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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
IN DIE DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO UND DEN SÜDSUDAN 

(Ökumenische Pilgerreise in den Südsudan)
[31. Januar - 5. Februar 2023]

PRESSEKONFERENZ MIT DEM HEILIGEN VATER
AUF DEM RÜCKFLUG NACH ROM  

Sonntag, 5. Februar 2023

[Multimedia]

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Auf dem Rückflug aus dem Südsudan nach Rom beantwortete Papst Franziskus – wie es am Ende einer Auslandsreise üblich ist – Fragen der mitreisenden Journalisten. Der Direktor des Pressebüros des Heiligen Stuhls, Matteo Bruni, hob in seinen einführenden Worten das »Besondere« hervor, dass es sich im zweiten Teil der Reise um eine »Pilgerreise in Begleitung« gehandelt habe und im Flugzeug auch der Generalmoderator der schottischen presbyterianischen Kirche und der Erzbischof von Canterbury anwesend waren. Im Folgenden veröffentlichen wir die Worte des Papstes, der auf Italienisch antwortete, sowie die Antworten der beiden mitreisenden Kirchenoberhäupter in einer Übersetzung aus dem Englischen. Die sechs Fragen werden zusammengefasst wiedergegeben.

Papst Franziskus: Einen schönen Sonntag und danke für eure Arbeit in diesen Tagen. Es war eine ökumenische Reise mit meinen beiden Brüdern, und deshalb wollte ich, dass beide an der Pressekonferenz teilnehmen, vor allem der Erzbischof von Canterbury, denn er kennt die Geschichte dieses Weges der Versöhnung über die Jahre hinweg; er hat bereits vor mir sehr viel daran gearbeitet. Deshalb wollte ich, dass sie beide dabei sind. Vielen Dank, und dann sprechen wir.

Justin Welby: Guten Tag und vielen Dank, Heiliger Vater, danke. Im Januar 2014 sind meine Frau und ich im Rahmen einer Reihe von Besuchen in der Anglikanischen Gemeinschaft in den Südsudan gereist. Nach unserer Ankunft bat uns der Erzbischof, der anglikanische Erzbischof, eine Stadt namens Bor zu besuchen. Der Bürgerkrieg tobte seit etwa fünf Wochen, und in jenem Moment war es wirklich brutal. Wir sind mit einem einmotorigen Flugzeug nach Bor geflogen und auf einem verlassenen Flughafen gelandet, an den Toren des Rollfeldes lagen bereits die ersten Leichen. Zu jenem Zeitpunkt gab es in Bor 3.000 nicht bestattete Tote, insgesamt starben 5.000 Menschen. Es waren einige wenige UN-Soldaten und viele andere Soldaten dort. Wir sind zur Kathedrale gegangen, wo alle anglikanischen Priester ermordet worden waren, ihre Frauen waren zuerst vergewaltigt und dann getötet worden. Es war eine furchtbare Situation.

Auf dem Rückweg haben meine Frau und ich den tiefen Ruf verspürt zu verstehen, was wir tun können, um die Menschen im Südsudan zu unterstützen. Bei einer der regelmäßigen Begegnungen mit dem Papst, die mir als Privileg vergönnt sind, haben wir viel über den Südsudan gesprochen und dabei ist die Idee eines Einkehrtages im Vatikan entstanden. Seit 2016 haben mein Team von Lambeth und der Vatikan oft gemeinsam den Südsudan besucht, haben sich Zeit genommen, vor Ort tätig zu werden, und haben auch mit den Führungspersönlichkeiten zusammengearbeitet, um diesen Besuch im Vatikan zu organisieren. Auch meine Frau ist dorthin gefahren und hat mit den Frauen der Bischöfe und mit führenden Frauen zusammengearbeitet, die starkem Druck ausgesetzt waren, und wir haben Anführer im Exil in Uganda besucht.

2018 wurde klar, dass die Möglichkeit für einen Besuch Anfang 2019 gegeben war, und es ist uns gelungen. Es war ein Wunder, dass dies Wirklichkeit geworden ist. Einer der beiden Vizepräsidenten befand sich im Hausarrest in Khartum: Ich weiß noch genau, wie ich mich am Tag vor dem Besuch – ich bin dann am nächsten Tag sehr früh nach Rom aufgebrochen – auf dem Parkplatz einer Schule in Nottingham in England befand und mit dem Generalsekretär der UNO telefonierte, um ihn davon zu überzeugen, den Weg freizumachen für den Vizepräsidenten – was er dann auch mit Bravour geschafft hat – und ihm ein Visum zu besorgen. Dem Vizepräsidenten ist es gelungen, den letzten Flug von Khartum zu nehmen, kurz bevor der Luftraum aufgrund des Staatsstreichs geschlossen wurde.

