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HEILIGJAHRFEIER DER BISCHÖFE

PREDIGT VON JOHANNES PAUL II.

Sonntag, 8. Oktober 2000

 

1. »Sättige uns, Herr, mit deiner Huld!« (Antwortpsalm)

Der Petersplatz gleicht heute einem großen Abendmahlssaal: Bischöfe aus allen Teilen der Welt sind zu Gast, die nach Rom gekommen sind, um ihre Heiligjahrfeier zu begehen. Die Erinnerung an den Apostel Petrus, die sein Grab unter dem Altar der großen Vatikanbasilika in uns wachruft, lädt uns dazu ein, im Geiste zum ersten Sitz des Apostelkollegiums zurückzukehren, in jenen Abendmahlssaal von Jerusalem, wo ich zu meiner großen Freude während meiner kürzlich unternommenen Pilgerfahrt ins Heilige Land die Eucharistie feiern konnte.

Eine ideelle Brücke, die sich über die Jahrhunderte und Kontinente erstreckt, verbindet heute den Abendmahlssaal mit diesem Platz, auf dem diejenigen zusammengekommen sind, die im Heiligen Jahr 2000 die Nachfolger jener ersten Apostel Christi sind. Euch allen, liebe und verehrte Brüder, gilt meine herzliche Umarmung, die ich mit gleicher Zuneigung auf all jene ausweite, die nicht hierherkommen konnten und von ihren Bischofssitzen aus in geistlicher Weise mit uns verbunden sind.

Machen wir uns gemeinsam den Bittruf des Psalms zu eigen: »Sättige uns, Herr, mit deiner Huld!« In der »sapientia cordis« [Weisheit des Herzens], die ein Geschenk Gottes ist, läßt sich die Frucht unseres Zusammentreffens im Jubiläumsjahr zusammenfassen. Sie besteht in einer inneren Angleichung an Christus, die Weisheit des Vaters, durch das Wirken des Heiligen Geistes. Um diese Gabe zu erhalten, die für eine gute Leitung der Kirche unerläßlich ist, müssen in erster Linie wir Hirten Ihn, die »Tür zu den Schafen« (Joh 10,7), durchschreiten. Wir sollen Ihm, dem »guten Hirten« (Joh 10,11.14), nachfolgen, damit die Gläubigen, wenn sie uns hören, Ihn hören, und wenn sie uns nachfolgen, Ihm nachfolgen, dem einzigen Erlöser, gestern, heute und in Ewigkeit.

2. Gott schenkt uns die Weisheit des Herzens durch sein lebendiges und wirkmächtiges Wort, das das Innerste des Menschen offenlegen kann – wie uns der Verfasser des Hebräerbriefes (vgl. Hebr 4,12) in dem soeben vorgelesenen Abschnitt aufgezeigt hat. Nachdem das göttliche Wort »viele Male und auf vielerlei Weise […] einst zu den Vätern gesprochen [hat] durch die Propheten« (Hebr 1,1), wandte es sich in der Endzeit in der Person des Sohnes an die Menschen (Hebr 1,2).

Wir Hirten sind kraft unseres »munus docendi« [Lehramtes] dazu berufen, qualifizierte Verkünder dieses Wortes zu sein. »Wer euch hört, der hört mich …« (Lk 10,16). Dies ist eine erhebende Aufgabe, es stellt aber zugleich ein große Verantwortung dar! Uns wurde ein lebendiges Wort anvertraut: daher sollen wir es mehr mit dem Leben als mit dem Mund verkünden. Es handelt sich um ein Wort, das mit der Person Christi selbst übereinstimmt, dem »fleischgewordenen Wort« (vgl. Joh 1,14): wir müssen den Menschen daher das Antlitz Christi zeigen und ihnen sein Kreuz verkünden, was wir mit jener Stärke tun sollen, die für Paulus bezeichnend war: »Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten« (1 Kor 2,2).

