf den Weg. Mit ihm begann das Heil Gottes seine Reise durch die Straßen der Menschheitsgeschichte.
3. Es ist daher wichtig, »den Spuren Abrahams zu folgen«, um die Zeichen der liebevollen Gegenwart Gottes an der Seite des Menschen wiederzuentdecken und die Glaubenserfahrung dieses Menschen aufs neue zu erleben, den Paulus als Vater aller, beschnittenen und unbeschnittenen, Glaubenden bezeichnen wird (vgl. Röm 4,11–12). In seinem Glauben, der sich in konkreten und zuweilen sogar dramatischen Entscheidungen äußerte – denken wir nur an die Aufgabe der Sicherheit in der Heimat oder an das Opfer seines einzigen Sohnes Isaak –, wurde Abraham jene Gerechtigkeit zuteil, die ihn zu Gottes Freund machte, er gab sich ganz hinein in den Plan Gottes für ihn selbst und für seine Nachkommenschaft und wurde zum Stammvater einer großen Schar von Gläubigen.
»Auf den Spuren Abrahams« lernt man also, die Bedürfnisse einer wahren Einstellung zum Glauben konkret einzuschätzen, und man erfährt die Dynamik der göttlichen Initiative, die in Christus ihren Zielpunkt haben wird.
Die Christen sind sich ihrer unauflöslichen Verbindung zum Volk des alten Bundes bewußt; sie erkennen in Abraham den »Vater im Glauben« schlechthin und nehmen sich gerne ein Beispiel an ihm, indem sie seinen Spuren folgen.
4. Aus diesen Gründen hätte ich mich gerne – im Namen der ganzen Kirche – zum Beten und Nachdenken an den Ort, nämlich Ur in Chaldäa, begeben, von dem Abraham auszog. Da mir dies nun nicht möglich ist, möchte ich eine solche Wallfahrt zumindest im Geiste unternehmen. Deshalb werden wir am kommenden Mittwoch im Laufe einer besonderen Feier in der Audienzhalle die wichtigsten Momente der Glaubenserfahrung Abrahams gemeinsam durchgehen; wir wissen wohl, daß auf diesen großen Patriarchen nicht nur diejenigen schauen, die sich seiner leiblichen Nachkommenschaft rühmen, sondern auch all jene, die sich als seine geistigen Nachkommen fühlen.
Nach diesem ersten Anhalten kann man dann die Reise mit dem Herz voller Dankbarkeit zu den anderen Stationen fortsetzen, an denen sich die Heilsgeschichte ereignet hat, angefangen beim Berg Sinai, wo Mose der heiligste Name Gottes offenbart und er in die Kenntnis seines Mysteriums eingeführt wurde.
Ich lade euch schon jetzt ein, mich im Gebet auf diese meine Wallfahrt zu den mit der Heilsgeschichte verknüpften Orten zu begleiten; sie beginnt bereits am nächsten Mittwoch mit der besonderen Feier, die Abraham, dem Vater aller Gläubigen, gewidmet sein wird.
Unterwegs zu sein, gehört zur menschlichen Befindlichkeit. Deshalb zählen die Wallfahrten an die Stätten des christlichen Glaubens zu den wesentlichen Bestandteilen der Feier des Großen Jubiläums. Die Bedeutung der Wallfahrt wird vom Glauben und der Spiritualität, die von den Stätten selbst ausgehen, bereichert und ergänzt. Die Pilgerstätten begünstigen eine ganz besondere Begegnung mit dem Göttlichen.
Es war mein Wunsch, die wichtigsten biblischen Orte der Heilsgeschichte zu besuchen. Den Anfang wollte ich in Ur setzen, der Heimat des Patriarchen Abraham. Da diese Reise in den Süden des Irak leider nicht möglich ist, will ich mich doch wenigstens im Geiste dorthin begeben und so den Spuren unseres Vaters im Glauben folgen. Aus diesem Grund findet nächsten Mittwoch in der Audienzhalle eine Feier statt, die uns die Höhepunkte der Glaubenserfahrung Abrahams noch einmal erleben läßt. Danach will ich zum Berg Sinai pilgern und die neutestamentlichen Stätten des Heiligen Landes aufsuchen. Dazu bitte ich Euch um Eure Begleitung im Gebet.
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Von Herzen grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher, die aus Österreich, der Schweiz und aus Deutschland als Wallfahrer nach Rom gekommen sind, um durch Umkehr und Buße Jesus Christus neu zu begegnen. Gern erteile ich Euch und allen, die mit uns über Radio Vatikan oder das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.
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Aufruf für den Erzbischof von Bukavu:
Es erreichen uns weiterhin besorgniserregende Nachrichten aus der Demokratischen Republik Kongo. In den vergangenen Tagen wurde Msgr. Emmanuel Kataliko, Erzbischof von Bukavu, von den örtlichen Behörden an der Rückkehr in seine Diözese gehindert. Dies ist ein schwerer Rechtsbruch, der alle Katholiken schmerzlich berührt!
Ich fühle mich solidarisch mit den Priestern und Gläubigen von Bukavu und spreche den Wunsch aus, daß der verdiente Bischof unverzüglich zu der ihm anvertrauten Herde zurückkehren kann. In diesem Zusammenhang möchte ich auch nachdrücklich zu einer rascheren Anwendung der Friedensverträge von Lusaka aufrufen, und ich bitte den Herrn um Einheit und Versöhnung für dieses geliebte Land.
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