Der Höhepunkt der Begegnung von 2019 war sicherlich die unvergessliche Geste des Papstes, der vor den politischen Autoritäten niederkniete und ihre Füße küsste mit den Worten: »Ich bitte euch, Frieden zu schließen«, während sie ihn daran hindern wollten. Ich musste unweigerlich an das 13. Kapitel des Johannesevangeliums denken: es war wirklich ein außerordentlicher Moment.

Wir hatten einige schwierige Diskussionen, und dann haben sich die Vizepräsidenten zu einer privaten Begegnung zurückgezogen, die ziemlich intensiv war, die aber mit ihrer Verpflichtung zu einer Erneuerung des Friedensabkommens endete. Ich glaube, diese Begebenheit mit dem Papst war der Schlüsselmoment, der Wendepunkt.

Aber wie ein ehemaliger englischer Fußballtrainer gesagt hat: Du bist nur so gut wie dein nächstes Spiel. Und COVID hat die nächste Partie lange verzögert. Das Ergebnis schien mir zu sein, dass wir in Bezug auf den Friedensprozess an Schwung verloren hatten. Als wir den roten Faden für diesen Besuch wieder aufnahmen, setzten die Arbeitsgruppen ihre Tätigkeit fort, aber man war weniger zuversichtlich als 2019.

Nun hat mich dieser Besuch sehr ermutigt, nicht so sehr, weil es einen echten Durchbruch gegeben hätte, sondern eher, weil man spüren konnte – um ein Wort des Papstes zu gebrauchen –, dass es ein Sprechen von Herz zu Herzen war. Der Kontakt spielte sich nicht so sehr auf intellektueller Ebene ab, wie ihr bei den verschiedenen Treffen, wo es Ansprachen gab, gemerkt haben werdet. Das Herz hat zum Herzen gesprochen. Und wir… Es gibt einen Elan auf der mittleren Ebene und an der Basis. Was wir jetzt brauchen, das ist eine echte Veränderung der Herzen der Entscheidungsträger. Sie müssen einen Prozess akzeptieren, der zu einem friedlichen Machtwechsel führt. Und das wurde ihnen öffentlich gesagt, wir haben es ihnen gesagt: Korruption, Waffenschmuggel und die Anhäufung von Waffen müssen aufhören. Das wird weitere gemeinsame Arbeit mit dem Vatikan und mit Lambeth erfordern, aber vor allem mit der Troika der Regierung, um zu bewirken, dass diese Tür offenbleibt, die zwar nicht so weit offen ist, wie ich es möchte, aber sie ist zumindest offen, und um sie aufzustoßen, diese Tür, und wirkliche Fortschritte zu machen. Es sind noch knapp zwei Jahre bis zu den Wahlen, die Ende 2024 abgehalten werden sollen: Wir müssen vor Ende 2023 ernsthafte Fortschritte sehen. Ich gebe das Mikrofon an den Moderator [der Church of Scotland] weiter, damit auch er etwas sagen kann.

Iain Greenshields: Danke, Herr Erzbischof. Meine Erfahrung ist natürlich ganz anders als die des Papstes und des Erzbischofs, denn für mich war es das erste Mal, dass ich im Südsudan war. Aber es war nicht das erste Mal, dass jemand von meiner Kirche im Südsudan war, weil einer meiner Vorgänger bereits dort war, in einer Situation, die er als extrem vulnerabel bezeichnet hat. Versöhnung und Vergebung standen im Mittelpunkt der Gespräche und des Dialogs bei der Begegnung 2015. Die Beteiligten wurden eingeladen, nach Schottland zu kommen, um nachzudenken, geschult zu werden und in den Südsudan zurückzukehren. Das geschah innerhalb des presbyterianischen Kirchenbezirks Südsudan. Ich möchte mich dem anschließen, was meine Freunde gesagt haben: Es wurden eindringliche Worte gesprochen, die Wahrheit wurde gesagt, zum Herzen wie zum Verstand. Ich denke, dass die aktuelle Lage so aussieht: Taten sprechen eine klarere Sprache als Worte. Wir wurden von der Regierung und von den Kirchen eingeladen, in den Südsudan zu kommen, wie man einen Freund zum Betreten seines Hauses und der Zimmer einlädt. Diese Einladung enthielt eine Bitte um Hilfe in jeder Weise, die möglich ist, etwas zu bewirken in dieser Situation, um unsere Partner zu treffen, um mit den Machthabern zu sprechen. Und das haben wir getan. Jetzt liegt es an denen, die etwas bewirken können, diesen Prozess dringend zu beginnen. Dazu haben wir bei diesem Besuch aufgefordert.