3. »Du weißt, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt« (Mk 10,28). Diese Worte des Petrus bringen die Radikalität jener Entscheidung zum Ausdruck, die vom Apostel abverlangt wird. Eine Radikalität, die im Lichte jenes anspruchsvollen Dialogs erhellt wird, den Jesus mit dem reichen Jüngling führt. Als Bedingung für das ewige Leben hatte ihm der Meister die Befolgung der Gebote genannt. In Anbetracht seines Wunsches nach noch größerer Vollkommenheit hatte er mit einem liebevollen Blick geantwortet und mit einem radikalen Vorschlag: »Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen, und du wirst einen bleibenden Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!« (Mk 10,21). Angesichts dieses Wortes überkommt ihn, so als würde sich plötzlich der Himmel verdunkeln, das traurige Gefühl der Ablehnung. Damals vernahmen wir von Jesus eine seiner strengsten Aussagen: »… wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen!« (Mk 10,24). Ein Satz, den er angesichts der Bestürzung der Apostel im Vertrauen auf die Macht Gottes abschwächte: »… denn für Gott ist alles möglich« (Mk 10,28).

Die Worte des Petrus bringen die Gnade zum Ausdruck, mit der Gott den Menschen verwandelt und ihn zu einer vollkommene Hingabe befähigt: »…wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt (Mk 10,28). Auf diese Weise wird man Apostel. Und auf diese Weise erfährt man, wie die Verheißung Christi hinsichtlich des »Hundertfachen « Wirklichkeit wird: Der Apostel, der alles verlassen hat, um Christus nachzufolgen, erlebt bereits hier auf Erden, trotz der unausbleiblichen Prüfungen, ein erfülltes und freudvolles Leben.

Verehrte Brüder, wie könnten wir in diesem Augenblick nicht unsere Dankbarkeit gegenüber dem Herrn bekunden für das Geschenk der Berufung, zunächst zum Priestertum und dann zu seiner Fülle im Bischofsamt? Wenn wir auf die Ereignisse unseres Lebens zurückblicken, so wird unser Herz von Ergriffenheit erfaßt, da wir erkennen, auf wievielerlei Art Gott uns seine Liebe und Barmherzigkeit gezeigt hat. In der Tat, »misericordias Domini in aeternum cantabo!« [Von den Taten deiner Huld, Herr, will ich ewig singen…] (Ps 88,2).

4. Der Bischof als Nachfolger der Apostel ist jemand, für den Christus alles bedeutet. So kann er jeden Tag mit Paulus wiederholen: »Denn für mich ist Christus das Leben…« (Phil 1,21). Hierfür muß er mit seinem ganzen Dasein Zeugnis ablegen. Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt: »Ihrer apostolischen Aufgabe sollen sich die Bischöfe zuwenden als Zeugen Christi vor allen Menschen « (Dekret Christus Dominus, 11).

Wenn von den Bischöfen als Zeugen gesprochen wird, kann ich nicht umhin, während dieser feierlichen Jubiläumsfeier an die vielen Bischöfe zu erinnern, die im Laufe von zweitausend Jahren Christus das höchste Zeugnis des Martyriums dargebracht haben. Sie hielten sich an das Vorbild der Apostel und befruchteten die Kirche durch das Vergießen ihres Blutes.

Das zwanzigste Jahrhundert war besonders reich an solchen Zeugen, die ich selbst zu meiner großen Freude zur Ehre der Altäre erheben durfte. Vor einer Woche habe ich vier Bischöfe, die in China das Martyrium erlitten haben, ins Verzeichnis der Heiligen eingeschrieben: Gregorio Grassi, Antonino Fantosati, Francesco Fogolla und Luigi Versiglia. Als Selige verehren wir Michael Kozal, Antoni Julian Nowowiejski, Leon Wetmanski und Wladuslaw Goral, die in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ungekommen sind. Zu ihnen scharen sich Diego Ventaja Milán, Manuel Medina Olmos, Anselmo Polanco und Florentino Asensio Barroso, die während des Spanischen Bürgerkrieges umgebracht wurden. Während des langen Winters des kommunistischen Totalitarismus lebten in Osteuropa die seligen Märtyrer Wilhelm Apor, Vinzenz Eugen Bossilkov und Alojzije Stepinac.

Es ist unsere freudige Pflicht, Gott auch für all jene weisen und großherzigen Hirten Dank zu sagen, die im Laufe der Jahrhunderte die Kirche durch ihre Lehre und ihr Beispiel breichert haben. Wie viele heilige und selige Bekenner finden wir unter den Bischöfen! So denke ich beispielsweise an die lichtreichen Gestalten Karl Borromäus und Franz von Sales sowie an die Päpste Pius IX. und Johannes XXIII., die ich zu meiner großen Freude vor kurzem seligsprechen konnte.