Jean-Baptiste Malenge vom katholischen Radio- und Fernsehsender »Elikya« der Erzdiözese Kinshasa bat den Papst auf Französisch um einen Kommentar zu dem 2016 zwischen dem Heiligen Stuhl und der Demokratischen Republik Kongo unterzeichneten Abkommen, das Angelegenheiten von gemeinsamem Interesse wie Bildung und Gesundheit betrifft. Und er fragte ihn nach seinen Eindrücken als universaler Hirte, der den Geruch der kongolesischen Herde gerochen und mit seiner Hand verschiedene Wunden berührt hat.

Papst Franziskus: Danke. Zunächst zum Abkommen. Ich kenne dieses Abkommen nicht im Einzelnen und bitte um Entschuldigung. Der Kardinalstaatssekretär ist hier, er kann eine Meinung zum Ausdruck bringen. Ich weiß, dass in letzter Zeit ein Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der Demokratischen Republik Kongo auf dem Weg war, aber ich kenne es nicht, darauf kann ich dir keine Antwort geben. Ich kenne auch den Unterschied zwischen diesem neuen Abkommen, das auf dem Weg ist, und dem anderen nicht. Diese Dinge erledigt das Staatssekretariat, der Kardinalstaatssekretär und aus größerer Nähe auch Erzbischof Gallagher, der hier ist, was den politischen Teil der Beziehungen des Heiligen Stuhls zu den Staaten angeht. Sie sind tüchtig darin, diese Abkommen zu schließen, Abkommen zum Wohl aller.

Ich habe im Kongo bei sehr vielen den Wunsch gesehen vorwärtszukommen, sehr viel Kultur. Bevor ich dorthin kam, hatte ich vor einigen Monaten ein Online-Treffen mit afrikanischen Studenten, und einige waren aus dem Kongo: äußerst intelligent. Ihr habt Menschen mit einer sehr hohen Intelligenz, äußerst intelligent. Das ist einer eurer Reichtümer, die jungen Menschen, junge, intelligente Menschen. Und diese jungen Leute muss man unterstützen, damit sie studieren und voran gehen. Und man muss ihnen Raum geben, man darf nicht die Türen verschließen.

Ihr habt so viele Naturressourcen, die Leute anziehen, die kommen, um den Kongo – entschuldigt das Wort – auszubeuten. Es gibt diese Vorstellung, ich habe es bereits gesagt, dass Afrika ausgebeutet werden muss. Man sagt, ich weiß nicht, ob es wahr ist, dass die Länder, die Kolonien hatten, die Unabhängigkeit gewährt haben, aber »vom Boden an aufwärts«: was im Boden ist, dem haben sie nicht die Unabhängigkeit gewährt, sie kommen, um Mineralien zu suchen. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, aber so sagt man. Aber die Vorstellung, dass Afrika ausgebeutet werden kann, die müssen wir auslöschen. Afrika hat seine eigene Würde. Und der Kongo ist darin auf allerhöchstem Niveau.

Und wenn von Ausbeutung die Rede ist, dann trifft und schmerzt mich das Problem des Ostens, das ein Problem des Krieges und der Ausbeutung ist. Im Kongo war es mir möglich, Opfern jenes Krieges zu begegnen. Schrecklich. Verwundete, Verstümmelte… So viel Leid, so viel Leid. Alles, um sich der Reichtümer zu bemächtigen. Das geht nicht, das geht nicht!

Aber um zu deiner Frage zum Kongo zurückzukommen, der Kongo hat ein sehr großes Potential.

Justin Welby: Ich kenne den Ostkongo nicht sehr gut, meine Frau war dort und hat mit Frauen gearbeitet, die vom gewaltsamen Konflikt betroffen waren. Aber ich war, ich war oft im Westen, das letzte Mal 2018, kurz vor COVID. Ich stimme voll und ganz mit dem überein, was der Heilige Vater gesagt hat. Wir müssen das ganz klar sagen: der Kongo ist kein Spielplatz, weder für die Mächtigen noch für die Piraterie der kleinen Bergbaugesellschaften, die unverantwortlich handeln, mit Bergbautätigkeit in Handarbeit, Entführungen, dem Einsatz von Kindersoldaten, Vergewaltigungen in großem Maßstab… Sie plündern das Land ganz einfach aus, ein Land, das zu den reichsten der Welt gehören müsste, ein Land, das dem übrigen Afrika am meisten helfen könnte. Stattdessen wurde es gefoltert, ihm wurde – rein technisch – die politische Unabhängigkeit gewährt, aber nicht die wirtschaftliche.

Meine Erfahrung im Osten, während meines letzten Besuches, als Ebola wütete, genau in dem Gebiet, wo die Miliz tobte, haben wir Pastoren ausgebildet, um Ebola in all seinen Formen bewältigen zu können… Die Kirchen leisten dort eine außerordentliche Arbeit, sie sind die einzige funktionierende Kraft. Heiliger Vater, lassen Sie es mich sagen, die katholische Kirche macht eine wundervolle Arbeit: das von der katholischen Kirche ins Leben gerufene Friedensprojekt für die Großen Seen ist wunderbar. Aber jetzt müssen die Großmächte sagen: Afrika und insbesondere der Kongo haben so viel an Erzen, Metallen, Mineralien und Ressourcen, die die ganze Welt braucht, wenn sie einen ökologischen Wandel herbeiführen und den Planeten vor dem Klimawandel retten will. Und die einzige Art und Weise, dies zu tun, ohne unsere Hände mit Blut zu beflecken, ist, dass die Großmächte wirklich den Frieden für den Kongo suchen und nicht bloß ihren eigenen Wohlstand.

Iain Greenshields: Ich möchte da nicht viel hinzufügen, weil ich denke, dass diese Antwort umfassend war. Aber ich glaube, dass es eine Mahnung an uns alle ist. Mir scheint, es gibt etwas, das der Papst in Bezug auf die Jugendlichen gesagt hat: Kluge und gute junge Köpfe haben eine Chance für ihre Entwicklung verdient. Meiner Erfahrung in anderen Teilen der Welt nach, muss dem brillanten Geist junger Frauen das Recht zuerkannt werden, genau dieselben Chancen wie die anderen jungen Leute zu haben, in welchen Land auch immer, aber besonders in den Entwicklungsländern. Das ist meine Bitte: die Anerkennung der Rechte der Frauen, besonders der jüngeren ist äußerst wichtig.

Jean-Luc Mootosamy von CAPAV stellte auf Englisch fest, dass die Gewalt trotz der jahrzehntelangen Präsenz von UN-Missionen nicht aufhöre, und fragte, wie christliche Führungspersönlichkeiten gemeinsam ein neues Interventionsmodell fördern könnten. Denn die afrikanischen Staaten seien immer mehr versucht, ihre Sicherheit durch andere Partner zu gewährleisten, die sich möglicherweise nicht an die internationalen Gesetze halten, wie etwa einige private Sicherheitsunternehmen in der Sahelzone.

Papst Franziskus: Danke. Das Thema der Gewalt steht jeden Tag auf der Tagesordnung. Wir haben es gerade eben auch hier im Südsudan gesehen. Aber es schmerzt zu sehen, wie Gewalt provoziert wird. Ein Punkt ist der Verkauf von Waffen. Erzbischof Welby hat etwas dazu gesagt. Der Waffenhandel. Ich glaube, dass das heute in der Welt eine Seuche ist, die größte Seuche: Geschäfte machen, der Verkauf von Waffen. Jemand hat mir gesagt – jemand, der etwas davon versteht –, dass man mit dem, was in einem Jahr für Waffen ausgegeben wird, den Hunger in der Welt beseitigen könnte. Ich weiß nicht, ob das wahr ist oder nicht. Aber heute steht der Waffenhandel ganz oben. Und nicht nur unter den Großmächten, sondern auch mit diesen armen Leuten. Leute, bei denen sie damit internen Krieg schüren. Das ist grausam. Sie sagen: »Zieh in den Krieg!« Und sie geben ihnen Waffen, weil Interessen dahinterstehen, vor allem ökonomische Interessen, um die Erde auszunutzen, um die Mineralien zu plündern, um die Ressourcen auszubeuten.

Es ist wahr, dass der Tribalismus in Afrika keine Hilfe ist. Ich weiß nicht genau, wie das im Südsudan ist, aber ich glaube, es gibt ihn. Dialog zwischen den verschiedenen Stämmen ist notwendig. Ich erinnere mich, als ich in Kenia war, im vollen Stadion, da haben sich alle erhoben und haben gerufen: »Nein zum Tribalismus, nein zum Tribalismus!« Es ist wahr, dass jeder Stamm seine eigene Geschichte hat, dass es alte Feindschaften oder verschiedene Kulturen gibt. Aber es ist auch wahr, dass man den Kampf zwischen den Stämmen mit dem Verkauf von Waffen provoziert, und dann beutet man das Land beider Stämme aus. Das ist teuflisch. Ich finde kein anderes Wort dafür. Das bedeutet Zerstörung: Zerstörung der Schöpfung, Zerstörung des Menschen, Zerstörung der Gesellschaft.

Ich weiß nicht, ob das im Südsudan passiert, aber in einigen Ländern werden die Kinder weggeholt, um Teil der Milizen zu sein und zu kämpfen, als Kinder. Das tut sehr weh.