Liebe Mitbrüder, »da uns eine solche Wolke von Zeugen umgibt« (Hebr 12,1), erneuern wir unsere Antwort auf das Geschenk Gottes, das wir durch die Bischofsweihe erhalten haben. »…auch wir [wollen] alle Last und die Fesseln der Sünde abwerfen. Laßt uns mit Ausdauer in dem Wettkampf laufen, der uns aufgetragen ist, und dabei auf Jesus blicken« (Hebr 12,1–2), den Hirten der Hirten. Einsatz für Neuevangelisierung

5. Als das Zweite Vatikanische Konzil seine Betrachtungen dem Geheimnis der Kirche und ihrer Sendung zuwandte, verspürte es die Notwenigkeit, dem pastoralen Dienst der Hirten besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Heute, an der Schwelle zum dritten Jahrtausend, rückt die Herausforderung der Neuevangelisierung das Bischofsamt noch weiter in den Vordergrund: an erster Stelle trägt der Bischof die Verantwortung, und er belebt die kirchliche Gemeinschaft sowohl im Streben nach Gemeinschaft als auch in ihren missionarischen Vorhaben. Angesichts des Relativismus und Subjektivismus, die so weite Bereiche der gegenwärtigen Kultur verschmutzen, sind die Bischöfe dazu berufen, die Einheit ihrer Gläubigen in der Lehre zu verteidigen und zu fördern. Für alle Situationen Sorge tragend, in denen der Glaube verlorengeht oder unbeachtet bleibt, setzen sich die Bischöfe mit aller Kraft für die Evangelisierung ein. Sie bereiten Priester, Ordensleute und Laien auf diese Aufgabe vor und stellen die hierfür nötigen Mittel zur Verfügung (vgl. Dekret Christus dominus).

Der Lehre des Konzils eingedenk (vgl. ebd., 7), wollen wir heute von diesem Platz aus unsere brüderliche Solidarität gegenüber jenen Bischöfen bekunden, die Verfolgungen ausgesetzt, in Gefängnissen inhaftiert sind oder an der Ausübung ihres Dienstes gehindert werden. Im Namen des sakramentalen Bandes weiten wir dieses Erinnern und unser Gebet auf unsere Mitbrüder im Priesteramt aus, die dieselben Prüfungen erleiden müssen. Die Kirche dankt ihnen für all das unschätzbare Gute, das sie dem mystischen Leib durch ihr Gebet und ihr Opfer erweisen.

6. »Es komme über uns die Güte des Herrn, unsres Gottes. Laß das Werk unsrer Hände gedeihen, ja, laß gedeihen das Werk unsrer Hände!« (Ps 90,17).

Liebe Brüder im Bischofsamt, während dieser unserer Heiligjahrfeier ist die Güte des Herrn in Überfülle über uns herabgekommen. Das Licht und die Kraft, die von ihr ausgehen, werden mit Sicherheit das »Werk unserer Hände« gedeihen lassen, d.h. die Arbeit, die uns gegenüber Gott und der Kirche anvertraut ist.

Zu unserer Hilfe und unserem Trost wollten wir in diesen Tagen des Jubiläums die Gegenwart der allerseligsten Jungfrau Maria, unsere Mutter, unter uns besonders hervorheben. Dies taten wir gestern abend beim gemeinsamen Gebet des Rosenkranzes. Dies tun wir heute durch den Weiheakt, den wir zum Abschluß der Messe vornehmen werden. Diesen Akt werden wir in kollegialem Geist begehen, da wir wissen, daß uns zahlreiche Bischöfe nahe sind, die sich von ihrem jeweiligen Bischofssitz aus unserer Feier anschließen und gemeinsam mit ihren Gläubigen eben diesen Weiheakt beten. Das verehrte Gnadenbild der Muttergottes von Fatima, das wir zu unserer großen Freude bei uns zu Gast haben, helfe uns dabei, die Erfahrungen des ersten Apostelkollegiums, das im Abendmahlssaal mit Maria, der Mutter Jesu, im Gebet vereint war, von neuem mitzuerleben.

Königin der Apostel, bete mit uns, und bitte für uns, damit der Heilige Geist in Fülle auf die Kirche herabkomme und sie immer einiger, heiliger, katholischer und apostolischer in der Welt erstrahle. Amen.

 

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