Ich fasse zusammen: Ich glaube, dass das schwerwiegendste Problem die Gier ist, sich den Reichtum jenes Landes anzueignen – Coltan, Lithium und all diese Dinge –, und zwar durch den Krieg, für den man Waffen verkauft und dabei auch die Kinder ausbeutet.

Ian Greenshields: Ich denke, eines der in diesem Zusammenhang zutage tretenden Probleme ist der hohe Grad an Analphabetismus in diesen Ländern: Die Menschen wissen nicht genau, wer sie sind, wo sie sich befinden und wie sie fundierte Entscheidungen treffen können. Das ist das eine. Wir müssen auf jeden Fall das Phänomen des Wettrüstens hinterfragen: Es gibt Leute, die damit sehr viel Geld verdienen, mehr als mit allem anderen in der Welt. Wie können wir das tun? Indem wir sie überzeugen. Und wie können wir Spaltungen überwinden? Durch Dialog.

Ich möchte euch ein Beispiel aus Schottland nennen, dem Land, aus dem ich komme, ein Land, das durch die Religion tief gespalten war und in dem schreckliche Dinge passiert sind: schreckliche Gewalt, schreckliche Spaltungen innerhalb unserer Nation. Wir haben einen Prozess des Dialogs zwischen uns – der Kirche von Schottland – und der katholischen Kirche in Schottland eingeleitet, der letztes Jahr zur Unterzeichnung einer Freundschaftserklärung geführt hat, in der steht, dass wir den Weg gemeinsam gehen wollen, in unseren Unterschieden, aber auch im Einklang in den Dingen, in denen wir übereinstimmen. Und erst wenn man auf diese Ebene des Dialogs und der Begegnung mit dem anderen gelangt, beginnt man, Mauern niederzureißen. Das ist in Schottland geschehen, das, als ich jung war, noch ein tief gespaltenes Land war. Und das ändert sich gerade. Auch die Bildung trägt zu diesem Prozess bei.

Justin Welby: Ich möchte dagegen unter einem anderen Gesichtspunkt antworten, weil Ihre Frage sehr gut, sehr hilfreich ist. Es geht nicht um die UNO oder etwas anderes, sondern es ist immer die UNO »und«: es ist immer: »und«, nicht so sehr: »oder«.

Was bringen die Kirchen ein? Nicht nur funktionierende, nahezu unkorrupte Netzwerke, und wenn du Hilfe sendest, dann kommt sie bei den Leuten vor Ort an. Ihre Netzwerke, die sogar die Kampflinien überwinden können, und alles andere. Am vergangenen Samstag hat unser Erzbischof in Kajo Keji die Beerdigung für 20 Personen gehalten. Er ist dorthin gegangen, und er war am Samstagabend schon wieder zurück. Sein Besuch und sein Beitrag haben viel bewirkt, und zwar die Veränderung des Herzens, und das war der Punkt bei diesem Besuch. Vor 130 Jahren, vor 100 Jahren,  befanden sich die Völker der Nuer und der Dinka in ständigem Krieg, es war eine Kultur der Rache. Bei den Nuer besonders, bei denen es auch beständige Kämpfe zwischen den eignen Clans gab, verbunden mit dem Raub des Viehbestands. Eine Änderung hat nicht die Kolonialregierung bewirkt, sondern es waren die Kirchen und die Veränderung des Herzens, als die Menschen den Glauben an Christus empfangen haben und gemerkt haben, dass es eine neue Art und Weise gibt, wie man leben kann.

Daher gilt mein Wunsch am Ende dieses Besuchs nicht nur einem großen aktiven Einsatz, sondern auch, dass der Geist Gottes den Menschen im Südsudan einen neuen Geist der Versöhnung und der Heilung bringen möge.

Claudio Lavanga von NBC News erinnerte an die Geste des Papstes im Jahr 2019, als er sich vor den politischen Autoritäten des Südsudan niederkniete, um zum Frieden aufzurufen, und wollte angesichts des ersten Jahrestags des Konflikts in der Ukraine wissen, ob Franziskus sich bereit fühle, vor Wladimir Putin dasselbe zu tun. Außerdem fragte er, ob Welby, Greenshields und Franziskus gemeinsam zum Frieden in diesem europäischen Land appellieren würden.

Papst Franziskus: Ich bin zu einem Treffen mit beiden Präsidenten bereit, dem der Ukraine und dem von Russland. Ich bin offen für eine Begegnung. Aber der Grund dafür, dass ich nicht nach Kiew gegangen bin, ist, dass es in jenem Moment keine Möglichkeit gab, nach Moskau zu gehen. Aber ich war im Gespräch, ja am zweiten Kriegstag bin ich zur russischen Botschaft gegangen, um zu sagen, dass ich nach Moskau wollte, um mit Putin zu sprechen, unter der Bedingung, dass es ein kleines Fenster für Verhandlungen gab. Dann hat mir Minister Lawrow geantwortet: »Gut.« Ja, er würde dies eingehend erwägen, aber »sehen wir mal, etwas später«. Diese Geste war eine überlegte Geste, indem ich sagte: »Ich tue das für ihn.«

Aber diese Geste bei der Begegnung 2019, da weiß ich nicht, wie das geschehen ist. Es war nicht überlegt, und die Dinge, an die du vorher nicht gedacht hast, die kannst du nicht wiederholen. Es ist der Heilige Geist, der dich dorthin führt, das kann man nicht erklären. Punkt. Und ich habe es auch vergessen. Es war ein Dienst, ich war das Werkzeug eines inneren Impulses, da war nichts Geplantes.

Heute sind wir… Aber das ist nicht der einzige Krieg, ich möchte gerecht sein: seit 12, 13 Jahren gibt es Krieg in Syrien, seit über zehn Jahren befindet sich der Jemen im Krieg. Denk an Myanmar, an die armen Rohingya, die immer weiter in der Welt umherirren, weil sie aus ihrer Heimat vertrieben worden sind. Überall, in Lateinamerika, wie viele Kriegsherde gibt es! Ja, es gibt wichtigere Kriege, gemessen an dem Lärm, den sie machen, aber, ich weiß nicht, die ganze Welt ist im Krieg, ist auf dem Weg der Selbstzerstörung. Wir müssen ernsthaft nachdenken. Sie ist auf dem Weg der Selbstzerstörung. Hören wir rechtzeitig auf! Denn eine Bombe provoziert eine noch größere und eine noch größere und eine noch größere, in einer Eskalation weißt du nicht, wo du endest… Man muss einen kühlen Kopf bewahren.

Dann haben Eure Exzellenz von den Frauen gesprochen: Die Frauen, ich habe sie im Südsudan gesehen, kümmern sich um die Kinder, manchmal sind sie allein, aber sie haben die Kraft, ein Land aufzubauen. Die Frauen sind tüchtig, sie sind es, die alles voranbringen… Denn die Männer gehen kämpfen, sie ziehen in den Krieg, und diese Frauen mit zwei, drei, vier, fünf Kindern gehen voran… Ich habe sie hier im Südsudan gesehen. Und wenn wir über Frauen sprechen, möchte ich auch ein Wort über die Ordensschwestern sagen, die Schwestern, die sich einsetzen. Ich habe hier im Südsudan einige gesehen, auch in der Messe heute: Ihr habt die Namen von vielen Schwestern gehört, die getötet worden sind, niedergemetzelt in diesem Krieg… Aber kommen wir auf die Kraft der Frau zurück, wir müssen sie ernst nehmen und sie nicht nur für Kosmetikwerbung benutzen! Bitte, das ist eine Beleidigung für die Frau, die Frau ist für das Größte geschaffen!

In Bezug auf den anderen Punkt, das habe ich dir schon gesagt, aber man muss auf die Kriege schauen, die es in der Welt gibt.

Justin Welby: Ich habe von Russland, von Präsident Putin und von der Ukraine gesprochen, als ich dorthin gegangen bin, Ende November, Anfang Dezember, und ich habe wirklich nichts hinzuzufügen, außer dass Präsident Putin das Ende dieses Krieges in der Hand hat. Er könnte ihn beenden mit einem Rückzug und einem Waffenstillstand und dann mit Verhandlungen über eine langfristige Beilegung. Aber ich kann es nicht… Es ist ein furchtbarer und schrecklicher Krieg.

Aber ich möchte auch sagen, dass ich mit Papst Franziskus übereinstimme: Es gibt noch viele andere Kriege. Ich spreche alle paar Wochen mit der Leitung unserer Kirche in Myanmar, ich habe mit den Leitern unserer Kirche in Nigeria gesprochen, wo noch gestern in einer bewaffneten Auseinandersetzung in Katsina 40 Menschen getötet worden sind. Ich habe mit vielen in der Welt gesprochen: Ich stimme vollkommen mit dem Heiligen Vater überein: Kein Krieg wird enden können, wenn nicht die Frauen und die jungen Menschen einbezogen werden, aus genau den Gründen, die er genannt hat.

Bruce De Galzain von Radio France sprach in seiner Frage das Thema der Homosexualität an, die im Südsudan und im Kongo auch von den eigenen Familien nicht akzeptiert wird.

Papst Franziskus: Über dieses Problem habe ich anlässlich zweier Reisen gesprochen. Zuerst auf dem Rückflug von Brasilien: Wenn jemand mit homosexuellen Neigungen gläubig ist und Gott sucht, wer bin ich, dass ich über ihn richte? Das habe ich bei jener Reise gesagt. Zweitens auf dem Rückweg aus Irland – eine etwas problematische Reise, weil an jenem Tag der Brief jenes Jungen veröffentlicht wurde –, dort habe ich den Eltern klar gesagt: Die Kinder, die diese Orientierung haben, haben ein Recht zu Hause zu bleiben, ihr könnt sie nicht aus dem Haus jagen, sie haben ein Recht darauf. Und kürzlich habe ich etwas gesagt, ich erinnere mich nicht genau, was ich gesagt habe, im Interview mit Associated Press. Die Kriminalisierung von Homosexualität ist ein Problem, das man nicht übergehen darf. Man rechnet ungefähr, dass es in 50 Ländern auf die eine oder andere Weise zu dieser Kriminalisierung kommt. Manche sagen noch mehr, sagen wir zumindest 50. Und einige von ihnen – ich glaube, es sind zehn – haben auch die Todesstrafe, offen oder versteckt, aber es ist die Todesstrafe. Das ist nicht richtig, Menschen mit homosexueller Veranlagung sind Kinder Gottes, Gott liebt sie, Gott begleitet sie. Es ist wahr, dass einige in diesem Zustand sind aufgrund von verschiedenen ungewollten Situationen. Aber eine solche Person zu verurteilen, das ist eine Sünde, Menschen mit homosexuellen Neigungen zu kriminalisieren ist eine Ungerechtigkeit. Ich spreche nicht von den Gruppen, nein, von den Menschen. Man kann sagen: »Aber sie bilden Gruppen, die Lärm machen…« Die Menschen. Lobby-Gruppen, das ist etwas Anderes. Ich spreche von den Menschen. Und ich glaube, im Katechismus der katholischen Kirche steht der Satz, dass »sie nicht ungerecht zurückgesetzt« werden dürfen. Ich denke, dass das klar ist.

Justin Welby: Vielleicht ist es euch nicht gänzlich entgangen, dass wir in der Church of England unlängst »ein kleines bisschen« darüber diskutiert haben, Parlamentsdebatten inklusive und so weiter. Ich hätte gerne mit derselben Eloquenz und derselben Klarheit darüber gesprochen wie der Papst. Ich stimme voll und ganz mit jedem Wort überein, das er gesagt hat. Die Kriminalisierung … Die Church of England, die Anglikanische Gemeinschaft hat auf zwei Lambeth-Konferenzen Resolutionen gegen die Kriminalisierung gebilligt, das hat aber die Mentalität vieler Menschen nicht wirklich verändert. In den nächsten vier Tagen wird das das wichtigste Diskussionsthema auf der Generalsynode der Church of England sein, und ich werde den Heiligen Vater mit Sicherheit zitieren. Er hat es wunderbar und akkurat ausgedrückt.

Iain Greenshields: Nur eine ganz kurze Anmerkung. An keiner einzigen Stelle in den vier Evangelien sehe ich, dass Jesus jemanden abweist. An keiner Stelle der vier Evangelien sehe ich Jesus etwas anderes ausdrücken als Liebe für jeden, dem er begegnet. Und für uns Christen ist das die einzige Ausdrucksweise, mit der wir jeden Menschen in jeder Situation ansprechen können.

Alexander Hecht von ORF TV fragte den Papst, ob er den Eindruck habe, dass seine Arbeit nach dem Tod Benedikts XVI. schwieriger geworden sei, weil sich die Spannungen zwischen den verschiedenen Flügeln der katholischen Kirche verschärft hätten?

Papst Franziskus: Zu diesem Punkt möchte ich sagen, dass ich mit Papst Benedikt über alles reden und Meinungen austauschen konnte, und er war immer an meiner Seite, als Stütze; und wenn ihm etwas schwierig schien, dann sagte er es, und wir sprachen darüber, und es gab keine Probleme.

Einmal habe ich über die Eheschließung homosexueller Menschen gesprochen, über die Tatsache, dass die Ehe ein Sakrament ist und dass wir kein Sakrament spenden können, aber dass die Möglichkeit besteht, die Güter zivilrechtlich abzusichern – das gab es zuerst in Frankreich, ich erinnere mich nicht, wie das genannt wird. Das heißt, dass jede beliebige Person eine eingetragene Partnerschaft eingehen kann, nicht notwendigerweise als Paar, dass ältere Damen, die im Ruhestand sind, eine eingetragene Partnerschaft eingehen… und so weiter. Dann ist jemand, der sich für einen großen Theologen hält, mittels eines Freundes von Papst Benedikt zu ihm gegangen und hat sich über mich beschwert. Benedikt ist nicht erschrocken, er hat vier Kardinäle gerufen, erstklassige Theologen, und hat gesagt: »Erklärt mir das.« Und sie haben es erläutert. Und damit war die Sache erledigt.

Das ist eine Anekdote, um zu zeigen, wie Benedikt vorging, wenn eine Beschwerde kam. Es sind einige Geschichten im Umlauf, denen zufolge Benedikt erbittert gewesen sei über dieses oder jenes, was der neue Papst getan hat… Das sind »chinesische Märchen«. Ich habe Benedikt in der Tat bei einigen zu treffenden Entscheidungen konsultiert, und er war einverstanden.

Ich glaube, dass Benedikts Tod von Leuten instrumentalisiert worden ist, die Wasser zur eigenen Mühle leiten wollen. Und die Leute, die auf die eine oder die andere Art einen so guten Menschen, einen solchen Mann Gottes, ja ich möchte fast sagen einen heiligen Kirchenvater instrumentalisieren, diese Leute haben keine Ethik, das sind Parteigänger, keine Männer der Kirche. Man sieht überall die Tendenz, mit theologischen Standpunkten Parteienbildung zu betreiben, und das führt dann hierzu … Es gut sein lassen… Diese Dinge werden von allein zu Fall kommen, oder einige kommen nicht zu Fall und gehen weiter, wie es im Lauf der Kirchengeschichte der Fall war. Aber ich wollte ganz klar sagen, wer Papst Benedikt war, dass er kein verbitterter Mensch war.

Schließlich fragte Jorge Barcia Antelo von RNE Franziskus auf Italienisch, wohin ihn seine nächsten Reisen führen würden, und den Moderator und den Erzbischof auf Englisch, ob sie sich dem Papst bei weiteren Initiativen dieser Art anschließen würden.

Franziskus: Ich spreche von der Globalisierung der Gleichgültigkeit, und dann stand da was im Mittelpunkt deiner Frage …

Ja, es stimmt, die Globalisierung der Gleichgültigkeit gibt es überall, sei es nun innerhalb des Landes, vielleicht… Eine Reihe von Menschen, die vergessen haben, auf ihre Landsleute, ihre Mitbürger, zu schauen, und die sie an den Rand drängen, um nicht an sie zu denken. Es stimmt nachdenklich, dass sich die größten Vermögen der Welt in den Händen einer Minderheit befinden; und diese Leute haben keinen Blick für das Elend, ihr Herz öffnet sich nicht, um in diesen Situationen zu helfen.

Aber zu den Reisen. Ich glaube, dass Indien für nächstes Jahr auf dem Programm steht, meine ich… Am 23. September gehe ich nach Marseille; und es besteht die Möglichkeit, dass ich von Marseille aus dann in die Mongolei fliege, aber das ist noch nicht entschieden, es ist möglich. Und dann steht dieses Jahr eine andere Reise an: Lissabon. Aber das Kriterium ist dieses: Ich habe beschlossen, die kleinsten Länder Europas zu besuchen. Sie werden sagen: »Aber Sie sind nach Frankreich gegangen.« Nein, ich bin nach Straßburg gegangen, ich werde nach Marseille gehen, nicht nach Frankreich. Die kleinsten, die allerkleinsten, um etwas das verborgene Europa kennenzulernen, das Europa, das über viel Kultur verfügt, das aber nicht alle kennen, um Länder zu begleiten, beispielsweise Albanien – das war das erste –, das das Land ist, das die grausamste Diktatur der Geschichte erlitten hat. Ein wenig habe ich das so entschieden: ich bemühe mich, nicht selbst in die Globalisierung der Gleichgültigkeit zu verfallen.

[Der Papst wird nach seiner Gesundheit gefragt.] Du weißt, Unkraut vergeht nicht! Nein, sie ist nicht wie am Anfang des Pontifikats, wirklich, dieses Knie ist lästig, aber es wird langsam besser, dann sehen wir weiter. Danke.

Justin Welby: Das ist mit Sicherheit die beste Fluggesellschaft, mit der ich je gereist bin! Deshalb würde es mich freuen… Scherz beiseite, ja: Wenn der Heilige Vater den Eindruck hat, dass ich einen Mehrwert dargestellt habe oder dass künftig der Erzbischof (von Canterbury) einen Mehrwert beisteuern kann, dann ist das immer ein Privileg. Es hängt vom Ziel ab und davon, ob wir ein Hindernis oder eine Hilfe sein können.

Iain Greenshields: Sicher würden wir sehr gerne wieder etwas Vergleichbares machen. Die einzige Einschränkung ist, dass mein Mandat am 20. Mai ausläuft, und der nächste Moderator [der Generalversammlung] der Kirche Schottlands wird eine Frau sein, die sehr kompetent ist, aber sicher wird sie sich freuen, dasselbe zu tun.

 



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